
»Im Westen nichts Neues« Der Kinokrieg um den Antikriegsfilm

- • Filmpionier Carl Laemmle: Mister Universe
- • Frühe Werbung mit Erich Maria Remarque: Im Westen was Neues
Es herrscht Volksfeststimmung an diesem sonnigen Tag anno 1914 in Deutschland. Soldaten paradieren zu den Klängen einer Marschkapelle durch die Stadt, die Menge am Straßenrand jubelt. Durch die offenen Fenster dringt der Lärm ins Klassenzimmer von Paul Bäumer und seinen Kameraden. Anstelle von Unterricht schwört der Lehrer die Schüler auf den Krieg ein. »Süß und ehrenvoll« sei es, »für das Vaterland zu sterben«. Alle springen auf und werfen begeistert ihr Schreibzeug in die Luft – die ganze Klasse meldet sich freiwillig.
Vier Jahre später streckt sich Paul in einer Gefechtspause an der Westfront nach einem Schmetterling, da trifft ihn die tödliche Kugel eines Scharfschützen. »Das war im Oktober 1918«, heißt es aus dem Off, »an einem Tag, der an der ganzen Front so ruhig und still war, dass der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte: ›Im Westen nichts Neues‹.«
Im Sommer 1929 sicherte sich US-Produzent Carl Laemmle, geboren im oberschwäbischen Laupheim, die Filmrechte an Erich Maria Remarques berühmtem Antikriegsroman »Im Westen nichts Neues« für seine Universal Studios. Der Stoff war äußerst populär – aber auch hochumstritten. Nach der Weltpremiere in Los Angeles am 21. April 1930 gab es Oscars für den besten Film und die beste Regie (Lewis Milestone). Derweil wurden in Deutschland Rufe nach einem Verbot laut.
Nachdem Universal International Pictures einige Szenen für die deutsche Fassung gekürzt hatte, erhielt der Film eine mit Jugendverbot und weiteren Schnittauflagen verbundene Kinofreigabe. Am 4. Dezember 1930 folgte im Berliner Mozartsaal die Deutschlandpremiere vor reichlich Polit- und Kulturprominenz wie den Schriftstellern Alfred Döblin und Carl Zuckmayer oder dem »rasenden Reporter« Egon Erwin Kisch. Die Uraufführung verlief ohne Zwischenfälle und hinterließ »tiefe Erschütterung« bei den Zuschauern, wie die »Vossische Zeitung« schrieb.
Schon für den nächsten Tag orchestrierte Joseph Goebbels als Berliner NSDAP-Gauleiter einen Proteststurm. Am Mittwoch, 3. Dezember 1930, notierte er in seinem Tagebuch: »Am Freitag gehen wir in den Film ›Im Westen nichts Neues‹. Da soll den Eunuchen Mores beigebracht werden. Ich freue mich darauf.«
In Zivil mischten sich SA-Männer unter die Kinogäste, um die Vorstellung zu einem verabredeten Zeitpunkt zu unterbrechen. Die Störer warfen Stinkbomben, provozierten Schlägereien, ließen Mäuse los, zerschlugen die Fenster der Kassenhäuschen und überfielen eine Kassiererin mit den Worten: »Geld heraus, Juden heraus, Schluss mit diesem Judendreck!« Die antisemitischen Tiraden richteten sich außer gegen die jüdischen Filmproduzenten auch gegen Hanns Brodnitz, den ebenfalls jüdischen Leiter des Lichtspieltheaters im Mozartsaal.
Danach versammelten sich Tausende Anhänger der Nationalsozialisten und Schaulustige rund um den Mozartsaal am Nollendorfplatz, wo Goebbels vor der Menge eine Rede hielt. Wegen wiederholter Demonstrationen in den folgenden Tagen konnten die Vorführungen nur unter massivem Polizeischutz laufen. Zudem wandten sich die Innenministerien mehrerer Länder mit Verbotsanträgen an die Berliner Film-Oberprüfstelle.
