
Moschee im Kriegsgefangenenlager Wünsdorf: Das deutsche Mekka
Deutschlands erste Moschee Als das Deutsche Reich zum Dschihad rief
Die Sensation, die das "Berliner Tageblatt" am 9. Juli 1915 vermeldete, war gut versteckt - auf Seite sechs seiner Morgenausgabe. Unter dem Titel "Moschee im Gefangenenlager" wurde die Einweihung des ersten islamischen Gotteshauses auf deutschem Boden angekündigt: "In dem Gefangenenlager Wünsdorf, das unsere orientalischen Gegner, die auf Seiten Frankreichs und Englands standen, birgt, und das bezeichnenderweise den Namen 'Halbmondlager' trägt, ist in den letzten Wochen ein Bauwerk entstanden, das sich auf dem Boden der Mark sonderbar genug ausnimmt."
Um dem "religiösen Bedürfnis der internierten Mohammedaner zu genügen", so der Artikel weiter, habe die preußische Heeresverwaltung eine Moschee bauen lassen, die "bis in die kleinsten Einzelheiten den orientalischen Gotteshäusern gleicht."
Nur vier Tage später war es soweit: Unter Anwesenheit des osmanischen Botschafters und hochrangiger deutscher Militärs wurde die Moschee pünktlich am Beginn des Ramadan eingeweiht. Zwar gab es ältere "Zier-Moscheen", etwa in Dresden, Potsdam oder Schwetzingen, die aber nicht der Religionsausübung dienten, vielmehr die exotischen Sehnsüchte damaliger Stadt- oder Parkplaner demonstrierten.
In Wünsdorf aber war zum ersten Mal in Deutschland, ja in Mitteleuropa, eine Moschee für Muslime errichtet worden, wie der Islamwissenschaftler Gerhard Höpp festhielt. Ähnliche Bauvorhaben, während des Kriegs Moscheen in Paris und London zu errichten, scheiterten.
Hurrarufe auf den Kaiser
Angeregt worden war der Bau im Berliner Umland durch das mit dem Deutschen Reich im Ersten Weltkrieg verbündete Osmanische Reich, das für seine Glaubensbrüder in Kriegsgefangenschaft Möglichkeiten zur Religionsausübung einforderte. Selbst wenn sie im Krieg auf der feindlichen Seite gekämpft hatten.
Das deutsche Auswärtige Amt und die Militärbehörden, die den in nur fünf Wochen errichteten Holzbau finanzierten, wollten zugleich die Gelegenheit nutzen, um dem Ausland die fortschrittliche Toleranz des Reiches zu demonstrieren. Zugleich sollten unter den muslimischen Insassen neue Soldaten für die Sache des Reiches gewonnen werden.
Bei der Einweihung begann der islamische Geistliche Muhammad al-Hidr Husain seine Predigt mit Hurrarufen auf den Kaiser und betete für den Sieg seiner Waffen. Die Propagandapredigt zugunsten des deutsch-osmanischen Militärbündnisses wurde später in arabischer, russischer und turko-tatarischer Sprache auch in der von der deutschen Lagerleitung herausgegebenen Lagerzeitung "El Dschihad" abgedruckt.
Die Wünsdorfer Moschee, die Platz für gut 400 Gläubige bot, war für die Gefangenen Tag und Nacht geöffnet und wurde nicht nur zu den Freitagsgebeten und anderen hohen islamischen Festtagen genutzt, sondern auch zur religiösen Unterweisung, zum Koranstudium und zur Waschung der Toten. Zugleich bot sie eine würdige Kulisse für die Vereidigung der künftigen Dschihad-Kämpfer auf den Koran.

Moschee im Kriegsgefangenenlager Wünsdorf: Das deutsche Mekka
Bereits am 14. November 1914 hatte Sultan-Kalif Mehmed V. in Konstantinopel auf Drängen des Reichs alle Muslime zum Heiligen Krieg gegen Russland, England und Frankreich aufgerufen. Die von den Deutschen forcierte Dschihad-Werbung im Wünsdorfer Lager hatte allerdings nur mäßigen Erfolg: 16.000 Insassen zählten die beiden Sonderlager für muslimische Gefangene, die 1914 bei Berlin errichtet worden waren. Von ihnen konnten nachweislich nur gut 2000 davon überzeugt werden, auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg gegen Briten und Franzosen auf der Arabischen Halbinsel zu ziehen.
Mit Grammophon und Phonograph
Außer propagandistischer Werbung wurden die Gefangenen in den Lagern auch ethnologischen Untersuchungen ausgesetzt: Von vielen Angehörigen aus damaliger Sicht exotischer Völker wurden im Bewusstsein vermeintlicher kultureller Überlegenheit Aufnahmen gemacht, welche die koloniale und rassistische Denkweise der Fotografen spiegeln. Und auch Tonaufzeichnungen wurden gemacht - von der Königlich Phonographischen Kommission, die das preußische Kultusministerium 1915 ins Leben gerufen hatte. Sie sollte mithilfe moderner Aufnahmetechniken - Grammophon und Phonograph - Sprache und Musik ausländischer Soldaten in 26 deutschen Kriegsgefangenlagern dokumentieren.
- Nach der Auflösung der Phonographischen Kommission 1918 wurden die mehr als 2.600 Aufnahmen aus den Lagern getrennt. Die auf den Wachswalzen festgehaltenen Gesänge lagern heute hauptsächlich im Ethnologischen Museum Berlin. Die Sprachaufzeichnungen auf Schallplatten sind vor allem im Lautarchiv der Humboldt-Universität archiviert. Für die Wissenschaft sind die Aufnahmen von unersetzlichem Wert, denn oft stellen sie die erste Tondokumentation einer Sprache oder einer ethnischen Gruppe überhaupt dar.
Märkische Kiefern, märkischer Sand
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Entlassung aller Gefangenen wurde das Gotteshaus zunächst weiter genutzt - vor allem von russischen Kriegsgefangenen, die nicht in ihre vom Bürgerkrieg zerrissene Heimat zurückkehren wollten, und von Muslimen, die sich in der gut 40 Kilometer entfernten Reichshauptstadt niedergelassen hatten. Jahr für Jahr rief der Muezzin zum Opferfest die Muslime "nach dem 'Deutschen Mekka'", wie die Berliner Morgenpost 1923 schrieb.
Im Jahr zuvor hatte der Berliner Heimatschriftsteller Erdmann Graeser die Moschee und ihre malerische Umgebung romantisierend geschildert: "Märkische Kiefern und märkischer Sand - darüber in fahlem Blau der Himmel. Grillen schrillen im Chor, das junge Korn wiegt sich im Winde. [ ] In der Ferne sehen wir das Ziel: den hohen, schlanken Rundturm neben der Moschee [ ]. Und nun wird auch die runde Kuppel mit dem Halbmond sichtbar." Ein von schmalen grünglasigen Fenstern beleuchtetes Säulenrund wird beschrieben und schließlich betritt der Autor einen "mit Ziegelsteinen gepflasterten Vorhof mit einem plätschernden Brunnen".
Doch das Ende des beschriebenen Idylls lag nicht mehr weit entfernt: Als 1928 in Berlin-Wilmersdorf eine eigene städtische Moschee erbaut wurde, geriet das Wünsdorfer Gotteshaus in Vergessenheit. 1930, nicht einmal ganze 15 Jahre nach ihrer Einweihung, wurde die erste deutsche Moschee ohne größeres Aufsehen wieder abgerissen. Nicht einmal ein genaues Datum ihres Endes ist überliefert.