Holocaust: "Die Liebe ließ mich überleben" - befreit aus dem KZ
KZ-Überlebende
"Das war meine Rache an Hitler!"
Sie lachen, weinen, singen: Ein Jahrzehnt lang hat Stefan Hanke KZ-Überlebende in ganz Europa fotografiert. einestages zeigt am Holocaustgedenktag seine Porträts von Menschen, die längst nicht mehr Opfer sein wollen.
Sie wollten wenigstens noch heiraten, wenn sie sowieso bald sterben würden, hier im Ghetto Theresienstadt, dem heillos überfüllten Durchgangslager für die Deportation nach Auschwitz.
Also ließen sich Pavel Stránský und seine Freundin Vera im Ghetto schnell Ringe schmieden. An Silber, Platin, Gold war nicht zu denken. Mit einfachen Ringen aus Eisen schworen sie sich im Dezember 1943 ihre Liebe. Es sollte ihnen Mut machen, diese unmenschliche Zeit zu überstehen.
Kurz danach wurden Pavel und Vera nach Auschwitz deportiert, verloren einander aus den Augen, fanden sich im Sommer 1945 wieder - und heirateten ein zweites Mal, nunmehr in Freiheit.
"Die Liebe ließ mich überleben"
Knapp 70 Jahre später trug Pavel Stránský immer noch den schlichten Stahlring, als er sich 2014 mit dem Regensburger Fotografen Stefan Hanke traf. Stránský lehnte sich im Gerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalastes an jenen Tisch, an dem nach 1945 viele NS-Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt worden waren. Und... redete über Liebe.
"Die Liebe ließ mich überleben", sagte er. Stefan Hanke, der ihn fotografierte, war überrascht und berührt: "Das sagt dieser Mann an diesem historischen Ort. Er hätte über NS-Verbrechen oder späte Genugtuung reden können. Doch er blieb die ganze Zeit bei seinem Thema, der Liebe. Für mich wurde dieses Porträt zusammen mit seinem Zitat zu einer Metapher."
Stefan Hanke, 55, hat viele solcher bewegenden Momente festgehalten. Die Polin Wieslawa Borysiewicz etwa wagte kaum, aus dem Fenster der Baracke 16 a des Frauenlagers in Auschwitz zu blicken - obwohl das Vernichtungslager sieben Jahrzehnte zuvor von der sowjetischen Armee befreit worden war und die Baracke nun Teil der Gedenkstätte Auschwitz ist.
Vorsichtiger Blick durchs Barackenfenster
Hier hatte Borysiewicz mit 15 ihre dunkelsten Stunden: "Wir durften nie durch diese Fenster schauen." Als sie es im Jahr 2014 dann doch tat - sehr vorsichtig, wie Hankes Foto zeigt -, fügte sie hinzu: "Was wäre ich dafür damals geschlagen worden!"
Nicht nur Borysiewicz kam frei und blieb doch auch Gefangene ihrer Vergangenheit. Ab 2004 hat Stefan Hanke ein Jahrzehnt lang nach KZ-Überlebenden in ganz Europa gesucht und sie porträtiert. Er hat sich akribisch mit den Lagern der Nazis befasst, Fachliteratur gewälzt und versucht, so viel wie möglich über das Schicksal der Überlebenden herauszufinden: "Ich wollte ihnen auf keinen Fall das Gefühl geben, mir etwas erklären zu müssen. Sie sollten einfach nur erzählen."
Foto:
Stefan Hanke
Fotostrecke
Holocaust: "Die Liebe ließ mich überleben" - befreit aus dem KZ
Und das taten sie. Oft stundenlang, manchmal weinend, tonlos, mit geschlossenen Augen, manchmal wieder lachend oder sogar singend. Dabei fotografierte Hanke: in Auschwitz, Dachau, Sobibor, Theresienstadt, Ravensbrück, in all diesen Orten deutscher Barbarei. 121 Schicksale. Tausende Fotos und Ordner voller Interviewabschriften füllen zwei Schränke in Hankes Büro.
Viele seiner Gesprächspartner sind inzwischen verstorben. Hankes Projekt war ein Wettlauf gegen die Zeit: Ahnungslos platzte er in die Beerdigung eines jäh verstorbenen Zeitzeugens, mit dem er kurz zuvor einen Termin ausgemacht hatte. Jeden Monat erfährt er von weiteren Trauerfällen.
"Sie werden bald nicht mehr da sein", sagt Hanke traurig.
Umso lesenswerter ist sein Bildband "KZ überlebt". Die Sammlung eindrucksvoller und berührender Porträts macht Schlüsselmomente in einzigartigen Lebensläufen erlebbar, die ohne dieses Buch bald in Vergessenheit gerieten.
"Ich fühle mich als Sieger"
Juden, Sinti, Roma, Kriegsgefangene, Kommunisten, Zeugen Jehovas - Hanke hat versucht, Überlebende aller Opfergruppen zu porträtieren. Es ist ihm fast gelungen, nur nicht bei verfolgten Homosexuellen; sein einziger Zeitzeuge starb kurz vor dem Fototermin.
Man könnte einen düsteren Bildband voll gebrochener Menschen erwarten. Doch etliche KZ-Überlebende gingen überraschend mit ihrer Vergangenheit um. Da ist etwa ein Foto eines fröhlichen Shlomo Graber. Die Nazis hatten 32 Angehörige seiner Familie ermordet; er selbst überlebte 1945 einen Todesmarsch nur knapp. Graber sagte Hanke: "Bei der Geburt meines ersten Kindes lachte ich und dachte: Das ist meine Rache an Hitler!"
Oder Barbara Pankowska, die in der Gedenkstätte Ausschwitz unvermittelt ihre Arme hochriss und voller Verve "Kalinka" anstimmte - jenes russische Volkslied, das sie zum ersten Mal hörte, als sowjetische Soldaten sie befreiten.
"Oft werden KZ-Überlebende vor einen schwarzen Hintergrund gestellt und in möglichst dramatisches Licht getaucht, das sie regelrecht monströs erscheinen lässt", sagt Hanke. Bei diesem Thema redet sich der sonst so besonnene Mann in Rage: "Ich finde das unwürdig! Damit wollen die Macher wohl jedem klarmachen: Du bist Opfer, du wirst immer Opfer bleiben. Die Zeitzeugen werden nicht als Individuen mit einem Leben nach dem Terror wahrgenommen."
