John Lennon & Yoko Ono: Heute bleiben wir im Bett. Morgen auch
John Lennon und Yoko Ono
"Give Peace a Chance" - eine Bettgeschichte
In einem Hotelzimmer in Montreal nahmen John Lennon, Yoko Ono und Freunde 1969 spontan einen Ohrwurm auf. Der simple Song wurde zur Hippie-Friedenshymne der Siebzigerjahre.
Der Mann mit den langen braunen Haaren und dem Vollbart trug einen weißen Pyjama und zählte ganz klassisch ein: "One, two, a one, two, three, four." Während er die Saiten seiner akustischen Gitarre anschlug, saß er auf dem Doppelbett der Suite 1742 im 17. Stock des Queen Elizabeth Hotels in Montreal - neben ihm, ebenfalls im weißen Pyjama, die japanische Künstlerin Yoko Ono, die er gerade geheiratet hatte. Es war der 1. Juni 1969. Der Mann mit der Gitarre hieß John Winston Ono Lennon.
Der Sohn eines Liverpooler Seemannes war der Kopf der Beatles, der größten Popgruppe des 20. Jahrhunderts, die allerdings zu dieser Zeit gerade auseinanderfiel. Lennon schrubbte simple Akkorde auf seiner Gitarre, C-Dur, nur drei Dreiklänge. Dazu trug er mit schnarrender Stimme einen Sprechgesang vor, eine Art Folk-Rap: "Everybody's talking about Bagism, Shagism, Dragism, Madism, Ragism, Tagism, This-ism, that-ism, ism-ism-ism..." Die Suite war mit 40 Personen überfüllt, überall standen und saßen euphorische Menschen. Sie trommelten, klatschten, sangen den Refrain mit: "All we are saying is give Peace a Chance" (hier im Video).
Der Beatnik-Dichter Allen Ginsberg ("Howl") war ebenso dabei wie der Drogenpropagandist Timothy Leary ("Turn on, tune in, drop out"), die englische Sängerin Petula Clark ("Downtown"), ein Rabbi und ein paar Anhänger der Hare-Krishna-Sekte. In einem Nebenraum nahm ein Tonmeister mit geliehenem Vierspurtonbandgerät den kollektiven Friedensappell auf.
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John Lennon & Yoko Ono: Heute bleiben wir im Bett. Morgen auch
Lennon und Ono hielten vom 26. Mai bis zum 1. Juni 1969 Hof im Bett des Montrealer Hotels, im Rahmen ihrer "Friedenskampagne", wie sie es nannten. Ein Reporter hatte den Beatle gefragt, was der Sinn der Aktion sei. Die Antwort: "Just to give peace a chance." Damit war der Titel des Songs geboren.
Flittern für den Frieden
Es waren die Jahre, als die Jugend der Welt gegen den Krieg der USA in Vietnam protestierte, gegen den Versuch der westlichen Supermacht, den Sieg der Kommunisten und Nationalisten in Südostasien mit Napalm und Flächenbombardements zu verhindern. Mehr als eine halbe Million US-Soldaten kämpften 1969 in den Reisfeldern und Dschungeln Vietnams. In ihrer großen Mehrheit waren es Wehrpflichtige, die den Sinn und die moralische Rechtfertigung des Feldzugs nicht nachvollziehen konnten. Im gesamten Krieg starben mehr als drei Millionen Vietnamesen und über 50.000 Amerikaner.
John Lennon bezog in Montreal nicht das erste Mal Position gegen den Vietnamkrieg. Schon am 11. August 1966 hatte er die fortgesetzten Bombenangriffe der U.S. Air Force auf die nordvietnamesische Hauptstadt Hanoi öffentlich verurteilt. Er war einer der ersten bekannten Popmusiker, der diesen Krieg der Amerikaner anprangerte.
