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Tribünen mit Blick ins Nichts

Foto: Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

Geheimer Monumentalbau Hitlers Geistertribünen

Gigantomanie für 400.000 Zuschauer: Am 9. September 1937 wurde auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände der Grundstein für das "größte Stadion der Welt" gelegt. Gebaut wurden die riesigen Tribünen dort allerdings nie - stattdessen entstanden sie an einem geheimen Ort, mitten im Wald.
Von Katja Sebald

Was für ein glanzvoller Tag für das kleine Dorf Achtel im oberpfälzischen Hirschbachtal: Der "Führer" reiste höchstpersönlich an, mit ihm sein Architekt Albert Speer und zahlreiche Parteibonzen. Die Fotografen konnten gar nicht genug bekommen von diesem großartigen Moment der Geschichte. Die hochrangige Delegation inspizierte ein riesenhaftes Bauwerk, das in den Monaten zuvor am sogenannten Hohen Berg entstanden war - und in dieser entlegenen Gegend völlig deplaziert wirkte.

Klein und verloren sollte sich der Mensch fühlen vor dem "Wort aus Stein", das noch überzeugender sei als das gesprochene. So hatte es Adolf Hitler formuliert. Am 9. September 1937 legte er den Grundstein für das "größte Stadion der Welt". Vor 24.000 Zuschauern eröffnete er anlässlich des Reichsparteitages die jährlich stattfindenden NS-Kampfspiele und präsentierte ein zwei Meter hohes Modell des geplanten Neubaus, der mehr als 400.000 Besuchern Platz bieten sollte. 1938 wurde mit dem Aushub begonnen. Doch viel weiter als bis zur Ausschachtung der Baugrube kam man nicht. Wegen des Ausbruchs des Krieges wurden die Bauarbeiten bereits ein Jahr später wieder eingestellt.

Gebaut hatte man indes trotzdem - allerdings nicht in Nürnberg, wo das gigantische Stadion eigentlich entstehen sollte, sondern im etwa vierzig Kilometer entfernten Hirschbachtal bei Oberklausen: Fünf Ränge mit Sitzplätzen für mehr als 40.000 Zuschauer, immerhin ein Zehntel des geplanten Tribünenhalbrunds. In den Jahren 1937 und 1938 waren dort unter strengster Geheimhaltung die sogenannten Versuchstribünen für das "Deutsche Stadion" im Maßstab 1:1 errichtet worden.

Probeturnen für den "Führer"

400 Arbeiter waren 18 Monate lang Tag und Nacht damit beschäftigt gewesen, einen Hang am sogenannten Stockbühl zu roden, der in etwa denselben Steigungswinkel hatte wie die Zuschauerränge des geplanten Stadions. Danach hatte man die Fundamente und Stützmauern für insgesamt fünf Ränge betoniert und darauf hölzerne Tribünenaufbauten mit zwei verschiedenen Neigungswinkeln, einmal 27,2 und einmal 30 Grad, montiert. Die Langhölzer dafür wurden eigens aus dem Bayerischen Wald geliefert. Und so waren schließlich zwei 27 Meter breite und 76,6 beziehungsweise 82 Meter hohe Teilstücke des Stadions entstanden - rund um die Uhr von SS-Posten bewacht.

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Tribünen mit Blick ins Nichts

Foto: Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

Am 21. März 1938 war es dann endlich so weit: Hitler und sein Architekt Speer kamen mit großem Gefolge nach Oberklausen, um die Baustelle zu besichtigen. Sie stiegen auf eigens angelegten Treppen den Hang hinauf und nahmen auf den oberen Rängen Platz. Die Probetribünen waren einzig zu dem Zweck errichtet worden, die Sichtverhältnisse und nicht zuletzt auch die Akustik in dem späteren Stadion zu testen.

Unten auf dem Rasen marschierten die Reichsarbeitsdienstabteilungen aus Hersbruck und Schnaittach auf - um für Hitler und seine Begleiter gymnastische Übungen vorzuführen. Wie viel man aus einer Entfernung von rund achtzig Metern von dem sportlichen Geschehen tatsächlich gesehen hätte, bleibt fraglich. Speer notierte nach der Inspektion vage, er habe es "positiver als angenommen" empfunden.

