
Kohl-Karikaturen Die Rache der Birne

Da schwebt er durch die Lüfte mit ausgebreiteten Armen, der Kanzler der Einheit, hinweg über die Köpfe seines Volkes, in einem riesigen, schwarzen Umhang. Es ist die Wendezeit 1989, unten stehen DDR-Bürgerrechtler mit ihren Friedenskerzen und "Wir sind das Volk!"-Transparenten.
Dann unterläuft dem Politiker ein peinliches Missgeschick.
Helmut Kohl fliegt so dicht über die Menge hinweg, dass der Windzug seines flatternden Mantels die brennenden Kerzen der Bürgerrechtler löscht. Zurück bleiben etwas ratlose, traurige Aktivisten. Einer von ihnen, ein bärtiger Typ in buntem Wollpulli, sagt: "Oh schade! Das war der Mantel der Geschichte!"
Ausgerechnet der Kanzler der Einheit hat soeben unfreiwillig der DDR-Bürgerbewegung das Licht ausgeblasen - mit jenem "Mantel der Geschichte", den er nach eigenem Bekunden während des friedlichen Umbruchs 1989 so beherzt ergriffen hatte wie vor ihm nur Bismarck.
Die Karikatur der langjährigen "Eulenspiegel"-Illustratorin Barbara Henniger hebt sich wohltuend von vielen gehässigen Kohl-Zeichnungen ab, die überwiegend auf die unvorteilhafte Physiognomie des Politikers abzielten. Mit Ironie statt Häme deckt Henniger eine Schwäche auf: Der promovierte Historiker Kohl war so sehr auf seinen Platz in den Geschichtsbüchern bedacht, dass er die Wiedervereinigung mit historischem Pathos überfrachtete - und dabei mitunter sein Volk und dessen Probleme aus den Augen verlor.
Mitleidiger Spott, boshafte Häme
Nun ist Helmut Kohl im Alter von 87 Jahren gestorben und damit endgültig zu einer der wichtigsten Figuren deutscher Zeitgeschichte geworden. Sein Tod ändert in einer Hinsicht aber wenig - als monumentale Figur der Geschichte dürften die meisten Bürger Kohl wohl schon zu Lebzeiten empfunden haben.
Das spiegelt sich besonders in unzähligen Karikaturen über den langjährigen Regierungschef wider. Nach Kohls politischem Aufstieg in den Siebzigerjahren arbeiteten sich Generationen von Zeichnern an diesem lebenden Denkmal ab. Kein anderer Bundeskanzler wurde von ihnen dabei derart massiv mit einer Mischung aus mitleidigem Spott und boshafter Häme überzogen - und doch so oft so grandios unterschätzt.
Kohl, das war für viele Karikaturisten nämlich zunächst einmal nur das Naheliegendste: das Massige, das Provinzielle, das Tölpelhafte. Etliche Karikaturen zeigen den Politiker, wie er versucht, das zu machen, was er seinen Bürgern stets abverlangte - den Gürtel enger zu schnallen. Es scheitert regelmäßig an seiner Leibesfülle. Die Varianten dieses Grundmotivs sind fast grenzenlos.
Saumagen, Oggersheim, Übergewicht. Das alles schien irgendwie wunderbar zusammenzupassen. Solche vermeintlichen Steilvorlagen wollte sich kaum ein Karikaturist entgehen lassen: Kohl sprengte in ihren Zeichnungen mit seinem massigen Leib Felsen, er brachte Boote zum Sinken und füllte Fußballtore derart aus, dass kein noch so begnadeter Stürmer der Welt je einen Treffer erzielen könnte.
So ging es weiter, Jahr für Jahr: Kohl als schwergewichtiger Kaiser, der aus einem Füllhorn Geldbündel für die marode DDR ausschüttete. Kohl mit eindrucksvollem Bauch, darüber der plumpe Text: "Airbag neu erfunden."
Der Kanzler sei in den Augen seiner Gegner "die Verkörperung des Peinlichen und Banalen" gewesen, schrieb die "Zeit" im Jahr 2010. Zu Recht beklagte sie die Überheblichkeit der Deutschen, die den Kanzler stets nur als bloße Karikatur begriffen hätten. "Kohl wurde nicht gehasst, er wurde verachtet. Man sah in ihm nicht den gerissenen Schurken, sondern den fatalen Tölpel." Und in der Tat wirkte Kohl im Vergleich zu seinem weltgewandten Vorgänger Helmut Schmidt oder seinem aufbrausenden Parteigenossen Franz Josef Strauß auf viele Bürger einfach nur heimelig, harmlos und humorlos.