Hanke hingegen fotografierte Überlebende wie Leon Weintraub auch vor der wuchtigen Zeppelintribüne auf dem einstigen Nürnberger NS-Reichsparteitaggelände. Aufrecht und in seinem feinsten Anzug sagte Weinberg: "Ich fühle mich als Sieger."
Plötzlich wird das Grauen greifbar
Andere wollten sich nicht an Orten fotografieren lassen, die sie zu sehr an ihr Leid erinnerten. Sie sagten Sätze wie diese: "Ich weine viel." Oder, eine Zwangsarbeiterin: "Wenn ich Siemens höre, kriege ich das Kotzen."
Der Italiener Shlomo Venezia fasst das Dilemma seines Lebens wohl am besten zusammen: "Ich habe überlebt, ich wurde aber nicht gerettet." In Auschwitz gehörte Venezia zu den Sonderkommandos, die gezwungen waren, Leichen aus den Gaskammern zu ziehen, ihnen Goldzähne herauszubrechen und sie dann zu verbrennen.
Ein anderer Überlebender brach so oft in Tränen aus, dass Hanke ihn an die Hand nahm und vorschlug, das Interview abzubrechen - doch der Mann wollte seine Geschichte fertig erzählen. Diesen unbedingten Willen, Zeugnis abzulegen, hat der Fotograf häufig gespürt: "Ein Zeitzeuge hat mir erzählt: Ich hatte schreckliche Träume vor unserem Termin, aber wissen Sie, die hatte ich immer."
Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier
Die Schilderungen entwickelten einen derartigen Sog, dass sie auch das Leben des Fotografen durcheinanderwirbelten. Hanke versuchte, empathisch zu sein und zugleich professionell, die eigenen Emotionen also nicht in den Vordergrund zu stellen. Doch manchmal machten ganz kleine Dinge ihm das fast unmöglich.
Etwa, als eine alte Dame ihm 2011 das letzte Foto ihrer von den Nazis ermordeten Schwester zeigte: "Das Mädchen hatte die Haare zu lustigen Zöpfen gebunden und ging stolz mit Siebenmeilenschritten zur Schule", sagt Hanke. "Genau so ein Foto habe ich von meiner Tochter. Und plötzlich ist der Terror von damals sehr präsent, das Grauen wird greifbar!"
Eine Herzensangelegenheit
Und doch machte der Fotograf weiter. Ursprünglich dachte er an 30 Porträts, es wurden 50, 70, 100. Hanke wusste nicht mehr, wie er aufhören sollte. Denn da draußen gab es noch so viele kaum gehörte Stimmen, die bald für immer verstummen würden.
Eigentlich verdient Hanke sein Geld als Werbe- und Industriefotograf. Die Porträts der KZ-Überlebenden wurden seine Herzensangelegenheit. Die Reisen finanzierte er weitgehend selbst und investierte so viel Zeit und Kraft, dass Freunde sich sorgten. 2014 machte er Schluss, angesichts überbordender Schränke mit Interviews. Nach zwei weiteren Jahren war sein Bildband fertig.
Ausstellungstermine
Die nächste Ausstellung von Stefan Hankes Fotoprojekt können Sie hier sehen:
Landtag von Rheinland-Pfalz in Mainz vom 16. Januar bis 13. Februar 2019
Aktuelle Informationen zu Stefan Hankes Ausstellungen finden Sie hier
Nach einer Ausstellung in Nürnberg wird es 2017 weitere geben: in Regensburg, Prag, Pilsen und der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Und doch wundert sich Hanke, "warum es ausgerechnet in Deutschland in Zeiten der AfD so schwer ist, weitere Museen von dieser Ausstellung zu überzeugen".
Das Archiv hat nun einen neuen Ordner - Absagen von Veranstaltern, meist aus Deutschland. Dabei würde Hanke seinen Landsleuten gern das Foto von Harry Zansberg zeigen, auf einem Waldweg 2011 beim bayerischen Dorf Stamsried.
Eingerahmt von dunklen Tannen, die ein Stück Himmel freigeben: Zansberg lächelt. Hier war er am 23. April 1945 von der US-Armee befreit worden, gerettet vor Massakern der SS. Hier hatte er sein Leben wiedergewonnen.
33 BilderHolocaust: "Die Liebe ließ mich überleben" - befreit aus dem KZ
1 / 33
"Sie hatten den Strom eingeschaltet! Die Kleine verfärbte sich schwarz - der Gestank und der Rauch drangen zu mir. Ich konnte den Blick nicht abwenden von dem, was von ihr übrig geblieben war."
Bogdan Bartnikowski berichtete 2014 im ehemaligen Männerlager des KZ Auschwitz-Birkenau im Abschnitt B II d vom grauenvollen Tod eines Kindes im elektrischen Zaun.
Sein Vater Stanislaw kämpfte 1944 während des Warschauer Aufstands gegen die deutschen Besatzer, kehrte aber von einem Einsatz am 10. August nicht zurück. Am selben Tag wurden Bogdan Bartnikowski und seine Mutter verhaftet und danach mit dem ersten Transport von Zivilisten nach dem Warschauer Aufstand in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Hier musste er miterleben, wie ein Junge versuchte, seine kleine Schwester durch den elektrischen Zaun zu schicken, als der Strom abgestellt war. Doch während das Mädchen durch den Zaun schlüpfte, stellte die SS den Strom wieder an.
Foto:
Stefan Hanke
2 / 33
"Die Sabotage war lebensgefährlich - das Überleben selbst ist Widerstand."
Simone Gournay 2012 am Tag ihrer letzten Ansprache beim Jahrestag der Befreiung der Gedenkstätte Ravensbrück - im Hintergrund der Weg, auf dem sie täglich zu den Arbeitsbaracken der Siemens & Halske AG marschieren musste.
Nach der Besatzung Frankreichs übermittelte Simone Gournay der Résistance Informationen aus dem Lager ihres Arbeitgebers, des Filmherstellers Kodak-Pathé, der den Deutschen Mikrofilme stellen musste. Aus den Daten konnten die Alliierten Rückschlüsse über militärische Bewegungen der Wehrmacht ziehen. 1942 wurde Gournay verhaftet und schließlich in das KZ Ravensbrück deportiert. Dort musste sie Zwangsarbeit für den Konzern Siemens & Halske AG leisten, versuchte aber, elektrische Komponenten so zu manipulieren, dass es mit bloßem Auge kaum zu erkennen war.
