

Im Januar 1964 schlug in den Büros der großen Werbeagenturen eine Bombe ein: der Terry-Report. Die von Luther L. Terry, dem Beauftragten der US-Regierung für Gesundheitsfragen, in Auftrag gegebene Studie stellte einen kausalen Zusammenhang zwischen Zigarettenrauchen und Krebs her. Genauer gesagt: Sie kam zu dem Ergebnis, dass bei Rauchern das Risiko, an Lungentumoren zu sterben, fast elfmal höher sei als bei Nichtrauchern. Diese Erkenntnis brachte die Werbetexter in arge Erklärungsnot.
Zwar schwelte diese Einsicht bereits seit den fünfziger Jahren in den Köpfen der Menschen, denn es gab schon zuvor Studien und Artikel, die diesen Schluss nahelegten - doch erst der Terry-Report ließ alle Beschwichtigungsstrategien, die Tabakkonzerne jahrzehntelang über ihre Werbeagenturen verbreiten ließen, endgültig in Rauch aufgehen. Die nämlich hatten zuvor alles getan, um die Unbedenklichkeit des Rauchens zu proklamieren. Ja, einige behaupteten sogar in den blauen Dunst hinein, dass Zigaretten eine gesundheitsfördernde Wirkung hätten.
"Rauchen ist gesund. Das haben wir alle geglaubt"
So warb die R.J. Reynolds Tobacco Company noch relativ harmlos mit diversen Sportstars und dem Slogan: "So mild, Sie können so viel rauchen, wie Sie wollen." Aus heutiger Sicht fast schon fahrlässig erscheint dagegen eine andere Anzeige, mit der suggeriert werden sollte, dass Rauchen eine beruhigende Wirkung habe: Das Motiv zeigt ein Baby und den Text: "Mami, bevor du mich ausschimpfst solltest du dir vielleicht lieber eine Marlboro anzünden."
Ein dritter Tabakkonzern legte nahe, dass Rauchen den Körper schlank halte: Unverfroren präsentiert das Werbemotiv das Bild einer dünnen, jungen Frau - und einen bedrohlich korpulenten Schatten daneben. "Sind Sie das in fünf Jahren?", fragt die Anzeige dreist und empfiehlt: "Wenn Sie versucht sind, sich den Bauch vollzuschlagen - greifen Sie lieber zu einer Lucky." Darunter wird die Zigarette zudem noch als "Ihr Rachenschutz - gegen Irritationen - gegen Husten" beworben.
Bevor das Qualmen durch Gesundheitsstudien seine Unschuld verlor, schienen die Werbeleute diesen Versprechen noch selbst zu glauben. "Ich habe selbst vier Packungen am Tag geraucht", erinnert sich die Werber-Ikone Jerry Della Femina 2010 in einem Interview mit der "Zeit". "Es gab eine Kampagne von Camel, in der hieß es: Vier von fünf Ärzten sagen, Rauchen ist gesund. Das haben wir alle geglaubt."
"Macht Kinder und Erwachsene fett wie Schweine"
Della Feminas Biografie "From Those Wonderful Folks Who Gave You Pearl Harbour" (eine spontane Idee für einen Slogan für die japanische Firma Panasonic) war die Vorlage für die erfolgreiche Fernsehserie "Mad Men". Unter anderem zeigt diese den Alltag in einer Werbeagentur in den sechziger Jahren: Ein Käfig voller skrupelloser Egomanen, die denken, dass man mit dem richtigen Werbespruch die Konsumenten zu allem verführen kann. Ohne Rücksicht auf Risiken und Nebenwirkungen.
Zigaretten waren längst die einzigen Produkte, die mit manchmal vollmundigen, manchmal absurden Gesundheitsversprechen warben. Cola-Hersteller empfahlen ihre koffeinhaltigen Zuckerwasser als hervorragende Krankenkost. Andere Limohersteller prahlten damit, ihr Erfrischungsgetränk würde Kinder und Erwachsene "fett wie Schweine" machen. Und harte Drogen wie Kokain, Methamphetamin und sogar Heroin wurden noch als harmlose Medikamente für Groß und Klein angepriesen.
