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Verführung auf vier Rädern: "Beep-Beep!"

Irre Autowerbung PS, I Love You

WROOOOOOOOM statt nur Brummbrumm: Mitte der Sechzigerjahre zwängten die US-Autobauer auf der Jagd nach jugendlichen Käufern gigantische Motoren in biedere Familienlimousinen - und erfanden die Musclecars. Viel verrückter als die Autos selbst war die Reklame für die PS-Monster.

"Beep Beep! EEEYYOWWWW! Plymouth tells it like it is." Einen Autowerbeslogan wie diesen hatte es noch nie gegeben. Und so ein Werbemotiv, wie es über der Zeile prangte, auch nicht. Von Hand gezeichnet windet sich ein vom Drehmoment des Monstermotors grotesk verformter Wagen auf der doppelseitigen Anzeige, aus den Lufteinlässen auf der Haube bläst er Qualm wie ein Drache aus der Hölle durch seine Nüstern. Die Botschaft an sich war nicht neu: "Dieses Auto ist schnell!" schrie die Anzeige dem Betrachter entgegen. Wie sie das tat, dagegen schon.

Angefangen hatte alles mit einem Geistesblitz beim Frühstücksfernsehen. Seit Tagen schon suchte Gordon Cherry, Produktentwickler beim US-Autobauer Plymouth, nach dem richtigen Namen für seine neueste Kreation, mit der er endlich jugendliche Käufer an die Marke binden wollte: Eine Mittelklasselimousine ohne jegliche Komfortausstattung hatte er ersonnen, dafür mit einem sportlichen Fahrwerk, einem PS-Monster von Motor unter der Haube - zum Schnäppchenpreis.

Das einzige, was noch fehlte, war ein Name. Einer, der genauso unkonventionell war wie das Auto selbst. Und dann sah Cherry an jenem Morgen im Jahre 1967, als er wie immer mit seinen Kindern die Cartoons schaute, über die Mattscheibe eine Comicfigur pesen, deren Name wie gemacht war für sein Auto: Road Runner.

Der schnelle Comicvogel war das perfekte Wappentier. Er konnte aus dem Stand wie irre beschleunigen, genauso abrupt bremsen und verlor nie ein Rennen gegen seinen Gegner, Wile E. Coyote. Gegen zahlreiche Widerstände im Konzern ("Auf unsere Autos kommt nie und nimmer eine Comicfigur") und über etliche Regeln hinweg setzte Cherry den Road Runner durch und ließ sogar eigens eine Hupe konstruieren, die den charakteristischen Ruf des Comicvorbilds imitierte: "Beep-Beep!".

Mit psychedelischen Werbemotiven zum Verkaufserfolg

Die billige PS-Schleuder wurde zum Instant-Hit - nicht zuletzt aufgrund der absolut abwegigen Werbekampagne, die die Markteinführung des schnellen Vogels begleitete. Dabei war der Road Runner und seine abgefahrene, aufs wesentliche reduzierte Werbekampagne nur der vorläufige Höhepunkt eines beispiellosen Wettrüstens, dass bereits Mitte der Sechziger in den Werken in Detroit losgetreten worden war, auf der Straße und den Drag Strips der USA ausgetragen wurde - und seinen Widerhall natürlich auch in den Anzeigenkampagnen fand.

Bereits 1964 hatte der amerikanische Hersteller Pontiac mit seinem Modell GTO das Grundrezept für den Wahnsinn angerührt: In die Mittelklasselimousine mit vergleichsweise leichter Karosserie wurde ein potenter Big-Block-Motor gestopft. Schon bald zogen andere Hersteller nach, wobei sie ihren V-8-Maschinen Jahr um Jahr mehr Leistung entlockten. Das Credo für Fahrzeuge und Fahrer: Vierhundert Meter weit das Gaspedal aufs Bodenblech zu nageln. Die magische Distanz der Viertelmeile, die Maßeinheit des Drag Racing, so schnell wie möglich abzubrennen. "A flying Machine for People who can't stand Heights" (Ein Fluggerät für Menschen mit Höhenangst"), lautete folgerichtig der Slogan für den 1965 Pontiac GTO.

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Verführung auf vier Rädern: "Beep-Beep!"

Dabei sprangen die amerikanischen Hersteller geschickt auf einen Trend auf, der unter Jugendlichen in den USA schon seit Jahrzehnten grassierte. Die Hotrodder hatten mit ihren hochgezüchteten Vorkriegs-Fords das schnelle Geradeausfahren schon seit den zwanziger Jahren fest als Freizeitbeschäftigung etabliert - nun wurde es von den Herstellern salonfähig gemacht. Berührungsängste zwischen jugendlicher Subkultur und amerikanischen Traditionsherstellern gab es dabei kaum. "Join the Dodge Rebellion" war der markenübergreifende Slogan, mit dem Dodge seine Modelle des Jahrgangs 1966 bewarb.