Foto:
Stefan Hanke
3 / 33
"Mit Sicherheit haben sie gesehen, dass wir halb tot zur Arbeit erschienen."
Andrzej Korczak Branecki 2010 vor dem Original-Tor des Jourhauses der KZ-Gedenkstätte Dachau, durch das er am 12. September 1944 das Lager betrat.
Schon mit 14 befand er sich mitten im Krieg und unterstützte den polnischen Widerstand als Botengänger und Überbringer von Waffen beim Warschauer Aufstand 1944. Im September wurde Andrzej Korczak Branecki gefasst, zunächst ins KZ Dachau deportiert und dann mit etwa 1000 anderen Häftlingen auf Anforderung der Daimler-Benz AG ins Außenlager Mannheim-Sandhofen des KZ Natzweiler-Struthof gebracht. Noch schlimmer war für Braneck ab Januar 1945 die Zwangsarbeit für die Adlerwerke; in dem Außenlager in Frankfurt kam fast jeder dritte Häftling um. Kurz vor Kriegsende überstand Braneck zwei Todesmärsche.
Foto: Stefan Hanke
4 / 33
"Ohne Schuhe wurde ich krank. Als Mengele die Freundin neben mir selektierte, sah ich nur seine glänzenden hohen schwarzen Stiefel."
Barbara Pankowska erzählte 2014 in der Kinderbaracke 16 a des ehemaligen Frauenlagers des KZ Auschwitz-Birkenau, wie sie bei ihrer Befreiung zum ersten Mal das Lied "Kalinka" hörte.
Nach dem Warschauer Aufstand im August 1944wurde auch Barbara Pankowska, damals zwölf Jahre alt, mit ihrer Mutter in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Ohne ihre Mutter kam sie im Frauenlager in die Baracke 16 a, in die Hunderte von Kindern gepfercht waren. Als Barbara in einem pseudomedizinischen Versuch eine Substanz gespritzt wurde, kam sie mit einer Infektion in das Krankenrevier. Kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 konnten sie und ihre Mutter fliehen und sich in einem Keller in Lagernähe verbergen. Tage später lockte eine fröhliche Melodie Barbara aus ihrem Versteck - sie sah einen russischen Soldaten, der mit der Mundharmonika das russische Volkslied "Kalinka" spielte.
Foto: Stefan Hanke
5 / 33
"Als Überlebender ist es für mich ein besonderes Gefühl der Genugtuung, vor diesem Ausdruck des Größenwahns zu stehen. Ich fühle mich nicht als Opfer, sondern als Sieger."
Leon Weintraub steht auf diesem Foto von 2014 vor der Zeppelintribüne auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Hier nahm Hitler Paraden ab und sprach zu den Massen. Der von Albert Speer entworfene Bau galt als Vorzeigeprojekt der NS-Herrschaftsarchitektur.
Aus dem polnischen Ghetto Litzmannstadt kam die jüdische Familie Weintraub 1944 nach Auschwitz-Birkenau, doch dem 18-jährigen Leon gelang schon nach einigen Wochen die Flucht, indem er sich unbeobachtet einem Transport nach Wüstegiersdorf anschloss. Dort befand sich das Außenlager Komplex Riese des KZ Groß-Rosen: ein Bauprojekt für mehrere Stollenanlagen, eingerichtet für die Organisation Todt. Weintraub war Auschwitz entkommen, aber er musste fortan in Dörnhau, das ebenfalls zum Komplex Riese gehörte, sowie in weiteren KZ-Außenlagern Zwangsarbeit verrichten.
Foto: Stefan Hanke
6 / 33
"Ein Stuhl, ein Waschbecken, ein Spiegel. Ich stand stramm im Badezimmer von Rudolf Höß. Höß sagte kein Wort, wie immer, und ich schnitt ihm die Haare - Todesangst, vier Jahre lang."
Józef Paczyński 2012 mit Schere und Kamm in seiner Wohnung in Warschau; gelegentlich hat er noch Bekannten die Haare geschnitten.
In der Grundschule sang er im Chor mit Karol Józef Wojtyla, dem späteren Papst Johannes Paul II. Der Krieg aber beendete seine unbeschwerte Jugend abrupt. 1940 in Auschwitz registriert als Häftling Nummer 121 musste Józef Paczyński im lagereigenen Friseurladen deutschen Offizieren die Haare schneiden, darunter SS-Männern wie dem gefürchteten Lager-Kommandanten Rudolf Höß.Der ließ Paczyński bald sogar regelmäßig in seine Privatvilla holen, wo er dem Kriegsverbrecher und dessen Familie vier Jahre lang fast jede Woche als persönlicher Friseur dienen musste. 1945 wurde Paczyński als Zwangsarbeiter in die Außenlager Melk und Ebensee des österreichischen KZ Mauthausen deportiert und dort befreit.
Foto: Stefan Hanke
7 / 33
"Ich habe überlebt und ich lebe immer noch, also lache ich!"
Aviva Banerie 2013 im Garten des ehemaligen deutschen Klosters Indersdorf, in dem sie sich als Jugendliche oft und gern aufhielt.
1930 wurde Aviva Banerie als Tochter jüdischer Eltern in Ungarn geboren und war erst 14, als sie nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde. Ihre Eltern wurden dort ermordet, Aviva kam Ende 1944 in das Außenlager Rochlitz des KZ Flossenbürg. Hier musste sie für die Mechanik GmbH, einer Tochterfirma des Leipziger Maschinenherstellers Pittler AG, Teile für Junkers-Kampfflugzeuge fertigen. Nach einem überstandenen Todesmarsch im April 1945 kam Aviva 1946 in das internationale Kinderzentrum Kloster Indersdorf in der Nähe von Dachau.
Foto: Stefan Hanke
8 / 33
"Meine erste Entscheidung, als ich meine Beinprothese bekam, war: Ich werde nie mit Stock gehen!"
Istvan Hajdu zeigt 2013 auf dem früheren Gelände des Städtischen Krankenhauses, wie er nach seiner Beinamputation wieder gehen lernte.