Gigantische Erinnerungslücke
Der Pfälzer ertrug den zeichnerischen Dauerspott, zumindest nach außen, mit stoischer Gelassenheit und führte das auf seine "unbezwingliche Ochsennatur" zurück. Als gewiefter Polit-Stratege mag er sich im Grunde aber sogar gefreut haben, dass viele Karikaturen lediglich auf Äußerlichkeiten abzielten - und damit politisch ungefährlich blieben. So etwas konnte er leicht als unwürdige Beleidigung abtun.
Erst als Kohl immer mehr begann, politische Probleme wie den CDU-Spendenskandal mit beispielloser Sturheit auszusitzen, konnten Karikaturisten die körperliche Massigkeit sehr überzeugend als Symbol für eine degenerierte politische Kultur darstellen: Eine Zeichnung etwa zeigt staunende Bürger vor einer riesigen Erdspalte, die ein Schild als "Helmut-Kohl-Gedächtnislücke" ausweist. Darunter der Text: "Wie alles bei ihm: gigantisch und grandios!"
Für die größte Aufregung aber sorgte eine sehr frühe Karikatur des Franzosen Jean Mulatier. Unmittelbar vor der Bundestagswahl 1976, bei der Kohl Bundeskanzler Schmidt herausforderte, zeichnete Mulatier für den SPIEGEL Kohls Kopf in der Form einer prächtigen Birne. Damit war ein später fast schon ikonisches Motiv geschaffen, das den CDU-Politiker zeitlebens verfolgen sollte. Kohl war, besonders in der Satirezeitschrift "Titanic", irgendwann nur noch "Birne". Selbst wer sich überhaupt nicht für Politik interessierte, verstand das.
Geburt der Birne
Das "Birnen"-Motiv ist heute so sehr Allgemeingut geworden, dass man sich die wütenden Leserzuschriften von 1976 kaum noch vorstellen kann: "Die Karikatur ist widerlich und infam. Ich habe mich für den SPIEGEL geschämt", schrieb damals etwa ein Mann aus Tübingen. "Haut dem Kohl einen auf die Birne; so soll das wohl verstanden werden. Das ist fast kriminell", empörte sich ein weiterer Leser.
Andere nahmen die Karikatur dankbar auf, witzelten über die neue Gemüsezüchtung "Birnenkohl" oder schrieben: "Das Titelbild ist vielsagend, nämlich "oben" wenig, sehr wenig, und das Wenige noch in Falten. "Unten": "viel, sehr viel, außerordentlich viel bla, bla, bla, bla ".
Natürlich schmeckte dem Kanzler der neue Spitzname nicht. Gekonnt rächte er sich elf Jahre später aber auf seine Weise: Bei der Bundestagswahl 1987 verteilten Kohls PR-Strategen überall "I like Birne"-Anstecker. Die Selbstironie kam offenbar an: Die "Birne" triumphierte und wurde zum zweiten Mal zum Bundeskanzler gewählt.
Zwei Jahre später fiel die Berliner Mauer, und der lange verlachte Politiker aus Oggersheim nutzte seine Chance - und schrieb Weltgeschichte.
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Dekadente Aufbauhilfe: Wie ein altrömischer Kaiser schwebt Kohl in dieser Karikatur von Erich Sokol (Titel: "Geldsegen") über der maroden DDR und verteilt die Wohltaten aus seinem Füllhorn. Kein anderer Kanzler wurde so gern, so viel und so hämisch karikiert wie Helmut Kohl.
Der Mantel der Geschichte: Hoppla! Der Kanzler der Einheit löscht versehentlich der DDR-Bürgerbewegung die Kerzen; Karikatur von Barbara Henniger.
Erinnerungslücke: Staunende Bürger an einer enormen "Helmut-Kohl-Erinnerungslücke". Immer wieder saß der langjährige Kanzler politische Probleme einfach stur aus - und zog sich damit den Zorn vieler Kritiker zu.
"Meine Sünden sind dir vergeben!" Helmut Kohl konnte sich auch deshalb so lange an der Spitze der CDU halten, weil er innerparteiliche Konkurrenten wie Heiner Geißler konsequent in die Wüste schickte.
