
Medienkanzler Schmidt: Macher, Held, Raucher
Helmut Schmidt Der Medienkanzler

Thomas Birkner forscht seit Jahren zu Helmut Schmidt. Im vergangenen Jahr ist seine Studie zu "Helmut Schmidt und die Medien" erschienen. Aktuell hat er das Buch "Medienkanzler - Politische Kommunikation in der Kanzlerdemokratie" herausgegeben.
Wir sitzen zum Interview in Helmut Schmidts Büro bei der "Zeit". Das Wort von den Journalisten als "Wegelagerern" steht im Raum. Schmidt erklärt, er habe das nur ein einziges Mal gesagt, dann jedoch habe es "38.000 Mal ein Journalist vom anderen abgeschrieben".
Selbstverständlich aber fügt er hinzu: "Ich bedaure nicht, das gesagt zu haben."
Genau das hat Helmut Schmidt ausgemacht: Er hatte eine Haltung - und vertrat sie so gern wie hart gegenüber Journalisten. Während der SPIEGEL-Affäre 1962 schrieb er an den inhaftierten Conrad Ahlers, dass er den SPIEGEL "keineswegs immer für erfreulich gehalten habe, nichtsdestoweniger aber immer für notwendig". Und er bot Ahlers, Autor jenes Artikels, der die Affäre ausgelöst hatte, persönlich seine Hilfe an - obschon Schmidt als Hamburger Innensenator selbst der Beihilfe zum Landesverrat angeklagt war, weil er den Artikel bereits vor der Veröffentlichung gekannt hatte. Dass die Staatsanwaltschaft auch gegen ihn ermittelte, hat er "bis heute im Hinterkopf", sagt er während des Interviews im Jahr 2011 verärgert.
Verteidiger der Pressefreiheit
Sowieso sei es keine SPIEGEL-Affäre gewesen, sondern eine "Strauß-Affäre", grollt er gegen seinen Widersacher. Damals hatte sich der Politiker Schmidt trotz aller persönlichen Angriffe gegen ihn klar auf Seiten der Presse positioniert. Auch das machte ihn aus: Schmidt zeigte stets in beide Richtungen klare Kante - gegenüber der Politik wie den Medien.
Ein gutes Jahr nach der Affäre stellte Innensenator Schmidt ein neues Pressegesetz für Hamburg vor und sagte über den SPIEGEL, ihm persönlich "schmecke vieles nicht, was da geschrieben wird, und vor allem, wie es geschrieben wird". Aber das Magazin habe durch seine "bloße Existenz mitgeholfen, die Ausbreitung des Untertanengeistes ebenso wie den Übermut mancher Mächtigen in Schranken zu halten". Hier wurde deutlich, für wie unerlässlich der Sozialdemokrat unabhängige Medien für das Funktionieren einer Demokratie in Deutschland hielt - heute nicht mehr für jeden selbstverständlich, seitdem das Unwort von der "Lügenpresse" kursiert.

