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DJ-Legende Marusha: "Ich kann nicht jedem gefallen"

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Techno-Queen zum Geburtstag Umzz umzz umzz umzz... Marusha!

Von der Schuhverkäuferin zur Königin der Raver: Zu ihrem 50. Geburtstag im November 2016 sprach Techno-DJane Marusha über ihre Zeit als Berliner Hausbesetzerin und ihre Kindheit im griechischen Bergdorf, über Drogen und männliche Groupies.

einestages: Gut 20 Jahre ist es her, dass Sie zur "Techno-Queen" wurden. Wie fühlt man sich nach einem Vierteljahrhundert auf dem Thron?

Marusha: Irre, wie die Zeit fliegt. Mit dem Titel konnte ich leben (lacht), aber im Grunde finde ich solche Superlative befremdlich.

einestages: Vorher hatten Sie ganz bürgerlich eine Ausbildung zur Industriekauffrau gemacht.

Marusha: Das war 1988. Ich habe kurz in einem Schuhladen in Nürnberg gearbeitet. Das Beste waren die Trips zu Modemessen. Mit meiner Chefin habe ich richtige Shopping-Feldzüge gestartet - nicht nur für den Laden.

einestages: Trotzdem wohl kein Traumjob?

Marusha: Ich organisierte mit einem Freund in Nürnberg erste Technopartys. Rave und Acid House waren ganz neu. Weil das so gut lief, eröffneten wir den Klub "One", ich habe den Job im Schuhladen geschmissen.

einestages: Stimmt es, dass Sie vergeblich versuchten, Westbam als DJ für den Klub zu gewinnen?

Marusha: Ich hatte ihn bei einer Party kennengelernt. Damals trug ich eine silberfarbene Lametta-Perücke, stellte mich vor und bat ihn, bei uns zu spielen. Leider konnte ich seinen Manager William Röttger nicht überzeugen. Die Gagenforderung hätten wir eh nicht erfüllen können. Aber dadurch hatte ich eine Berlin-Connection. Als ich später wegen Stress mit den Vermietern meinen Klub in Nürnberg schließen musste, zog ich nach Berlin. William verschaffte mir einen Job als Radiomoderatorin.

einestages: Wie haben Sie Berlin in der Wendezeit erlebt?

Marusha: Nach dem Mauerfall herrschte dort totales Chaos, die Stadt kam mir vor wie ein undurchsichtiges Netz. Viele Ostbürger sind damals in den Westen abgehauen, weil sie Angst hatten, die Zonengrenze würde wieder zugemacht. Daher standen im Ostteil viele Wohnungen leer. Ich bin dann illegal in ein besetztes Haus gezogen in der Mainzer Straße. Jemand hatte mir erzählt, wenn man lange genug in einer besetzten Wohnung wohnt, kann man sie sich überschreiben lassen.

einestages: Sie fanden in Berlin nicht nur eine Bleibe, sondern auch die Liebe.

Marusha: Ja, kaum war ich dort, habe ich mich verliebt - natürlich in einen DJ. Fabian Lenz alias DJ Dick, der Bruder von Westbam.

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einestages: Und zusammen haben Sie eine Techno-WG gegründet.

Marusha: In der Leibnizstraße, gleich um die Ecke von Fabians und Westbams Plattenfirma Low Spirit, bei der ich dann später als Künstlerin auch unterkam. Ich war das einzige Mädel unter Jungs, aber das klappte ganz gut.

eines tages: Wie wurde aus der Radiomoderatorin ein Techno-Star?

Marusha: Ich bin langsam in die Szene reingewachsen, auch dank Westbam. Der Mauerfall kam mir zugute: Nach der Wende wuchs die Techno-Szene. Durch einen TV-Moderatorenjob beim ORB wurde ich bekannter.

einestages: Ein Riesenhit wurde 1994 Ihre Single "Somewhere over the Rainbow". Wie kam es zur Idee, den Judy-Garland-Song aus "Der Zauberer von Oz" zu covern?

Marusha: Ich hab den Song oft zu Hause in der WG gesungen beim Frühstückmachen. Da meinte Max (Westbam): "Mach doch mal eine Techno-Version daraus!" Damals hat sich keiner in der Techno-Szene getraut, mit Gesang zu arbeiten. Das war als kommerziell verpönt. Ich habe mich aber schon immer über Konventionen hinweggesetzt und Dinge immer erst mal nur für mich gemacht. Von der Techno-Szene wurde ich schwer gedisst. War mir egal. Ich kann nicht jedem gefallen.

einestages: Was warf man Ihnen vor?

Marusha: Ich kam mit meinem Erfolg auf eine Ebene, die für die undergroundige Techno-Szene ganz neu war. Das missfiel einigen, ich war Projektionsfläche für negative Vibes. Dabei reflektierte das Licht, das plötzlich auf mich fiel, auch auf die anderen Technokünstler.

einestages: Was hat sich durch Ihre Berühmtheit für Sie verändert?

Marusha: Viele Menschen meinten plötzlich, Zugriff auf mich zu haben. Das war anstrengend. Dabei hatte ich noch Glück, dass es Mitte der Neunzigerjahre kein Social Media gab. Damals war alles noch unschuldiger, nicht so berechnend. Man ist in Aktion getreten, ohne zu wissen, wie die Reaktion ausfallen würde.

einestages: Hatten Sie eigentlich viele männliche Groupies?