Der Aufreger: Der Franzose Jean Mulatier zeichnete vor dem Bundestagswahlkampf 1976 für den SPIEGEL Kohls Kopf in Form einer "Bergamotte-Birne", wie er überflüssigerweise präzisierte. Denn auch ohne Erklärungen hatte Mulatier ein sehr langlebiges Motiv geschaffen. Bei den Lesern polarisierte die Karikatur sehr: "Widerlich", "infam" und "unanständig" wetterten die einen, die anderen nannten die Zeichnung den "besten Kohl, den es je gab".
Achtung! Freie Rede! Als rhetorisches Wunderkind wurde Helmut Kohl kaum verehrt. Kritiker warfen ihm sprachliche Unbeholfenheit vor, so auch in dieser Karikatur aus dem Bundestagswahlkampf 1987: In der CDU-Parteizentrale schrillen die Alarmglocken, nur weil der Kanzler ohne Manuskript reden möchte.
Raumfüllend: So wurde Helmut Kohl auch im Ausland gerne und oft porträtiert. Massig und eben sinnbildlich ein politisches Schwergewicht. Zeichnung des US-Amerikaners Ron Coddington, 1994.
Jesus Kohl: Wenn ein körperlich nicht gerade schmächtiger Kanzler plötzlich leichtfüßig über das Wasser läuft, dann sind die größten Neider und Kritiker (wie hier Oscar Lafontaine) restlos bedient.
Der Klassiker: Besonders in der Satirezeitschrift "Titanic" wurde Helmut Kohl so konsequent als "Birne" karikiert, dass diese Bildmetapher bald zum politischen Allgemeingut wurde. Dieses Titelbild von 1984 - ein Jahr nach Beginn der Kanzlerschaft - war noch eine der harmloseren Kohl-Birnen-Varianten.
Ei statt Birne: Helmut Kohl mit Verleger Fritz Molden (M.) kurz vor der Bundestagswahl 1976 auf der Frankfurter Buchmesse. In Moldens Verlag war damals ein neuer Band mit Kohl-Zeichnungen des Karikaturisten Dieter Hanitzsch (r.) erschienen - diese "Henne-Ei"-Zeichnung hatte Hanitzsch vor Ort angefertigt. Kohl hatte guten Grund, darüber zu lachen, schließlich wurde er als "wichtiger" als die CSU-"Henne" Franz-Josef-Strauß erachtet. Das Verhältnis der beiden ehrgeizigen Männer war oft angespannt, nach der verlorenen Bundestagswahl 1976 sollte es sich weiter verschlechtern.
Ungleiche Behandlung: Kanzler Kohl, damals nicht einmal ein Jahr im Amt, kam in dieser Zeichnung von 1983 nicht gerade als Freund der Arbeitnehmer weg.
"Die drei Weisen aus dem Abendland": Bundeskanzler Helmut Kohl, Außenminister Hans-Dietrich Genscher und CSU-Chef Franz Josef Strauß irren in prächtiger Montur, dafür aber recht orientierungslos durch die politische Wüste. Der Kanzler hält seine Wanderkarte auch noch verkehrtherum (Karikatur von Horst Haitzinger aus dem Jahr 1984).
König Kohl: Kurz nach der Wiedervereinigung sah die "Wirtschaftswoche" den Kanzler als uneingeschränkten Herrscher, für den sogar politische Feinde wie Oscar Lafontaine den Weg mit Rosen auslegen.
Gefährliche Charmeoffensive: "Schau mir in die Augen Kleines, ich bin der Kanzler aller Deutschen", säuselte der Kanzler auf dieser Zeichnung aus dem Jahr 1990. Nach Ansicht des Illustrators wollte er damit offenbar ehemaligen DDR-Bürgern den Kopf verdrehen - und so warnt das Plakat vor einem neuen "Großdeutschland".
Die Probleme schönsingen: Häuptling "Old Kool" alias Helmut Kohl sitzt mit dem Banjo am Lagerfeuer, Zeichnung von Rolf Kutschera aus seinem Buch "Cowboy Kool und der Große Treck". In dem Comicband im Westernstil gibt es reichlich Probleme mit dem Osten - besonders wegen des geplanten Umzugs aus Bonn nach Berlin.
Prost: In dieser Wahlplakat-Satire wurde Kohl dank eines beliebten deutschen Schnapsherstellers zum "Schrägermeister".
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