Heute ist jede Reklame strengen Gesetzen unterworfen. Werbung für Tabak und Alkohol ist beinahe komplett von der Bildfläche verschwunden. Und die Zeit, in der Müttern empfohlen wurde, Bier zu trinken und ihren Säuglingen mit Soft-Drinks versetzte Milch zu verabreichen, ist glücklicherweise auch längst vorbei. Und so wirkt manche Anzeige von einst wie eine boshafte Satire auf den Zynismus der Werbeindustrie - sind sie aber nicht. einestages präsentiert in der Bildergalerie eine Auswahl der gesundheitsgefärdensten Anzeigen der Reklamegeschichte.
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Der Geist des zukünftigen Übergewichts: "Das bist du in fünf Jahren?" Dann, so empfiehlt diese gemeine Reklame, lieber immer eine rauchen, wenn man in Gefahr ist, sich mal wieder vollzustopfen.
Brust oder Brause? "Warum wir die jüngsten Kunden auf dem Markt haben", prahlt die Anzeige der Zuckerlimo 7 Up - und liefert im Text darunter eine unheimliche Erklärung: Müttern, deren Babys ihre Milch nicht trinken wollen, würden stattdessen 7 Up füttern. "Versuchen Sie dies", empfiehlt die Kampagne, "fügen Sie der Milch im Verhältnis eins zu eins 7 Up hinzu. Es ist eine gesunde Mischung - und es funktioniert", empfiehlt der Werbetext.
Da klingt es beinahe wie eine Drohung, wenn die Anzeige stolz behauptet: "Dieser junge Mann ist elf Monate alt - und sicher nicht unser jüngster Kunde."
Weil's fett macht: Dick und rund wie Schweine soll dieses Tonic Water Kinder und Erwachsene machen und dabei auch noch nach nix schmecken.
Tatsächlich machte dieses heute total absurd anmutende Produkt seinen Erfinder Edwin Wiley Grove Ende des 19. Jahrhunderts schweinereich - denn das chininhaltige Getränk sorgte nicht nur für Übergewicht, sondern beugte auch noch Malaria vor.
Sanft wie ein Babypopo: "Stolze Mütter, vergebt uns", bittet Philip Morris in dieser Anzeige, "dass wir auch beinahe so stolz sind wie frischgebackene Eltern." Schließlich hat der Konzern brandneue, extra milde Zigaretten erfunden. Ach, das hat diese Mama doch längst vergeben. Schließlich liegt Philip Morris' Baby direkt neben ihrem.
Gute Mütter trinken Bier: "Bier ist nahrhaft" stellt diese französische Reklame fest und zeigt anhand zweier Illustrationen, dass auch Säuglinge es zu schätzen wissen, wenn die Mama sich ordentlich einen hinter die Binde gießt. "Diese trinkt es. Jene trinkt es nicht." Schön blöd.
Der alte Mann und die Pepsi: "Patienten werden oft munter, wenn die Erfrischungen kommen." Deshalb sei Pepsi im Krankenhaus die leichte Erfrischung. Ja, leicht bescheuert.
Knarren für alle! Ja, da lachen die Eltern. Endlich haben alle unsere Kids "von sieben bis 17" das perfekte Luftgewehr. Und mit etwas Pech könnte das wirklich ein Weihnachten werden, an das sich die Familie noch lange erinnert.
Wenn selbst Krankenschwestern Cola trinken, ist das nicht nur ein "Zeichen guten Geschmacks", wie der Slogan verspricht, sondern auch ein Beweis für "die Reinheit, die Bekömmlichkeit und die Qualität" der koffeinhaltigen Limonade.
