
Atombombenabwurf auf Hiroshima: Massenmord ohne Bedauern
Atombombe auf Hiroshima Reuelos nach dem Massensterben
Es war ein herrlicher Sommertag - die Sonne schien, keine Wolke trübte den Horizont. Nur der Motorenlärm vom Himmel störte die Idylle. Tausende Menschen beobachteten, wie ein Bomber vom Typ B-29 "Superfortress" sein Zielgebiet ansteuerte. Plötzlich krachte es, eine Detonation erschütterte den Boden. Während ein gewaltiger Rauchpilz in die Höhe stieg, war das Kampflugzeug längst wieder auf dem Weg zurück.
Doch statt Entsetzen herrschte Jubelstimmung am Boden, als die Explosion ertönte. Erst recht, als die B-29 auf dem Flugfeld bei Harlingen, Texas, landete und Paul Tibbets den Flieger verließ - der Mann, der als Pilot des amerikanischen Bombers "Enola Gay" am 6. August 1945 die japanische Stadt Hiroshima ausradiert hatte. Vor rund 18.000 Zuschauern hatte der Todespilot den Abwurf der Atombombe an diesem 9. Oktober 1976 nachgespielt.
"Nie eine schlaflose Nacht"
Die Japaner waren von dieser Wiederaufführung des nuklearen Infernos weniger begeistert. "Eine Show aus dem Atombombenabwurf zu machen, ist eine Beleidigung der ungezählten Toten und derjenigen, die noch immer an den Folgen dieser unmenschlichen Tat leiden", empörte sich Hiroshimas Bürgermeister in einem Schreiben an Tibbets. Demütig entschuldigte sich Präsident Gerald Ford bei der japanischen Regierung.
Der Gescholtene blieb unbeeindruckt: Knapp ein Jahr später wollte der Pilot den mörderischen Angriff noch einmal nachstellen. Erst als das Außen- und das Verteidigungsministerium einschritten, gab er nach. Er verstand die ganze Aufregung nicht. "Ich hatte nie eine schlaflose Nacht, nur weil ich die Bombardierung befehligte", sagte Tibbets.
Das Fliegen hatte Tibbets bereits als kleines Kind fasziniert. Mit zwölf Jahren stieg er zum ersten Mal in die Lüfte hinauf: Als Co-Pilot bombardierte er bereits damals Menschen - allerdings mit Schokoriegeln und Kandisstangen an kleinen Fallschirmen während einer Werbeaktion. Die Leidenschaft fürs Fliegen stieß bei Tibbets Vater allerdings auf wenig Verständnis. Daher studierte der spätere Hiroshima-Pilot zunächst Medizin. Erst 1937 traute er sich, seinen Traum zum Beruf zu machen, schmiss die Uni und trat in die Armee ein.
Kreuzverhör im Herrenklo
Dutzende Male überquerte Tibbets im Zweiten Weltkrieg mit seinem Bomber vom Typ B-17 "Flying Fortress" den Ärmelkanal, um deutsche und französische Fabriken zu bombardieren. Bald wurden höhere Ränge auf den Piloten aufmerksam, der seinen Flieger stets sicher durch das deutsche Flakfeuer steuerte. Mit 27 Jahren war Tibbets bereits Oberstleutnant.
Bald erlitt der Vorzeige-Pilot allerdings einen Karriereknick. Sein Vorgesetzter ordnete einen Bomberangriff auf eine stark verteidigte Stadt im deutsch besetzten Tunesien an - in weniger als 2000 Meter Höhe. "Selbstmord", kritisierte Tibbets. Und erklärte, dass er den Einsatz nur anordnen würde, wenn der Kommandant neben ihm als Co-Pilot Platz nehme. Beinahe wäre Tibbets vor dem Kriegsgericht gelandet.
Stattdessen kehrte er in die USA zurück - als Testpilot für die neuen Bomber vom Typ B-29. Bis Tibbets im Sommer 1944 einen Anruf von seinem Vater erhielt: Ob er Probleme mit den Behörden habe? "Nicht, dass ich wüsste", antwortete der Pilot. Es stellte sich heraus, dass seit Monaten Agenten seine Vergangenheit durchleuchteten und Verwandte, Freunde und Kameraden befragten. Ohne sein Wissen war Tibbets zum Kandidaten für ein streng geheimes Projekt auserkoren worden.
Im Spätsommer bestellte General Uzal Ent Tibbets in sein Hauptquartier. Gleich nach seiner Ankunft drängte ihn ein Offizier ins Herrenklo und nahm ihn ins Verhör. Ob der Offizier je in Konflikt mit der Polizei geraten sei? Das war Tibbets in der Tat. Vor vielen Jahren hatte ihn ein Ordnungshüter in flagranti mit einem Mädchen in seinem Auto erwischt. General Ent wusste die Aufrichtigkeit des verhinderten Liebhabers zu schätzen: Er betraute Tibbets mit der Aufgabe, eine Bomberstaffel zu trainieren, die Atombomben abwerfen konnte.
