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Hitlers arabischer Freund

Sein erbitterter Kampf gegen die Juden führte den »Großmufti« von Jerusalem an die Seite der Nazis. Doch Amin al-Husseini erwies der palästinensischen Sache keinen Dienst.
aus SPIEGEL Geschichte 3/2009

Tausende von palästinensischen Pilgern zogen am 4. April 1920 durch die Straßen Jerusalems. Wie jedes Jahr waren die Muslime auf dem Weg zu einem Grab unweit Jerichos, in dem angeblich Mose bestattet worden war.

Doch arabische Agitatoren verwandelten die Wallfahrt zur Ruhestätte des auch im Islam verehrten Propheten in eine politische Manifestation gegen die britischen Besatzer und die Zionisten. Sie forderten den Anschluss Palästinas an Syrien. Auf einem Balkon schwenkte ein junger Nationalist ein Bild des syrischen Herrschers Faisal I. und rief: »Das ist euer König!« Kurz darauf zettelten Muslime Straßenkämpfe an, in deren Verlauf neun Menschen getötet und über 200 verletzt wurden; die allermeisten von ihnen Juden.

Der junge Nationalist auf dem Balkon hieß Mohammed Amin al-Husseini, war 1895 in Jerusalem geboren und stammte aus einer der einflussreichsten arabischen Familien der Region. Er sollte bis zu seinem Tod 1974 den Kampf der Palästinenser gegen den Judenstaat führen. »Mr. Palestine« nannte ihn die US-Presse. Für Winston Churchill war er der »tödlichste Feind des britischen Empire«. »Stark beeindruckt« von Husseini zeigte sich dagegen Nazi-Chefpropagandist Joseph Goebbels.

Nach den Unruhen im Frühjahr 1920 setzte sich Husseini nach Syrien ab, währenddessen verurteilte ihn ein britisches Militärgericht als Rädelsführer des Aufruhrs zu zehn Jahren Haft. Allerdings konnte er dank einer Amnestie rasch nach Jerusalem zurückkehren.

Die Briten schlossen mit ihm einen Deal: Husseini versprach, künftig Unruhen zu verhindern, dafür durfte er 1921 »Großmufti« werden. Dem jungen Eiferer fehlte zwar eine umfassende theologische Ausbildung, aber schon sein Großvater, Vater und Bruder waren religiöse Führer. Durch Klientelwirtschaft und Einschüchterung sicherte Husseini fortan seine Machtbasis. Damit war er häufig mehr beschäftigt, als die Interessen der Palästinenser zu vertreten.

1923 und 1929 kam es zu blutigen Ausschreitungen, viele Juden wurden ermordet, aber auch Araber starben. Stets kursierten glaubhafte Gerüchte, der Großmufti sei einer der Drahtzieher der Unruhen. Die Briten aber hielten an ihm als einzigen Repräsentanten der Palästinenser fest, der vielleicht doch mäßigenden Einfluss ausüben könne.

Die Kolonialherren hatten ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Schützling, der gleichzeitig ihr Gegner war. »Hadsch Amin ist ein Mann von beträchtlichem persönlichen Charme«, konstatierte Sir Charles Tegart, ein Berater des Hochkommissars. Doch nach und nach mussten die Briten erkennen, dass Husseini nicht zu Kompromissen bereit war. Palästinenser, die nicht jede Kooperation mit Juden ablehnten, wurden von seinen Getreuen ermordet.

Der Großmufti kämpfte an mehreren Fronten: Er wollte das Land von der Kolonialmacht befreien und zugleich verhindern, dass die Zionisten einen Teil Palästinas zum »Judenstaat« machten. Husseini verstand es, die Religion für diesen Kampf zu funktionalisieren. Er rückte Jerusalem ins Zentrum, sammelte etwa für die Restaurierung des Felsendoms und der Aksa-Moschee und berief internationale Muslim-Kongresse ein. Er war ein versierter Taktiker, doch es fehlte ihm eine Strategie.

Noch 1936 nach der großen Rebellion hielten die Briten an Husseini fest. Erst als ein Jahr später bereits der nächste Aufstand losbrach, ließen sie ihn fallen. Im Oktober 1937 musste der Mufti aus Jerusalem fliehen, um seiner Verhaftung zu entgehen. Über den Libanon ging er in den Irak, bis dort die Briten einmarschierten. Später fand Husseini in der japanischen Gesandtschaft in Teheran Zuflucht. Mit falschen Papieren gelangte er 1941 über die Türkei nach Italien und von dort nach Deutschland. Der Großmufti folgte der Devise: Die Feinde meines Feindes sind meine Freunde.