Die Verhandlungen darüber wurden am 11. Dezember 1930 unter Vorsitz des Ministerialrats Ernst Seeger geführt, der im März 1933 zum Leiter der Abteilung Film in Goebbels' Propagandaministerium ernannt werden sollte. Die Prüfstelle widerrief die Zulassung »aus dem Verbotsgrund der Gefährdung des deutschen Ansehens«. Goebbels zelebrierte diesen »Filmsieg« anderntags im NS-Parteiblatt »Angriff«: »Zum ersten Male haben wir in Berlin die Tatsache zu verzeichnen, dass die Asphaltdemokratie in die Knie gezwungen wurde.«
Acht Tage später feierte Gustav Ucickys »Das Flötenkonzert von Sanssouci« im Ufa-Palast am Zoo seine Premiere. Der Film repräsentierte in nahezu allem das Gegenteil dessen, wofür Milestones Werk angefeindet worden war. Rechtskonservative und Nationalsozialisten waren gegen die Remarque-Verfilmung Sturm gelaufen, weil sie die hässliche, würdelose Realität des Krieges schonungslos auf die Leinwand brachte. Nun formierten sich die linken und liberalen Kräfte der Republik zum Protest gegen Ucickys Film, weil er genau das nicht tat.
»Das Flötenkonzert von Sanssouci« verklärte den Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763), indem der Film ihn als unausweichlich und notwendig darstellte, ohne ihn zu zeigen. Es beginnt mit Bildern eines Maskenballs; im Hinterzimmer heckt der Reichsgraf Brühl mit Gesandten Österreichs, Russlands und Frankreichs ein Komplott gegen Preußen aus. Als der preußische Gesandte dies bemerkt, lässt er Friedrich II. brisante Verschwörungsdokumente zukommen.
Inspiriert von Adolph Menzels Gemälde »Das Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci« (1852), endet der Film mit einem Besuch der nichts ahnenden Gesandten der Feindesmächte im Schloss Sanssouci. Während des Flötenkonzerts werden die Pläne des Gegners dechiffriert und Friedrich aufs Notenpult gelegt. Nun kann der Preußenkönig seinen Feinden per Präventivschlag zuvorkommen.
Am Ende marschieren die preußischen Truppen. Volle drei Minuten defilieren die Soldaten an Friedrich dem Großen vorbei und einem Krieg entgegen, der – daran ließen die knapp anderthalb Stunden zuvor keinen Zweifel – ein patriotischer und ein ehrenvoller sein würde.
Die historisch fragwürdige Darstellung erhielt besondere Brisanz, deutete man den Siebenjährigen Krieg als Chiffre für den Ersten Weltkrieg oder gar einen Krieg, der erst noch geführt werden musste. Und so stand dieser Prokriegsfilm in scharfem Kontrast zu »Im Westen nichts Neues«. Mehrfach musste die Uraufführung im Ufa-Palast unterbrochen werden, da Zuschauer mit Pfiffen und Zwischenrufen störten und von der Polizei aus dem Saal entfernt wurden. Oder sie wurden, wie Siegfried Kracauer in seiner Rezension für die »Frankfurter Zeitung« schrieb, vom nationalistisch gestimmten Publikum übertönt: »Das Gebrüll, das den zahmen Protest bald zudeckte, steigerte sich im weiteren Verlauf zu einem Taumel des Entzückens, wie ich ihn selten erlebt habe.«
Die einen waren begeistert, die anderen entsetzt. Noch unter dem Eindruck nationalsozialistischer Aufmärsche gegen »Im Westen nichts Neues« machten nun Sozialdemokraten und Kommunisten gegen »Das Flötenkonzert von Sanssouci« mobil. Im Kino flogen Stinkbomben und mit Tinte gefüllte Eier auf die Leinwände. Und vor dem Kino lieferten sich Demonstranten gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Berliner Polizei.
Trotz der anhaltenden Krawalle wurde der Film, versehen mit dem steuervergünstigenden Prädikat »volksbildend«, nicht verboten und stattdessen in halb erleuchteten Kinosälen gespielt, damit man etwaige Störer leichter ausmachen und entfernen konnte.