Übrigens: Das 1888 erfundene Getränk wurde bis 1905 als aufputschendes Arzneimittel von Apothekern vertrieben. "Eine Coke wirkt von 8 bis 11", versprach die Werbung damals.
Kids auf Kokain: Wenn diese beiden Wonneproppen Karies quält, greifen sie zu Cocaine Zahnweh-Bonbons - und sind gleich wieder supergut drauf.
Bühne frei für die spektakuläre Wunderkippe: Dr. Batty's Asthma-Zigaretten helfen nicht nur bei Asthmaanfällen, sondern auch bei - Trommelwirbel - Heuschnupfen, schlechtem Atem, Entzündungen im Mundraum, Schnupfen und allen Erkrankungen des Halses.
Schade, dass nicht alle in den Genuss dieses Wundermittels kommen konnten: "Nicht empfohlen für Kinder unter sechs Jahren."
Schlaue Leute rauchen gefiltert: Nachdem 1952 ein Artikel im "Reader's Digest" mit dem Titel "Krebs durch Zigaretten" für Aufregung sorgte, reagierte Kent schnell - und brachte eine Filterzigarette auf den Markt.
Die Kampagne à la "Kent ist die meistgerauchte Zigarettenmarke unter Wissenschaftlern und Pädagogen" zog allerdings erst später. Denn in den ersten Jahren waren die Filter noch ein Eigentor - sie enthielten hochgradig krebserregendes Asbest.
Kein Husten mehr - dank Heroin! 1889 drückte der Bayer-Konzern mit einer großen Werbekampagne in zwölf Sprachen sein neues Schmerz- und Hustenmittel in den Weltmarkt.
Bald fand das Supermittel auch bei weiteren Symptomen wie Bluthochdruck, Herzerkrankungen sowie zur Geburtseinleitung Verwendung. Gefeiert wurde es vor allem als "nichtsüchtigmachendes Medikament". Als Nebenwirkungen wurden lediglich Verstopfung und leichte sexuelle Lustlosigkeit beobachtet.
Bier für die Mama und das Baby: Bei einem kühlen Blonden lernt man sich einfach leichter kennen. Das weiß jeder. Deshalb bedeutet eine Kiste Bier im Haus auch "der jungen Mutter" viel - "und offensichtlich kommt es auch dem Baby zugute". Das behauptet zumindest die Anzeige.
Schließlich habe das Malz im Bier ja nahrhafte Eigenschaften, die zu dieser Zeit so wichtig sind. Und der Hopfen sei ein appetitanregendes und stimulierendes Stärkungsmittel. Da fragt man sich fast, wozu man noch die Mutter braucht.
Mit Rauch geht's auch! In dieser Kampagne zeigt Camel Profisportler aus Tennis, Baseball, Golf, Laufen und Radsport - und verkündet eine frohe Botschaft: Die Camels seien so mild, dass selbst Athleten "so viele rauchen können, wie sie wollen".
"Ihr Zahnarzt würde Viceroys empfehlen": Ach so. Und wir dachten, er würde uns raten, mindestens zweimal täglich die Zähne zu putzen. Regelmäßig unsere Prophylaxetermine wahrzunehmen. Und vielleicht ab und an Zahnseide.
Ballern im Bettchen: "Papa sagt, es wird uns nicht wehtun", steht auf dem Nachthemd des kleinen Mädchens mit der großen Knarre in der Hand. Und tatsächlich behauptet Iver Johnson Revolvers quasi den schwarzen Schimmel unter den Knarren erfunden zu haben - die "absolut sichere" Waffe.
"Vielleicht werden Sie nur einmal in Ihrem Leben eine Waffe brauchen", droht die Anzeige außerdem, "kaufen Sie sie jetzt, damit Sie sie dann parat haben."
Lieber Rauchen als Naschen: Für die schlanke Linie empfahl Lucky Strike einst, einfach immer zur Zigarette zu greifen, wenn man Lust auf Süßigkeiten hat.
