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Hot Rods: Raketen vom Recyclinghof

Foto: speedseekersbook/Tom West

Hot Rods Raketen vom Recyclinghof

8000 wütende PS unterm Gaspedal: Seit achtzig Jahren verwandeln amerikanische Autofans schrottreife Karren in kraftstrotzende Rennmonster. Ein Bildband dokumentiert nun die Geschichte der Hot Rods und ihrer wahnwitzigen PS-Kultur - die mit getunten Ford Ts begann.

Die Geburtsstätte der heißesten Autokultur der Welt waren Schrottplätze. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts stapeln sich auf den Autofriedhöfen Amerikas ausgemusterte Ford Modell T. Sie sind für kleines Geld zu haben, an Ersatzteilen herrscht kein Mangel, die Technik ist beherrschbar. So wird das Altmetall zum Zündfunken für eine Motorsportgattung, die heute noch genauso fasziniert wie vor achtzig Jahren: Hot Rods, bis an die Grenze des machbaren hochgezüchtete PS-Monster.

Zu Hunderten zerrten damals Jugendliche vor allem in Kalifornien das Auto des kleinen Mannes von den Halden und machten sich auf die Suche nach dem Top Speed. Weil Gewicht Leistung kostete und langsam machte, entfernten sie alles, was nicht unbedingt gebraucht wurde. Kotflügel, Motorhauben, Windschutzscheiben und die Beleuchtung mussten weichen. Zurück blieb eine nackte, gestrippte Fahrmaschine, in der meist gerade noch ein einsamer Fahrersitz thronte. "So wurde der Ford T vom Auto für die Massen zum Rennwagen für die Massen", schwärmt Tony Thacker, Chef des Museums der amerikanischen "National Hot Rod Association" (NHRA) und damit einer der wichtigsten Hüter der Hot-Rod-Historie.

Schon Mitte der zwanziger Jahre spezialisierten sich Firmen wie "Paul Chappels Speed Shop" in Los Angeles oder "Bell Auto Supply" im nahe gelegenen Ort Bell darauf, das Modell T, im Volksmund Tin Lizzy genannt, heiß zu machen. Mit Mehrfachvergasern, hochverdichtenden Zylinderköpfen oder radikalen Nockenwellen heizten sie dem Ford-Triebwerk ein. "So wurden aus den 20 PS ab Werk locker 60 PS im Tuning-Trimm, genug, um den leichten T auf rund 160 km/h zu beschleunigen", weiß Thacker. "Das mag uns heute nicht mehr schockieren, war für damalige Verhältnisse aber sagenhaft."

So traf sich Anfangs eine kleine, eingeschworene Gemeinde auf den ausgetrockneten Seen der Mojave-Wüste unweit von L.A. oder auf einer der vielen Landstraßen zum Duell. Das Credo der Bewegung: Möglichst schnell die Viertelmeile zu durchfahren, auf der Wüstenstrecke eine volle Meile. Mann gegen Mann, Maschine gegen Maschine, immer mit maximaler Geschwindigkeit geradeaus.

Muskelspiel mit acht Zylindern

"Es war verrückt, und es war vor allem auch gefährlich", beschreibt Tony Thacker die Kehrseite des Hot-Rodding der frühen Tage. Immer wieder kam es bei den Straßenrennen zu tödlichen Unfällen. "Oft starteten bei den Rennen in der Wüste mehrere Fahrer gleichzeitig. Sehen konnte dann nur noch der führende - alle Fahrer hinter ihm waren in seine Staubwolke gehüllt. Besonders gefährlich wurde es nachts. Es kam durchaus vor, dass Fahrer von den entgegengesetzten Enden der Strecke starteten und sich dann in der Mitte trafen. Das überlebte in der Regel keiner der beiden."

Weil die teilweise verheerenden Unfälle immer öfter die Titelseite der Lokalzeitungen zierten und Hot-Rodding zunehmend als öffentliches Ärgernis betrachtet wurde, gründeten Fans 1937 die Southern California Timing Association (SCTA). Sie führte nach Karosserietyp und Hubraum gegliederte Rennklassen sowie Sicherheitsbestimmungen für die Rennen ein.

