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Allein auf dem Meer: Immer gegen den Wind

Foto: Wilfried Erdmann

Im Segelboot um die Welt "Ich hatte mit meinem Leben abgeschlossen"

Orkanartige Stürme, knapper Proviant, gebrochene Rippen, und immer diese Einsamkeit: Als erster Deutscher segelte Wilfried Erdmann vor zehn Jahren nonstop um die Welt - gegen den Wind. Auf einestages erinnert er sich an seine spektakuläre Reise.

Am meisten bewundere ich mich dafür, dass ich den Aufbruch zu dieser Fahrt geschafft habe, hatte ich doch mit dem Widerstand meiner Frau zu kämpfen: "Nein, nein, nein," hatte sie gesagt, als ich ihr von meinem Vorhaben erzählte, "das Ganze ist dreimal verrückt, für jeden Ozean einmal!" Erst mit der Zeit und der umfangreichen Logistik brachte ich sie auf meine Seite.

343 Tage. Elfeinhalb Monate ununterbrochen allein auf dem Meer. Mit meinem Schiff, der "Kathena nui", einer Slup von 10,60 Metern Länge. Einmal um die Welt segeln - 1984/1985 hatte ich mir diesen Traum schon einmal erfüllt. Von Kiel nach Kiel in 271 Tagen. Sechs Jahre später wollte ich es noch einmal versuchen, diesmal anders herum. Also gegen den Wind um Kap Hoorn, südlich von Neuseeland und Australien und um das berühmte Kap der Guten Hoffnung durch den gefürchteten südpolaren Ozean. Salzgetränkte 32. 000 Seemeilen.

Es ist kein Pappenstiel, auch für mich nicht, der ich schon viel allein gesegelt war. In meinem Logbuch halte ich am zweiten Tag fest: Abschied in Cuxhaven reißt im Gesicht. Mein Zustand ist wie das Wetter: gräulich. Am liebsten würde ich mich verstecken. Vor Anker gehen, doch in der Deutschen Bucht gibt es keine geschützten Buchten. Dafür Lichter, Leuchtfeuer, Schiffe, Tonnen, Sandbänke. Wind kommt zudem frisch von dort, wo ich hinwill. - Die Seele ist auf Halbmast. Und nur einen Tag später: Wie soll das bloß werden? In den Stürmen immer gegenan. Schräg, schräger, am schrägsten. Entsetzliche Gedankensplitter machen mich mutlos. Es beginnt schwierig - wie alle Vorhaben, die sich lohnen.

Ausflug ins Meer

Zehn Tage später ein ganz anderes Bild. Ich habe Nordsee und Englischen Kanal gepackt, bin im offenen Atlantik auf Südkurs und feiere meine ozeanische Wiedergeburt mit einer Flasche Bier. Göttlich. Der Blick wandert übers Meer. Diese Weite, dieses tiefe, reine Blau mit kleinen weißen, anlaufenden Kämmen. Einfach traumhaftes Segeln. Mit 6 bis 7 Knoten zerteilt der Bug das Blau, lässt es weiß schäumen.

Logbucheintrag vom 14. September, dem 32. Tag meiner Reise: Tagelang Windstille. Dann schwächliche Brisen. Große Hitze. Unter Deck bestimmt 40 Grad. Der Aluminiumrumpf heizt sich enorm auf. Ozean makellos blau. Die Dünung lang. Das Boot torkelt, die Segel schlagen, Taue knarren, Beschläge knallen.

Ich bin in den Mallungen, den Flautenzonen nördlich des Äquators. Nachts gibt es Böen und den "fallenden Himmel", einen tropischen Wolkenbruch. Es gelingt mir, 60 Liter bestes Regenwasser aufzufangen. Damit sind die Tanks von 250 Litern wieder gefüllt, und ich habe zudem noch Wasser zum Waschen. Tagsüber springe ich bei Flaute ins Meer, um das Unterwasserschiff zu schrubben. Entenmuscheln haben sich angesetzt. Mit Taucherbrille und Malerspachtel rücke ich ihnen zu Leibe.

Hohe Wellen, gebrochene Rippen

Drei Monate später sieht die Welt um mich herum ganz anders aus. Graumilchig tobt die See, der Himmel ist matschgrau. Wie Pulverschnee zerstäuben die Schaumkronen der Wellenkämme in Lee. Wenn sie das Schiff auf der Luvseite treffen, knallt es wie Donner. Seit Kap Hoorn fahre ich Kreuzkurs, also einen Zick-Zack-Kurs gegen den Wind. Das bedeutet aber auch viel Gischt, viel Nässe und Arbeit. Alles bei Dauerschräglage in einem feindlichen Meer.

