
Duke Ellington: Der Tonmaler des Jazz
Jazzikone Duke Ellington Die Big Band war sein Instrument
"Lehn dich in einem Mietshaus an einen Luftschacht, und du bekommst das Innerste von Harlem zu spüren. Man hört Streitereien, schnappt intime Gespräche auf; man schnuppert Küchenduft. Man hört den Hund des Hausmeisters bellen, riecht Kaffee; man vernimmt wie Leute beten, lachen, schnarchen. Der Schacht ist ein einziger großer Lautsprecher." So hat Duke Ellington beschrieben, wie er Stimmungen aufsaugte, die ihn zu seiner "Harlem Suite" animierten - seine Ode an das New Yorker Schwarzenviertel steht gleichermaßen für die Leiden der Unterprivilegierten wie für das Entstehen eines neuen Selbstbewusstseins.
Das knapp viertelstündige Werk ist Teil eines der Re-Issue-Alben, die zum 120. Geburtstag von Duke Ellington erschienen sind. Als Musiker von herausragendem Können und Einfluss, als brillanter Pianist und kreativ wirbelnder Bandleader erhob er einst den Jazz zur zeitgenössischen Kunstmusik. Ellington wurde von Komponisten und Dirigenten klassischer Musik geschätzt, schrieb aber auch Gassenhauer wie "Caravan", "Solitude" und "Satin Doll" - die Titel mögen wenige außerhalb der Jazzgemeinde kennen, doch die Melodien dieser Instrumentalstücke haben Millionen rund um den Erdball im Ohr.
Von solchen eingängigen Songs bis zu ausgreifenden Suiten hat Ellington in seinen 75 Lebensjahren über 2000 komponiert; seine Schaffenskraft vergleichen Kunsthistoriker mit der des unermüdlichen Pablo Picasso. Tatsächlich wollte Ellington mit 18 Maler werden. Als Musiker habe er "die Malerei nur scheinbar aufgegeben", urteilte der deutsche Jazzexperte Joachim Ernst Berendt: "Er malt nicht in Farben, sondern in Tönen."
Der "Jungle Style" erinnerte an Stimmen im Urwald
Edward Kennedy Ellington, geboren am 29. April 1899, wuchs in einem bürgerlichen Haus in Washington D.C. auf, nahe der Howard University, die nach dem amerikanischen Bürgerkrieg für befreite Schwarze entstanden war. Es war das Viertel der gebildeten, wirtschaftlich bessergestellten Afroamerikaner. Seine Mitschüler nannten den Klavier spielenden und malenden Jungen wegen seiner hochherrschaftlichen Manieren "Duke" (Herzog).
Die ersten Gagen kassierte der junge Künstler als Ragtime-Pianist in seiner Geburtsstadt. Engagements in New York verschaffte ihm der berühmte Pianist und Entertainer Fats Waller. Im legendären "Cotton Club" in Harlem begann Ellingtons Karriere als Orchesterchef. Hier hörten die Besucher zum ersten Mal seinen berühmten "Jungle Sound" - die gepressten, rauen Töne seiner Bläser erinnerten an klagende Stimmen im nächtlichen Urwald.

Duke Ellington: Der Tonmaler des Jazz
Ellington verarbeitete in seinen Kompositionen Arbeitslieder schwarzer Sklaven, Gospel- und Blueselemente. "Er erkannte die Möglichkeiten, die New-Orleans-Konzepte für Polyphonie, Call and Response, Breaks, Grooves weiterzuentwickeln", schrieb Jazztrompeter Wynton Marsalis. Viele von Ellingtons Werken entstanden bei Proben in Gemeinschaftsarbeit, die er einmal so beschrieb:
"Vielleicht hat einer aus der Band eine Idee, und er spielt sie auf seinem Horn vor. Vielleicht entwickelt ein anderer diesen Gedanken weiter. Vielleicht spielt jemand einen Riff. Vielleicht macht einer den Vorschlag, eine Note länger auszuhalten. Und schließlich möchten die Saxofone noch ein paar Jauleffekte in ihrem Satz haben."
Ellington nahm Einfälle seiner Musiker auf und verarbeitete sie - er war am Klavier überragend, doch sein wichtigstes Instrument war die Big Band. So wie Regisseure bestimmte Schauspieler im Sinn haben, wenn sie Inszenierungen planen, dachte Ellington an bestimmte Musiker, wenn er komponierte. Er schrieb ein "Concerto for Cootie" für den Trompeter Cootie Williams und widmete sein "Clarinet Lament" dem Klarinettisten Barney Bigard.