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DJ-Legende Marusha: "Ich kann nicht jedem gefallen"

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Marusha: (lacht) Es hielt sich in Grenzen. Ich glaube, dass Frauen bei männlichen Stars viel forscher vorgehen. Ich habe einiges erlebt, da ich ja meist mit männlichen DJ-Kollegen unterwegs war. Da haben sich Groupies auch schon mal ungefragt entblößt. Ich dagegen habe nie Sex-Bereitschaft signalisiert, von daher waren die Jungs bei mir verhaltener. So offensiv, wie weibliche Groupies vorgehen, habe ich Männer nie erlebt. Die waren immer respektvoll und haben in dieser Beziehung echt mehr Style.

einestages: Als Sie zum Star aufstiegen, wurde Techno zum Massenphänomen, nicht zuletzt durch die Love Parade. Wie stehen Sie zu der Veranstaltung?

Marusha: Ab 1993 war ich in Berlin bei jeder Love Parade dabei, außer 1996, da war ich auf Tour. 2007, als die Love Parade nach Essen zog, war das spooky. Ich spürte Beklemmung, weil das keine Parade mehr war, sondern eher wie ein Konzert, aber viel zu beengt. Immer mehr Leute strömten herbei, ich hatte ein ungutes Gefühl, wenn ich in die Menge blickte. Als 2010 in Duisburg das schreckliche Unglück geschah, bei dem viele ums Leben kamen, war ich nicht am Start, sondern im Urlaub.

einestages: Ein anderer Schattenaspekt der Technoszene ist für viele auch die Drogenkultur. Wie war das für Sie?

Marusha: Drogenerfahrungen habe ich nie gemacht. Alkohol und Zigaretten, ja, aber ich habe nicht mal gekifft. Ich komme vom Sport, war Bodenturnerin und zehn Jahre in der Sportschule. Mein Körperbewusstsein ist sehr ausgeprägt und meine Gesundheit mir wichtig. Bereits mit 13 wurde ich Vegetarierin, heute lebe ich vegan. Ich wollte meinem Körper Drogen nie antun, denn er ist mein Haus.

einestages: Überhaupt scheint ihre Kindheit nicht ganz so verlaufen zu sein, wie man es sich vielleicht von einer "Techno-Queen" vorstellen würde. Aufgewachsen sind Sie im ländlichen Griechenland.

Marusha: Im Alter von anderthalb bis vier Jahren lebte ich bei meiner Großmutter in Makedonien. Im Sommer in einem Bergdorf, im Winter in der Stadt. Ich war dort immer das kleine "Blondie" mit den graugrünen Augen, eine totale Exotin. Das Leben war einfach und ursprünglich, es gab keine Autos, nur Ziegen und Esel. Mir wurde viel Aufmerksamkeit und Zuneigung zuteil. Ich habe dort gelernt, wie wichtig Liebe ist, und dass die wichtigsten Dinge im Leben nicht mit Geld zu bezahlen sind. Das war für mein späteres Leben wegweisend.

einestages: Ihre griechischen Wurzeln sollen dann später in einem deutschen Amt für Probleme gesorgt haben.

Marusha: Meine Mutter ist Griechin und gab mir den schönen Namen Marusha Aphrodite. Doch der wurde in Deutschland damals nicht im Namensgesetzbuch geführt. Sie wollte mich dann Marian nennen, aber das war auch verboten. Also nannte sie mich Marion, der Name war damals angesagt. Meine Großmutter hat das verwirrt, denn in südlichen Gefilden ist Marion auch ein Männername. In der Familie nannten mich alle immer Marusha, nur für meine Lehrer war ich Marion. Erst als ich 20 war, habe ich dann Marusha beim Amtsgericht als Namen eintragen lassen. Mittlerweile war er erlaubt.

einestages: Wie kamen Sie dann zur Musik?

Marusha: Meine ersten Platten waren von Gloria Gaynor und Donna Summer. Ich erinnere mich an ihr Album "Bad Girls". Auf dem Cover steht sie wie eine Prostituierte an einer Laterne. Dann hörte ich ELO und entdeckte bald den Punk, The Clash, die Ramones, Dead Kennedys und Ska von Madness.

einestages: Und was machte Sie zur Raverin?

Marusha: Mit 18 war ich erstmals ohne Eltern im Urlaub und reiste mit einer Freundin nach Paros. Auf dem Campingplatz lernten wir Medizinstudenten aus Leeds kennen. In einen, Paul, hab ich mich verknallt und ihn später in Leeds besucht. Er hat mich mitgenommen in den legendären Hacienda Club in Manchester und tags drauf auf eine Acid-House-Party im Warehouse in Leeds. Das war 1986, mein Einstieg in die DJ- und Techno-Szene.

einestages: Sie waren Moderatorin, Musikproduzentin und Schauspielerin und legen weiter bei Techno-Events auf. Aber die exorbitante Gagen kassieren DJ-Kollegen wie David Guetta, Tiesto oder Steve Aoki. Kommt da Neid auf?

Marusha: So bin ich nicht drauf. Ich gönne das jedem, der es schafft, Menschen zu begeistern. Letztlich machen die Veranstalter, die diese DJs buchen, ja auch entsprechende Umsätze. Die teils sechsstelligen Gagen werden schon Sinn machen, weil andere daran mitverdienen. Wieso sollten die DJs weniger Geld nehmen? Wenn das Publikum gewillt ist, hohe Preise zu zahlen, und danach glücklich nach Hause geht, ist das in Ordnung.

einestages: Feiern Sie Ihren 50. Geburtstag am 18. November standesgemäß mit einer Techno-Party?

Marusha: Mein größter Traum war tatsächlich, meinen 50. auf einer Tanzfläche zu feiern, bei Drum & Bass. Diesen Wunsch erfülle ich mir und feiere mit Freunden in einem Klub in Oxford. Dort treten zwei meiner Lieblingsacts auf: Andy C und das D&B-Duo The Prototypes aus Brighton. Und ich, mitten auf dem Dancefloor, die Hände hoch - es könnte nicht besser sein.

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