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Vatikan im Faschismus: Unheilige Allianz

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Vatikan und Faschismus "Der Papst hat moralisch versagt"

Die katholische Kirche und der Faschismus - dieses heikle Verhältnis erforschte US-Historiker David Kertzer im Vatikan. Sein klares Urteil: Für die Macht opferte Papst Pius XI. christliche Werte, unter Pius XII. kam es noch schlimmer.
Von Alexander Schwabe

einestages: Herr Kertzer, Sie haben im Vatikan bis dahin nicht zugängliche Dokumente aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren eingesehen. Was haben Sie über die Beziehung von Papst Pius XI. zu Benito Mussolini erfahren?

Kertzer: Papst Johannes Paul II. hatte 2002 angekündigt, Wissenschaftlern den Zugang in die Archive für das Pontifikat von Pius XI. zu ermöglichen, 2006 war es dann so weit. Ich stieß auf viele Unterlagen, die zeigen: Das Verhältnis zwischen dem Vatikan und dem faschistischen Regime von 1922 war kompliziert, bis zum Tod Pius XI. 1939.

einestages: Daraus entwickeln Sie die These, die faschistische Diktatur in Italien wäre ohne die Unterstützung des Vatikans nicht möglich gewesen.

Kertzer: Besonders in der Anfangsphase von 1922 bis 1924 war Mussolini ganz wesentlich auf die kirchliche Unterstützung angewiesen. Ihm stand die Katholische Partei politisch im Weg. Hätte sie der Vatikan nicht fallen gelassen, wäre es für ihn sehr schwierig gewesen, eine Diktatur zu errichten. Zudem verbot Pius XI. jedem Katholiken, die Sozialisten zu unterstützen - die einzige echte Alternative zu Mussolini.

einestages: Es gab also sehr früh eine enge Kooperation zwischen dem Heiligen Stuhl und den italienischen Faschisten. In Ihrem Buch "Der erste Stellvertreter" führen Sie aus, Mussolini und der Papst seien sich einig gewesen, dass Faschismus und Kirche beide jeweils eine Form von Totalitarismus darstellten. Verstanden Mussolini und Pius XI. darunter dasselbe?

Kertzer: Erstaunlicherweise sagte der Papst, es gebe nur eine wahrhaft totalitäre Organisation - das sei die römisch-katholische Kirche. Man war der Ansicht, dass es nur eine Kirche gebe, die in der Wahrheit sei. Wer das nicht erkenne, müsse zu dieser Wahrheit bekehrt werden. Und Mussolini berichtete, der Papst habe ihm gegenüber geäußert: "Ich sehe in dem Komplex der faschistischen Lehren, die die Prinzipien von Ordnung, Autorität und Disziplin betonen, nichts, was den katholischen Lehren zuwiderläuft." Beide hielten nichts von Demokratie und Parlamentarismus.

einestages: Warum war das so?

Kertzer: Man sah Italien als durch und durch katholisches Land, regiert durch die Vorschriften der Kirche. Warum also sollte es da Religionsfreiheit geben oder die Freiheit, die Kirche zu kritisieren? Pius XI. brandmarkte sogar streng, wenn sich katholische Gruppen mit protestantischen trafen. So blieb es weitgehend bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil ab 1962.

einestages: Überraschenderweise sah der Vatikan in der geringen Anzahl von Protestanten in Italien eine große Gefahr - ebenso im Judentum. Die Jesuitenzeitschrift "La Civiltà Cattolica" sang damals nicht nur ein Loblied auf die faschistische Regierung, sie war auch voller antisemitischer Hetze. Wieso hat sich der Vatikan lieber mit Mussolinis nicht kirchlicher Ideologie gemeingemacht, als ein gedeihliches Verhältnis zu evangelischen und jüdischen Glaubensbrüdern anzustreben?

Kertzer: Weil Mussolini der Kirche entgegenkam, um sich ihre Unterstützung zu sichern: In den Schulen garantierte er den katholischen Religionsunterricht. Das Kreuz hing in den Klassenzimmern, und er ließ Geistliche als Militärseelsorger zu. Seine erste Regierung 1922 ließ er bei ihrem Antritt niederknien, um zu beten. Auch achtete er darauf, regelmäßig zur Messe zu gehen, um gefallener Faschisten zu gedenken. In Mussolini sah die Kirche außerdem ein Bollwerk gegen den Bolschewismus.

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einestages: Stufte man Adolf Hitler ebenso ein wie Mussolini?

Kertzer: Die Haltung des Vatikans gegenüber Italien und Deutschland unterschied sich. In den Augen des Papstes war Hitler ein Heide, der seiner eigenen häretischen Religion nachhing - was nicht alle deutschen Katholiken erkannten. Im italienischen Faschismus hingegen sah er eine Kraft, die die Position der Kirche stärkte.

einestages: Realpolitik war also wichtiger als Glaubensinhalte und christliche Werte?

