Fotostrecke

Kalter Krieg: Wunderwaffe Jazz

Foto: Marty Lederhandler/ AP

Kalter Krieg Wunderwaffe Jazz

Wenn die Propaganda swingt: So wie heute Rockstars konnten in den Fünfzigerjahren Jazzmusiker die Massen begeistern. Also schickte die US-Regierung Louis Armstrong und Benny Goodman als musikalische Mobilmacher in den Ost-West-Konflikt.

Die Idee, mittels Jazz für Amerika zu werben, stammt wohl vom afro-amerikanischen Kongressabgeordneten Adam Clayton Powell jr. Der Demokrat aus dem New Yorker Schwarzenviertel Harlem hatte erkannt, was zunehmend auch der US-Regierung aufgegangen war: Renommier-Ensembles wie dem Bolschoi-Ballett und klassischen Virtuosen wie David Oistrach hatten die USA nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Also solle man es mit Amerikas ureigenem Beitrag zur Weltkultur versuchen, schlug Powell vor, mit Jazz.

Der Kalte Krieg wurde nämlich nicht nur mit dem Droharsenal von Raketen und Düsenjägern ausgefochten. Für den Wettkampf der Systeme mobilisierten die Supermächte auch Sänger, Tänzer und Akrobaten. Die sollten auf dem Territorium des Gegners und in der Dritten Welt für den östlichen Sozialismus beziehungsweise den westlichen Kapitalismus punkten.

Fotostrecke

Kalter Krieg: Wunderwaffe Jazz

Foto: Marty Lederhandler/ AP

Den Vorschlag, Jazz als Waffe im Kampf der Kulturen einzusetzen, akzeptierte US-Präsident Eisenhower; und ab 1956 reisten Künstler wie Louis Armstrong, Dizzy Gillespie und Benny Goodman in den Ostblock und in die von Washington wie Moskau umworbenen neuen Staaten in Afrika und Asien. Bereits 1955 begann der staatliche Radiosender Voice of America, die Sendung "Music USA" auf Kurzwelle rund um die Erde auszustrahlen.

Die Stimme Amerikas im Ostblock

Das Jazzprogramm des Moderators Willis Conover wurde unter osteuropäischen Jugendlichen Kult. Der Mann mit dem markanten Bariton redete nie über Politik. Conover kündigte vorwiegend die Musikstücke an und buchstabierte oft die Namen der Interpreten - mit verblüffenden Folgen. "Die russischen Fans klangen alle wie Willis Conover", staunte Dave Brubeck nach einem Moskau-Besuch.

Schätzungsweise 30 Millionen Menschen im Ostblock hörten die propagandafreien Jazzsendungen der Stimme Amerikas. Den Moderator ehrten in den neunziger Jahren die von Verfolgten zu Präsidenten aufgestiegenen Politiker Lech Walesa und Václav Havel. "Conover war effektiver als eine Flotte von B-29-Bombern", schrieb die "New York Times" 1996 in ihrem Nachruf auf den Rundfunkmann.

Dem Jazz über den Äther folgten Live-Auftritte seiner besten Interpreten. 100.000 Menschen drängten sich 1956 im heutigen Ghana in ein Stadion, um Louis Armstrong zu erleben; in der Sowjetunion besuchten insgesamt 115.000 Bürger Konzerte von Duke Ellington. Die Musik erzeugte überall ungewöhnliche Begeisterung. Erlebter Jazz habe "sogar unsere Art zu gehen" verändert, erinnerte sich der Leningrader Dichter Joseph Brodsky, der in seiner Heimat zum Dissidenten abgestempelt wurde und in der US-Emigration den Literatur-Nobelpreis erhielt: "Die Gelenke in notorisch verklemmten russischen Körpern begannen zu swingen."

Trojanische Pferde der US-Propaganda

Kein Wunder, dass Funktionäre in Moskau die amerikanischen Jazzer als "trojanische Pferde mit Anti-Sowjet-Propaganda im Bauch" ablehnten. Tatsächlich war das Amerika einer kreativen Rassenharmonie in den Fünfzigerjahren noch bestenfalls auf die kleine Insel des Jazz-Milieus beschränkt, in dem schwarze und weiße Musiker gemeinsam auftraten. Außerhalb davon waren die USA von Rassengleichheit weit entfernt. In Little Rock verteidigte die Nationalgarde von Arkansas 1957 noch immer die Rassentrennung und verwehrte neun schwarzen Kindern den Zutritt zu integrierten Schulen. Darüber erzürnt, weigerte sich in jenem Jahr sogar der als unpolitisch geltende Louis Armstrong, im Auftrag des State Departements in die UdSSR zu reisen.

"Musiker wie Louis Armstrong, Dizzy Gillespie und Duke Ellington nutzten die Tourneen, um für die Afro-Amerikaner Menschen- und Bürgerrechte einzufordern", schreibt die Professorin für Geschichte und Afro-Amerikanische Studien, Penny von Eschen, in einer Untersuchung über Jazz im Kalten Krieg. Der Trompeter Dizzy Gillespie betonte, seine Auslandstourneen für das State Department bedeuteten keineswegs, dass er die "rassistische Politik in Amerika" verteidige. Bei einem Gastspiel in Athen feierten ihn Studenten, die zuvor eine US-Einrichtung mit Steinen beworfen hatten.

Was die amerikanischen Jazzmusiker als Botschafter für ihr Land bedeuteten, brachte 1958 ein Cartoon im Magazin "New Yorker" auf den Punkt. Bei einer Krisensitzung im Weißen Haus über eine "äußerst delikate diplomatische Mission" fragt ein Teilnehmer: "Sollen wir (Außenminister) John Foster Dulles schicken oder Satchmo (Louis Armstrong)?"

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren