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Kaiserreich-Souvenirs Einen Bismarck voll Bier, bitte!

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SPIEGEL: Wer das wirklich will, kann heute eine Prince-Charles-Coronamaske zum Queen-Elisabeth-T-Shirt tragen, aus einer Kate-und-William-Tasse Tee schlürfen und sich im Harry-Pyjama ins Bett legen. Frau Witt, Herr Cortjaens, Sie betreuen am Deutschen Historischen Museum in Berlin die Sammlungen Alltagskultur und Angewandte Kunst. Gab es auch schon zu Zeiten der deutschen Kaiser eine royale Souvenir-Industrie?
Sabine Witt: Aber ja! Unsere Sammlung Alltagskultur zeigt die Bandbreite solcher Souvenirs und Memorabilien. Sie reicht von Aschenbechern und Puppengeschirr, Automatenblechdöschen, Ankleide- und Ausschneidefiguren bis hin zu Laternen für Lichterumzüge oder Taschenspiegeln mit Darstellungen der Monarchen. Die Blechdöschen für die Süßwarenautomaten der Dresdner Firma Hartwig & Vogel belegen außerdem, dass sich royales Merchandising nicht nur auf den Kaiser bezog: In Form und Gestalt identisch, preiswert und massenhaft hergestellt und bedruckt, zeigen sie das Kaiserpaar Wilhelm II. und Auguste Viktoria ebenso wie das Kronprinzenpaar Friedrich Wilhelm und Cecilie oder die Monarchen anderer deutscher Länder.
SPIEGEL: Monarchendosen als Bonbonverpackung! Durfte jeder so etwas herstellen, oder brauchte man eine Lizenz?
Wolfgang Cortjaens: Ein autorisiertes Merchandising gab es meines Wissens nicht. Eine Ausnahme von der Regel ist die Königlich Preußische Porzellanmanufaktur: Die KPM hatte tatsächlich ein Monopol auf Luxuswaren mit Bildnissen von Mitgliedern des Hauses Hohenzollern, wie das Beispiel einer Prunkvase mit dem von Hand gemalten Konterfei Wilhelms I. auf der Vorderseite und dem Berliner Schloss auf der Rückseite zeigt.
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SPIEGEL: Warum stellte man sich so etwas in die Wohnung?
Cortjaens: Im privaten Bereich dokumentierten solche Objekte Loyalität und Königstreue, aber eben auch Standeszugehörigkeit, denn solch ein Prunkstück konnten sich nur Angehörige der Oberschicht leisten. Viele dieser KPM-Erzeugnisse wurden für die Schlösser der königlichen Familie, aber auch für öffentliche Einrichtungen gefertigt.
SPIEGEL: Der Kaiser selbst stellte sich Kaiser-Memorabilien ins Schloss?
Cortjaens: Meist handelte es sich um Sonderanfertigungen, die von hochstehenden Einzelpersonen, Vereinigungen oder Sozietäten als Huldigungsgeschenk an den König und späteren Kaiser in Auftrag gegeben wurden. Die damals preußische Rheinprovinz etwa schenkte dem Kaiser anlässlich der Reichsgründung 1871 einen goldenen Lorbeerkranz. Meist ist bei so etwas ein direkter Bezug zu aktuellen historischen Ereignissen oder dem Dienstjubiläum hochstehender Persönlichkeiten und Militärs gegeben. Das gilt auch für den Tafelaufsatz in Form eines Denkmals, das von der Figur Wilhelms I. bekrönt wird und an das Bismarckdenkmal im Berliner Tiergarten erinnert.
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SPIEGEL: Ein Indoor-Denkmal wirkt wohl nur dann gut, wenn auch die Wohnungsgröße stimmt. Kleine Leute kauften doch sicher auch kleinere Souvenirs?
Cortjaens: Preiswerte Souvenirs und Devotionalien wie Humpen, Pfeifenköpfe, Tabletts oder Wandteller könnte man als »Arme-Leute-Variante« für die Wände oder das Büfett der bürgerlichen Wohnstuben bezeichnen.
Witt: Und manche dieser Souvenirs zeigen einen stärker spielerischen Umgang mit der Monarchie. In der Sammlung haben wir zum Beispiel Ankleidefiguren Wilhelms II., bei denen zwischen drei von ihm bevorzugten Paradeuniformen gewählt werden konnte: Wilhelm II. als General des 1. Garde-Regiments zu Fuß mit großem Ordensschmuck, in der weißen Paradeuniform der Garde du Corps-Kürassiere oder im Dress seines Leibgarde-Husarenregiments.
SPIEGEL: Viele Kaiser-Souvenirs, die man heute noch findet, stammen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs.