Rock-'n'-Roll-Attitüde statt Apelle an die Vernunft

Der eher als solide geltende Hersteller American Motors Corporation (AMC) verdeutlichte mit einer doppelseitigen Anzeige für sein Modell Javelin, wie weit man sich den Hot Roddern angenähert - und allen anderen Autonationen entfremdet hatte. Denn während in Europa Autos vor allem über Appelle an die Vernunft mit hoffnungslos einschläfernden Werbekampagnen an den Mann gebracht werden sollten, waren die Anzeigenmotive für Musclecars eine Ode an den jugendlichen Leichtsinn.

Auf jener besagten Doppelseite prangt zur linken ein AMC Javelin, wie er im Werk der American Motors Corporation vom Band lief. Daran gelehnt, ein älterer Mann im Anzug. Auf dem Javelin-Exemplar auf der rechten Anzeigenseite hockt ein Jugendlicher mit wüster Mähne und ausgelatschten Turnschuhen auf dem Dach. Aus den hinteren Kotflügeln ragen Breitreifen unverschämt weit hinaus, unter den Türen lugen vier ungedämpfte Auspuffrohre frech ins Freie und aus einem Loch in der Motorhaube stakt, mindestens einen halben Meter hoch, ein Kompressor, wie man ihn sonst nur aus "Mad Max"-Filmen kennt.

Was in Deutschland jeden TÜV-Prüfer in den Wahnsinn und die Behörden auf die Barrikaden getrieben hätte, war in den USA Bestandteil einer genialen Marketing-Maschine. Denn die Werbemotive waren nicht zuletzt auch deshalb so extravagant, schrill und gegen den Strich gebürstet, weil die Autos es in Wahrheit nicht waren. Bis auf wenige Ausnahmen limitierter Sondermodelle verbarg sich unter den Blechkleidern der meisten Musclecars normale Großserientechnik, die, vielleicht ein wenig konventioneller zusammengemischt, auch in den ganz normalen Limousinen steckte.

Kriegsbemalung für die Krawallmaschinen

Umso wichtiger war es, für die Musclecars ein ausgeklügeltes Image zu aufzubauen. Um die Krawallmaschinen von ihren eher gesitteten Modellbrüdern abzuheben, erdachten die Hersteller schreiende Sonderfarben wie "Plum Crazy" oder "Sassy Green", Zierstreifen wie eine Kriegsbemalung oder martialische Lufteinlässe auf Motorhaube oder Kotflügeln. In den Anzeigen wurden diese Kunstgriffe zu einem Lebensgefühl zusammengefasst, mit dem sich die Jugendlichen identifizieren sollten: "Catch the Dodge Fever" (Dodge), "Putting you first, keeps us first" (Chevrolet) - Marken-Claims wie diese oder fiktive Figuren wie "Dr. Olds" (Oldsmobile) trafen ins Mark der Bewegung, die sich jedes Wochenende auf den Ausfallstraßen der amerikanischen Städte zum Beschleunigungsrennen traf.

Bestes Beispiel dafür, wie sich allein durch Marketingtricks ein Hype erschaffen ließ, Pontiacs GTO-Sondermodell The Judge von 1969. Obwohl der GTO seit seiner Einführung 1964 als Inbegriff des Musclecars galt, hatte Pontiac mit der Zeit an Marktanteilen eingebüßt - vor allem 1968, seit der Plymouth Road Runner zu einem ungeahnten Verkaufserfolg wurde.

Pontiacs Antwort war denkbar einfach: Aus einem 1969er Pontiac GTO wurde mit Hilfe eines Spoilers, markanten Zierstreifen, doppelten Ansaughutzen auf der Motorhaube und einem Schriftzug wie von einem Beatles-Cover aus ihrer psychedelischen Phase das Modell The Judge. Dass der Judge (zumindest 1969) nur in der Farbe Carousel Red erhältlich war, erhöhte die Begehrlichkeit umso mehr. Zudem wurde der junge Jerry Bruckheimer ("Pirates of the Caribbean", "Pearl Harbor") damit beauftragt, ein psychedelisches Musikvideo zu drehen, in dem Paul Revere and the Raiders den Judge besangen. Plötzlich war der GTO nicht mehr das in die Jahre gekommene Musclecar für gesetzte Herren, sondern der letzte Schrei für junge Leute.

Die Kampagnen zu den Musclecars der Jahrgänge 1969 markieren dabei den Zenith des kreativen Irrsinns. Bereits 1970 kündigten steigende Versicherungsbeiträge und striktere Emissionvorschriften das Ende der Musclecars an - und mit ihnen auch das Ende der wahnsinnigen Werbung. Nach fünf Jahren Vollgasrethorik erwachten die Agenturen Anfang der siebziger Jahre wie aus einem Rausch, und entwarfen höchst nüchterne Kampagnen, die sehr verkatert wirkten, und in denen es vor allem um Versicherungsprämien und Benzinverbrauch ging.

Fast von einem Moment auf den anderen war das Auto kein Lebensgefühl, kein Identitätsstiftender Faktor einer ganzen Generation von Jugendlichen mehr. Sondern einfach ein Mittel, um sicher, komfortabel und günstig von A nach B zu kommen. Die Frage, die vorher die ganze Industrie und ihre Käufer getrieben hatte, interessierte plötzlich niemanden mehr. Wie schnell man damit 400 Meter weit konnte.

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