Die Proteste gegen »Das Flötenkonzert von Sanssouci« blieben also wirkungslos. Indes zeitigten die Kundgebungen und Aufrufe bekannter Persönlichkeiten wie Käthe Kollwitz oder Heinrich Mann für die Zulassung von »Im Westen nichts Neues« einen Erfolg: Am 31. März 1931 trat das auch als »Lex Remarque« bezeichnete neue Lichtspielgesetz in Kraft und ermöglichte es, eigentlich verbotene Filme einem eingeschränkten Personenkreis vorzuführen.
In einer stark gekürzten Fassung durfte »Im Westen nichts Neues« ab Juni 1931 in »geschlossenen Veranstaltungen« ausgewählter Organisationen gezeigt werden. Anfang September erreichte Universal sogar die allgemeine Wiederzulassung in Deutschland.
Es blieb ein fragiler Erfolg. Die Kinokriege um beide Filme hatten im Dezember 1930 nicht nur ein Schlaglicht auf eine zutiefst gespaltene Gesellschaft geworfen, sondern auch auf eine düstere Zukunft. Siegfried Kracauer ahnte das. Kurz nach der »Flötenkonzert«-Uraufführung schrieb er:
»Wie sehr muss das Volk eines Halts entbehren, dass es ihn in einem solchen Glanzkriegsstück zu entdecken glaubt! Denn die Begeisterung ist ja nicht nur künstlich gemacht, das echte Verlangen nach ihr sucht vielmehr einen Gegenstand, an den es sich zu klammern vermag. Ihn kann es begreiflicherweise im Remarque-Film nicht finden, der sich darauf beschränkt, das Grauen des Krieges zu veranschaulichen ... Die Massen sind irregeleitet und möchten doch richtig geführt werden. Wenn es nicht gelingt, ihrem Sehnen gute, menschenwürdige Ziele zu geben, werden ihre Explosionen fürchterlich sein.«
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Süß und ehrenvoll? Statt im Kampf fürs Vaterland tapfer in den Tod zu ziehen, kämpfen die jungen Helden in Lewis Milestones Verfilmung des Romans »Im Westen nichts Neues« von Erich Maria Remarque verzweifelt um ihr Leben (am Boden: Lew Ayres).
Im Schützengraben: Vor 90 Jahren sollte der Film den Krieg zeigen, wie er wirklich war – schmutzig, qualvoll, tödlich (Filmszene mit Ben Alexander, Lew Ayres und Louis Wolheim). Nach der Weltpremiere 1930 gab es in den USA zwei Oscars, in Deutschland Rufe nach einem Verbot.
Kontrastprogramm: Nur wenige Tage nach dem Deutschlandstart von »Im Westen nichts Neues« kam auch der Preußen-Film »Das Flötenkonzert von Sanssouci« in die Lichtspieltheater (Szene mit Hans Rehmann und Renate Müller) und verklärte den Siebenjährigen Krieg als unausweichlich, weil König Friedrich II. nach schurkischen Intrigen der Feinde keine andere Wahl gehabt habe.
Tosender Beifall: Siegfried Kracauer, der in der »Frankfurter Zeitung« über die Filmpremiere von »Das Flötenkonzert von Sanssouci« berichtete, schilderte eine rauschhafte Begeisterung des nationalistisch gesonnenen Publikums. Darunter auch »Mütter, deren Söhne vielleicht gefallen sind ... Und als hinterher Gebühr auf der Bühne erschien, jubelten sie ihm zu, als sei er der leibhaftige Friedrich der Große und als hätten sie immer noch Söhne, die sie hinausschicken können.«
Preußische Flötentöne: Adolph Menzels Gemälde »Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci« (1852) diente als Inspiration für den Film.
Der Leinwand-Fritz: Otto Gebühr war in seiner Paraderolle des alten Fritz in Deutschland zum Stummfilmstar avanciert. Er verkörperte Friedrich den Großen in »Das Flötenkonzert von Sanssouci« erstmals in einem Tonfilm. Filmkritiker Siegfried Kracauer lästerte, mit ihrem rheinländischen Einschlag passe Gebührs Stimme »mehr in den Damensalon als zu Männergesprächen«. Dennoch schlüpfte Gebühr weiterhin – auch im »Dritten Reich« – in die Rolle des preußischen Monarchen.
