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Niederlagen der DFB-Elf: Der Italien-Fluch

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Fußball-Angstgegner Italien Albtraum in Blau

Jahrzehntelang waren Italiens Fußballer bei großen Turnieren für Deutschland unbezwingbar. Höhepunkt dieses Italien-Traumas wurde das WM-Halbfinale 1970 - das als "Jahrhundertspiel" Geschichte schrieb.

"Ich habe eigentlich ein sehr gutes Gedächtnis", sagte die italienische Torwart-Legende Gianluigi Buffon bei einer Pressekonferenz im März 2016 mit süffisantem Grinsen. "Aber an unsere letzte Niederlage gegen Deutschland kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern."

Es sind Provokationen wie diese, die Fußballspielen zwischen Deutschland und Italien eine besondere Brisanz verleihen. Umso größer war im deutschen Lager die Freude über den anschließenden 4:1-Erfolg bei einem Freundschaftsspiel in München. Zu Buffons Ehrenrettung muss man sagen, dass es zu diesem Zeitpunkt tatsächlich der erste Sieg einer DFB-Auswahl gegen Italien seit langer Zeit war.

Bei großen Turnieren gab es für Deutschlands Fußballer traditionell nichts zu holen, wenn sie auf die Italiener trafen. Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Uwe Seeler, Paul Breitner, Karl-Heinz Rummenigge, Michael Ballack, Lukas Podolski, Miroslav Klose, Manuel Neuer, Philipp Lahm und Mesut Özil - was sich liest wie eine deutsche Jahrhundertelf, ist nur eine kleine Auswahl der Spieler, die einen ständig wiederkehrenden deutschen Albtraum erlebten: Niederlagen bei Welt- und Europameisterschaften gegen Italien.

Ein halbes Jahrhundert ohne Sieg

Achtmal standen sich die Nationalteams zwischen 1962 und 2012 bei EM- und WM-Endrunden gegenüber. Keines der Spiele konnte Deutschland gewinnen. Vier Begegnungen in Gruppenphasen endeten unentschieden, in den K.o.-Spielen setzten sich jeweils die Italiener durch. Sehr klar war die Sache beim 3:1 im WM-Finale 1982, als Paolo Rossi, Alessandro Altobelli und ihre Mitspieler die biedere deutsche Hintermannschaft schwindelig spielten. Ansonsten waren die italienischen Siege knapp, aber immer verdient.

Jahrzehntelang saßen deutsche Fans in grausamer Regelmäßigkeit konsterniert am Boden, die schwarz-rot-goldene Gesichtsbemalung verwischt von einer Mischung aus Schweiß und Tränen, während sich in Rom, Mailand und Turin wildfremde Menschen in den Armen lagen und tanzten.

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Niederlagen der DFB-Elf: Der Italien-Fluch

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Die Rivalität im Fußball geht auf eine tief verwurzelte Hassliebe zwischen Deutschen und Italienern zurück. Auf der einen Seite fühlen sich viele Deutsche angezogen vom Dolce Vita, lieben Pasta, Pizza und italienisches Eis und fahren mit Begeisterung über den Brenner in den Urlaub. Auf der anderen Seite haben diverse historische Konflikte, begonnen bei Cäsars Feldzügen gegen die Germanen bis hin zum Ersten Weltkrieg, auch Narben hinterlassen.

Knallharte Verteidiger und Schwalbenkönige

Viele deutsche Fans betrachten den italienischen Fußball traditionell kritisch - nicht unberechtigt, wenn man auf die wiederkehrenden Korruptions- und Rassismusskandale schaut. Sportlich hält sich hartnäckig das Vorurteil, italienische Mannschaften könnten nur verteidigen. Dies täten sie mit übertriebener Härte, gleichzeitig seien die Stürmer Schwalbenkönige, die mehr Spielzeit im Liegen als im Stehen verbrächten. Gefühlte Wahrheiten, die einer empirischen Überprüfung nicht standhalten - anders als die schlichte Tatsache, dass deutsche Mannschaften gegen italienische lange Zeit einfach nicht gewinnen konnten, wenn es um etwas ging.

Wie am 17. Juni 1970 im WM-Halbfinale in Mexico City. Angeführt von Franz Beckenbauer und Gerd Müller, beide zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre jung und noch vor ihrem Zenit, war Deutschland mit drei Siegen in drei Spielen durch die Gruppenphase gestürmt. Im Viertelfinale hatte das von Helmut Schön trainierte Team gegen England einen 0:2-Rückstand gedreht und den Titelverteidiger mit 3:2 nach Verlängerung aus dem Turnier geworfen.

Italien war zwar amtierender Europameister, hatte bei der WM aber noch nicht überzeugt. In der Gruppe reichte es gegen Uruguay und Israel nur zu Unentschieden, im Viertelfinale lagen die Azzurri gegen Gastgeber Mexiko 0:1 zurück, entschieden die Partie durch drei Tore in der letzten halben Stunde aber doch noch 4:1 für sich.

Gegen Deutschland erwischten die Italiener einen deutlich besseren Start und gingen schon in der achten Minute durch Roberto Boninsegna in Führung. Deutsche Fußballfans stöhnten auf: Ein früher Rückstand gegen Italien - genau das, was man nicht wollte. Die Meister des defensiven Catenaccio-Spielsystems stellten das Offensivspiel ein und versuchten, die knappe Führung über die Zeit zu bringen.