Lennon war der politische Kopf der Beatles. Ende August 1966 gab die Band vor Beginn einer US-Tournee eine Pressekonferenz in New York. Auf die Frage, ob einer der Gruppe etwas zum Vietnamkrieg sagen könne, sagte Lennon: "Wir mögen ihn nicht." - "Können Sie das näher ausführen?", fragte ein Journalist nach. Lennon antwortete: "Ich habe das schon genug ausgeführt. Wir mögen ihn einfach nicht. Wir mögen Krieg nicht." Und sein Kollege George Harrison pflichtete ihm bei: "Es ist einfach falsch, und es ist offensichtlich, dass es falsch ist. Und das ist alles, was dazu gesagt werden muss."
John Lennon und Yoko Ono hatten sich Ende 1966 kennen- und im Mai 1968 lieben gelernt. Lennon verließ seine Frau Cynthia und heiratete am 20. März 1969 Yoko Ono im britischen Gibraltar. Anschließend reisten die beiden nach Amsterdam und begannen dort ihre persönliche Friedenskampagne. Sie quartierten sich in der Präsidentensuite des Hilton-Hotels zu einem "Bed-in" ein, machten aus ihren Flitterwochen einen politischen Protest.
Eingerahmt von Blumenbouquets und Körben mit Früchten residierten sie eine Woche im Bett. Journalisten und Fotografen belagerten sie, und Lennon machte Sprüche wie: "Wenn Hitler und Churchill im Bett geblieben wären, wären heute noch viele Menschen am Leben." Das Paar dekorierte die Suite mit selbstgemalten Plakaten. Darauf stand "Lass dir die Haare wachsen" oder "Bleib im Bett".
"Frieden muss man so verkaufen, wie man Seife verkauft"
Die beiden nutzten Lennons Status als Superstar dafür, ihre pazifistische Botschaft in die Medien zu transportieren. "Frieden muss man so verkaufen, wie man Seife verkauft", sagte Lennon. In den TV-Nachrichten und Filmen sehe man immer nur Krieg, Krieg, Krieg, töten, töten, töten - "sehen wir zu, dass wir Frieden, Frieden, Frieden in die Schlagzeilen kriegen".
Nach dem Amsterdamer Bed-in wollten John und Yoko nach New York. Doch die USA verweigerten dem Beatle die Einreise, weil er im Jahr zuvor in England wegen des Besitzes von 219 Gramm Marihuana verurteilt worden war, wie es Philip Norman in seiner Lennon-Biographie schildert. Die beiden reisten zunächst auf die Bahamas, aber dort war es ihnen zu heiß für ein Bed-in. Schließlich flogen sie nach Toronto, wo ihnen die kanadischen Einwanderungsbehörden ein temporäres Visum erteilten.
"Give Peace a Chance" - vier Minuten und 54 Sekunden lang - erschien in England am 4. Juli 1969 auf dem Apple-Label der Beatles als Single der "Plastic Ono Band", drei Tage später in den USA. Die Platte erreichte Platz 14 in den US-Single-Charts, Rang vier in Deutschland, Rang zwei in England und war Nummer-eins-Hit in den Niederlanden. Als Urheber waren Lennon/McCartney angegeben, obwohl der Beatles-Bassist nichts mit der Entstehung des Songs zu tun hatte. Lennon bereute später, dass nicht Yoko Ono anstelle von Paul McCartney als Mitautorin genannt wurde.
Der Text war teils spontan von Lennon improvisiert, Wortspielereien, zugleich der größte gemeinsame Nenner eines unpolitischen Pazifismus, der sämtliche Ideologien ablehnt. Die erste Strophe: "Everybody's talking about Revolution, Evolution, Masturbation, Flagellation, Regulation, Integrations, Mediations, United Nations, Congratulations".
"Give Peace a Chance" wurde schnell zur Hymne für Friedensdemonstrationen und ist heute fast so bekannt wie Lennons populärster Song "Imagine", ein Jahr später aufgenommen. Der große Sänger, Musiker und Autor wurde im Dezember 1980 von einem geisteskranken Fan in New York erschossen.