Was hilft am besten gegen Übergewicht? Medizinisch gereinigte Bandwürmer im Glas! Und keine Angst, diese "Freunde für eine schöne Gestalt" sind "leicht zu schlucken".
Wer hat die ganzen Camels aufgeraucht? Die Ärzte! Von 113.597 Medizinern würden laut einer nationalen Befragung die meisten Camel rauchen, behauptet diese Kampagne. Und feiert den auf Lunge rauchenden Lebensretter als "Wissenschaftler, Diplomaten und freundlichen, sympathischen Menschen in einer Person".
Entspann' dich, Mutti: "Bevor du mich ausschimpfst Mama ... zündest du dir vielleicht lieber eine Marlboro an", bittet das rechte der beiden Babys.
"Wie Fernsehen Ihren Kindern nützt": Zum Beispiel dadurch, dass Kinder schneller ihre Hausaufgaben machen, wenn man ihnen verspricht, dass sie danach vor die Glotze dürfen. Noch Fragen?
"Lieber früh als spät, lieber spät als niemals": Mit diesem Spruch machte der Medikamentenhersteller für sein Schlankheitsmittel Ambar Werbung. Hauptwirkstoff: Methamphetamin - besser bekannt als Crystal Meth.
"Wenn du berühmt sein willst,... kannst du es dir nicht leisten dürr zu sein!" Das weiß auch die Hollywood-Aktrice Linda Peck, die in dieser Anzeige erklärt, wie man mit dieser "konzentrierten figuraufbauenden Alles-in-einem-Mahlzeit" Gewicht zulegt - und es auch noch hält.
Linda wer? Genau. Über eine Handvoll Kleinstrollen kam diese Schauspielerin niemals hinaus. Somit bleibt dieser Auftritt wohl tragischerweise ihr bekanntestes Vermächtnis.
"Ohne unangenehmen Nachgeschmack": Das verspricht diese Reklame, in der der spätere Präsident Ronald Reagan behauptet, er würde nichts zu Weihnachten verschenken als stangenweise Chesterfield "in der schönen Weihnachtskarten-Schachtel". Ja, wenn das nicht geschmacklos ist.
Doping für die Damen: Frauengold wurde als "Stärkungsmittel" rezeptfrei in Drogerien und Apotheken vertrieben. Laut Hersteller handelte sich um ein "Herz-Kreislauf-Tonikum", für das gezielt mit seiner beruhigenden und stimmungshebenden Wirkung geworben wurde. Neben anderen Zutaten enthielt Frauengold Alkohol - knapp 16 Prozent. 1981 wurde Frauengold vom Bundesgesundheitsministerium aufgrund seines Wirkstoffs Aristolochiasäure verboten, da dieser als krebsfördernd und nierenschädigend gilt.
Eingereicht von einestages-Leser Tim Lilling.
Kola zum Kauen: Die Kolanuss ist der Samen des afrikanischen Kolabaums. Die Hauptwirkstoffe sind bis zu 3,5 Prozent Koffein und Theobromin. Damit liegt der Koffeingehalt der Kolanuss deutlich über dem von herkömmlichem Kaffee. Die Werbung für die Tabletten "Kola Dallmann" stammt aus den sechziger Jahren.
Eingereicht von einestages-Leser Tim Lilling.
Hausmittel Alkohol: Der Spirituosenhersteller Underberg warb in den fünfziger Jahren für den Kräuter-Digestif aus dem braunen Fläschchen, der das Wohlbefinden "bei körperlicher oder seelischer Verstimmung" wieder herstelle.
Eingereicht von einestages-Leser Tim Lilling.
Abstehende Ohren, wie furchtbar! Im Jahr 1911 versprach die sächsische Verbandartikel-Fabrik Paul Nebel mit ihren Ohrenkappen Besserung.
Eingereicht von einestages-Leser Bernhard Flacke.
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