Das war dringend nötig, denn fünf Jahre zuvor hatte Henry Ford dem Hot-Rodding erneut einen entscheidenden Impuls gegeben, der die gefährliche Entwicklung im wahrsten Sinne des Wortes beschleunigte - sein Modell B und einen neuen V8-Motor. Der Ford B, im Volksmund auch einfach nur "'32" oder "Deuce" genannt, war extrem leicht - und damit prädestiniert für den Umbau zum Hot Rod. Und mit dem wegen seiner Zylinderkopfbauart "Flathead V8" genannten neuen Motor ließ der Autogigant aus Detroit mächtig die Muskeln spielen - das neue Aggregat war der erste in Massenproduktion hergestellte Achtzylinder der Welt und soll später einmal als einer der einflussreichsten Motoren überhaupt in die Geschichte eingehen.

Endlich hatten die Jungs, die sich am Wochenende zum Duell trafen, ein potentes Triebwerk, dem man mit wenigen Eingriffen brutale Leistung entlocken konnte. Wie Zauberformeln wurden die "Speed Secrets", die Erfahrungen und Erkenntnisse beim Tuning, von Hinterhof zu Hinterhof weitergegeben. Alle experimentierten, alle wollten dem Motor das Maximum an Leistung abringen. Es waren Expeditionen an die Grenzen der Mechanik. "Ein heiß gemachter Hot-Rod-V8 klingt nicht mehr wie ein gesunder Motor, sondern als ob in seinem Inneren alle Schrauben locker sind - und er gleich auseinanderfliegt", beschreib Tony Thacker den typischen Hot-Rod-Sound.

Aus 85 PS werden 700 PS

Mit dem leichten "Deuce" und dem Flathead-V8 hatte Ford eine Blaupause für Hot Rods geschaffen, die bis heute Bestand hat - nagelneue "Deuce"-Karosserien sowie die Rahmen gibt es derzeit von mehreren Herstellern zu kaufen. Denn die Kombination aus leicht und leistungsstark ermöglichte völlig neue Geschwindigkeiten. Der Flathead-V8, ab Werk mit 85 PS taxiert, war damals leicht und locker gut für 200 oder 300 PS, moderne Tuner entlockten dem Triebwerk sogar 700 Pferdestärken. So fuhren die Hot-Rodder auf dem Salzsee nun nicht mehr 160 Kilometer pro Stunde - sondern 320.

Entscheidend für die Entwicklung des Hot-Rodding vom rebellischen Extremsport zum Massenspektakel war letztlich der Zweite Weltkrieg, sagt Experte Thacker: "Viele Hot-Rodder hatten statt eines Fotos ihrer Frau oder Freundin ein Bild ihres Hot Rod mit an die Front genommen. Das zeigten sie jedem der sich nicht wehrte und erzählten ihm alles über ihren Schatz zu Hause." So wurde der Krieg zum wirksamen Multiplikator für die Faszination des Hot-Rodding.

Außerdem verschickte die SCTA auch im Krieg einen Newsletter an alle ihre Mitglieder. "Und was machst du, wenn du irgendwo in den Philippinen an der Front sitzt und gerade nichts zu tun hast? Du liest natürlich den Newsletter, auch wenn du vorher von Hot-Rodding noch nie was gehört hast", lacht Thacker. So verbreitete sich der Hot-Rod-Virus in den Reihen der U.S. Army - um nach Kriegsende die Vereinigten Staaten wie eine Epidemie zu überfallen.

Farmer zu Ingenieuren

"Viele Heimkehrer hatten sich im Krieg ein enormes Wissen angeeignet, vor allem Mitglieder von Air-Force-Einheiten", weiß Thacker. "Sie hatten neue Werkstoffe wie Aluminium und hochoktaniges Flugbenzin kennengelernt." Oder sie wussten nun, wie man einem Motor mithilfe eines Kompressors eine Leistungssteigerung von 50 Prozent abringen konnte. "Diese Jungs waren als Farmer in den Krieg gezogen - und kamen als Ingenieure zurück", erklärt der Autohistoriker.

