
Simon Klingert: Als Journalist im Krieg
Unterwegs im Kriegsgebiet "Genau ein Schuss"
Der 20. August 2009 wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben. Damals war ich mit meinem Kollegen James Foley einige Wochen lang in Afghanistan unterwegs. Für amerikanische Medien berichteten wir über den Vorlauf der Präsidentschaftswahlen.
Ein abgelegener Außenposten der US-Armee in der ostafghanischen Provinz Kunar diente uns als Stützpunkt für unsere Exkursionen in die umliegenden Dörfer. Zusammen mit den afghanischen Sicherheitskräften sollten die GIs für die notwendige Sicherheit sorgen, damit die Wahlen stattfinden konnten.
Unumstrittener Herrscher dieses Abschnitts des Kunartals war ein Kriegsfürst namens Haji Jan Dad. Er bot den US-Kommandeuren vor Ort einen verlockenden Deal an. Für Geld, Munition und Verpflegung würde er die Männer seiner Miliz gegen die Taliban kämpfen lassen, um die Abstimmung zu ermöglichen. Die Amerikaner wollten nicht den Eindruck erwecken, dass dies eine Wahl der Amerikaner sei und der Präsident Karzai als Marionette gewählt würde. Dementsprechend kam ihnen der Plan entgegen, die afghanischen Sicherheitskräfte vor Ort für die Sicherheit sorgen zu lassen.
Direkt vor unseren Füßen zersprang der Felsbrocken
Bereits kurz nach Sonnenaufgang hallte am Wahltag das Echo von automatischem Gewehrfeuer von den Berghängen. Wer da auf wen schoss, war für den Moment nicht auszumachen. Bislang hatten sich noch keine Wähler auf der Straße blicken lassen.
Gegen Mittag schienen die Gefechte in den Bergen etwas nachzulassen, was wohl auf die drückende Hitze zurückzuführen war. Vielleicht machten aber auch Haji Jan Dads Männer zusammen mit den Talibankämpfern gerade Mittag.
Jim und ich machten es uns ein Stück weit vor dem gepanzerten Fahrzeug am Rande eines ausgetrockneten Flussbetts bequem. Der Schweiß hatte die Hemden unter unseren schweren kugelsicheren Westen vollkommen durchnässt.
Mit einem Mal zersprang der Felsbrocken direkt vor unseren Füßen in tausend Stücke. Genau ein Schuss. Ein Heckenschütze. Ein Schauer von Gesteinsplittern prasselte auf uns nieder.
In solchen Momenten scheint die Zeit kurz stillzustehen, bis der menschliche Verstand die Gefahr realisiert. Dann setzt der Körper massiv Adrenalin frei und man reagiert so, wie man es im Idealfall geübt hat.
Wir gingen hinter dem Fahrzeug in Deckung. Schon ratterte ein Maschinengewehr los. Der Amerikaner am Abzug hatte gesehen, dass jemand auf uns geschossen hatte.
Einen Heckenschützen sieht man in der Regel nicht. Perfekte Tarnung ist ihm ebenso wichtig wie eine gute Schussposition. Er wird vielleicht 800 Meter entfernt gewesen sein. Bei dieser Entfernung spielt schon der Wind eine Rolle. Da kann auch ein geübter Schütze daneben schießen.
Bei uns zeigte das Adrenalin seine Wirkung. Wir grinsten bis über beide Ohren.
Der maskierte Henker stand bereits hinter ihm
Am Nachmittag beruhigte sich die Lage. Wir marschierten ins nächste Dorf, um die Stimmung im Wahllokal zu erfassen. Einige Dutzend Männer und Jungen standen abseits der Straße um einige Tische herum. Die Wahlurnen waren hinter zwei aufgestellten Pappkartons im Gebüsch aufgebaut. Eine Schule, wie sie in anderen Orten als Wahllokal genutzt wurde, gab es in diesem Dorf nicht.
Später am Abend bearbeiteten wir das Material des Tages. Beim Durchsehen der Bilder holte uns die Situation vom Vormittag wieder ein.
"Wir haben heute echt Glück gehabt". sagte ich nur. Jim nickte. Wir fingen an zu grinsen. Beide hatten wir schon Schlimmeres erlebt. Wir machten Scherze und lachten, um dem Krieg den Schrecken zu nehmen. Der Talib mit seinem schmutzigen Bart und ausgelatschten Sandalen, der muss sich schon ein bisschen mehr anstrengen, um uns auszuknipsen.
Auf den Tag genau fünf Jahre später habe ich das Video gesehen, in dem mein Kollege, Weggefährte und guter Freund James Foley enthauptet wurde.