Krawallbegeistert: Eine nationalsozialistische Kundgebung gegen die Aufführung des Films »Im Westen nichts Neues« Anfang Dezember 1930 in Berlin
Beschützer des Remarque-Films: Um Nazi-Störversuche bei der Vorführung des Films (Bild vom 9. Dezember 1930) zu verhindern, sicherten Berliner Schutzpolizisten das Gelände um den U-Bahnhof Nollendorfplatz...
...sowie den Eingang des Mozartsaals. Joseph Goebbels, damals Berliner Gauleiter der NSDAP, hatte es mit den von ihm geplanten Protestaktionen bewusst darauf angelegt, die Berliner Polizei unter der Führung des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Albert Grzesinski in die Rolle der Schutzmacht einer als feindlich diffamierten Filmproduktion zu zwingen. Entsprechend hetzte die antisemitische NS-Propagandazeitung »Der Angriff« am 8. Dezember: »Grzesinskis Polizei schützt profitgierige amerikanische Filmjuden.«
Wasserwerfer gegen Krawalle: Am 10. Dezember 1930, einen Tag bevor die Film-Oberprüfstelle erneut über die Zulassung von »Im Westen nichts Neues« entschied, verhängten der sozialdemokratische Innenminister Carl Severin und der Berliner Polizeipräsident Albert Grzensinski aus Furcht vor gewalttätigen Ausschreitungen in Berlin ein vorübergehendes Demonstrationsverbot.
Vom Bestseller zum Kinohit: Regisseur Lewis Milestone, die Drehbuchautoren Dell Andrews und Maxwell Anderson sowie Filmberater George Cukor arbeiten am Skript (1929) zu »Im Westen nichts Neues«.
Kran und Graben: Impressionen von den Dreharbeiten zu »Im Westen nichts Neues«. Die Schlachten wurden mit hohem Aufwand, modernster Technologie, einem für damalige Verhältnisse gewaltigen Kamerakran und Tausenden Statisten inszeniert.
Krieg gegen den Krieg: US-Filmplakat (1930) mit einer pazifistischen Botschaft des Filmproduzenten Carl Laemmle
»Einseitige Darstellung«: Am 11. Dezember 1930 folgte die Berliner Film-Oberprüfstelle unter dem Vorsitz des Ministerialrats Dr. Ernst Seeger (l.) dem Antrag auf Widerruf der Zulassung von »Im Westen nichts Neues«. In der Begründung des Verbots hieß es, der Film suche »die ganze Krassheit des Krieges und seine menschlichen Schwächen nur und ausschließlich auf deutscher Seite«. Zudem sei es mit »der Würde eines Volkes« unvereinbar, »wenn es seine eigene Niederlage, noch dazu verfilmt durch eine ausländische Herstellerfirma, sich vorspielen ließe«.
Im Kreuzfeuer nationalistischer Kritik: US-Filmproduzent Carl Laemmle Senior (l.) und Schriftsteller Erich Maria Remarque zogen mit ihren Werken in Deutschland die Wut konservativer, reaktionärer und nationalsozialistischer Kräfte auf sich. Remarque wurde vorgeworfen, mit seinem Romanbestseller »Im Westen nichts Neues« das Andenken deutscher Soldaten zu beschmutzen. Laemmle, der sich in Hollywood mit antideutschen Propagandafilmen wie »The Kaiser – The Beast of Berlin« (1918) einen Namen gemacht hatte, wurde von den Nazis als »jüdischer Deutschenhetzer« beschimpft.
Besuch an der Filmfront: Schauspielerin Lucile Webster Gleason, die Mutter von Müller-Darsteller Russell Gleason, verteilt Schokolade am Set von »Im Westen nichts Neues«. Im Hintergrund mit Brille ist US-Regisseur George Cukor zu sehen, der bei den Dreharbeiten als Schauspielcoach mitwirkte.