Kertzer: Ja, der Kirche ging es in erster Linie darum, ihren institutionellen sozialen Einfluss abzusichern. Daher kam es 1933 zum Reichskonkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich. Pius XI. stimmte zu, weil er sich Vorteile für die Kirche versprach, nicht etwa weil er Sympathien für Hitler hatte.

einestages: Um sich Hitler geneigt zu halten, war Pius XI. jedoch bereit, die kirchliche Unterstützung für die katholische Zentrumspartei zu beenden, die sich daraufhin auflöste. Opferte er also seine eigenen Glaubensüberzeugungen?

Kertzer: Ja. Später allerdings begann er, dies zu erkennen, und er bereute es. Als er schon den Tod erwartete, lud er im Februar 1939 Italiens Bischöfe nach Rom, um ihnen eine letzte Botschaft mitzuteilen. Der genaue Inhalt dieser Ansprache, in der er sich gegen Rassismus und Antisemitismus wenden wollte, wurde nie bekannt. Am Tag bevor er sie halten wollte, starb Pius XI. Sein Nachfolger Kardinal Eugenio Pacelli, der spätere Pius XII., tat im Interesse Mussolinis alles, um die bereits zur Verteilung unter den Bischöfen gedruckte Rede zu beseitigen. Auch die sogenannte Schubladen-Enzyklika "Humani generis Unitas" wurde lange Zeit nicht veröffentlicht. Darin verurteilte Pius XI. die Idee, dass ein guter Christ Rassist sein könne, und forderte ein Ende der Judenverfolgung. Erst 20 Jahre später, vier Monate nach dem Tod Pius XII., gab Johannes XXIII. Auszüge der Enzyklika preis.

einestages: Immerhin veröffentlichte Pius XI. im März 1937 die Enzyklika "Mit brennender Sorge". In diesem päpstlichen Rundschreiben schilderte er die bedrängte Situation der katholischen Kirche im Deutschen Reich und verurteilte die Politik und Ideologie des Nationalsozialismus.

Kertzer: Der Papst war zunehmend beunruhigt, weil die Nazis den katholischen Einfluss an Schulen einschränkten. Deutsche Erzbischöfe forderten ihn auf, seine Stimme zu erheben. Er tat es - aber nicht, um den Faschismus zu verurteilen, sondern wegen der Diskriminierung der Kirche und weil Hitler den Vereinbarungen des Reichskonkordats von 1933 nicht nachkam.

einestages: Für Papst Pius XII., der Kardinalstaatssekretär war und davor Nuntius des Vatikans erst in München, dann in Berlin, läuft seit Langem ein Selig- und Heiligsprechungsverfahren. Indes warf der Dramatiker Rolf Hochhuth ihm 1963 in seinem Stück "Der Stellvertreter" vor, über den Holocaust beharrlich geschwiegen zu haben. Darin wird der Papst ein Verbrecher genannt.

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David Kertzer

Der erste Stellvertreter: Papst Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus

Verlag: Theiss, Konrad
Seitenzahl: 608
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03.06.2023 09.09 Uhr

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Kertzer: Verbrecher würde ich ihn nicht nennen, denn er hat gegen keine Gesetze verstoßen. Doch er hat moralisch versagt. Pacelli tat, was seiner Meinung nach am besten für die Kirche war. Irgendwann entschied er sich dafür, den Nazis gegenüber friedlich aufzutreten, statt die Konfrontation zu suchen. In Italien hielt auch er den Faschismus für das bestmögliche politische System.

einestages: Wäre es nicht inkonsequent, wenn Pius XII. heiliggesprochen würde, so wie die 1998 heiliggesprochene, in Auschwitz ermordete Edith Stein? Sie war eine vom Judentum konvertierte Nonne, warnte schon in den Dreißigerjahren vor den Nazis und setzte sich im Vatikan leidenschaftlich dafür ein, der Papst solle gegen die Judenverfolgung Stellung beziehen. Edith Stein wurde ausgerechnet von Kardinal Pacelli im Namen von Pius XI. abgewiesen.

Kertzer: Pius XII. zu kanonisieren, würde seine geschichtliche Rolle völlig falsch bewerten. Dass er versucht hat, die Kirche zu schützen, ist das eine. Aber zu sagen, er habe Millionen Juden das Leben gerettet, ist absolut lächerlich, ja sogar ketzerisch angesichts der Tatsache, dass er zum Holocaust geschwiegen hat. Doch wenn seriöse Geschichtswissenschaftler am heroischen Image kratzen, das kirchlich Konservative von Pius XII. zeichnen, dann fühlt sich der rechte Flügel der Kirche erst recht veranlasst, aus ihm einen Heiligen zu machen.


Das Interview erschien zuerst in der Zeitschrift "Christ in der Gegenwart" 

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