In Auschwitz-Birkenau hatte Istvan Hajdu im Mai 1944 schon seine Mutter, die Großeltern und viele Schulkameraden verloren. Verschleppt in das Außenlager Wille des KZ Buchenwald, starb dann auch noch sein Vater in seinen Armen, erschöpft von der Zwangsarbeit für die Braunkohle-Benzin AG. Als die US-Armee am Kriegsende vorrückte, trieb die SS die Gefangenen in offene Waggons, die am 9. April 1945 in ein vernichtendes Feuer von amerikanischen Tieffliegern gerieten. Ein Geschoss riss Istvans Hajdus linkes Bein auf Kniehöhe ab - und doch überlebte der 15-Jährige den Transport in das KZ Flossenburg, wo ein Stück seines verbliebenen Beines amputiert wurde.
Foto: Stefan Hanke
9 / 33
"Er wird meine Tränen nicht sehen. Den ersten Hieb fühlte ich, die weiteren nicht. Der Schmerz war so stark, dass die Tränen von selbst flossen."
Wieslawa Borysiewicz blickt aus dem Fenster der Baracke 16 a des ehemaligen Frauenlagers in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau (Foto von 2014). In dieser Baracke waren nur Kinder - für sie war es damals strengstens verboten, aus dem Fenster zu sehen.
Als eine der Älteren im Kindertrakt des KZ Auschwitz-Birkenau hatte Wieslawa Borysiewicz, deportiert mit ihrer Familie nach dem Warschauer Aufstand 1944, Müll und Fäkalien zu entsorgen. In der Baracke herrschte Sprechverbot, viele Kinder und Jugendliche wurden in pseudomedizinischen Versuchen missbraucht. Wieslawa leidet bis heute an den Folgen jener Spritzen und Tabletten. Einmal wurde sie als Strafe für einen Regelbruch derart ausgepeitscht, dass sie wochenlang kaum mehr liegen konnte. Noch kurz vor Kriegsende musste Wieslawa im Außenlager Leipzig des KZ Buchenwald Zwangsarbeit für die Flugzeugproduktion leisten.
Foto: Stefan Hanke
10 / 33
"Ich weine viel."
Wasyl Nowak 2011 am Anschlussgleis vor der KZ-Gedenkstätte Dachau, auf dem er 1945 im "Todeszug von Buchenwald" ankam.
Als die Wehrmacht im Oktober 1941 die ukrainische Hafenmetropole Mariupol besetzte, konnte Wasyl Nowak noch fliehen, doch wenige Monate später verschleppten ihn die Deutschen nach einer Razzia in die Nähe von Meißen. Dort musste er Zwangsarbeit für die Reichsbahn leisten, floh, wurde gefasst, floh abermals und landete im KZ Groß-Rosen bei Breslau. Sogar von dort gelang ihm die Flucht, doch die SS fasste ihn erneut, sodass er sich - nach Zwangsarbeit in einem Steinbruch - Ende März 1945 im KZ Buchenwald wiederfand. Von dort wurde Nowak mit Tausenden Häftlingen in Güterwaggons auf eine 21-tägige Odyssee geschickt, bei der Hunderte entkräftet starben oder erschossen wurden. Mit 2360 toten und etwa 800 lebenden Häftlingen erreichte der Todeszug am 28. April Dachau, die US-Armee dokumentierte das Kriegsverbrechen.
Foto: Stefan Hanke
11 / 33
"Erinnern allein tut's nicht!"
Ernst Grube steht 2010 am Güterbahnhof Milbertshofen, von dem aus viele Münchner Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden.
Sein Vater war Kommunist, seine Mutter Jüdin - der Münchner Ernst Grube spürte früh die NS-Repressionen. Schon vor der "Reichskristallnacht" im November 1938 zerstörten die Nazis die Münchner Hauptsynagoge, in deren Nachbarschaft Familie Grube lebte, und drängten die Mieter aus der Umgebung danach aus ihren Häusern. Ernst, sein Bruder und seine Schwester mussten erst in ein jüdisches Kinderheim und dann in die Barackensiedlung von Milbertshofen, die sich bald in ein Deportationslager verwandelte. Im Februar 1945 wurde er mit seinen Geschwistern und seiner Mutter nach Theresienstadt transportiert und dort im Mai von der Roten Armee befreit.
Foto: Stefan Hanke
12 / 33
"Bei der Geburt meines ersten Kindes lachte ich und dachte mir: Das ist meine Rache an Hitler!"
Shlomo Graber 2011 in seiner Wohnung in Basel, im Hintergrund eines der Gemälde des Kunstmalers.
Wie Hunderttausendende andere ungarische Juden wurde auch die Familie von Shlomo Graber 1944 nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Seine Mutter und seine vier Geschwister wurden dort nach der Ankunft ermordet, während Shlomo und sein Vater im Außenlager Fünfteichen des KZ Groß-Rosen für die Krupp-Bertha-Werke arbeiten mussten. Als Shlomo einmal völlig erschöpft rastete, stieß ihn ein Aufseher in den flüssigen Beton; nur knapp konnte sein Vater ihn retten. Bei Kriegsende wog er, ausgezehrt durch weitere Zwangsarbeit im Außenlager Görlitz, nur noch 30 Kilo.
Foto: Stefan Hanke
13 / 33
"Unter Tausenden würde ich Mengele sofort wiedererkennen. Sein milder Blick, seine sanfte ruhige Stimme und sein Lächeln bedeuteten für uns den Tod."
Hugo Höllenreiner erinnert sich 2010 in Ingolstadt an den SS-Arzt Josef Mengele, der durch seine Verbrechen zum "Todesengel von Auschwitz" wurde.
Vorurteile war Hugo Höllenreiter, geboren in einer Münchner Sinti-Familie, schon früh gewohnt, doch in der NS-Zeit drohte seiner Familie die Vernichtung. 1943 mit anderen Sinti nach Auschwitz-Birkenau deportiert, kamen Hugo und sein Bruder Manfred dort in das "Zigeunerlager" und wurden Opfer der grausamen Versuche von Josef Mengele. Der SS-Arzt stach dem neunjährigen Hugo ohne Betäubung und Vorwarnung ein Metallinstrument in den Unterleib, das seine Niere zerfetzte. Schwer verletzt überlebte er Auschwitz - und später auch die Lager Ravensbrück, Mauthausen und Bergen-Belsen.
Foto: Stefan Hanke
14 / 33
"Ja, der Ewige hat ein Wunder an mir getan. Ich habe überlebt. Aber warum nicht alle anderen? Die religiösen Juden sagen, es geschah al Kiddusch Haschem, zur Heiligung seines Namens. Aber warum sechs Millionen Juden, warum so viele?"
