
Helden zur See Ein Kapitän stemmt sich gegen den Untergang

Ein Kapitän verlässt als Letzter sein sinkendes Schiff. Dies galt lange Zeit als ein Gesetz der See, das nicht geschrieben werden musste, weil es ein Ehrenkodex war. Zumindest bevor es Seeleute wie Francesco Schettino gab, der im Januar 2012 das Kreuzfahrtschiff »Costa Concordia« vor der italienischen Insel Giglio auf die Felsen setzte – und dann als einer der Ersten im Rettungsboot saß. Viele Seeleute, die ich kenne, bekommen bei der bloßen Nennung des Namens Schettino hektische Flecken im Gesicht.
Diese Geschichte handelt von einem dänischen Kapitän, einem Gegenentwurf zu Schettino. Mutig, pflichtbewusst, zäh und bescheiden, »ein echter Kapitän«, wie ihn seinerzeit eine große deutsche Wochenzeitschrift bezeichnete.
Dezember 1951, westlich der Britischen Inseln: Der Stückgutfrachter »Flying Enterprise« befindet sich auf dem Weg von Hamburg nach New York City, als das Schiff in einen schweren Orkan gerät. Der Ruderschaft bricht, und das Schiff rollt heftig in der See, was dazu führt, dass die Ladung aus Roheisen verrutscht. Die »Flying Enterprise« hat nun starke Schlagseite, mehr als 50 Grad, und verzweifelte Versuche, ein Notruder anzubringen, scheitern.
Kapitän ist Hendrik Kurt Carlsen, 37, der seit seinem 14. Lebensjahr zur See fährt und mit erst 22 Jahren Kapitän wurde. Er lässt die Maschine stoppen und ein Mayday absetzen. Einige Frachtschiffe und ein amerikanischer Truppentransporter empfangen den Notruf und ändern sofort den Kurs. Doch der Sturm tobt noch immer so heftig, und die Wellen sind so hoch, dass es unmöglich ist, die 48 Crewmitglieder und zehn Passagiere von Bord zu retten.
Als sich das Wetter nach vier Tagen etwas bessert, gibt Kapitän Carlsen die Order, dass alle Crewmitglieder die »Flying Enterprise« verlassen sollen. Freiwillige des Dampfers »Southland« lassen ein Rettungsboot zu Wasser und rudern zum Havaristen. Sie bringen die Schiffbrüchigen in Sicherheit.
Kapitän Carlsen aber bleibt an Bord. Er weigert sich, sein Schiff zu verlassen. Er will noch nicht aufgeben. Das Drama beginnt.
Nach zwei weiteren Tagen in schwerer See erreicht der britische Hochseeschlepper »Turmoil« den Einsatzort. Das Wetter: unverändert stürmisch, neun Beaufort, enormer Wellengang. Die »Flying Enterprise« hat inzwischen knapp 60 Grad Schlagseite. An Bord des Schleppers hegen einige Seeleute Zweifel, ob eine Rettung des Schiffs überhaupt noch möglich ist.
Mehrere Versuche, eine Schleppverbindung herzustellen, scheitern. Der Kapitän der »Turmoil« fordert seinen Kollegen auf einzusehen, dass es keinen Sinn mehr hat, und das Schiff zu verlassen. Doch Carlsen denkt nicht daran.
Stattdessen bittet er sogar darum, ihm Verstärkung an Bord zu schicken. Ein Freiwilliger meldet sich, der Erste Offizier, ein Mann namens Kenneth Dancy. Ihm gelingt es bei einem kühnen Manöver, auf das Heck der »Flying Enterprise« zu springen.
Mit vereinten Kräften schaffen es die Seeleute, die Schlepptrosse anzubringen. Nun gibt es wieder Hoffnung für die »Flying Enterprise«. Der Schleppverband kämpft sich durch die Wellen, in der Hoffnung, den Nothafen Falmouth in Cornwall zu erreichen.