In den USA gefeiert: Filmproduzent Louis B. Mayer überreicht Carl Laemmle (r.) im November 1930 den Oscar für den »besten Film«.
Nationalsozialistischer »Filmsieg«: Joseph Goebbels plante als Berliner Gauleiter der NSDAP den militanten Proteststurm gegen »Im Westen nichts Neues«. Den Film selbst kannte er zwar nicht, aber im Kampf gegen die Remarque-Verfilmung sah er die Chance, ein Verbot als Sieg der Straße und Niederlage der verhassten Republik erscheinen zu lassen.
Mit Hurra an die Front: Aufgepeitscht von ihrem nationalistischen Lehrer meldet sich in Lewis Milestones Remarque-Verfilmung »Im Westen nichts Neues« eine komplette deutsche Schulklasse zum Einsatz im Ersten Weltkrieg.
Wider das Vergessen: US-Filmplakat (1930) als Mahnung vor dem Krieg
Schmutziger Krieg: An der Westfront entpuppen sich Paul Bäumers (Lew Ayres, l.) patriotische Vorstellungen als naive Illusionen und der Krieg buchstäblich als ein dreckiges Geschäft.
Im Schützengraben: Vor 90 Jahren sollte der Film den Krieg zeigen, wie er wirklich war – schmutzig, qualvoll, tödlich (Filmszene mit Ben Alexander, Lew Ayres und Louis Wolheim). Nach der Weltpremiere 1930 gab es in den USA zwei Oscars, in Deutschland Rufe nach einem Verbot.
Foto: Everett Collection / ddp imagesKontrastprogramm: Nur wenige Tage nach dem Deutschlandstart von »Im Westen nichts Neues« kam auch der Preußen-Film »Das Flötenkonzert von Sanssouci« in die Lichtspieltheater (Szene mit Hans Rehmann und Renate Müller) und verklärte den Siebenjährigen Krieg als unausweichlich, weil König Friedrich II. nach schurkischen Intrigen der Feinde keine andere Wahl gehabt habe.
Foto: ddp imagesTosender Beifall: Siegfried Kracauer, der in der »Frankfurter Zeitung« über die Filmpremiere von »Das Flötenkonzert von Sanssouci« berichtete, schilderte eine rauschhafte Begeisterung des nationalistisch gesonnenen Publikums. Darunter auch »Mütter, deren Söhne vielleicht gefallen sind ... Und als hinterher Gebühr auf der Bühne erschien, jubelten sie ihm zu, als sei er der leibhaftige Friedrich der Große und als hätten sie immer noch Söhne, die sie hinausschicken können.«
Foto: SZ Photo / ullstein bildDer Leinwand-Fritz: Otto Gebühr war in seiner Paraderolle des alten Fritz in Deutschland zum Stummfilmstar avanciert. Er verkörperte Friedrich den Großen in »Das Flötenkonzert von Sanssouci« erstmals in einem Tonfilm. Filmkritiker Siegfried Kracauer lästerte, mit ihrem rheinländischen Einschlag passe Gebührs Stimme »mehr in den Damensalon als zu Männergesprächen«. Dennoch schlüpfte Gebühr weiterhin – auch im »Dritten Reich« – in die Rolle des preußischen Monarchen.
Foto: ullstein bild...sowie den Eingang des Mozartsaals. Joseph Goebbels, damals Berliner Gauleiter der NSDAP, hatte es mit den von ihm geplanten Protestaktionen bewusst darauf angelegt, die Berliner Polizei unter der Führung des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Albert Grzesinski in die Rolle der Schutzmacht einer als feindlich diffamierten Filmproduktion zu zwingen. Entsprechend hetzte die antisemitische NS-Propagandazeitung »Der Angriff« am 8. Dezember: »Grzesinskis Polizei schützt profitgierige amerikanische Filmjuden.«
Foto: Scherl / SZ Photo / ullstein bildWasserwerfer gegen Krawalle: Am 10. Dezember 1930, einen Tag bevor die Film-Oberprüfstelle erneut über die Zulassung von »Im Westen nichts Neues« entschied, verhängten der sozialdemokratische Innenminister Carl Severin und der Berliner Polizeipräsident Albert Grzensinski aus Furcht vor gewalttätigen Ausschreitungen in Berlin ein vorübergehendes Demonstrationsverbot.
