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Bunker Valentin: Werft unter Stahlbeton

Foto: ? Fabian Bimmer / Reuters/ REUTERS

Hitlers Superbunker Größenwahn in Stahlbeton

Er sollte die unzerstörbare Werkshalle für eine Geheimwaffe Hitlers werden: 1942 errichteten Tausende Zwangsarbeiter bei Bremen einen monströsen Bunker. Nach dem Krieg wurde der Koloss plötzlich als "achtes Weltwunder" gefeiert - dabei verloren Hunderte beim Bau ihr Leben.

"Achtes Weltwunder am Weserstrand" titelten die "Bremer Nachrichten" am 22. März 1952. Der Jubel galt einem 426 Meter langen Betonriegel, der aschgrau über der Heidelandschaft im Norden von Bremen thronte. Eine Fläche von fünf Fußballfeldern bedeckte der Koloss, 1,2 Millionen Tonnen Stahl und Beton standen kastenförmig am Ufer der Weser. Der graue Gigant, so sahen es jedenfalls die Bremer Redakteure, war eine technische Glanzleistung.

Der "Valentin", wie die Bewohner der nahen Dörfer den 33 Meter hohen Bunker nannten, war nicht nur von monumentaler Größe - sondern auch eine Schatzkammer für Schrottsammler und Häuslebauer am Nordrand von Bremen: Seit der Riese, Baujahr 1942 bis 1945, ungenutzt in der Heide verwitterte, hatten Anwohner zurückgebliebene Baumaschinen und Inventar mitgenommen. Andere bauten mit herumliegendem Kies, Sand und Zement angeblich ganze Häuser. Im Sommer entwickelte sich die Bucht vor dem Bunker zum Badeparadies für sonnenhungrige Bremer. In den sechziger Jahren zeigte eine Postkarte den Bunker inmitten saftiger Wiesen, daneben stand: "Viele Grüße aus Bremen-Farge". Woran keiner dachte: Nur wenige Jahre zuvor waren für dieses "Weltwunder" mindestens 1600 Menschen gestorben.

Der Bunker "Valentin" steht bis heute. Moose und Efeu haben den grauen Klotz bedeckt, vom maroden Dach tropft unablässig Wasser in das feuchte Innere. Wer die verwitterte Ruine des Badeparadieses und der Fundgrube von einst besucht, muss sich vor herabfallenden Steinen hüten.

Europas größte Baustelle - mit KZ

Die Geschichte des Bunkers, 30 Flusskilometer abwärts von Bremen an der Weser gelegen, sollte eigentlich direkt nach dem Krieg enden: Die Briten planten damals, den Bunker zu sprengen - doch die dafür nötige Detonation hätte die Häuser in der Umgebung weggefegt, auch ein Kraftwerk wäre wohl zusammengestürzt. Stattdessen testeten Briten und Amerikaner am sieben Meter dicken Bunkerdach die Schlagkraft neuer Bomben, später wollten die Besatzer ihn mit Trümmern aus der zerbombten Bremer Innenstadt zuschütten und einen Aussichtshügel schaffen. Sogar ein Park und ein Ausflugslokal waren geplant. 1952 begann Wirtschaftssenator Hermann Wolters öffentlich über mögliche Atomreaktoren unter der dicken Hülle des Klotzes nachzudenken. Laut "Norddeutscher Volkszeitung" kursierten sogar Ideen, Atomwaffen im "Valentin" unterzubringen. Alle Vorhaben scheiterten: Der Bunker blieb stehen und verfiel.

Entstanden war der Bunker im Zweiten Weltkrieg als bombensichere Fabrikhalle, hier sollten geheime Wunderwaffen für Hitlers "Endsieg" gebaut werden - am Fließband: alle 56 Stunden sollte ein neues U-Boot der modernsten Serie XXI entstehen. Hitler selbst protegierte das größenwahnsinnige Projekt, das auf Rüstungsminister Albert Speer und Marinechef Karl Dönitz zurückging. Denn die ständigen Bombenangriffe auf deutsche Städte behinderten die U-Boot-Produktion. Deshalb fiel Ende 1942 die Entscheidung, an der Weser eine bombensichere Fabrik zu bauen. Als im Mai 1943 die Marine mehr als ein Drittel ihrer Tauchboote verlor, wurde der Bunkerbau noch dringlicher.

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In Windeseile entstand im Niemandsland die größte Baustelle Europas: Fünf mal zehn Kilometer maß das Gesamtareal, der Platz für den Betonriesen alleine nahm mehr als 35.000 Quadratmeter ein. Dutzende Kräne ragten neben den monumentalen Bunkerwänden in den Himmel, das Pfeifen von Schmalspurlokomotiven und das Pumpen der Betonmaschinen sorgte für eine permanente Geräuschkulisse. Sieben Gefangenenlager waren über das Areal verstreut, etliche Schienen verbanden Häftlingsbaracken, Anlieferstationen und die Baustelle miteinander. Die Dörfer und Bauernhöfe der ländlichen Gegend befanden sich auf einem Gelände, das zu einem monströsen Rüstungskomplex heranwucherte - einschließlich KZ-Außenlager. Bis zu zehntausend Zwangsarbeiter arbeiteten gleichzeitig auf der Baustelle.