Witt: Ja, damals wurde eine neue »Sparte« sehr populärer, jedenfalls noch heute vielfach angebotener und gesammelter Memorabilien produziert: Erinnerungsteller und -tassen, Aschenbecher, Dosen, Taschenspiegel, aber auch Puppengeschirr. Sie zierten die Porträts der »im Kampf vereinten Waffenbrüder« Wilhelm II. und Kaiser Franz Joseph von Österreich-Ungarn – bisweilen als Tripel-Allianz gemeinsam mit dem Osmanenherrscher Mehmed V.
SPIEGEL: Viele Souvenirs wirken heute sehr skurril. Kaufte man sich einen Bierhumpen in Kaiserkopfform wirklich aus Bewunderung, oder war da Humor und ironische Distanz im Spiel?
Cortjaens: Aus heutiger Sicht erscheint so ein Humpen oder Pfeifenkopf natürlich ziemlich bizarr. Aber als Historiker weiß man, dass figürliche Trinkgefäße eine lange Tradition hatten, man denke etwa an die seit dem Mittelalter beliebten »Bartmann-Krüge«. Eher handelt es sich um eine Form gerade noch zulässiger Verballhornung, denn immerhin war der Kaiser als Staatsoberhaupt die allerhöchste Respektsperson. Paragraf 95 des 1872 in Kraft getretenen Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich sah im Fall einer Majestätsbeleidigung je nach Schweregrad Gefängnis oder sogar Festungshaft zwischen zwei Monaten und fünf Jahren vor.
SPIEGEL: In Hamburg protokollierten kaiserliche Polizeispitzel auf der Suche nach Kritikern des Systems die Gespräche von Kneipengästen. Aber Kaiser und Kanzler mit Bier zu füllen – das lag offenbar noch im Rahmen des Akzeptablen.
Cortjaens: Es mag in einer sehr reglementierten Epoche wie dem Wilhelminischen Zeitalter für die Menschen durchaus befreiend gewesen sein, bei einem Schoppen den Kaiser sozusagen von seinem Sockel und in die »gute Stube« zu holen. Also gewissermaßen gemeinsam mit ihm einen »zu heben«. Man muss sich zudem vergegenwärtigen, dass die damalige Zeit über ein blühendes Vereinsleben verfügte. Gesellige Zusammenkünfte waren an der Tagesordnung, zum Beispiel in schlagenden Verbindungen. Wie vor dem Hintergrund des Paragrafen 95 allerdings das Schnupftuch mit dem Kaiserporträt zum Einsatz gekommen sein soll, ohne damit ihre Majestät zu beleidigen, kann ich mir tatsächlich nicht vorstellen...
SPIEGEL: In den USA bringt die Versteigerung eines Bismarck-Bierhumpens schon mal 2500 Euro. Sind Kaiserzeit-Souvenirs Geldanlagen, und muss man Fälschungen fürchten?
Cortjaens: Man findet Kaiser-Souvenirs bei Auktionen und privaten Anbietern, sogar auf Flohmärkten. Aber ich glaube eher nicht, dass in diesem Bereich viel gefälscht wird. Allein schon, weil es sich finanziell nicht rentiert. Diese Objekte gelten in der allgemeinen Wahrnehmung heute ja eher als »Ramsch«, und international ist der Markt doch eher begrenzt. Spannend fände ich die Frage, warum gerade die USA ein so guter Absatzmarkt sind. China übrigens auch, schon wegen der deutschen Kolonie Tsingtau! Und Japan sowieso.
SPIEGEL: Wo kann man sich in Deutschland heute Sammlungen solcher Souvenirs ansehen?
Cortjaens: Für Berlin wäre neben dem Deutschen Historischen Museum die Stiftung Stadtmuseum zu nennen, außerhalb Berlins etwa das Museum der Alltagskultur Schloss Waldenbuch, ein Haus des Landesmuseums Württemberg. Häufig lohnt auch ein Blick in kleine Stadt- und Regionalmuseen, dort kann man interessante und schräge Objekte aus der Wilhelminischen Zeit entdecken. Aber die Kaiserzeit ist in all diesen Museen natürlich immer nur ein Ausschnitt des Angebots und dem jeweiligen Narrativ der Dauer- und Wechselausstellung angepasst. Ein Museum der Kaiserzeit gibt es in Deutschland nicht, es wäre möglicherweise auch nicht zeitgemäß. Außerdem ist gerade diese Epoche in der allgemeinen Wahrnehmung eher negativ besetzt, weil die Geschichtsschreibung nach 1945 sie meist einseitig als Vorspiel zweier Weltkriege interpretiert hat.
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Otto von Bismarck als Bierkrug (um 1914): Einmal mit den Mächtigen »einen heben« – manche Souvenirs aus der Zeit des Kaiserreichs wirken aus heutiger Sicht bizarr. »Figürliche Trinkgefäße hatten eine lange Tradition«, sagt Historiker Wolfgang Cortjaens vom Deutschen Historischen Museum in Berlin im SPIEGEL-Interview. Mitunter habe es sich um eine Form »gerade noch zulässiger Verballhornung« gehandelt.