Foto: Bundesarchiv, Bild 102-10865»Einseitige Darstellung«: Am 11. Dezember 1930 folgte die Berliner Film-Oberprüfstelle unter dem Vorsitz des Ministerialrats Dr. Ernst Seeger (l.) dem Antrag auf Widerruf der Zulassung von »Im Westen nichts Neues«. In der Begründung des Verbots hieß es, der Film suche »die ganze Krassheit des Krieges und seine menschlichen Schwächen nur und ausschließlich auf deutscher Seite«. Zudem sei es mit »der Würde eines Volkes« unvereinbar, »wenn es seine eigene Niederlage, noch dazu verfilmt durch eine ausländische Herstellerfirma, sich vorspielen ließe«.
Foto: Erich Salomon / Bildagentur für Kunst, Kultur und GeschichteIm Kreuzfeuer nationalistischer Kritik: US-Filmproduzent Carl Laemmle Senior (l.) und Schriftsteller Erich Maria Remarque zogen mit ihren Werken in Deutschland die Wut konservativer, reaktionärer und nationalsozialistischer Kräfte auf sich. Remarque wurde vorgeworfen, mit seinem Romanbestseller »Im Westen nichts Neues« das Andenken deutscher Soldaten zu beschmutzen. Laemmle, der sich in Hollywood mit antideutschen Propagandafilmen wie »The Kaiser – The Beast of Berlin« (1918) einen Namen gemacht hatte, wurde von den Nazis als »jüdischer Deutschenhetzer« beschimpft.
Foto: J. Leslie Williams / Getty ImagesBesuch an der Filmfront: Schauspielerin Lucile Webster Gleason, die Mutter von Müller-Darsteller Russell Gleason, verteilt Schokolade am Set von »Im Westen nichts Neues«. Im Hintergrund mit Brille ist US-Regisseur George Cukor zu sehen, der bei den Dreharbeiten als Schauspielcoach mitwirkte.
Foto: Hulton Archive / Getty ImagesNationalsozialistischer »Filmsieg«: Joseph Goebbels plante als Berliner Gauleiter der NSDAP den militanten Proteststurm gegen »Im Westen nichts Neues«. Den Film selbst kannte er zwar nicht, aber im Kampf gegen die Remarque-Verfilmung sah er die Chance, ein Verbot als Sieg der Straße und Niederlage der verhassten Republik erscheinen zu lassen.
Foto: APIm Schützengraben: Vor 90 Jahren sollte der Film den Krieg zeigen, wie er wirklich war – schmutzig, qualvoll, tödlich (Filmszene mit Ben Alexander, Lew Ayres und Louis Wolheim). Nach der Weltpremiere 1930 gab es in den USA zwei Oscars, in Deutschland Rufe nach einem Verbot.
Foto: Everett Collection / ddp imagesKontrastprogramm: Nur wenige Tage nach dem Deutschlandstart von »Im Westen nichts Neues« kam auch der Preußen-Film »Das Flötenkonzert von Sanssouci« in die Lichtspieltheater (Szene mit Hans Rehmann und Renate Müller) und verklärte den Siebenjährigen Krieg als unausweichlich, weil König Friedrich II. nach schurkischen Intrigen der Feinde keine andere Wahl gehabt habe.
Foto: ddp imagesTosender Beifall: Siegfried Kracauer, der in der »Frankfurter Zeitung« über die Filmpremiere von »Das Flötenkonzert von Sanssouci« berichtete, schilderte eine rauschhafte Begeisterung des nationalistisch gesonnenen Publikums. Darunter auch »Mütter, deren Söhne vielleicht gefallen sind ... Und als hinterher Gebühr auf der Bühne erschien, jubelten sie ihm zu, als sei er der leibhaftige Friedrich der Große und als hätten sie immer noch Söhne, die sie hinausschicken können.«
Foto: SZ Photo / ullstein bildDer Leinwand-Fritz: Otto Gebühr war in seiner Paraderolle des alten Fritz in Deutschland zum Stummfilmstar avanciert. Er verkörperte Friedrich den Großen in »Das Flötenkonzert von Sanssouci« erstmals in einem Tonfilm. Filmkritiker Siegfried Kracauer lästerte, mit ihrem rheinländischen Einschlag passe Gebührs Stimme »mehr in den Damensalon als zu Männergesprächen«. Dennoch schlüpfte Gebühr weiterhin – auch im »Dritten Reich« – in die Rolle des preußischen Monarchen.
