
Rabin-Attentat: Der lächelnde Mörder
Rabin-Mörder Jigal Amir "Holen Sie Wein und Kuchen!"
Ein Schnitt, Blut, ein weinendes Baby. Die Vorhaut war entfernt und die Freude beim Vater riesig. An diesem 4. November 2007 war Jigal Amir glücklich und bewegt - wie zwölf Jahre zuvor.
Am 4. November 1995 hatte der 25-jährige Jurastudent Israels Premierminister Jizchak Rabin mit einer halbautomatischen Beretta-Pistole zwei Kugeln in den Rücken gejagt. "Verblüffend kaltblütig", wie die Richter später urteilten; "im Auftrag Gottes", wie Amir sagte. Und jetzt, am Jahrestag seiner Bluttat, war Amirs Sohn Jinon Elija Schalom nach traditionell jüdischem Ritus beschnitten worden.
Den Tag hatte Jigal Amir als Provokation gewählt - wie auch den Drittnamen des Neugeborenen: "Schalom", Frieden. Jenen Frieden mit den Palästinensern, den Rabin so glaubwürdig verkörperte wie kein Politiker vor ihm. Jenen Frieden, den der strenggläubige Jigal Amir mit allen Mitteln verhindern wollte, weil er einen Vertrag mit den Palästinensern und die mögliche Abgabe biblischen Bodens als "Verrat" am Land Gottes ablehnte.
Jinon Elija Schalom ist heute acht Jahre alt. Gezeugt von einem Vater, der bis heute öffentlich nur eines bereut hat: dass er Rabin "nicht schon früher" ermordet habe, vor dem Oslo-II-Abkommen, das den Palästinensern mehr Autonomierechte einräumte. Auf die Welt gebracht von einer ebenso religiös verblendeten Mutter, die sich in Jigal Amir erst nach seinem Attentat verliebte, gerade wegen seiner radikalen Ansichten. Verbissen und erfolgreich kämpfte sie dafür, mit dem Mörder im Gefängnis ein Kind zeugen zu dürfen.
Amir beim Verhör: "Wir wollen einen Toast ausbringen"
Als Rabin nach einer großen Friedensdemo auf dem Platz der Könige in Tel Aviv am 4. November 1995 um 21.45 Uhr zusammensank und 50 Minuten später starb, erstarrte ein Land im Schock. Nie war die Hoffnung auf einen ehrlichen Ausgleich mit den Palästinensern so groß gewesen. Die Mehrheit der Israelis bangte nun um die Fortsetzung von Rabins Politik. Unterdessen sagte Amir zu einem Polizisten, der ihn befragte: "Holen Sie Wein und Kuchen. Wir wollen einen Toast ausbringen."
20 Jahre später muss man ernüchtert feststellen: Rabin mag bis heute hochverehrt sein, doch nicht er, sondern sein Mörder hat seine Ziele erreicht. Premier wurde bald schon Benjamin Netanyahu - und diesen Hardliner machten viele verantwortlich für das Hassklima, dem der Friedensnobelpreisträger zum Opfer gefallen war. Auf Demonstrationen der konservativen Likud-Partei wurde Rabin schon vor seiner Ermordung im Pappsarg symbolisch zu Grabe getragen. Transparente zeigten den einstigen Generalstabschef und Helden des Sechstagekrieges gar in SS-Uniform.

Rabin-Attentat: Der lächelnde Mörder
Derzeit steht Netanyahu wieder an der Spitze der Regierung, und von einem "Friedensprozess" spricht niemand mehr. Im Westjordanland und in Ostjerusalem werden weiter illegal jüdische Siedlungen hochgezogen, Beton zementiert den Konflikt. Der Einfluss kompromissloser Ultraorthodoxer und Nationalreligiöser wächst. Die Stimme der Friedensbewegung ist fast verstummt. Frustriert sagte Rabins Tochter Dalia kürzlich, die Atmosphäre heute werde "genährt von derselben ungehemmten Hetze" wie vor dem Tod ihres Vaters. Immer wieder hatte sie bitter beklagt, dass Teile der Gesellschaft Amir weiter als Helden verehren und sich sogar für seine Freilassung einsetzen.
Jigal Amir sitzt zwar immer noch im Gefängnis, aber nicht mehr in videoüberwachter Einzelhaft, wie in den ersten 17 Jahren. Dagegen ist sein Bruder Hagai, der die Patronen so präpariert hatte, dass sie eine verheerende Durchschlagskraft entwickelten, seit 2012 frei - und reuelos wie der Schütze. Erst Ende Oktober wurde Hagai unter Hausarrest gestellt, weil er auf Facebook schrieb, Israels Staatspräsident Reuven Rivlin müsse "zusammen mit dem zionistischen Staat von der Erdoberfläche verschwinden, wie Sodom, wegen der Verbrechen, die sie gegen ihr eigenes Volk begangen haben".
Es ist dieser selbstgerechte Hass, der Israel schon vor 20 Jahren erschütterte. Nach dem Mord bemühte sich Richter Edmond Levy um eine betont faire Prozessführung, gerade weil es um "eines der schlimmsten Verbrechen in der Geschichte des jüdischen Volkes" ging. Und dann trat ihm ein Mann gegenüber, dauerlächelnd und kaugummikauend, laut psychologischen Gutachten überdurchschnittlich intelligent. Für ein weltliches Gericht hatte Amir nur Verachtung übrig: Als "Gesandter Gottes" wolle er sich nur "vor der allerhöchsten Instanz" verantworten, er habe sich "für die Nation geopfert".