Margot Kleinberger hält 2011 in ihrer Münchner Wohnung mit ihrem Spiegelbild Zwiesprache: ein Dialog zwischen der jungen und der 80-jährigen Margot.
Sie hatte eine unbeschwerte Kindheit, bis ihr Vater 1936 von der Reichsbank als Jude "außer Dienst gestellt" wurde. Es folgten der Umzug in ein "Judenhaus" und 1942 die Deportation nach Theresienstadt. Dort wurde Margot Kleinberger, damals elf Jahre alt, mit vielen anderen Kindern Opfer einer medizinischen Versuchsreihe: In der "Infektions-Versuchsabteilung" wurden sie mit Krankheitserregern wie Scharlach, Masern, Röteln, Diphtherie und Gelbsucht infiziert. Trotz schwerer Krankheit überlebte Margot drei weitere Jahre bis zur Befreiung durch die Rote Armee.
Foto: Stefan Hanke
15 / 33
"Die SS dachte, keiner würde aus so einem 'guten' Kommando fliehen. Aber drei Jahre Auschwitz waren genug, es gab nur diese eine Gelegenheit!"
Kazimierz Albin 2014 an der ehemaligen Küchenbaracke der SS, die wenig entfernt vom Gelände des Stammlagers Auschwitz steht. Aus einem Fenster des Lagerraums war ihm 1943 die Flucht gelungen.
Kazimierz Albin, geboren 1922 in Krakau, wurde beim Versuch, sich der polnischen Exilregierung in Frankreich anzuschließen, an der Grenze verhaftet und von der Gestapo gefoltert. Er kam im Juni 1940 zusammen mit 757 anderen politischen Häftlingen mit dem ersten Transport in das neu errichtete KZ Auschwitz. 1942 wurde er in die Küche der SS versetzt - ein privilegiertes Kommando mit ausreichend Nahrung - und konnte von dort aus dem KZ fliehen. Albin schloss sich der polnischen Heimatarmee (AK) in Krakau an und vollstreckte auch Todesurteile an Kollaborateuren der NS-Besatzer.
Foto: Stefan Hanke
16 / 33
"Dann sagt der SS-Mann: 'Ihr werdet hier arbeiten an der Produktion der englischen Pfundnote.' Wie er das gesagt hat, habe ich gedacht: Ende. Hier komme ich nie wieder raus."
Adolf Burger vor seiner Haustür in Prag, 2011
Der jüdische Buchdrucker Adolf Burger unterstützte nach der deutschen Besetzung der Tschechoslowakei den kommunistischen Widerstand, indem er Dokumente fälschte. 1942 wurden er und seine Frau Gisela verhaftet und über das Lager Zilina nach Auschwitz-Birkenau deportiert; Gisela Burger wurde dort ermordet. Das Reichssicherheitshauptamt der SS teilte Burger später im KZ Sachsenhausen einem Geheimkommando zu, dessen Ziel es war, britische Pfundnoten zu fälschen, um das englische Finanzsystem zu schwächen. Burger wurde am 5. Mai 1945 im Außenlager Ebensee des KZ Mauthausen befreit.
Foto: Stefan Hanke
17 / 33
"Ich habe überlebt, ich wurde aber nicht gerettet."
Shlomo Venezia 2012 in seiner Wohnung in Rom
Geboren wurde Shlomo Venezia 1923 als Sohn italienisch-jüdischer Einwanderer im griechischen Saloniki. Die Familie Venezia wurde im Frühjahr 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo man die Mutter und zwei Schwestern in den Gaskammern ermordete. Shlomo und seinen Bruder teilte die SS dem sogenannten Sonderkommando zu, das dazu gezwungen war, die Kleider der Opfer zu sammeln, die Leichen aus der Gaskammer zu ziehen und ihnen Prothesen und Goldzähne zu entnehmen. Die SS liquidierte regelmäßig Mitglieder des Sonderkommandos, da sie Augenzeugen des Genozids waren. Zu den wenigen Überlebenden zählten Shlomo und sein Bruder.
Foto: Stefan Hanke
18 / 33
"Die Norm war der Tod, die Ausnahme das Leben."
Noëlle Vincensini steht 2012 am ehemaligen Appellplatz der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück.
Bereits als Schülerin in Montpellier schloss sich Noëlle Vincensini dem französischen Widerstand an. Aus dem anfänglichen Kleben von Protestplakaten wurden gewagte Kurierfahrten, bei denen sie Waffen und Munition transportierte, gedeckt von der Direktorin ihrer Schule. Direkt nach ihrem Schulabschluss im April 1944 wurde Vincensini mit 50 weiteren Widerständlern verhaftet, doch die damals 17-Jährige verriet der Gestapo trotz Folter nichts. Deportiert in das KZ Ravensbrück wog sie am Kriegsende knapp 28 Kilogramm.
Foto: Stefan Hanke
19 / 33
"Meine neue Mutter brachte mich nach der Befreiung zum Fotografen. Ich sollte in hübscher Tracht gekleidet tanzen. Aber die Schmerzen in meinen Beinen waren zu groß, ich fiel um."
Lidia Skibicka-Maksymowicz 2014 im Kinderblock 16 a der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. In ihren Händen hält sie das Foto, das sie nach der Befreiung zeigt.
Am 4. Dezember 1943, kurz vor ihrem dritten Geburtstag, wurde Ljudmila Boczarowa, wie Lidia Skibicka-Maksymowicz damals noch hieß, mit ihrer Familie nach Auschwitz-Birkenau deportiert. SS-Arzt Josef Mengele nahm an dem Mädchen grausame Versuche vor, die sie für lange Zeit schädigten - so entnahm er ihr Blut und injizierte dafür Kochsalzlösungen. Nach der Befreiung von Auschwitz adoptierte ein polnisches Ehepaar das traumatisierte Kind, ohne zu wissen, dass deren Mutter einen Todesmarsch am Kriegsende überlebt hatte. Erst 1962 erfuhr Lidia Skibicka-Maksymowicz, dass ihre Mutter in der UdSSR lebte, und reiste mit ihrem Mann und ihren Adoptiveltern zu ihr.
Foto: Stefan Hanke
20 / 33
"Die Liebe ließ mich überleben."