Ellingtons Tonmalerei sollte die Musik des Afroamerikaners werden - des "american negroe", wie er es in der Sprache der Vierzigerjahre sagte. Dabei war ihm bewusst, dass sein Volk mehr durch die Gegenwart in der Welt der Weißen geprägt war als durch die schwarzafrikanische Vergangenheit. Musikalisch drückte das seine Orchestersuite "Black, Brown and Beige" aus: Die Menschen aus Afrika waren bei ihrer Ankunft in Amerika "black", sie wurden während der Sklaverei "brown" und sind inzwischen weitgehend "beige".
Miles Davis ging geschniegelt und gebügelt zum Duke
Einem weißen US-Kritiker, der ihn in einem Brief aufforderte, mit seiner "Urwaldmusik" nach Afrika heimzukehren, antwortete Ellington spöttisch: In Afrika würde man ihn kaum nehmen, denn das Blut der amerikanischen Schwarzen habe sich im Laufe der Generationen zu sehr mit dem des Briefschreibers vermischt; eher würde man ihn wohl in Europa willkommen heißen.
Diese Ansicht bedeutet keine Geringschätzung des afrikanischen Erbes. Ellington las Bücher über die Geschichte des Kontinents und sammelte afrikanische Kunst. Er schrieb die "Liberian Suite" und gastierte mit seiner Big Band 1966 beim ersten World Festival of Black Arts im senegalesischen Dakar. Freilich trug der stolze Afroamerikaner Ellington - anders als die Black-Power-Generation seit den Sechzigerjahren - keine farbenprächtigen Dashiki-Hemden, und seine Haare glättete der Gentleman mit Gel.
Stets wollte Ellington die besten Musiker in seine Band holen. Daher bemühte er sich 1948 auch um Miles Davis. Der Trompeter, damals 22, beschrieb in seiner Autobiografie die Begegnung mit dem sonst allzeit vornehmen Bandleader so:
"Ich gehe also zu Duke, geschniegelt und gebügelt steig ich die Treppen zu seinem Büro hoch... und da sitzt Duke, in Shorts, mit 'ner Frau auf dem Schoß. Mann, war ich geschockt. Der coolste, schärfste, hipste Typ der Musikszene - und dann so was. Er grinst mich an und sagt, dass er mich für den Herbst eingeplant hat. Ich war wahnsinnig glücklich, echt geschmeichelt, dass mich eins meiner Idole fragt, ob ich in seine Band will, die tollste Band auf der Musikszene."
Miles Davis schlug das Angebot aus, weil er sich "nicht selbst in eine musikalische Schublade packen wollte". Aber er hat Ellington immer verehrt. An den 23 Stellen seines Buches, in denen Davis - größter Lästerer unter allen Jazzern - den Duke erwähnt, findet sich nicht ein boshaftes Wort.
Schwingen muss es, immer
Ellington wechselte nach seinem von Growl- und Wah-Wah-Effekten geprägten Jungle Style zum Swing und schrieb Werke in einer Art Jazzsinfonik. Dazu gehörte "Such Sweet Thunder": Diese Auseinandersetzung mit William Shakespeare porträtiert musikalisch Figuren wie Romeo und Julia, Lady Macbeth, Hamlet und Othello - ideale Vorlagen für einen Tonmaler wie Ellington.
Mit seinen bis heute stilprägenden Big Bands ging Ellington auf mehr als 100 Tourneen durch die ganze Welt. Er begleitete Ella Fitzgerald und nahm Platten mit den Avantgardisten Charles Mingus und John Coltrane auf. Der Duke wurde im englischen Königshaus empfangen, die Präsidenten Dwight D. Eisenhower und Richard Nixon baten ihn ins Weiße Haus.
"Aus dem Fahrstuhl steigend begegnete ich dem Präsidenten", schrieb Ellington in seiner Autobiografie "Music Is My Mistress". "Eisenhower rief: 'Duke, vergessen Sie nicht 'Mood Indigo' zu spielen.' Das fand ich für einen siegreichen General aus dem Zweiten Weltkrieg ganz beachtlich, und wir spielten 'Mood Indigo' an diesem Abend viermal."
Duke Ellington starb am 4. Mai 1974. Den Grundsatz seines Denkens hat er in einer Komposition zusammengefasst: "It Don't Mean A Thing, If It Ain't Got That Swing" (hier im Video ) - Musik bedeutet gar nichts, wenn sie keinen Swing hat.