
Terraforming-Träume: Wie Ingenieure die Welt verändern wollten
Historische Mega-Bauprojekte Lasst uns den Ozean trockenlegen!
Was würde man heute sagen, wenn jemand 5000 Quadratkilometer Meer eindeichen und das Wasser abpumpen wollte, um bestehendes Land zu sichern und neue Siedlungsfläche zu gewinnen? In Zeiten von Umweltschutz, aber auch unvollendeten Konzerthallen und funktionslosen Flughäfen gilt längst nicht mehr alles, was denkbar ist, auch als machbar.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das anders. Ein beispielloser technologischer Innovationsschub entfachte eine grenzenlose Machbarkeitseuphorie. Absolut alles schien möglich - und nicht alles davon war Spinnerei.
Warum also sollte man nicht auch ein Stück Meer trockenlegen? Schon seit 1886* hatte der niederländische Ingenieur Cornelis Lely an solchen Plänen gearbeitet. Ab 1920 begann er, inzwischen Regierungsmitglied, sie selbst umzusetzen. Jahrzehnte später hatten die Niederländer rund 3000 Quadratkilometer Landfläche gewonnen - auf den Rest verzichteten sie, es war genug. Mit dem IJsselmeer entstand zudem ein gigantischer, neuer Binnensee.
Heute leben über 400.000 Menschen auf einem noch immer dünn besiedelten Areal, das vor nur 80 Jahren als Zuidersee noch Bestandteil der Nordsee gewesen war. Lely hatte das größte erfolgreiche Landgewinnungsprojekt des 20. Jahrhunderts möglich gemacht.
Gigantische Träume
Der Erfolg dieser "Zuiderzeewerke" wurde zum physischen Beweis dafür, dass vor der Ingenieurskunst die Natur kapitulieren müsse. Das brachte selbst hoch qualifizierte Visionäre zum Fantasieren.
Darum nahm man ab 1930 kursierende Berichte durchaus ernst, wonach englische Ingenieure die Trockenlegung der Nordsee planten, um Großbritannien mit Europa zu verbinden. Der wilde Plan tauchte zuerst in US-amerikanischen Blättern auf. Kurz darauf berichteten auch englische, australische und deutsche Medien darüber - nur hegten diesmal angeblich deutsche Ingenieure solche Pläne.
Und gegen die wirkten die niederländischen Landgewinne wie Sandkastenspiele: Ein gigantischer Damm sollte demnach die Nordsee vom englischen Norfolk in gewagtem Bogen über die Doggerbank-Sandbänke bis hinüber nach Norddänemark durchschneiden. Im Süden sollte sich der zweite Damm zwischen Dover und der belgisch-französischen Küste spannen. Den Ärmelkanal hätte das zu einem bloßen Ablauf für die Wasser von Themse, IJssel und Maas reduziert, bequem per Brücke zu überqueren. Der prognostizierte Landgewinn: rund 259.000 Quadratkilometer, 86-mal mehr als die Holländer geschafft hatten.
Kontinente: aus zwei mach einen
Die angeblich geplante Kontinenterweiterung gen Westen entpuppte sich 1932 zwar als Hirngespinst. Möglicherweise war das aber durch einen tatsächlich ernst gemeinten Plan inspiriert: Schon ab 1928 begann der deutsche Architekt Hermann Sörgel, seinen Atlantropa-Plan publik zu machen.
Sörgel plante eine teilweise Trockenlegung des Mittelmeeres, um rund 500.000 Quadratkilometer neuen "Lebensraum" zu schaffen. Das nun aus Atlantik und Schwarzem Meer über Turbinen dosiert ins Mittelmeerbecken strömende Wasser sollte unerschöpfliche Energien generieren. Mit deren Hilfe würde dann auch die Sahara fruchtbar erblühen, visionierte Sörgel. Denn von Süden her könnten drei riesige, durch Baudamm-Projekte zu schaffende Binnenseen über einen zu grabenden "zweiten Nil" Süßwasser in die Wüste tragen. Sörgels Plan hätte Afrika ganz nebenbei in zwei durch gigantische Binnenseen getrennte Hälften geteilt.

Terraforming-Träume: Wie Ingenieure die Welt verändern wollten
Doch Sörgel war kein Grobschmied. Selbst kulturelle Empfindlichkeiten hatte er bedacht. So sollte beispielsweise der Charakter der dann im Inland liegenden ehemaligen Lagunenstadt Venedig erhalten bleiben, indem man ihr einen großzügigen Stausee gönnte. Andere Städtchen wie Marseille, Neapel oder Genua sollten dagegen schöner und moderner an den neuen Küsten neu entstehen.