19 BilderJohn Lennon & Yoko Ono: Heute bleiben wir im Bett. Morgen auch
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Drei Tonarten müssen reichen: Lennon und der Gitarrist Tom Smothers spielten bei "Give Peace a Chance" Gitarre. Vor Lennon saß und sang Timothy Leary, Guru der Hippies und Drogen-Propagandist: "Turn on, tune in, drop out" - Aufnahme vom 1. Juni 1969 im Queen Elizabeth Hotel in Montreal.
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Pennen als Protest: Der Beatle John Lennon und seine Frau, die japanische Künstlerin Yoko Ono, erfanden eine neue Form des politischen Happenings - das Bed-in. Sie blieben im Bett. Vom 25. bis zum 31. März 1969 hielten sie in der Präsidentensuite des Hotels Hilton in Amsterdam Hof, Ende Mai und Anfang Juni dann in Montreal. Dort entstand die simple, höchst eingängige .
Foto: Hulton Archive/ Central Press/ Getty Images
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Beatlemania: Als die vier "Pilzköpfe", wie sie in Deutschland genannt wurden, am 13. Oktober 1963 im Londoner Palladium in Val Parnell's Sunday Night auftraten, hatten sie ein paar Monate zuvor die Hitsingle "She loves you" veröffentlicht. Sie waren auf dem Weg zu Weltruhm: Vorn Paul McCartney, George Harrison, John Lennon (von links), hinten am Schlagzeug Ringo Starr.
Foto: Michael Webb/ Hulton Archive/ Getty Images
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Gegen den Krieg: Als die Beatles bei einer Pressekonferenz in New York anlässlich des Starts einer Amerika-Tournee nach ihrer Meinung zum Vietnamkrieg gefragt wurden, sagte John Lennon: "Wir mögen ihn nicht." - "Können Sie das näher ausführen?", fragt ein Journalist nach. Und Lennon antwortete: "Ich habe das schon genug ausgeführt. Wir mögen ihn einfach nicht. Wir mögen Krieg nicht."
Foto: Michael Ochs Archives/ Getty Images
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Vietnam: Die US-Regierung schickte ab Mitte der Sechzigerjahre immer mehr Truppen nach Südostasien. Sie sollten verhindern, dass Kommunisten und Nationalisten aus dem Norden des geteilten Vietnams auch den Süden eroberten und das Land wiedervereinigten. US-Soldaten verbrannten systematisch Dörfer, um Guerillakämpfer ihrer Unterschlupfe zu berauben (Bild vom 10. Januar 1966 in der südvietnamesischen Provinz Binh Duong).
Foto: Horst Fass/ AP
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Der Napalm-Horror: Ein großer Teil der Jugend der Welt war über den Krieg der US-Army in Vietnam entsetzt. Mehr als drei Millionen Vietnamesen starben in dem Krieg, die Verletzten blieben ungezählt, wie diese Zivilisten, die versehentlich getroffen wurden, als ein südvietnamesischer Pilot eine Napalmbombe auf ein südvietnamesisches Dorf abwarf. Dieses berühmte Foto vom 8. Juni 1972 zeigt ein neunjähriges Mädchen auf der Flucht vor den Napalm-Angriffen.
Foto: Nick Ut/ AP
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Die japanische Künstlerin Yoko Ono war Tochter eines Bankiers und machte sich ab Mitte der Sechzigerjahre als Exponentin der Fluxus-Bewegung in New York einen Namen. Als die Londoner Lisson Gallery im November 1966 eine Einzelausstellung von ihr zeigte, lernte sie auf einer Vorbesichtigung den weltbekannten Beatle John Lennon kennen. Im Mai 1968 begannen die beiden eine Affäre und ließen sich bald von ihren jeweiligen Ehepartnern scheiden.
Foto: Bentley Archive/ Popperfoto/ Getty Images
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Mit Marihuana erwischt: John und Yoko am 19. Oktober 1968 beim Verlassen des Marylebone-Amtsgerichts in London nach einer Anhörung. In der Wohnung der beiden hatten Polizisten tags zuvor bei einer Razzia 219 Gramm Gras gefunden. Lennon übernahm die alleinige Verantwortung, damit Ono nicht aus Großbritannien ausgewiesen würde. Das Mitglied des "Most Excellent Order of the British Empire" wurde lediglich zu einer Geldstrafe von 150 Pfund verurteilt.