Fünf weitere Tage geht das gut. Doch dann, etwa 60 Seemeilen vor dem Ziel, bricht die Schlepptrosse. Das Schiff liegt mit 65 Grad auf der Seite.
Nun gibt selbst der sture Däne Carlsen auf, nach insgesamt 13 Tagen an Bord des Havaristen. Carlsen und Dancy verlassen die »Flying Enterprise«. Kurz darauf sinkt das Schiff am 9. Januar 1952, auf Position 49° 38'0" Nord, 004° 23'0" West, knapp 85 Meter tief auf Grund.
Was auf See geschah, hat die Öffentlichkeit fasziniert in den Zeitungen und im Radio verfolgt. Ein maritimer Krimi, mit einem wahren Helden auf der Brücke. Der Mut und Durchhaltewillen Carlsens werden in Zeitungen von London bis New York gefeiert.
Dem Kapitän selbst ist der Rummel unheimlich. In London droht er einer Fluggesellschaft, er werde sein Ticket zurückgeben, sollte er bei seinem Abflug nach New York wieder Reportern »ausgesetzt« sein. Seine Abreise aber bleibt nicht geheim, denn als er, von einem Polizisten begleitet, die letzten hundert Meter zur wartenden Maschine läuft, eilen ihm Journalisten hinterher.
Carlsen ruft ihnen zu: »Meine Herren: Ich habe Ihnen nichts zu sagen, überhaupt nichts zu sagen, nichts zu sagen, nichts zu sagen, gar nichts zu sagen.«
Der Versicherer Lloyd's of London verleiht Carlsen keine zwölf Monate nach den Ereignissen die Silbermedaille für »besondere Dienste«. Der amerikanische Kongress würdigt ihn mit dem »Merchant Marine Distinguished Service Award«. Eine Hollywoodproduktion bietet ihm für die Verwertung seiner Lebensgeschichte die für damalige Verhältnisse unglaubliche Summe von 2,5 Millionen Dollar.
Kapitän Carlsen lehnt das Angebot ab.
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Untergang: Die »Flying Enterprise« sinkt westlich der Britischen Inseln. Das Schiff war Ende Dezember 1951 auf dem Weg von Hamburg nach New York City, als es in einem Orkan Probleme mit der Ruderanlage gab.
Die »Flying Enterprise« in schwerer See: Weil der Ruderschaft brach, trieb der Frachter hilflos vor der Küste von Cornwall.
Der Held ist von Bord: Am Ende muss Kurt Carlsen doch aufgeben und verlässt die »Flying Enterprise« – 13 Tage lang hatte er mit der See gekämpft und versucht, sein Schiff zu retten.
Die Rettungsaktion läuft: Crewmitglieder verlassen die »Flying Enterprise«. Das Schiff legte sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit 30 Grad auf die Seite. Nur einer blieb an Bord: Kapitän Carlsen.
Nichts mehr zu retten: Die »Flying Enterprise« geht vor der Küste von Cornwall unter. Alle Bemühungen von Kapitän Carlsen und der Besatzungen herbeigeeilter Schiffe blieben vergeblich.
Als Kapitän Carlsen und sein Begleiter Kenneth Dancy, Erster Offizier des Hochseeschleppers "Turmoil", endlich das Schiff verließen, lag es fast komplett auf der Seite. Die beiden mussten ins Wasser springen und zu ihren Rettern schwimmen.
Wieder auf See: Das Foto zeigt Kapitän Carlsen 1959 an Bord des neuen Schiffes »Flying Enterprise II«. Gleich nach den Ereignissen fuhr er wieder zur See. Die Aufnahmen entstand im Hafen von Casablanca, wo das Schiff mit einer Zuckerladung aus Kuba ankam.
Titelheld: Die Weltöffentlichkeit verfolgte, wie Kapitän Carlsen um sein Schiff kämpfte. Sein Mut und Widerstandswille brachte ihn auf viele Titelseiten, hier die Illustrierte »Paris Match«. Dem Seemann selbst jedoch war der Rummel um seine Person zuwider.
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