Foto: ullstein bild...sowie den Eingang des Mozartsaals. Joseph Goebbels, damals Berliner Gauleiter der NSDAP, hatte es mit den von ihm geplanten Protestaktionen bewusst darauf angelegt, die Berliner Polizei unter der Führung des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Albert Grzesinski in die Rolle der Schutzmacht einer als feindlich diffamierten Filmproduktion zu zwingen. Entsprechend hetzte die antisemitische NS-Propagandazeitung »Der Angriff« am 8. Dezember: »Grzesinskis Polizei schützt profitgierige amerikanische Filmjuden.«
Foto: Scherl / SZ Photo / ullstein bildWasserwerfer gegen Krawalle: Am 10. Dezember 1930, einen Tag bevor die Film-Oberprüfstelle erneut über die Zulassung von »Im Westen nichts Neues« entschied, verhängten der sozialdemokratische Innenminister Carl Severin und der Berliner Polizeipräsident Albert Grzensinski aus Furcht vor gewalttätigen Ausschreitungen in Berlin ein vorübergehendes Demonstrationsverbot.
Foto: Bundesarchiv, Bild 102-10865»Einseitige Darstellung«: Am 11. Dezember 1930 folgte die Berliner Film-Oberprüfstelle unter dem Vorsitz des Ministerialrats Dr. Ernst Seeger (l.) dem Antrag auf Widerruf der Zulassung von »Im Westen nichts Neues«. In der Begründung des Verbots hieß es, der Film suche »die ganze Krassheit des Krieges und seine menschlichen Schwächen nur und ausschließlich auf deutscher Seite«. Zudem sei es mit »der Würde eines Volkes« unvereinbar, »wenn es seine eigene Niederlage, noch dazu verfilmt durch eine ausländische Herstellerfirma, sich vorspielen ließe«.
Foto: Erich Salomon / Bildagentur für Kunst, Kultur und GeschichteIm Kreuzfeuer nationalistischer Kritik: US-Filmproduzent Carl Laemmle Senior (l.) und Schriftsteller Erich Maria Remarque zogen mit ihren Werken in Deutschland die Wut konservativer, reaktionärer und nationalsozialistischer Kräfte auf sich. Remarque wurde vorgeworfen, mit seinem Romanbestseller »Im Westen nichts Neues« das Andenken deutscher Soldaten zu beschmutzen. Laemmle, der sich in Hollywood mit antideutschen Propagandafilmen wie »The Kaiser – The Beast of Berlin« (1918) einen Namen gemacht hatte, wurde von den Nazis als »jüdischer Deutschenhetzer« beschimpft.
Foto: J. Leslie Williams / Getty ImagesBesuch an der Filmfront: Schauspielerin Lucile Webster Gleason, die Mutter von Müller-Darsteller Russell Gleason, verteilt Schokolade am Set von »Im Westen nichts Neues«. Im Hintergrund mit Brille ist US-Regisseur George Cukor zu sehen, der bei den Dreharbeiten als Schauspielcoach mitwirkte.
Foto: Hulton Archive / Getty ImagesNationalsozialistischer »Filmsieg«: Joseph Goebbels plante als Berliner Gauleiter der NSDAP den militanten Proteststurm gegen »Im Westen nichts Neues«. Den Film selbst kannte er zwar nicht, aber im Kampf gegen die Remarque-Verfilmung sah er die Chance, ein Verbot als Sieg der Straße und Niederlage der verhassten Republik erscheinen zu lassen.
Foto: APMelden Sie sich an und diskutieren Sie mit
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