Ihr Wissen übertrugen sie nun auf das Hot-Rodding, das in den ersten Jahren nach dem Krieg einen unvergleichlichen Boom erlebte. Bastelmaterial gab es auf Amerikas Schrottplätzen wieder reichlich: Dort stapelten sich inzwischen die vor dem Krieg noch relativ neuen Ford Model B und Flathead-V8-Motoren. 1948 fand in Los Angeles die erste Hot-Rod-Ausstellung statt, mit 10.000 Besuchern. 1950 erschien die erste Ausgabe des "Hot Rod Magazine", dessen Verkaufsauflage nach wenigen Nummern bei 300.000 Stück lag. Hot-Rodding wurde zur Jugendkultur. Mit Surf-Rock etablierte sich der Sound zu diesem Lifestyle, die ehemaligen Soldaten prägten mit ihren gewagten, oft knallbunt lackierten Roadster-Kreationen den Look der Bewegung.

Eine ganze Generation von männlichen Jugendlichen zog sich von Montags bis Donnerstags jeden Abend in die Garage zurück, um zusammen mit Freunden am Hot Rod zu schrauben. Am Freitag, Samstag und Sonntag wurde der Rod dann ausgefahren. "Gerade in Kalifornien war das gang und gäbe", erklärt Thacker. Hier spielt sich das Leben fast ausschließlich auf der Straße und im Auto ab. Es gibt Drive-In- Restaurants, Drive-In-Kinos und Drive-In-Kirchen. Was es nicht gibt, ist eine Barkultur. "In Bars gingen nur Trinker - den Jugendlichen blieb also gar nichts anderes als ihr Auto, um zum Beispiel mit dem anderen Geschlecht anzubandeln. Wer ein Mädchen kennenlernen wollte, musste sich ins Auto setzen und herumfahren. Wer in einem coolen Hot Rod saß, vergrößerte damit also seine Chancen, auch an ein cooles Mädchen heranzukommen", formuliert Thacker die einfache Motivation vieler Rodder.

Abschied vom Anarcho-Image

Doch beim Drive-In-Hopping ging es nicht nur um Mädchen, hier brach sich auch der andere Urtrieb der Hot-Rodder Bahn: Auf den Parkplätzen wurden Autos begutachtet, die Motoren geprüft und Paarungen für Duelle festgelegt. Dann ging es los, zum Rennen Mann gegen Mann, Maschine gegen Maschine, draußen vor der Stadt. Die üblen Unfälle, die laute Rock'n'Roll-Musik, die die Hot-Rodder jetzt fast ständig begleitete, und die unter Alkoholeinfluss immer wieder ausartenden Treffen allerdings waren "eine ungute Kombination, die immer wieder für Ärger sorgte", resümiert Thacker. Das Image der fanatischen Schrauber in der Öffentlichkeit war bald unter alle Kanone.

Rettung, wenn man so will, nahte in Gestalt von Wally Parks. Parks, der schon in den dreißiger Jahren Wüstenrennen gefahren war und 1948 das "Hot Rod Magazine" mitgegründet hatte, hatte eine Marktlücke ausgemacht: Hot-Rodding, so seine Vision, müsse vom Outlaw-Hobby zu einem Massenphänomen zu machen sein. Und so gründete Parks 1951 die "National Hot Rod Organisation" (NHRA), die Hot-Rodding von seinem Negativimage befreien sollte. Die NHRA stellte ein umfangreiches Regelwerk auf, verlegte die Rennen von der Straße auf ausgediente Landebahnen und ließ sogar eigene Drag-Strips für das neue Massenphänomen errichten. Außerdem kooperiert sie mit der Polizei in Sachen Sicherheit.

Auch wenn das neue Saubermann-Image vom anarchischen Geist der Anfänge meilenweit entfernt war: Bald brummte das Hot-Rod-Business. Mitte der fünfziger Jahre hatte das Hot-Rod-Fieber die USA voll erfasst - bald gab es nicht mehr nur Hot Rods, sondern zahllose Unterspielarten: Customs, Dragster, Muscle Cars. Und zwischen all diesen Gattungen sind die Übergänge fließend. "Das ist der Witz beim Hot-Rodding. Du kannst es nicht erklären. Es ist einfach zu groß, es passt in kein Schema", seufzt Thacker. Und so bleibt das kommerzialisierte Hot-Rodding von Heute den Pionieren von damals doch in einer Hinsicht ähnlich - auch die Jugendlichen in den Zwanzigern mit ihren gestrippten Ford Ts wollten sich ums Verrecken nicht in eine Schublade pressen lassen.

Zum Weiterlesen:

Alexandra Lier: "Speedseekers". Gingko Press, Corte Madera 2008, 274 Seiten. Das Buch erhalten Sie im SPIEGEL-Shop.

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