
Agentur Hipgnosis: Wie die Kunst aufs Cover kam
Berühmte Plattencover "Die Leute waren irritiert und fasziniert"

1967 begann die Londoner Design-Agentur Hipgnosis mit der Gestaltung von Plattencovern. Aubrey Powell (Jahrgang 1946) arbeitete mit seinem Firmenpartner Storm Thorgerson bis 1982 für Künstler wie Pink Floyd, Led Zeppelin, AC/DC, Paul McCartney, Peter Gabriel, Yes, Genesis und viele andere. Er drehte auch Dokumentationen, Musik- und Werbevideos. Jetzt ist das Buch "Vinyl. Album. Cover. Art" mit dem Hipgnosis-Gesamtwerk erschienen.
einestages: Mr. Powell, was ist das Wichtigste bei der Gestaltung einer Plattenhülle?
Powell: Alles steht und fällt mit der Idee. Nur darauf kommt es an. Wenn diese Idee vermittelt, dass es sich bei der Musik dahinter um etwas Besonderes handelt, hat sich der Aufwand gelohnt.
einestages: Gab es Künstler oder Platten, zu denen Ihnen beim besten Willen nichts eingefallen ist?
Powell: Ist uns nie passiert. Vor allem, wenn viel Geld im Spiel ist, hat man irgendwann immer eine Idee.
einestages: Also war Geld wichtig?
Powell: Geld war einfach da. Die Künstler, für die wir damals arbeiteten - Pink Floyd, Led Zeppelin, Peter Gabriel, The Who und viele andere - hatten gewaltige Beträge zur Verfügung. Was später in ein Musikvideo investiert wurde, gab man für ein Plattencover aus. Aber es nahmen auch unbekannte Bands mit wenig Geld Kontakt zu uns auf. Denen boten wir Ideen an, die wir einfach ausprobieren wollten. Das ergänzte sich unterm Strich ganz gut. Letztlich ging es uns um Projekte, die wir umsetzen wollten.
einestages: Musste Ihnen die Musik dafür gefallen?
Powell: Überhaupt nicht. Wir dachten allein an das Design. Für die Musik waren die Künstler verantwortlich.

Parental Advisory: Explicit Cow ("Atom Heart Mother")
Foto: Pink Floyd Music Ltdeinestages: Also war die Musik nicht zwangsläufig mit dem Coverdesign verbunden?
Powell: Nein. Nehmen Sie die Pink-Floyd-Hülle zu "Atom Heart Mother": Das Bild mit der Kuh ist ein "Non-Cover". So nannten wir das - das Motiv ist irritierend, rätselhaft und hat keinen Bezug zur Musik, zu den Texten, der Band oder dem Albumnamen. Es war einfach eine seltsame, surreale Idee. Unser Bezug war der Dada-Künstler Marcel Duchamp, der Alltagsobjekte wie ein Pissoir aus dem Zusammenhang riss und als Kunst präsentierte. Auf der Suche nach so einer Idee sagte mein Partner Storm Thorgerson irgendwann: "Okay, eine Kuh!" Wir sprangen in ein Auto, fuhren zu einem Feld in einem Londoner Vorort, fotografierten die nächstbeste Kuh und zeigten das Bild kurz darauf Pink Floyd in den Abbey Road Studios, wo sie ihr Album einspielten. Roger Waters sagte ohne zu zögern: "Fantastisch!"
einestages: Die Plattenfirma spielte mit?
Powell: Die sind total ausgeflippt: Wo steht der Name der Band? Wo ist ein Foto der Musiker? Da steht ja nicht mal der Albumtitel! - Egal! Etwas später spazierte ich in Los Angeles am Sunset Boulevard entlang, wo ein riesiges Bild der Kuh plakatiert war. Nur das Motiv, sonst nichts - für drei Wochen. Alle in L.A. schienen darüber zu sprechen: Was ist das, ein neuer Science-Fiction-Film? Die Leute waren irritiert und fasziniert. Am Tag der Plattenveröffentlichung wurde ein zweites Plakat direkt daneben aufgehängt, darauf stand: Pink Floyd. Atom Heart Mother. Dieses "Non-Cover" funktionierte nicht nur künstlerisch, sondern gegen alle Erwartungen auch kommerziell. Die Wirkung war sagenhaft.

Agentur Hipgnosis: Wie die Kunst aufs Cover kam
einestages: Ein radikales Cover setzt aber Künstler voraus, die mitmachen. Wurden Ihre Vorschläge mitunter abgelehnt?
Powell: Oft. Led Zeppelin sind mal ziemlich ausgeflippt. Als ich Jimmy Page und Robert Plant unsere Ideen für das Album "Physical Graffiti" vorstellte, breitete ich alle Entwürfe in einem Konferenzraum aus. Einer zeigte einen Tennisschläger, der auf grünem Rasen liegt: ein "Non-Cover". Jimmy Page fragte, was das denn bitte sein solle? Ob wir behaupten wollen, dass Led Zeppelin Tennisschläger herstellen? Weil ich ihm keine passende Erklärung bieten konnte, warf er mich raus. Manchmal gingen Non-Cover auch nach hinten los.
einestages: Wie oft mussten Sie erläutern, was das Cover des Pink-Floyd-Albums "Dark Side of the Moon" bedeuten soll?
Powell: Unendlich oft. Als wir es entwarfen, waren Pink Floyd noch nicht so berühmt, rätselhafte Künstler, über die nicht viel bekannt war. Bei ihren Konzerten versteckten sie sich hinter einer aufwendigen Lightshow und traten gern mit dem Rücken zum Publikum auf. Da ging es nur um Sound und Licht. Wir waren mit den Musikern befreundet, weil wir gemeinsam in Cambridge studiert hatten. Trotzdem beschwerte sich Rick Wright beim ersten Treffen, dass er bitte keine Kühe oder andere seltsame Bilder sehen möchte, lieber etwas Schlichtes.
einestages: Und wie kamen Sie auf die Idee mit dem Dreieck?