Medienkanzler Schmidt: Macher, Held, Raucher
Nicht obwohl, sondern gerade weil Helmut Schmidt zunächst fast ohne Medien aufgewachsen war, lernte er ihre Bedeutung so zu schätzen. Schmidt war Jahrgang 1918. In seinem Elternhaus galt die Regel, dass Kinder keine Zeitung lesen. Das Radio, dann auch die Presse waren alsbald in den Händen von Goebbels. Schmidt zog aus dem verheerenden Krieg drei Konsequenzen: Nie wieder sollte Krieg von deutschem Boden ausgehen! Das war die wichtigste Lehre. Kampf für die Demokratie folgte daraus als zweite Lehre, und schließlich: Transparenz und Aufklärung durch unabhängige Medien. Das ist bislang zu wenig beachtet worden.
Zuspitzung, Personalisierung - das bediente Schmidt perfekt
Früher als viele in seiner Generation erkannte Schmidt, wie wichtig die Medien für die Politik in Zukunft sein würden. So schrieb er selbst seit Ende der Vierzigerjahre Artikel, vornehmlich in Hamburger SPD-Blättern, und betonte darin die Notwendigkeit, Politik zu erklären und nachvollziehbar zu machen. Kurzzeitig dachte er darüber nach, beim "Hamburger Echo" zu arbeiten, musste aber feststellen: "Die wollten mich nicht haben."
Sein Freund, der Regisseur Gyula Trebitsch, drehte schon 1953 einen Imagefilm für Schmidt, der an U-Bahnhöfen in seinem Hamburger Wahlkreis gezeigt wurde. 1962 wurde mit Schmidts medialem Durchbruch bei der Flutkatastrophe dann sein Image als "Macher" begründet. Wie wenige andere verstand er die Bedürfnisse der Medien nach Zuspitzung und Personalisierung - und bediente sie oft perfekt. So wie die Medien seinen Aufstieg begleiteten, so vehement verteidigte Schmidt im gleichen Jahr eben die Pressefreiheit in der SPIEGEL-Affäre.
Heute ist fast unbekannt, dass Helmut Schmidt in den Sechzigerjahren regelmäßiger Kolumnist in den Boulevardzeitungen "Münchener Abendzeitung" und "Kölner Express" war. Gleich in seiner zweiten "AZ"-Kolumne schrieb er 1965 zur Rolle des Fernsehens in der Politik, die Übertragungen aus dem Bundestag hätten die Gesellschaft in positiver Weise politisiert. Diese Einstellung mag aus heutiger Sicht überraschen, er hat sie im Laufe seiner Karriere dann deutlich korrigiert.
1978 etwa, in der Diskussion über die Einführung von Privatfernsehen, schlug er als Kanzler einen fernsehfreien Tag vor. Und scheiterte damit grandios, wie er später unumwunden zugab. Sein Regierungssprecher Klaus Bölling äußerte damals Bedenken, ob sich die Deutschen vorschreiben lassen würden, wann sie die Glotze ausmachen sollten. Schmidts Eindruck: Die Journalisten hätten gedacht, er wolle das Fernsehen verbieten lassen. Das sei natürlich "dummes Zeug", sagte er im Interview - aber eben auch, dass man diese Kritik aushalten müsse.
Viel spricht dafür, dass sich seine Einstellung zum Fernsehen während der Kanzlerschaft wandelte. Zwar wahrte etwa in der Schleyer-Entführung die Politik ihr Primat gegenüber der Medienlogik, doch Schmidt ahnte wohl, dass dies unter den Bedingungen privater Fernsehanbieter nur noch schwer aufrechtzuerhalten sei. Es war deshalb konsequent, dass er nach seiner Abwahl zu einem Printmedium wechselte und von dort aus die Politik seines Nachfolgers Helmut Kohl kommentierte, der wiederum rasch das duale Rundfunksystem etablierte.
Schmidt hat den Wechsel zur "Zeit" gar nicht als große Umstellung empfunden. Er hat weiter Politik gemacht, nun eben stärker mit der Macht des Wortes: die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Gelegentlich kokettierte er zwar mit dem geringen Gehalt bei der "Zeit". Aber gerade weil er nach seiner Abwahl nicht dem Ruf des Geldes folgte, sondern weiter seine Stimme im Land erheben wollte, genoss er bis zuletzt so hohes Ansehen. Dabei waren seine Positionen etwa zu China oder Russland in Teilen der Bevölkerung hochumstritten - unter Journalisten ohnehin.
Viele Medienleute fand Schmidt intellektuell nicht auf Augenhöhe
Als die "Zeit" 1975 Schmidt als Kanzler und Brandt-Nachfolger porträtierte, schrieb Autorin Nina Grunenberg, ihm hänge der Ruf einer "gewissen Pressefeindlichkeit" an. Das muss aus heutiger Sicht zumindest relativiert werden. Schmidt war durchaus ein streitbarer Kritiker der Journalisten - aber gerade wegen der überragenden Funktion, die er den Medien für die Demokratie zumaß und die er häufig von (vermeintlich oder tatsächlich) schlecht informierten Journalisten unzureichend ausgefüllt sah.
Dennoch hielt Schmidt keineswegs nur Distanz zu den Medien. Mit einigen Journalisten führte er einen regen Briefwechsel, etwa mit Reportern der "New York Times", mit SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein, dem Auslandskorrespondenten Gerd Ruge sowie Marion Gräfin Dönhoff von der "Zeit", die eine echte Freundin war und deren Kollege er später werden sollte.

Thomas Birkner:
Mann des gedruckten Wortes
Helmut Schmidt und die Medien.
Edition Temmen; 156 Seiten; 14,90 Euro.
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Ein Kanzler-Vergleich des Medienverhaltens zeigt, dass Willy Brandt zumeist schlechter mit Kritik umgehen konnte, während Schmidt den sportlichen Wettstreit der Argumente geradezu suchte. Doch hielt er viele Journalisten für intellektuell nicht auf seiner Augenhöhe. Dieses Gefühl verstärkte sich durch die Einführung des Privatrundfunks, später durch die beschleunigte Berichterstattung im Internet. Schmidt war jedoch fundiert in seiner Kritik, nicht allgemein kulturpessimistisch.
Sein Vermächtnis
Mehr als 300 Artikel hat der Altbundeskanzler für die "Zeit" geschrieben, 24 davon bereits vor seiner Ära als Mitherausgeber. Ein Thema lag ihm besonders am Herzen: die Einbettung Deutschlands in Europa. Sie sei im ureigenen Interesse des Landes, auch zum Schutze vor sich selbst. Deutschland könne es nur gutgehen, solange es auch seinen Nachbarn gutgehe.
Helmut Schmidts publizistisches Wirken war eben stets politisches Wirken, aber eben "kein parteipolitisches Wirken", sagte er im Interview in seinem Büro bei der "Zeit". Die Mahnung an seine Landsleute, sich nicht über Europa zu erheben: genau das ist sein politisches Vermächtnis - heute aktueller denn je.