Foto: Andrew MacLear/ Getty Images
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Honeymoon: Nach ihrer Hochzeit in Gibraltar am 20. März 1969 fuhren Lennon und Ono nach Amsterdam, wo sie das erste ihrer "Bed-ins for Peace" inszenierten. Sie blieben eine Woche im Bett - für den Frieden. Die Aufnahme zeigt John Lennon bei der Ankunft im Hilton Hotel in seinem weißen Rolls-Royce.
Foto: ANP Photo/ action press
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Haarige Sache: Eine Niederländerin in Nationaltracht beobachtete erfreut das prominente Paar in Flitterwochen, das ganz offenkundig ein Faible für lange Haare hatte. "Lass deine Haare wachsen", schrieben sie auf ein Poster, oder auch nur: "Haare, Frieden".
Foto: ANP Photo/ action press
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Pazifistische Botschaften: "Wenn Hitler und Churchill im Bett geblieben wären, wären eine Menge Leute heute noch am Leben", sagte Lennon zu einem Reporter - Foto aus dem Hilton-Hotel in Amsterdam vom März 1969.
Foto: Mark and Colleen Hayward/ Redferns/ Getty Images
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Schon wieder bettlägerig: Am 1. April 1969 sprachen Lennon und Ono in der Fernsehshow "Today" mit dem britischen Moderator Eamonn Andrews (l.). Für den Frieden sei er bereit, sich zum "Clown der Welt" zu machen, sagte Lennon.
Foto: Keystone/ Hulton Archive/ Getty Images
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Unerwünscht: Lennon und Ono wollten nach New York fahren, doch die US-Regierung verweigerte dem Beatle die Einreise wegen seiner Verurteilung für den Besitz von Marihuana in London im Jahr 1968. Sie flogen nach Toronto in Kanada und fuhren von dort weiter nach Montreal.
Foto: Jeff Goode/ Toronto Star/ Getty Images
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All in: "Sit-in", "Bed-in", "Walk-in" - die Protestbewegung der späten Sechzigerjahre dachte sich allerlei neue Aktionsformen aus. Das Bild zeigt das Zimmer 1742 im Queen Elizabeth Hotel in Montreal, wo Lennon und Ono eine Woche im Bett verbrachten und "Give Peace a Chance" sangen.
Foto: Rex Features Ltd./ action press
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Es muss Liebe sein: "Make Love not War" war die Botschaft von John und Yoko. Die Boulevardjournalisten und Fotografen, die sich Sex und einen deftigen Skandal wünschten, wurden allerdings enttäuscht. Züchtig im Pyjama empfingen die beiden Friedensaktivisten die Weltpresse.
Foto: Bettmann Archive/ Getty Images
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Eine Woche im Bett: Zur persönlichen Friedenskampagne des Paares gehörten auch etliche Interviews, die sie Journalisten im Hotelzimmer oder per Telefon gaben.
Foto: Bettmann Archive/ Getty Images
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Aufklärung: Lennon und Ono waren nach den Bed-ins in Amsterdam und Montreal als Pazifisten aktiv. Neben einem Rekrutierungsbüro der US-Streitkräfte am Times Square in New York ließen sie Ende 1969 ein Antikriegsbanner aufhängen: "Krieg ist vorbei. Wenn du es willst. Schöne Weihnachten von John und Yoko."
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"Give Peace a Chance": Lennons teils spontan ausgedachter Song wurde zur Hymne für Pazifisten in der ganzen Welt.
Entsetzte Fans: Der große Sänger, Musiker und Autor starb im Dezember 1980 einen gewaltsamen Tod. Ein Geisteskranker schoss vor dem Dakota-Gebäude in New York auf ihn; zuvor hatte er sich schon
Foto: Ron Galella/ Ron Galella Collection/ Getty Images