Pavel Stránský steht 2014 im Schwurgerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalastes vor der Anklagebank, auf der sich die Hauptvertreter des NS-Regimes für ihre Taten verantworten mussten. Er trägt seinen schlichten Ehering aus Stahl, den er noch vor dem Transport nach Theresienstadt bekam.
Um nicht getrennt nach Auschwitz deportiert zu werden, ließen sich Pavel Stránský und seine Freundin Vera 1942 im Ghetto Theresienstadt - Durchgangsstation für die Vernichtungslager im Osten - Ringe aus einfachem Stahl schmieden und heirateten. Kurz danach kamen sie tatsächlich beide nach Auschwitz-Birkenau. Doch dort wurden sie getrennt; Pavel wurde später als Zwangsarbeiter in das Außenlager Schwarzheide deportiert, Vera kam nach Bergen-Belsen. Zwei Monate nach Kriegsende sahen sich die beiden in Prag wieder und heirateten ein zweites Mal.
Foto: Stefan Hanke
21 / 33
"Die jungen Mädchen aus Holland baten mich, die Haare nicht zu kurz zu schneiden. Nur wenige Meter von den Gaskammern entfernt, haben sie nicht verstanden, dass dies ihre letzte Station ist."
Philip Bialowitz, KZ-Überlebender von Sobibór, hält 2014 einen Ziegelstein einer Gaskammer in seinen Händen. Im Hintergrund arbeiten die Archäologen Yoram Haimi und Wojciech Mazurek, die unter einer Asphaltdecke die Fundamente der Gaskammern von Sobibór entdeckt hatten - und damit den Beweis der industriell betriebenen Vernichtungsanlage, die nach Schätzungen zwischen 170.000 und 250.000 Opfer forderte.
Der Sohn eines jüdischen Lederfabrikanten aus Polen wurde Anfang 1943 mit zwei seiner Schwestern und einem Bruder in das KZ Sobibór deportiert. Philip Bialowitz' Schwestern kamen im Gas um, er und sein Bruder mussten als Arbeitshäftlinge nach verstecktem Geld in der Kleidung der ermordeten Juden suchen. Gelegentlich wurde Philip auch als "Friseur" vor den Gaskammern eingesetzt. Im Oktober 1943 wagten die Arbeitshäftlinge, unter ihnen die Brüder Bialowitz, einen Aufstand, bei dem sie mindestens zwölf SS-Angehörige töteten. Die Bialowitz-Brüder gehörten zu den ganz wenigen, die entkommen und den Krieg überleben konnten.
Foto: Stefan Hanke
22 / 33
"Der Lagerarzt Obersturmführer Friedrich Entress hatte großes Interesse an Tätowierungen. Eines Tages musste ich deshalb für ihn einen deutschen Häftling fotografieren, der von stattlicher Figur war und eine wunderschöne Tätowierung hatte, das ganze Paradies, künstlerisch gemalt in Rot und Blau. Drei Monate später rief mich ein Mithäftling in das Krematorium, er wollte mir etwas Besonderes zeigen. Es war diese Tätowierung, aufgespannt in einem Holzrahmen. Ich fragte ihn, wer das befohlen hätte. Die Antwort: 'Lagerarzt Entress hat es befohlen, wir sollen das Leder sorgfältig gerben, es soll später als Buchumschlag dienen'."
Wilhelm Brasse sitzt 2011 zu Hause mit einigen seiner Fotografien, die er als Häftling in Auschwitz anfertigen musste - darunter auch das einzige Hochzeitsporträt eines Häftlings in Auschwitz, des später hingerichteten Rudolf Friemel.
Trotz seiner österreichischen Familienwurzeln weigerte sich Wilhelm Brasse, die polnische Staatsangehörigkeit aufzugeben und der Wehrmacht beizutreten. Im August 1940 wurde er nach Auschwitz deportiert, wo er zunächst in einem Leichenräumkommando arbeiten musste, bevor er dank seiner fotografischen Ausbildung und Deutschkenntnisse den Posten des Lagerfotografen bekam. Von 1940 bis 1945 machte Brasse in Auschwitz rund 40.000 Fotos von Häftlingen, Hunderte Porträts von SS-Männern sowie Aufnahmen von pseudomedizinischen Experimenten. Nach dem Krieg versuchte er, wieder als Fotograf zu arbeiten, musste aber seinen Beruf wechseln, weil ihn die Bilder der von ihm fotografierten Todgeweihten verfolgten. Brasse starb 2012 im Alter von 94 Jahren.
Foto: Stefan Hanke
23 / 33
"Am Anfang konnte ich es nicht nachvollziehen, einen Orden aus Deutschland dafür zu bekommen, dass ich erzählte, was Deutsche gemacht haben."
Zofia Posmysz steht am Morgen nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes im Jahr 2012 in einer Baracke des ehemaligen Frauenlagers von Auschwitz-Birkenau. Am linken Arm ist die Tätowierung ihrer Häftlingsnummer zu sehen. Am Revers trägt sie das Verdienstkreuz und am Hals das Medaillon des Christuskopfes des Widerstandkämpfers Tadeusz Paolone-Lisowski, zu dem sie eine tiefe spirituelle Bindung hat. Er war an der Organisation eines Häftlingsaufstandes beteiligt, wurde jedoch vorher erschossen. Zofia trägt dieses Medaillon seit der Lagerzeit.
Schon 1942 kam sie nach Auschwitz-Birkenau, wo sie als 19-Jährige unter Typhus und blutigem Durchfall litt, doch Zofia Posmysz überlebte und hatte weiter Glück: Im März 1943 wurde sie ins Küchenkommando versetzt, ein begehrter Posten in Auschwitz, zwei Monate später wurde sie zur "Schreiberin" befördert. 1943 lernte sie den Widerstandskämpfer Tadeusz Paolone-Lisowski kennen. Nach der Befreiung arbeitete sie beim polnischen Hörfunk und verarbeitete ihre Lagererfahrung literarisch, etwa in dem Buch "Christus von Auschwitz".
Foto: Stefan Hanke
24 / 33
"Mein Vater war immer mein Schutzengel. Er gab an, ich sei Jahre älter, und so überlebte ich die Selektionen. Er pflegte mich, als ich Fleckfieber hatte, und rettete mich in den letzten Kriegstagen."
Bernard Marks steht 2010 im Portal der Heilig-Kreuz-Kirche in Landsberg am Lech. Hier suchte er als junger Häftling eines Baukommandos vor einem Unwetter Schutz und wurde von einem Priester barsch abgewiesen. Mit Davidstern und am Hemdkragen mit amerikanisch-israelischer Flagge geschmückt, betont er, dass ihn nun niemals mehr jemand verjagen könne.