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Autogrammfächer (zwischen 1914 und 1916): Mit zwei Kaisern und ihren Generälen konnte man sich Luft zufächeln.
Denkmal fürs heimische Wohnzimmer: Wirkte nur auf sehr großen Möbeln filigran (ca. 1901)
Des Kaisers Kleider: Kein Wilhelm ohne Uniform (um 1900) – der stolze Besitzer dieser Ankleidefigur konnte zwischen gleich drei Paradeuniformen wählen.
Der andere Kaiser: Das Bild von Franz-Joseph wurde im Ersten Weltkrieg an österreichische Veteranen verteilt.
Beim Barte des Kalifen: Ein Klappspiegel für Kriegsmonarchen-Fans – die Kaiser Wilhelm II. und Franz-Joseph I. mit Bündnispartner Kalif Mehmed V.
Bonbondose aus dem Automaten (nach 1905): »Royales Merchandising bezog sich nicht nur auf den Kaiser«, sagt Sabine Witt vom Deutschen Historischen Museum, ebenso etwa auf das Kronprinzenpaar Friedrich Wilhelm und Cecilie, wie hier, oder auf Monarchen anderer deutscher Länder.
Popularitätszeichen: Bedruckt wurden die Dosen mit allem, was beliebt war – von Autos bis Autokraten. Ein autorisiertes Merchandising für kaiserliche Souvenirs gab es damals allenfalls in Ausnahmefällen.
Teller, Schmuck, eine Tafel Schokolade: Auf allem prangt der Kaiser (ca. 1914).
Militär-Nostalgie: Souvenir für Reservisten des Heeres
Prunkvase (um 1876): Beweise der Kaisertreue – auf solche Luxuswaren hatte die Königlich Preußische Porzellanmanufaktur ein Monopol.
Puppengeschirr mit Monarchen (circa 1914): Kaiserliche Souvenirs gab es als Ausweis von Loyalität und Standeszugehörigkeit für die Oberschicht, aber auch in der »Arme-Leute-Variante« für die Wände oder das Büfett bürgerlicher Wohnstuben, so Historiker Wolfgang Cortjaens.
Otto von Bismarck als Bierkrug (um 1914): Einmal mit den Mächtigen »einen heben« – manche Souvenirs aus der Zeit des Kaiserreichs wirken aus heutiger Sicht bizarr. »Figürliche Trinkgefäße hatten eine lange Tradition«, sagt Historiker Wolfgang Cortjaens vom Deutschen Historischen Museum in Berlin im SPIEGEL-Interview. Mitunter habe es sich um eine Form »gerade noch zulässiger Verballhornung« gehandelt.
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Bonbondose aus dem Automaten (nach 1905): »Royales Merchandising bezog sich nicht nur auf den Kaiser«, sagt Sabine Witt vom Deutschen Historischen Museum, ebenso etwa auf das Kronprinzenpaar Friedrich Wilhelm und Cecilie, wie hier, oder auf Monarchen anderer deutscher Länder.
Foto: Deutsches Historisches MuseumPuppengeschirr mit Monarchen (circa 1914): Kaiserliche Souvenirs gab es als Ausweis von Loyalität und Standeszugehörigkeit für die Oberschicht, aber auch in der »Arme-Leute-Variante« für die Wände oder das Büfett bürgerlicher Wohnstuben, so Historiker Wolfgang Cortjaens.
Foto: Deutsches Historisches MuseumOtto von Bismarck als Bierkrug (um 1914): Einmal mit den Mächtigen »einen heben« – manche Souvenirs aus der Zeit des Kaiserreichs wirken aus heutiger Sicht bizarr. »Figürliche Trinkgefäße hatten eine lange Tradition«, sagt Historiker Wolfgang Cortjaens vom Deutschen Historischen Museum in Berlin im SPIEGEL-Interview. Mitunter habe es sich um eine Form »gerade noch zulässiger Verballhornung« gehandelt.
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Bonbondose aus dem Automaten (nach 1905): »Royales Merchandising bezog sich nicht nur auf den Kaiser«, sagt Sabine Witt vom Deutschen Historischen Museum, ebenso etwa auf das Kronprinzenpaar Friedrich Wilhelm und Cecilie, wie hier, oder auf Monarchen anderer deutscher Länder.
Foto: Deutsches Historisches MuseumPuppengeschirr mit Monarchen (circa 1914): Kaiserliche Souvenirs gab es als Ausweis von Loyalität und Standeszugehörigkeit für die Oberschicht, aber auch in der »Arme-Leute-Variante« für die Wände oder das Büfett bürgerlicher Wohnstuben, so Historiker Wolfgang Cortjaens.
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