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Spieltag: Kronprinz Wilhelm in Berlin mit Entourage auf dem Weg zum Fußballmatch zwischen Newcastle United und dem BFC Preußen, um 1910.
Foto: GETTY IMHulton Royals Collection / Getty ImagesVor 150 Jahren, im Januar 1871, entstand der erste deutsche Nationalstaat. »Deutsches Reich« hieß das Land nun offiziell, eine konstitutionelle Monarchie mit dem Reichstag als Parlament, Otto von Bismarck als Reichskanzler und einem Hohenzollern-Kaiser als Staatsoberhaupt. Es war ein Staat, der vielen Bürgern anfangs fremd blieb , dann auch durch aggressiven Nationalstolz Identifikation schuf und schließlich den Ausbruch des Ersten Weltkriegs mitverantwortete. Es war aber auch ein Staat, in dem demokratischer Aufbruch möglich war, in dem alte Konventionen überwindbar schienen: Frauen erweiterten ihre Handlungsspielräume, neue Berufe und neue Arbeitszeiten machten bislang unbekannte Freizeitaktivitäten möglich, man diskutierte erstmals über Sexualität und Sexarbeit , und die Wissenschaft feierte enorme Erfolge und Durchbrüche. Dieses Heft erzählt vom Alltag im Kaiserreich, davon, wie die Menschen in unterschiedlichen Milieus und Regionen die Zeit erlebten und wie sie mit den Spannungen umgingen, die sich zwischen dem Alten und dem Neuen unweigerlich ergaben. Es sind Texte, die auf den ersten Blick wenig mit Politik zu tun haben und in denen doch durchweg die politische Kultur und die Mentalität der Zeit deutlich werden.
Aus der Rückschau wirkt die Zeit zwischen 1871 und 1918 ambivalent, oft widersprüchlich. Und nicht zu verdrängen ist das Wissen, wie die Geschichte danach weiterging: Die Spur des Imperialismus, die das Kaiserreich einschlug, führte zum endgültigen Zusammenbruch des »Deutschen Reiches« 1945. Für die Diskussion über das Selbstverständnis des heutigen Deutschland ist die Ära nach 1871 fundamental. Welche Traditionen wirken nach? Und wo sollte die Gegenwart Überkommenes wie etwa Denkmäler hinterfragen, sich scharf abgrenzen gegenüber Werten und Ideen von damals, die einige noch oder wieder hochhalten? Historikerinnen und Historiker kommen heute zu unterschiedlichen Urteilen über das Kaiserreich – alles andere wäre vielleicht auch verwunderlich angesichts einer Epoche, deren hervorstechendstes Merkmal ihre innere Gegensätzlichkeit ist.
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