Lange konnte Josef Makowski, jüdischer Bekleidungsfabrikant im polnischen Lódź, seinen Sohn Ber schützen. Im Ghetto Lódź verhalf er ihm zu einer Arbeit in einer Schneiderei und machte ihn dabei deutlich älter, als er war. Diese falsche Altersangabe rettete Ber, der sich nach dem Krieg Bernard nannte, bei seiner Ankunft in Auschwitz-Birkenau 1944 vor dem sicheren Tod. Seine Mutter und sein jüngerer Bruder wurden sofort ermordet, Ber und sein Vater in ein Außenlager des KZ Dachau verschleppt, wo sie in einer unterirdische Rüstungsfabrik - Tarnname "Weingut II" - bis zum Kriegsende schuften mussten.
Foto: Stefan Hanke
25 / 33
"Als ich zum ersten Mal in die Leichenhalle musste, dachte ich, ich bin in der Hölle. Ich suchte mir eine nicht so schlimm aussehende Leiche, um neben ihr das mitgebrachte tote Baby abzulegen."
Marie-José Chombart de Lauwe steht 2012 an der Treppenanlage zum Ufer des Schwedtsees in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück. In diesen See wurde auch die Asche der Toten aus dem Krematorium geschüttet. Zum Gedenken an die Opfer legt sie eine Nelke auf das Wasser.
Mit 17 schloss sich die Französin 1940 der Résistance an, in der auch ihre Eltern aktiv waren, und konnte als Kurierin Informationen für den britischen Geheimdienst liefern. Nachdem ein Doppelagent die Widerstandszelle auffliegen ließ, wurden Marie-José Chombart de Lauwe und ihre Eltern im Mai 1942 verhaftet. Aufgrund Hitlers "Nacht-und-Nebel-Erlasses" wurden sie und ihre Mutter 1943 ins KZ Ravensbrück verschleppt; als "NN-Häftlinge" existierten sie nun offiziell nicht mehr. Als Krankenpflegerin erlebte sie, wie im Block 11 des KZ Neugeborene in Wassereimern ertränkt wurden, konnte aber helfen, ein Baby vor den Kontrollen zu verstecken. Nach dem Krieg arbeitete sie zeitweise als Hebamme, um ihre schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten.
Foto: Stefan Hanke
26 / 33
"Es ist legitim, ja legal, sich den Totengräbern der Demokratie entgegenzustellen!"
Martin Löwenberg 2010 an der Feldherrnhalle in München, die für die Nationalsozialisten wegen des 1923 dort niedergeschlagenen Hitlerputsches zur Kultstätte wurde.
Der Sohn engagierter Sozialdemokraten wurde nach der Machtergreifung Hitlers schon früh wegen der jüdischen Herkunft des Vaters ausgegrenzt und von seinem Schuldirektor öffentlich als Mitglied "einer minderwertigen Rasse" bezeichnet. Martin Löwenberg wurde nach seiner Verhaftung Anfang Mai 1944 gefoltert und über das KZ Flossenbürg nach Thil-Longwy deportiert, ein Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof. Dort leistete der 19-Jährige im Erzstollen bei der Baufirma Polensky & Zöllner für die Kriegsindustrie Zwangsarbeit. Bei Kriegsende musste er im Außenlager Leitmeritz für die geplante Rüstungsproduktion des Berliner Konzerns Osram arbeiten - ein Einsatz, den etwa 4500 von 18.000 Häftlingen nicht überlebten.
Foto: Stefan Hanke
27 / 33
"Ein Arzt mit Kopfspiegel zog mir die Zunge raus, ich versuchte zu schreien - unmöglich. Er zwickte mir mit einer Zange das Gaumenzäpfchen ab, ich hatte schreckliche Schmerzen. Der Arzt wollte sehen, ob ich danach noch sprechen konnte, aber er verlor schon schnell sein Interesse an mir."
Alexej Heistver 2013 in seiner Wohnung in Wismar vor den Bildern seiner Söhne, die in Moldawien durch antisemitische Übergriffe zu Tode kamen.
Alexej Heistver, geboren 1941, wuchs im Ghetto der litauischen Stadt Kaunas auf, das die deutschen Besetzer 1943 in ein KZ umwandelten. Als seine Eltern in Lager nach Deutschland deportiert wurden, missbrauchte ein SS-Arzt 1944 den Dreijährigen für pseudomedizinische Forschungen. Alexej konnte nach dem Eingriff nicht mehr sprechen. Nach dem Krieg wurde er von dem sowjetischen Militärjournalisten Major Valentin Heistver adoptiert, lernte zu sprechen, doch der Antisemitismus trübte weiter sein Leben: 1993 starb in Moldawien erst sein Sohn Alexej aufgrund unterlassener Behandlung im Krankenhaus, vier Jahre später erschlug ein nationalistischer Schlägertrupp auch noch seinen Sohn Sergej mit Eisenstangen.
Foto: Stefan Hanke
28 / 33
"Die Zeit mit Bauchtyphus war für mich die schlimmste in Dachau. So viele Junge von uns sind gestorben. Man fragt sich, ich bin doch noch jung, warum soll ich?"
Vladimír Feierabend 2011 im "Schubraum" der KZ-Gedenkstätte Dachau, wo er einst für die politische Abteilung bei der Registrierung der ankommenden Häftlinge arbeiten musste. Hier erlebten sie nackt den gewaltsamen Verlust jeglicher persönlicher Rechte und Freiheiten. Im Hintergrund der spöttische Hinweis der SS auf das Rauchverbot.
Nachdem tschechische Widerstandskämpfer den SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich im Juni 1942 ermordet hatten, rächte sich das NS-Regime auch an der Familie von Vladimír Feierabend, dessen Onkel Mitglied der tschechischen Exil-Regierung in London war. Zunächst wurde die Familie nach Theresienstadt deportiert, dort aber getrennt. Am 11. September 1942 kam der 18-jährige Vladimír mit seinem 81-jährigen Großvater, seinem Vater und seinem Bruder in Dachau an. Er überlebte im KZ einen Bauchtyphus und katastrophale hygienische Bedingungen. Am 29. April 1945 befreite die US-Armee das KZ, der Großvater starb jedoch nur Tage nach seiner Rückkehr in Prag an den Folgen der Haft.