Tiefe Gräben in Israels Gesellschaft
Sogar die Tat rekonstruierte der Mörder vor Gericht lächelnd. Als der Richter ihn fragte, ob er die zehn Gebote kenne, wurde er herablassend: "Wenn Sie nur dies aus der Bibel kennen, ist das sehr traurig." Er selbst beziehe sich auf ein anderes, archaisches Gesetz des jüdischen Rechts: Nach dem "din rodef" entspreche es dem göttlichen Willen, einen Verräter zu töten, wenn dieser anderen Juden den Tod bringe - und genau so sah Amir die Friedenspolitik von Rabin.
Seine Auftritte führten den Israelis brutal vor Augen, dass sie nicht nur ein Problem mit den Palästinensern hatten, sondern ebenso mit sich selber. Rabins Friedenspolitik hatte die Gräben der ohnehin zerrissenen Gesellschaft weiter vertieft. Mit den Oslo-Abkommen akzeptierte Israel erstmals Jassir Arafats PLO als offiziellen palästinensischen Ansprechpartner; die PLO verpflichtete sich, die Vernichtung Israels nicht länger als programmatisches Ziel zu verfolgen. Zudem sollte eine Palästinensische Autonomiebehörde zusammen mit Israel die Verwaltung über Teile des Westjordanlandes übernehmen. Für diese Annäherung erhielten Rabin, sein Außenminister Schimon Peres sowie Arafat 1995 gemeinsam den Friedensnobelpreis.
Indes wuchsen die Ängste im Lager der nationalreligiösen Siedler im Westjordanland, die von einem Großisrael auf biblischem Boden träumten. Und die ultraorthodoxen Juden betrachteten den säkularen israelischen Staat prinzipiell als illegal, weil nur Gott allein über einen jüdischen Staat entscheiden könne.
Hunderttausende bejubelten Rabin auf großen Kundgebungen; zugleich stellte die Rechte ihn in einer Hetzkampagne als gottlosen Verräter dar. In der aufgeheizten Atmosphäre befürchtete der Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet einen politischen Mord, wie er im Hintergrundgespräch mit Journalisten sagte. Anzeichen gab es genug: 1994 hatte der jüdische Arzt Baruch Goldstein in Hebron 29 Palästinenser erschossen, die an der Ruhestätte der biblischen Erzväter Abraham, Isaak und Jakob beteten, heilig für Juden wie auch für Muslime. Goldstein starb beim Massenmord selbst, sein Grab wurde sofort zur Pilgerstätte extremistischer Juden.
Zu dieser Zeit war Jigal Amir, auch er ein Goldstein-Bewunderer, schon zur Tat entschlossen. Bei einer Hochzeit sah er 1993 Rabin und war verwundert, dass der Premier nur schlecht von einem Bodyguard bewacht war. "Ich hätte ihn leicht erschießen können", sagte Amir später, "und ich sagte mir damals, ich würde es bedauern, falls ich ihn in den nächsten Jahren nicht ermordete."
Über seine Mordpläne hatte Amir gesprochen
Fortan schmiedete er Mordpläne, zusammen mit seinem Bruder und dem Freund Dror Adani, alle Mitglieder der ultrarechten Gruppe "Eyal". Als Klempner verkleidet versuchte Amir, Nitroglyzerin in die Wasserrohre von Rabins Wohnung zu leiten und so das Haus zu sprengen. Er überlegte, Rabins Dienstwagen mit einer Panzerabwehrrakete in die Luft zu jagen oder den Politiker mit einer als Mikrofon getarnten Pistole bei einer Pressekonferenz zu erschießen.
Am Ende ging es viel einfacher; genau darum ranken sich bis heute Verschwörungstheorien. Um keinen Verdacht zu wecken, trennte sich Amir von seiner Kippa, die ihn als religiösen Juden auswies, gab sich als Rabins Bediensteter aus und wartete in der Nähe der Dienstlimousine auf sein Opfer.
"Versagen" und "schwere Mängel" im gesamten Sicherheitsapparat stellte später eine Untersuchungskommission fest. Besonders schwer wog, dass Amir aus seinen Mordabsichten keinen Hehl gemacht hatte. Er verriet sie sogar einem vermeintlichen Freund, Awischai Rawiw, der in Wahrheit als staatlicher Spion und Provokateur in der nationalreligiösen Szene arbeitete. Doch der Agent, von Vorgesetzten mehrmals wegen roher Gewalt ermahnt, behielt die Information für sich.
So kursierten bald Gerüchte, der Geheimdienst habe das Attentat zugelassen oder gar selbst orchestriert. Das rechtsnationale Lager witterte eine perfide Verschwörung, mit dem alleinigen Ziel, es in aller Welt moralisch zu diskreditieren. So stilisierten sich die geistigen Brandstifter selbstgefällig zu Opfern.
Im Jackett des wahren Opfers fand man einen blutverschmierten Zettel mit einem berühmten israelischen Friedenslied. Rabin hatte es noch Minuten vor seinem Tod euphorisch angestimmt: "Bringt ihn her, den Tag, denn es ist kein Traum, und dann wird man auf allen Straßen und Plätzen nur für den Frieden singen."