"Diesem Ziel muss jedes Opfer gebracht werden"

Und das alles für U-Boote, deren Schlagkraft zu diesem Zeitpunkt schon äußerst fragwürdig war. Die Deutschen wussten nicht, dass ihr Geheim-Code längt entschlüsselt und selbst ihre modernsten Schiffe den Alliierten hilflos ausgeliefert waren. Doch Marinechef Dönitz hatte Hitler überzeugt, auf die Wunderwaffe "U-21" zu vertrauen: die höchstgerüsteten U-Boote ihrer Zeit. Schnell und nahezu unsichtbar sollten sie im Atlantik den Feind jagen - und die Wende im Seekrieg bringen. "Mit der U-Boot-Waffe allein wird die Marine ihren entscheidenden Sieg beisteuern können", dekretierte Dönitz am 2. Februar 1943. "Diesem Ziel muss jedes Opfer gebracht werden."

Die Opfer waren 3000 Häftlinge des Konzentrationslagers Neuengamme, untergebracht in einem Treibstoffbunker unter der Erde, 4500 verschleppte Zivilisten, außerdem Hunderte Kriegsgefangene und Häftlinge eines Arbeitserziehungslagers der Gestapo. Etwa 10.000 Männern drohten jeden Tag bei der Arbeit der Tod: Die Zementsäcke, die sie schleppten, waren schwerer als sie selbst, sie mussten eiserne Loren über das riesige Gelände schieben und gigantische Stahlkonstruktionen schwenken. Alles in Handarbeit.

Wer nicht an der Arbeit zugrunde ging oder durch grausame Misshandlung starb, dem drohten Tuberkulose, Erfrierungen, Darmerkrankungen - oder einfach der Hungertod. Manche Häftlinge versuchten, sich der Tortur zu entziehen: Sie sprangen mit dem Kopf voran auf Beton, schlugen sich mit Schaufeln oder jagten sich verschmutzte Nadeln ins Fleisch, um sich im Krankenlager von den qualvollen Entbehrungen der Arbeit erholen zu dürfen. Trotzdem starben Hunderte.

Das Leid blieb den Anwohnern nicht verborgen: 20 Minuten dauerte es morgens und abends, bis alle Zwangsarbeiter an Bauernhöfen und verklinkerten Wohnhäusern vorbei zur Baustelle gezogen waren. Einige Anwohner erbarmten sich, stellten heimlich Kartoffeln für die ausgehungerten Gefangenen vor die Tür. Andere profitierten von der Sklaverei: Subunternehmer ergatterten lukrative Aufträge auf der Bunker-Baustelle, viele setzten selbst Zwangsarbeiter ein.

Löcher im unzerstörbaren Giganten

Als die Briten Ende April 1945 Bremen besetzten, war der Bunker zu fast 90 Prozent fertig: Maschinen und Installationen für die Montagestraße waren eingebaut. Noch im Februar hatte Rüstungsminister Speer angeordnet, die Arbeiten müssten "mit allen Mitteln beschleunigt werden", woraufhin 390 weitere KZ-Häftlinge zum Bunker gebracht wurden. "Valentin" hatte im November 1944 die höchste Priorität erhalten, alle verfügbaren Ressourcen konnte die Bauleitung anfordern. Zwölf oder 14 Stunden lang waren Zwangsarbeiter im Einsatz, an sieben Tagen die Woche. Die Schergen trieben ihre Sklaven auch dann noch zur Eile an, als die britischen Truppen schon vor Bremen standen. Im März 1945 sollten die ersten U-Boote auslaufen, ab August war die Serienproduktion vorgesehen. Die Royal Air Force kam diesem Plan zuvor.

Denn im allerletzten Moment beendete die britische Luftwaffe den barbarischen Spuk am "Valentin". Am 27. März 1945 flogen 18 "Lancaster"-Bomber auf den grauen Betonklotz am Ostufer der Weser zu, warfen 155 Bomben auf den Bunker. Zwei Grandslam-Bomben mit je zehn Tonnen Gewicht rissen acht Meter große Löcher in den noch nicht fertig gestellten Teil der Decke. Der Unzerstörbare war durchlöchert - und die Bauarbeiten am Bunker wurden wenig später eingestellt.

Es dauerte vier Jahrzehnte, bis die Bremer sich auch für die grausamen Geschichten hinter ihrem "Weltwunder" zu interessieren begannen. Mittlerweile gibt es im renovierten Teil der U-Boot-Fabrik eine Ausstellung, nachdem der Gigant im Jahr 2010 zur Gedenkstätte erklärt wurde. Seit 1983 steht vor dem Bunker ein Denkmal für die Zwangsarbeiter, Titel: "Vernichtung durch Arbeit".

Zum Hingehen:

Die Landeszentrale für politische Bildung in Bremen bietet Führungen durch den Bunker Valentin an. Die "Baracke Wilhelmine" zeigt auf dem Gelände eine Dauerausstellung zum Bunkerbau.

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