Foto: Stefan Hanke
29 / 33
"Viele fragten mich, wie konntest du nach allem noch eine Deutsche heiraten? Aber ich sah in ihr nur die Frau, die ich liebte!"
Leslie Kleinman 2013 an der Durchfahrt der ehemaligen Kommandantur der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Auf seinem Arm ist die tätowierte Häftlingsnummer A 8230 aus dem KZ Auschwitz-Birkenau zu sehen.
Der Sohn eines rumänischen Rabbiners wurde im Mai 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort überlebte Leslie Kleinman nur, weil er bei der Ankunft den Rat eines jüdischen Häftlings befolgte und sich älter ausgab als er war - 17 statt nicht einmal 15. Seine Mutter und seine Geschwister wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet. Lazar, wie er damals noch hieß, musste in Auschwitz-Monowitz in den Buna-Werken Zement und Kohle verladen. Er erlebte willkürliche Hinrichtungen und wurde am Kriegsende auf drei Todesmärsche geschickt - erst nach Sachsenhausen, dann nach Flossenbürg und schließlich nach Dachau, wo ihn Ende April 1945 die US-Armee befreite.
Foto: Stefan Hanke
30 / 33
"Nein, ich möchte nicht noch einmal in die frühere Schneiderei von Ravensbrück, das halte ich nervlich nicht aus. Wir können aber gerne hier etwas entfernt fotografieren."
Monique Hesling 2012 auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück, im Hintergrund die Baracken der ehemaligen Schneiderei, in der sie arbeiten musste.
Die französische Glasschneiderin Monique Hesling wurde 1943 wegen angeblicher antideutscher Äußerungen verhaftet und in das KZ Ravensbrück deportiert. Dort musste sie zwölf Stunden pro Tag in der Schneiderei Kleidung und Mützen für Häftlinge herstellen. Jedes schlecht gearbeitete Werkstück konnte ihr als Sabotage ausgelegt und drakonisch bestraft werden. Hesling wurde am 23. April 1945 dank des Internationalen, Schwedischen und Dänischen Roten Kreuzes befreit, das Tausende Häftlinge ins schwedische Linköping evakuierte.
Foto: Stefan Hanke
31 / 33
"Nach den Arbeiten in Babi Jar warteten wir in Zweierreihen auf den Tod. Die Gewehre zielten schon auf mich, da befahl ein SS-Offizier: 'Der nicht!' - ein Wunder!
Wolodymyr Scharlej 2013 an der ehemaligen Lagerstraße der KZ-Gedenkstätte Dachau.
Er heiratete noch schnell seine Schulfreundin Ljuda in der Hoffnung, so der Deportation aus der Ukraine zu entgehen, doch eines Nachts stand die SS vor seiner Tür. Wolodymyr Scharlej wurde nach Babi Jar bei Kiew verbracht, wo im September 1941 Wehrmacht, Sicherheitspolizei und SD mehr als 33.000 Juden massakriert hatten.Bis Sommer 1943 wurden hier weitere Massenerschießungen verübt, mit wohl mehr als 100.000 Toten. Wolodymyr Scharlej musste mit anderen Zwangsarbeitern die Grube, in der Zehntausende Ermordete lagen, mit Sand auffüllen. Als die Erdarbeiten nach drei Wochen beendet waren, wurden fast alle Arbeiter erschossen, Scharlej jedoch wurde im letzten Moment in das KZ Dachau deportiert und später auf einem Todesmarsch befreit.
Foto: Stefan Hanke
32 / 33
"In Zwodau war ich wegen Skorbut am ganzen Körper mit Furunkel befallen. Ich konnte nicht schlafen, nicht liegen, nicht urinieren. Ich bestand nur noch aus Eiter und Blut. Dort sprach ich zum lieben Gott und bat ihn um Erlösung. Da ich keine Antwort vom lieben Gott bekam, hörte ich auf, an ihn zu glauben. Aber wer war dann 'zuständig' für mein Überleben?"
Josef Salomonovič 2011 vor einem Wachturm der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. In seiner Hand hält er das kleine Flugzeug, das ihm am Tag der Befreiung ein amerikanischer Kriegsgefangener geschenkt hatte. Dieser Mann hatte in einer Scheune, neben jener, in der Josef und seine Familie auf der Flucht Unterschlupf gefunden hatten, versteckt gelegen.
Josef war erst drei Jahre alt, als seine Familie in Prag verhaftet und in das polnische Ghetto Litzmannstadt deportiert wurde, um dort für die Deutschen Munitionswerke zu arbeiten. Für den kleinen Josef Salomonovič begann damit eine Odyssee, die ihn über Auschwitz-Birkenau und Stutthof, wo sein Vater ermordet wurde, in das tschechische KZ-Außenlager Zwodau führte. Dort lag er in einer Kiste mit Holzwolle, ausgezehrt vom Hunger, bis die Häftlinge Mitte April 1945 in einem Todesmarsch Richtung Süden getrieben wurden. Dabei gelang es seiner Mutter, mit ihm und seinem älteren Bruder zu fliehen.
Foto: Stefan Hanke
33 / 33
"Mein Vater beschwor mich: 'Sie haben meine Frau und meine Tochter ermordet, du musst überleben und der Welt berichten, was geschehen ist!'"
Harry Zansberg steht 2011 im bayerischen Stamsried unweit der Stelle seiner Befreiung durch die US-Armee. In seinem Gesicht spiegelt sich noch einmal die Freude über das wiedergewonnene Leben.
Mit 17 Jahren erlebte er, wie SS-Unterscharführer Reinhold Feix im polnischen Ghetto Belzyce bei Lubin die Juden aus ihren Häusern jagen ließ. Mit Entsetzen sah Herschel Zancberg, wie er damals noch hieß, wie Feix Hunderte am Boden liegender Menschen erschoss, darunter seine Mutter, seine Schwester und mehrere Tanten. Hershel musste die Kleider der Toten einsammeln und wurde später in das KZ Budzyn deportiert. Dort wurde auch sein Vater ermordet, während er Zwangsarbeit in den Heinkel-Flugzeugwerken leisten musste. Nach weiteren Stationen, darunter das KZ Flossenbürg, erlebte der junge Mann am Kriegsende erneut Massenerschießungen der SS, bevor ihn am 23. April 1945 die US-Armee befreite.