"Dieser Bau steht noch in Jahrhunderten"

Schon vor Baubeginn hatte der Architekt den "Führer" darauf hingewiesen, dass die Abmessungen "seines" Spielfeldes nicht den Olympischen Maßen entsprächen. Hitler habe daraufhin entgegnet: "Ganz unwichtig. 1940 finden die Olympischen Spiele noch einmal in Tokio statt. Aber danach, da werden sie für alle Zeiten in Deutschland stattfinden, in diesem Stadion. Und wie das Sportfeld zu bemessen ist, das bestimmen dann wir." Bis zum Reichsparteitag 1945, das war der Plan, sollte das "Deutsche Stadion" fertig sein.

Speer hatte die Spielstätte 1937 unter dem Eindruck des antiken Stadions in Olympia entworfen, das er zwei Jahre zuvor besichtigt hatte. Das antike Vorbild fasste 50.000 Zuschauer. Anders als in Griechenland - und anders als in Oberklausen - sollten die Tribünen in Nürnberg nicht einem natürlichen Geländeverlauf folgen, sondern auf ebener Fläche errichtet werden.

Das "Deutsche Stadion" wäre rund 800 Meter lang und 450 Meter breit geworden, die Außenfassade über 90 Meter hoch. Mehrere Expressaufzüge sollten jeweils hundert Zuschauer zu ihren Plätzen in den oberen Rängen bringen. An den Stirnmauern des Hufeisens sollten zwei Turmbauten entstehen, auf denen Adler mit Flügelspannweiten von 15 Metern thronten. Er habe mit Hitler auch über die voraussichtlichen Kosten für das Bauvorhaben gesprochen, vermerkt Speer in seinen "Erinnerungen". Hitler habe keinerlei Bedenken gezeigt: "Das ist weniger als zwei Schlachtschiffe vom Typ Bismarck. Wie schnell wird ein Panzerschiff zerstört, und wenn nicht, ist es in zehn Jahren sowieso Schrott. Aber dieser Bau, der steht noch in Jahrhunderten."

Schwer umkämpft

Bei Kriegsbeginn allerdings wurden die Bauarbeiten auch in Oberklausen eingestellt. Nur die SS-Wachposten blieben. Am 21. April 1945 hieß es im deutschen Wehrmachtsbericht, die Versuchstribünen des "Deutschen Stadions" im Hirschbachtal seien schwer umkämpft. Buchstäblich in den letzten Kriegstagen wurde das Dorf Achtel beinahe vollständig zerstört, weil einige wenige Männer den heranrückenden Amerikanern erbitterten Widerstand leisteten.

Als das Dorf in der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder aufgebaut wurde, verwendete man die hölzernen Tribünen als Baumaterial. So beseitigten die Bewohner von Achtel selbst das Bauwerk, das ihnen zum Verhängnis geworden war. Nach und nach eroberte sich dann die Natur den Berghang, an dem die Testbauten für das "Deutsche Stadion" errichtet worden waren, wieder zurück.

Als sich ein Nürnberger Geschichtsstudent in den achtziger Jahren im Hirschbachtal auf die Suche nach den Versuchstribünen machte, da wollte sich in den umliegenden Dörfern niemand mehr an den Bau aus der NS-Zeit erinnern - obwohl die Leute hier den "Hohen Berg" bei Oberklausen immer noch den "Stadionberg" nennen. Damals waren die Betonsockel und massiven Stützmauern, die sich den ganzen Hang hinaufziehen, völlig überwuchert und kaum mehr ausfindig zu machen.

Verschwunden im Silbersee

Mittlerweile sind die Relikte freigelegt, seit 2002 stehen sie unter Denkmalschutz. Zwischen den Fundamentresten wächst ein lichter Kiefernwald empor, dennoch vermitteln sie auch heute noch einen Eindruck von den Dimensionen des größenwahnsinnigen Bauvorhabens.

Mehr von der Wirkung der nationalsozialistischen Einschüchterungsarchitektur ist hingegen noch in Nürnberg erlebbar, wenn man auf der sogenannten Großen Straße des Reichsparteitagsgeländes steht: Entlang dieser mit Granitplatten bedeckten sechzig Meter breiten und zwei Kilometer langen zentralen Aufmarschachse sollten auf einer Fläche von elf Quadratkilometern jene riesenhaften Gebäude entstehen, mit denen das "Tausendjährige Reich" seinen Machtanspruch demonstrieren wollte.

Der größte realisierte und erhaltene Monumentalbau ist heute die Kongresshalle, die 50.000 Besuchern Platz bieten sollte. An das "Deutsche Stadion" aber erinnert in der Stadt nur noch der Silbersee - die mittlerweile mit Grundwasser gefüllte Baugrube.

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