Am 28. November 1941 empfing Adolf Hitler den Palästinenserführer. »Deutschland trete für einen kompromisslosen Kampf gegen die Juden ein«, dozierte der Diktator laut Gesprächsprotokoll. »Dazu gehöre selbstverständlich auch der Kampf gegen die jüdische Heimstätte in Palästina, die nichts anderes sei als ein staatlicher Mittelpunkt für den destruktiven Einfluss der jüdischen Interessen.«

Der Mufti war der wichtigste arabische Alliierte der Nationalsozialisten. Am 27. November 1941 zierte der rothaarige und blauäugige Palästinenser das Titelblatt der »Berliner Illustrierten Zeitung«. Fast immer trug er einen weißen Fes auf dem Kopf. Schon als junger Mann war er nach Mekka gepilgert.

Allein das Auswärtige Amt alimentierte ihn monatlich mit 50 000 Reichsmark. Für sich und seinen Stab hatte er eine Villa in Berlin-Zehlendorf und eine Suite im Hotel Adlon zur Verfügung. Husseini sandte »dem genialen Führer« seinen »besten Dank für die freundliche und herzliche Aufnahme«.

Der Gast hielt Rundfunkansprachen, in denen er die arabischen und sogar die indischen Muslime zum Kampf gegen die Alliierten aufrief. Zudem beriet er das Propagandaministerium, dessen Chef Goebbels ihn so schätzte. Für die Lobbyarbeit im arabischen Raum riet Husseini, bei Hitler deutlich herauszustellen, »dass er weder Wein trinkt, noch raucht, noch auch sich der Völlerei hingibt«.

Im Judenhass stand der Großmufti seinen Gastgebern wenig nach. »Sie werden stets ein zersetzendes Element auf Erden bleiben, denen daran gelegen ist, Ränke zu schmieden, Kriege anzuzetteln und die Völker gegeneinander auszuspielen«, erklärte er 1942 bei der Eröffnung des »Islamischen Zentral-Instituts« in Berlin.

Über den Holocaust soll er nach Angaben eines SS-Mannes frühzeitig unterrichtet worden sein. Kurz nach seinem Treffen mit Hitler besuchte er Adolf Eichmann. Der SS-Obersturmbannführer soll dem arabischen Freund dabei detailliert die »Lösung der europäischen Judenfrage« erläutert haben.

Mit Heinrich Himmler traf sich Husseini öfters zum Tee. Der Reichsführer SS soll ihm dabei Mitte 1943 von einer Atombombe erzählt haben, die in drei Jahren den Endsieg bringen werde. Er berichtete ihm auch über den Judenmord: »Wir haben bis jetzt ungefähr drei Millionen von ihnen vernichtet.«

In einem Geburtstagsbrief an den SS-Chef schrieb der Großmufti im Oktober 1943: »Möge das kommende Jahr unsere Zusammenarbeit noch enger gestalten und unsere gemeinsamen Ziele noch näher bringen.« Immer wieder intervenierte er gegen Pläne, europäische Juden nach Palästina auswandern zu lassen. So bedrängte er den bulgarischen Außenminister, 4000 jüdische Kinder und ihre Begleiter lieber »dorthin zu schicken, wo sie unter starker Kontrolle stehen, z. B. nach Polen«. Beim deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop hatte er schließlich Erfolg: Die Rettung der Kinder wurde vereitelt.

Als Nazi-Deutschland zusammenbrach, gelang dem Palästinenser erneut eine abenteuerliche Flucht über die Schweiz und Paris nach Kairo, wo ihn König Faruk protegierte. Auch als ihn der jordanische König Abdullah Ende 1948 als Großmufti absetzte, agitierte er weiter unermüdlich gegen Israel. Seinen Kampf verlor er gleichwohl; mehr als der Sache der Palästinenser hat er sich selbst gedient.

Viele Palästinenser verehrten ihn dennoch als Helden. Als Mohammed Amin al-Husseini im Juli 1974 in Beirut zu Grabe getragen wurde, war nicht nur der libanesische Ministerpräsident zur Stelle, sondern auch ein Verwandter, der als gefährlichster Feind Israels an seine Stelle getreten war - Jassir Arafat.

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