Dabei waren ihnen viele Mittel recht, auch solche, die den Deutschen den Spaß verderben sollten. Verteidiger Tarcisio Burgnich etwa ging nach einem Zweikampf so theatralisch zu Boden, dass Radio-Kommentator Kurt Brumme sagte: "Burgnich ist soeben verstorben, sehe ich. Nein, da kommt er wieder."

Fünf Tore in der Verlängerung

Zuvor hatte sich Brumme wegen der vielen Verzögerungen schon beklagt: "Das ist ja widerlich." Auch Beckenbauer räumte 15 Jahre später im "Aktuellen Sportstudio" ein, dass man sich das Spiel "nicht anschauen" könne. Tatsächlich waren Niveau und Tempo der Partie so überschaubar, dass der Kaiser eine knappe Stunde mit gebrochenem Schultereckgelenk spielen konnte, ohne negativ aufzufallen.

Dass dieses Halbfinale trotzdem als "Jahrhundertspiel" in die Fußballgeschichte einging, ist Abwehrspieler Karl-Heinz Schnellinger zu verdanken, der bei der AC Mailand unter Vertrag stand und zuvor schon in Rom gespielt hatte. "Ausgerechnet Schnellinger", so sagte es damals Ernst Huberty im Live-Kommentar, traf in der Schlussminute zum 1:1-Ausgleich und legte so den Grundstein für eine dramatische Verlängerung.

Müller brachte die DFB-Elf in der 94. Minute in Führung, Burgnich glich vier Minuten später aus. Kurz vor Ende der ersten Hälfte der Verlängerung erzielte Riva das 3:2 für Italien. Aber in der 110. Minute war es erneut Müller, der mit seinem zehnten Turniertreffer zum 3:3 traf, ehe Rivera im direkten Gegenzug für den 4:3-Endstand sorgte.

Grosso wird zum neuen Rivera

Riveras Tor, unbedrängt aus zentraler Position gegen den Lauf von Sepp Maier eingeschoben, war ein Schuss mitten ins deutsche Fußballherz. So kurz vor Schluss, so kurz vor dem Elfmeterschießen - genau wie 36 Jahre später. Ein anderes Stadion, eine andere Dramaturgie, derselbe Ausgang.

Bei der Heim-WM 2006 hatte die junge von Trainer Jürgen Klinsmann euphorisierte deutsche Nationalmannschaft sensationell das Halbfinale erreicht. Zwei Jahre zuvor war das DFB-Team bei der Europameisterschaft noch sang-, klang- und sieglos schon in der Vorrunde ausgeschieden. Doch getragen von der begeisterten Sommermärchen-La-Ola, die durch Deutschlands Stadien und Innenstädte schwappte und einfach alles und jeden mitriss, schien alles möglich.

Im Viertelfinale hatten die Deutschen mit Argentinien schon einen Erzrivalen besiegt - erstmals seit 16 Jahren. Da sollte doch auch der Italien-Fluch zu bezwingen sein, oder? Eben nicht. Der Rivera des Jahres 2006 hieß Fabio Grosso. Sein Schlenzer ins lange Eck, zwei Minuten vor Ende der Verlängerung überragend vorbereitet von Andrea Pirlo, war der Wecker, der den ach so schönen deutschen Traum auf brutale Art beendete. Dass Alessandro del Piero wenig später auf 0:2 erhöhte, spielte schon keine Rolle mehr.

Wie ein Pferd bei der Dressur

Sechs Jahre später bekam das deutsche Team die Chance zur Revanche. Mit Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski und Miroslav Klose standen im EM-Halbfinale 2012 vier Spieler im deutschen Aufgebot, die schon 2006 dabei gewesen waren. Sie verloren erneut - weil Mario Balotelli zu schnell, zu stark und zu clever war.

Erst bei der nächsten Europameisterschaft, 2016 in Frankreich, gelang es Deutschland endlich, die Italiener aus einem großen Turnier zu werfen. 6:5 nach Elfmeterschießen hieß es im Viertelfinale. Zu verdanken hatte die DFB-Elf den Triumph vor allem Manuel Neuer - und Simone Zaza. Der italienische Stürmer war kurz vor Ende der Verlängerung eingewechselt worden, um ausgeruht zum Elfmeter anzutreten. Das tat er auch, trippelte beim Anlauf wie ein Pferd bei der Dressur - und jagte den Ball knapp über die Latte.

Fast ein Jahrhundert hatte Deutschland auf diesen Moment, auf genau diesen Fehlschuss gewartet. Zwischen dem ersten Länderspiel gegen Italien und dem ersten Sieg bei einem großen Turnier lagen genau 93 Jahre. Entsprechend groß waren im Anschluss der Jubel und die Schadenfreude über Zazas Fehler. Kurzzeitig galten Italiens Fußballer nicht mehr nur als diejenigen, die sich ständig fallen lassen, das Spiel verzögern und lamentieren, sondern auch als schlechte Elfmeterschützen. Wobei: Es gibt ja noch die Engländer. Aber das ist eine andere Geschichte.


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