Lausbubenstreiche und Massenmord
"Wenn Sie Erfolg haben, sind Sie ein Held", gab ihm der Offizier mit auf den Weg. "Aber wenn Sie scheitern, kommen Sie hinter Gitter." Derart motiviert reiste Tibbets nach Los Alamos in New Mexico, wo Wissenschaftler unter Leitung des Physikers Robert Oppenheimer in Laboren die Atombombe entwickelt hatten, und informierte sich über die Vernichtungskraft der Waffe. Kurz darauf begann er bei dem winzigen Wüstenkaff Wendover in Utah mit dem Training seiner Männer. Auf 9000 Meter Höhe sollten die Piloten aufsteigen, ihre Bomben abwerfen - und ihr Ziel bis auf sieben Meter genau treffen.
Gnadenlos brachte der Kommandeur Männer und Maschinen an ihre Belastungsgrenze. Sofort nach dem Ausklinken der Bombenattrappen mussten die Piloten eine halsbrecherische 60-Grad-Kehre einschlagen und massiv beschleunigen - ein Manöver bei dem das ganze Flugzeug ächzte und kreischte. Warum sie derart selbstmörderisch fliegen sollten, traute sich kein Flieger zu fragen. Leute, die den Mund nicht halten konnten, wurden an einsame Orte strafversetzt. Dort konnten sie "nach Herzenslust mit jedem Eisbären oder Walross plaudern, das ihnen zuhören wollte", sagte Tibbets später.
Bei seinen Männern war Tibbets respektiert - auch wegen seines Humors. Einige Monate später, als er und seine Männer bereits auf der den Japanern abgerungenen Pazifikinsel Tinian stationiert waren, stahl er zwei Offizierskollegen, die gerade an einem einsamen Strand mit ihren Geliebten beschäftigt waren, die Uniformen. Beide mussten nackt zum Stützpunkt zurückkehren.
Bitterer Ernst herrschte auf Tinian dagegen in den frühen Morgenstunden des 6. August 1945. Um 2.45 Uhr startete Paul Tibbets mit einer B-29 zur wichtigsten Mission seines Lebens, im Bombenschacht eine viereinhalb Tonnen schwere Atombombe namens Little Boy. Unterhalb der Pilotenkanzel hatte Tibbets vor dem Start einen Schriftzug anbringen lassen. "Enola Gay", der Name seiner Mutter, die ihn immer wieder in seiner Begeisterung für das Fliegen unterstützt hatte.
"Nichts als Tod"
Nun nutzte Tibbets sein Talent, um den ersten atomaren Angriff der Geschichte zu fliegen. Jedes der Besatzungsmitglieder hatte seinen persönlichen Glücksbringer an Bord. Tibbets eine alte verbeulte Zigarettendose, dazu eine Pfeife, mit der er während des stundenlangen Fluges die Langeweile bekämpfte. Gegen halb Acht gab Tibbets seiner Crew endlich das Angriffsziel bekannt: "Es ist Hiroshima."
Rund 9000 Meter über der Stadt klinkte die "Enola Gay" um 8.15 Uhr "Little Boy" aus. Während die Bombe auf die Erde zuraste, riss Tibbets die Maschine herum und beschleunigte. Das Manöver, das die Mannschaft so oft geübt hatte, welches das Flugzeug aus der Todeszone katapultieren sollte. Mittlerweile trug jeder an Bord eine Schutzbrille, um vom Licht der Atombombe nicht zu erblinden. In einer Höhe von 580 Metern detonierte "Little Boy".
In einem Augenblick starben Zehntausende Menschen den atomaren Tod. Unter den Besatzungsmitgliedern der "Enola Gay" herrschte Stille im Angesicht des von ihnen entfachten Infernos. Derweil schob sich der Atompilz weiter und weiter in den Himmel. Wenig später verkündete Tibbets Stimme stolz per Bordfunk: "Jungs, ihr habt gerade die erste Atombombe der Geschichte abgeworfen!"
Derartige Befriedigung empfand nicht jedes Mitglied der Besatzung. "Da war nichts als Tod in dieser Wolke", sagte Mechaniker Robert H. Shumard später. "O mein Gott, was haben wir getan?" schrieb Co-Pilot Robert A. Lewis in sein Logbuch.
Vernichtung unbegreiflichen Ausmaßes
Stunden später landete die "Enola Gay" wohlbehalten wieder auf Tinian. Gerade aus der Maschine gestiegen, wurde dem verdutzten Tibbets bereits ein Orden an die Brust geheftet. Während die Amerikaner eine riesige Party feierten, war der Fotograf Yoshito Matsuhige im sterbenden Hiroshima kaum in der Lage, Fotos des Schreckens zu machen: "Meine Tränen ließen den Blick durch den Sucher ganz verschwimmen."
Bedauern für seine Tat, die Zehntausende Zivilisten das Leben gekostet hatte, sollte Paul Tibbets, der es später noch bis zum General und Vizepräsidenten eines Luftfahrtunternehmens brachte, nie äußern. Stets beteuerte er, dass der Atombombeneinsatz sogar Leben gerettet habe, weil eine US-Invasion Japans viel mehr Opfer auf beiden Seiten gefordert hätte. Auf Fragen, ob ihn seine Tat, die Schätzungen zufolge über 140.000 Männer, Frauen und Kinder umgebracht hatte, belaste, antwortete der 2007 verstorbene Offizier: "Hell, no!"