Seit seiner Entführung im syrischen Bürgerkriegsgebiet im November 2012 hatte ich 635 Tage auf ein Lebenszeichen von ihm gewartet. Das letzte, was man von Jim zu sehen bekam, war, wie er mit einem orangen Overall bekleidet im Wüstensand kniete und seine letzten Worte sprach. Der maskierte Henker stand bereits hinter ihm, sein Mordwerkzeug, das Messer, schon in der Hand.
Mir kam unser Erlebnis in Afghanistan in den Sinn. Wir waren uns der Gefahren damals sehr bewusst. Gelacht haben wir trotzdem, weil wir gut waren und Schneid hatten. Und weil wir der Gefahr so ihren Schrecken genommen haben. Illusionen hatten wir trotzdem keine.
Jim wusste um die Risiken
Der Schutz, den Journalisten viele Jahrzehnte durch ihren Status als Berichterstatter in Kriegs- und Krisengebieten genossen, erodiert immer mehr. Viele Kriegsteilnehmer sind nicht mehr so sehr auf ihnen wohlgesonnene Journalisten angewiesen. Durch die sozialen Medien steht ihnen eine Vielzahl an Kanälen zur Verfügung, über die sie ihre Sicht der Dinge verbreiten können.
Heutzutage werden unabhängige Journalisten von vielen Konfliktparteien zunehmend als teilnehmende Akteure begriffen. Nach dieser Logik geben Reporter ein legitimes Ziel ab. Wer in die Hände von Terrormilizen wie dem "Islamischen Staat" fällt, muss damit rechnen, vor der Kamera zu Propagandazwecken brutal ermordet zu werden.
Die amerikanischen Truppen, die Jim und ich begleitet hatten, galten den Genfer Konventionen gemäß als Kombattanten und damit als legitime militärische Ziele. Trotzdem war das Risiko einigermaßen kalkulierbar. Wir mussten damit rechnen, angesprengt oder beschossen zu werden. Aber eine Entführung und eine anschließende Hinrichtung vor laufender Kamera, das war in unserem Fall ein eher unwahrscheinliches Schicksal.
Jim wusste um die Risiken. Und er wusste auch um den Preis, den jeder zahlen muss, wenn er nur lange genug im Krieg ist. 2011 wurde er im libyschen Bürgerkrieg von Gaddafi-Anhängern gefangen genommen. Nach 44 Tagen ohne Lebenszeichen wurde er schließlich freigelassen. Sein Kollege Anton Hammerl, mit dem er im Osten des Landes unterwegs gewesen war, hatte weniger Glück. Er wurde bei der Gefangennahme erschossen.
Die Geschichten und das aufregende Leben waren für Jim diesen Preis wert. Natürlich kann man die Risiken, die man in diesem Beruf auf sich nimmt, bis zu einem gewissen Grad kalkulieren. Man hat seine Erfahrungen. Man hat seine Schutzausrüstung, eine kugelsichere Weste, Splitterschutzbrille und Helm. Aber das hilft eben nur bis zu einem gewissen Punkt. Danach wird es philosophisch.
Ob man an Gott glaubt, an das Schicksal oder sein Dasein als Atheist fristet - irgendwann kommt man an einen Punkt, an dem man seine Lage nicht mehr beeinflussen kann. Dann muss man bereit sein, den Dingen ins Auge zu sehen und Konsequenzen zu tragen. Wenn es einen gab, der dazu bereit war, dann war es Jim.
Geschichten von Menschen aus dem Krieg zu erzählen, war eine Leidenschaft, die ihn nahezu unaufhaltsam vorangetrieben hatte. In den letzten Monaten der Gefangenschaft und seiner Ermordung trug sich Jim mit dem Gedanken, sich für die Aussöhnung zwischen Moslems und Christen in Syrien einzusetzen.
Das Miteinander der Menschen war ihm wichtiger geworden als das Geschichtenerzählen.
Der Autor und Fotograf Simon Klingert ist einer der Protagonisten des Radiofeatures "Kriegsalbum", das am 30. November 2014 im rbb Kulturradio ausgestrahlt wird. Anlässlich der Sendung sammelt der rbb Geschichten von Menschen, die im Krieg sind oder waren. Wenn Sie Menschen kennen, die in Kriegsgebieten tätig sind oder selbst ähnliche Erfahrungen gemacht haben und ihre Geschichten teilen möchten, können Sie sich hier melden: www.kulturradio.de/Kriegsalbum
Nach dem Tod von James Foley wurde ein Fonds ins Leben gerufen, der Familien von entführten Journalisten hilft und Reporter in Kriegsgebieten unterstützt: http://jamesfoleyfund.org