Ein guter Plan, fanden nicht wenige Unterstützer - Atlantropa wurde zum weltweit diskutierten Konzept. Sörgel selbst sah darin eine Lösung für viele Probleme. Das Streben nach neuem "Lebensraum" wurde Anfang der Dreißigerjahre zunehmend als friedensgefährdender Faktor spürbar. Und auch die desolate Lage der Weltwirtschaft konnte so ein Hundertausende beschäftigendes Projekt, das nur mit vereinten Kräften vieler Nationen zu verwirklichen war, doch gut gebrauchen!
Sörgel sah Atlantropa darum als Friedensprojekt: Die Nazis konnten sich damit nicht identifizieren, behinderten aber auch die Planungen nicht. Noch 1938 veröffentlichte Sörgel das Buch "Die drei großen A", womit "Amerika, Atlantropa, Asien" gemeint waren. Aus dem Staudammprojekt war nicht weniger als der Traum von der Verschmelzung zweiter Kontinente geworden - Atlantropa, die Fusion von Afrika und Europa.
Sörgel träumte ihn bis zu seinem Tod 1952. Als er starb, hatte das von ihm begründete Atlantropa-Institut noch immer 1200 Mitglieder, und selbst der "New York Times" war sein Tod eine Meldung wert.
Wasser marsch: Das Ende der Sahara?
Sörgel stand nicht allein. An Terraforming grenzende Bauträume waren über Jahrzehnte populär. Besonders der Umbau von Afrika hatte es so einigen angetan: Bereits 1877 schlug der britische Ingenieur Donald Mackenzie vor, mithilfe eines Kanals durch Marokko ein rund 155.000 Quadratkilometer großes, künstliches Binnenmeer in der Sahara zu schaffen. Das sollte nicht nur das Klima der Wüste verändern. Er hoffte auch, mittels Süßwassergewinnung das umliegende Land fruchtbar zu machen.
Das klang gut. Franzosen planten bald darauf, Tiefebenen im heutigen Tunesien und Libyen zu fluten; der deutsche Albrecht Penck hatte bereits ab 1916 die Qattara-Senke zwischen Libyen und Ägypten im Visier. In den gewagtesten Visionen plante man bereits die Anbindung des Niger ans imaginierte nordafrikanische Binnenseen-Netz. Doch die Sahara blieb trocken: Neben Finanzen und Physik sorgten auch zwei Weltkriege dafür, dass solche Pläne Träume blieben.
Manche davon lebten allerdings abgespeckt fort. Der Plan, über einen Kanal oder Tunnel Meerwasser in die bis zu 130 Meter tiefe Qattara-Senke zu leiten, um Strom zu erzeugen, wurde bis tief in die Siebzigerjahre diskutiert. Für das Problem, einen 80 Kilometer langen Wasserzufluss teils tief in den Fels graben zu müssen, fand der Ingenieur Friedrich Bassler 1965 eine komfortable Lösung: Das, meinte er, ließe sich mit 213 unterirdisch gezündeten 1,5-Megatonnen-Atombomben doch ganz bequem erledigen.
Irrsinn? Eher zeittypisch: In den Fünfzigerjahren planten die Amerikaner unter dem Codenamen Plowshare etliche Projekte, bei denen Atombomben als Baugeräte eingesetzt werden sollten. In Alaska sollten fünf Nuklear-Sprengsätze eine Art Instant-Hafen ins Land sprengen, in Nicaragua einen zweiten Kanal zur Verbindung von Atlantik und Pazifik in den Fels brechen. Derweil dachte man in der Sowjetunion ernsthaft die Umlenkung der sibirischen Ströme an.
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22.03.2023 18.15 Uhr
Keine Gewähr
In Rückschau war es Glück, dass solche Projekte nie umgesetzt wurden. Es hätte nicht nur die Gestalt der Erde, sondern vor allem unser Klima in einem wahrscheinlich katastrophalen Maße verändert. Mitunter ist der Ingenieurstraum dann doch eine Kraft, die Gutes will und Böses schafft.
* Bei Veröffentlichung dieses Artikels hatte sich im zweiten Absatz ein Datenfehler eingeschlichen: Gemeint war 1886, und natürlich nicht 1861. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.