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Allein auf dem Meer: Immer gegen den Wind

Foto: Wilfried Erdmann

Kochen jedoch bleibt ein strategisches Problem. Mit weit gespreizten Beinen und festen Schuhen, um mich gegen die Möbel verkeilen zu können, zurre ich den Topf auf dem Petroleumkocher fest. Eine Hand dient zum Festhalten, mit der anderen wird gerührt.

Abgesehen von Müdigkeit glaube ich eigentlich, die Verhältnisse im Südpolarmeer im Griff zu haben, als mich in der Nacht eine heulende Bö aus der Koje holt. Ich steige sofort ins Ölzeug und an Deck, um das Großsegel zu reffen. Dabei wirft mich eine Welle hart gegen den Großbaum. Ich sacke am Mast zusammen wie ein Boxer nach einem Knockout. Die dritte Rippe auf der rechten Seite ist gebrochen. Stechender Schmerz bei jeder Bewegung. Für die nächsten Tage ist mir der Spaß vergangen. Mit der linken Hand festhalten. Mit der linken Hand winden. Alles ist anstrengend und braucht mehr Zeit.

Der Proviant wird knapp

Die Fahrt, das sehe ich jetzt schon, wird länger dauern als geplant. Und ich, der ich mich immer für einen großen Logistiker gehalten habe, bekomme Proviant-Probleme. Ich ahnte nicht, dass Kälte und lange Tage so viel mehr an Energie kosten. 200 Gramm Pasta könnte ich mittags essen, aber 100 stehen mir nur zur Verfügung.

Ich esse zweimal täglich. Morgens meist Porridge und Knäckebrot, nachmittags Reis oder eben Spaghetti, jeweils mit Gemüse aus der Dose und frischen Zwiebeln. An besonderen Tagen kommt noch das von meiner Frau eingekochte Fleisch in Gläsern hinzu. Tag für Tag krieche ich hungrig in den Schlafsack.

Um Haltung zu bewahren, versuche ich, meinem Bordleben einen festen Rhythmus zu geben. An jedem Wochenende sind große Wäsche und Kleiderwechsel fällig, ein besonderes Essen und eine neue Musikkassette. Die höre ich dann stundenlang, das hat einen Rauscheffekt. Zum Beispiel die Musik von Patricia Kaas, die ich bei normalem Wetter einlege. Suzanne Vega und Loreena McKennitt bei Stille.

Zäher Kampf gegen die Elemente

Die berühmten Kaps und sonstige Feiertage zelebriere ich regelrecht. Besonderes Essen, Bier oder ein Glas Wein, Kerze. Ich erfinde auch Anlässe, um die Länge der Reise zu brechen. Jeder runde Längengrad wird zu solchem Anlass. Rotwein und ein paar rhythmische Tanzschritte sowie aufmunternde Selbstgespräche geben ihm die besondere Note.

Logbucheintrag vom 20. Januar 2001, dem 160. Tag der Reise. Kein Mensch wird je erahnen, wie viel Muskel- und Kopfkraft es erfordert, gegen den Wind zu segeln. Monatelang Gischt, festes Wasser über Deck. Niemand kann sich ein Bild machen, was es heißt, bei Sturm gegenan zu halten. Braucht auch niemand. Bin ja freiwillig unterwegs. Ich bewundere mein Boot. Es kommt besser klar als ich.

Und nur drei Tage später, am 23. Januar 2001. Schlechte Verfassung. Was Wunder nach 3 1/2 Tagen Sturm und erneut schlechten Aussichten. Luftdruck fällt stetig. Ging bisher alles gut, aber immer geht es nicht gut. Schnappe mir den Fäustel, will Barometer zertrümmern, treffe Gott sei Dank nur den Alukochtopf, den ich total niedermache. Bin unberechenbar wie die Natur. Es ist nicht Angst vor den Elementen, es ist tiefe Enttäuschung. Bin verwundert, weil es nicht weitergeht. 14 Längengrade in 14 Tagen. Das sind nur 40 Seemeilen pro Tag. Wann und wie spürt man, wenn man verrückt wird? Spürt man es überhaupt?

Aufgeben? Kommt nicht in Frage

Es sind zwei Logbuchauszüge aus einer Zeit, als mich fünf Sturmfronten in neun Tagen überrollen. Fronten mit bis zu 11 Windstärken. Grässlich. Kurs umlegen? Die Inseln des Pazifiks liegen nicht weit entfernt, wenn ich umkehre. Verlockende Südseeinseln mit Palmen und Wärme. Aber das hieße auch, die Fahrt abzubrechen. Und ich weiß: Danach würde ich nie aufhören, mir zu wünschen, ich hätte es nicht getan. Also weiter. 168 Tage bin ich jetzt unterwegs.