Physik-Leistungskurs mit Pink Floyd ("Dark Side of the Moon")
Foto: Pink Floyd Music LtdPowell: Storm und ich gingen frustriert zurück ins Büro. Da blätterte ich in einem französischen Fachblatt für Physiker und entdeckte ein Foto: Auf einen Briefbeschwerer fiel aus einem geöffneten Fenster Licht, das sich brach und einen Regenbogen auf den Schreibtisch projizierte. Wir schauten auf das Magazin und sagten: Das ist es. Ein Dreieck mit buntem Licht. Wir kritzelten das auf eine Serviette und fuhren nach Abbey Road zu Pink Floyd ins Studio. Alle sagten sofort: Perfekt, das ist es! Und so machten wir es dann. Warum aber gerade dieses Cover für so viel Furore sorgte, kann ich mir bis heute nicht erklären. Ist es so gut designt? Oder liegt es allein daran, dass sich das Album bislang 55 Millionen Mal verkauft hat?
einestages: Die digitale Technik bietet unendlich viele Gestaltungsmöglichkeiten. War es einfacher in analogen Zeiten, als Sie sich auf machbare Ideen beschränken mussten?
Powell: Könnte man meinen, ist aber Unsinn. Es ist eine romantische Verklärung, dass die Ideen zwingender waren, als wir uns noch in Dunkelkammern zurückgezogen haben, um Bilder zu entwickeln und zu bearbeiten. Die Wahrheit ist vielmehr, dass wir fürs Cover von Pink Floyds "Wish You Were Here" tatsächlich einen Mann anzünden mussten - irre aufwendig und gefährlich. Heute würde ich einen Mann im Anzug fotografieren und im Studio die Flammen dazu programmieren.
einestages: Auch Künstlerporträts sahen bei Ihnen seltsam aus - wie beim Solo-Debüt von Peter Gabriel.
Powell: Was daran liegt, dass wir kein Interesse an Porträt-Hüllen hatten. Peter Gabriel bat uns um eine Version, die auch uns Freude bereiten könnte. Storm stand dann mit seinem Auto im Stau, draußen regnete es heftig. Da blickte er zum Auto neben sich und betrachtete den Fahrer durch den an den Fenstern herabfließenden Regen, was so interessant aussah, dass ihm die Idee für das Peter-Gabriel-Cover kam. Wir setzten das exakt so um, wie er es gesehen hatte. Das Bild färbten wir blau und ritzten mit einer Rasierklinge ein wenig auf dem Originalabzug herum, so wie man es eben machte ohne Digitaltechnik. Wir haben die Wassertropfen hervorgehoben, das Foto sah aus wie ein hyperrealistisches Gemälde. Ein eher vages Porträt. Peter Gabriel war jedenfalls begeistert.
einestages: Sie haben auch für die Scorpions gearbeitet. Auf dem Cover des Albums "Lovedrive" zieht ein Mann im Anzug Kaugummi von der entblößten Brust einer Frau, das sorgte 1979 vor allem in den USA für Kontroversen. Was war da los?
Powell: Das brachte Ärger, stimmt. Die Idee dazu war aber interessant. Mann und Frau haben ein Date, irgendwie gerät zwischen ihre Brust und seine Hand ein Kaugummi. Das sollte einfach surreal sein, ein bizarrer Zwischenfall. Heutzutage wäre so ein Motiv unvorstellbar, die Me-Too-Leute würden gegen Hipgnosis zu den Waffen rufen. Die Scorpions liebten das Cover, Teile der Öffentlichkeit, die Plattenfirma und diese ganzen christlich-fundamentalen Gruppen in den USA weniger. Wir waren gezwungen, etwas Schwarzes auf die Brust zu kleben.
einestages: Haben Sie den Skandal gesucht?
Vinyl • Album • Cover • Art: Hipgnosis – Das Gesamtwerk
Preisabfragezeitpunkt
08.06.2023 20.53 Uhr
Keine Gewähr
Powell: Das dachten alle, ist aber Unsinn. Wem das nicht passt, der sollte einfach wegschauen. Aber schauen Sie sich mal unser Cover für Led Zeppelins "Houses of the Holy" an (siehe Fotostrecke), das wäre heute nicht mehr möglich: nackte Kinder, die auf Felsen herumturnen.
einestages: Wie kamen Sie darauf?
Powell: Durch das Buch "Childhoods End" des Science-Fiction-Schriftstellers Arthur C. Clarke, in dem am Ende alle Kinder nackt in den Himmel aufsteigen. Das haben wir einfach interpretiert, ohne Hintergedanken, es war die totale Unschuld. So wie bei Rubens oder den Renaissance-Malern Italiens - überall nackte Kinder. Spazieren Sie mal durch die Museen und beschweren sich, viel Spaß. Ein Cover wie "Houses of the Holy" wäre heute nicht mehr machbar. Es ist frustrierend. In der Welt, in der ich aufgewachsen bin, den Sechzigerjahren, ging es um Freiheit und Revolution. Lange her.
Video: Vinyl - Das Comeback der Schallplatte
Die Browse Gallery Berlin präsentiert vom 30. September bis zum 28. Oktober 2018 die Ausstellung "Daring to Dream. Hipgnosis 50 Jahre" (Bergmannstraße 5, 10965 Berlin).Ausstellung: 50 Jahre Hipgnosis