Logbucheintrag vom 7. Mai, es ist der 267. Tag der Reise: Seit Stunden nur noch fliegendes Wasser um mich. Die See mehr weiß als blaugrau. Die Sonne scheint. Man sieht durch das im Wind wehende Wasser wie durch einen Schleier. Herrlicher Anblick. Aber gefährlich. Schwerer Sturm gegen Strömung. Ich denke, dass Wind und See bald nachlassen werden, aber ich täusche mich. In der Abenddämmerung holt "Kathena nui" zum ersten Mal so weit über, dass der Mast der Länge nach auf die See schlägt und platt auf der Seite liegt. Ich sehe durch das Fenster vor mir nur noch blaugraues Wasser.

Der Sturm wird zum Orkan. Dabei dachte ich, mit dem Ende des Südpolarmeeres hätte ich das Schlimmste hinter mir. Jetzt bin ich im Agulhasstrom vor dem Kap der Guten Hoffnung, rund 100 Seemeilen östlich von Port Elizabeth und es wird von Minute zu Minute schlimmer.

Inferno über Deck

Bei Windstärke Neun nehme ich alle Segel weg, verkrieche mich unter Deck und lasse das Schiff quer zu den Brechern treiben. Die Pinne ist mit Gummistropps mittschiffs festgezurrt. Steile, harte Wogen begraben das Schiff unter Tonnen von Wasser. Ich setze mich an die Pinne, um jede einzelne Welle auszusteuern. Doch nach einigen Stunden muss ich aufgeben. Ich schaffe es nicht, das Ruder zu halten, auch nicht mit beiden Händen. Ich kann in dem Inferno um mich herum auch kaum erkennen, aus welcher Richtung die Wellen kommen. Außerdem habe ich Angst, einer der Brecher könne mich aus dem Cockpit zerren und in die See waschen. Ich kuppele die mechanische Selbststeuerung wieder ein und hangele mich in die Kajüte, lege mich auf den Boden und erstarre.

Eine fürchterliche Nacht beginnt. Ich gebe es auf mitzuzählen, wie oft der Mast über den Drehpunkt in die See eindippt und dort für Sekunden feststeht. Die Wellen treffen das Schiff abwechselnd von Steuerbord und - Sekunden später - von Backbord. Ein Phänomen, das ich nie zuvor erlebt habe.

Endlich Stille nach zwei Tagen

Ich werde von einer Seite auf die andere geworfen, fliege in die Koje und wieder heraus. Es gibt vereinzelte Schläge, als ob das Schiff von einem Kran in die Luft gehoben wird und dann abstürzt. Wie lange werden die Fenster das aushalten? Der Mast? Der Rumpf? Und hinzu kommt ein Höllenlärm. Ein orgelndes Pfeifen, Heulen und Jaulen.

Ich bette meinen Kopf auf einem Segelsack, falte die Hände und schließe ab. Das war es also. Ich bin mit 18 per Fahrrad nach Indien gefahren, bin 1966 als erster Deutscher allein um die Welt gesegelt, damals noch mit Zwischenstopps, habe das als einziger Deutscher nonstop wiederholt, habe eine schöne Frau geheiratet, ein Kind gezeugt, ein Haus gebaut, Bäume gepflanzt, Bücher geschrieben. War bestrebt, nie mittelmäßige Sachen zu machen. Und habe deswegen auch diese Reise gewagt. Wenn es jetzt so zu Ende geht - einverstanden.

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Zwei volle Tage tobt das Wetter, dann hat es sich ausgeweht. An Deck beispielloses Chaos. Schoten und Fallen schleifen im Meer. Relingstützen sind verbogen. Stundenlang habe ich mit Aufklaren zu tun. Es ist unglaublich, wie gut das Boot dieses Wetter überstanden hat. Danke. Mein Körper hat mehr gelitten. Er ist voller Prellungen.

Am 274. Tag umrunde ich das Kap der Guten Hoffnung, der Bug zeigt wieder nach Norden. Heimwärts, endlich. 8000 Meilen bis Cuxhaven liegen noch vor mir. Aber das Meer fordert mich nicht mehr. Mein Sohn, wie üblich sehr optimistisch, sagt über Satellitentelefon: "Die segelst du doch jetzt auf einer Pobacke ab." Er behält Recht. 69 Tage später bin ich in der Elbmündung. Nach 343 Tagen auf dem Meer werde ich wieder vom Seemann zum Erdmann.

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