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Indianer in Bad Segeberg: Dann pinseln wir das Pferd halt blond

Foto: Astrid Mathis

Karl-May-Festspiele Wilder Westen im hohen Norden

Im norddeutschen Städtchen Bad Segeberg spielen Erwachsene Cowboy und Indianer. Seit 65 Jahren schon. Und immer sehen Tausende zu. Als Winnetou-Fan ist Astrid Mathis jedes Jahr dabei - sie kann nicht anders.

Allein diese Melodie! Löst sie den berühmten Karl-May-Virus aus? Komponist Martin Böttcher hat damit vor vielen Jahren etwas geschaffen, das heute noch Gänsehaut verbreitet. In den "Winnetou"-Filmen und natürlich auch am Kalkberg in Bad Segeberg. Vor allem da.

Seit 22 Jahren vergeht kein Sommer, in dem ich nicht zwischen Ende Juni und Anfang September nach Schleswig-Holstein reise und in die Welt der Apachen eintauche. Ich habe den inzwischen 90-jährigen Komponisten fotografiert, als er zum Ehrenhäuptling ernannt wurde. Und ich war dabei, als ein ganz großer Indianer Abschied nahm: Gojko Mitic, Star der Defa-Indianerfilme, Held meiner Jugend.

Ja, ich habe in Bad Segeberg so manches Indianer-Abenteuer erlebt. Dabei fing alles in meiner Heimat an, der Altmark, im nördlichen Sachsen-Anhalt.

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Indianer in Bad Segeberg: Dann pinseln wir das Pferd halt blond

Foto: Astrid Mathis

Es war Sommer 1995, ein Jahr nach dem Abitur. Meine Sandkastenfreundin hatte, frisch an der Uni Rostock angekommen, die Karl-May-Spiele  für sich entdeckt und erinnerte mich an unsere Winnetou-Schwärmereien. Kaum hatten wir am Segeberger See unser Zelt aufgebaut, hörten wir Schüsse und dann die erlösende Melodie - schon war ich verloren.

Ein Schuss, ein Schrei - live dabei

Ich fieberte der Vorstellung entgegen und verliebte mich in das charmante Städtchen, in dem einem einfach so Indianer und Cowboys über den Weg laufen konnten. Alle hatten dieses Strahlen um die Augen, das auch ich bald nicht mehr loswerden würde.

Von Anfang an wollten die Initiatoren etwas bieten, das Menschen jeden Alters fesselt, ihnen etwas Positives gibt. Darum ist bei den Festspielen alles drin: Kampfszenen für die Spannung, Herzschmerz für die Gänsehaut, Komik. Und immer wieder werden aktuelle Themen gestreift, wenn etwa Mathieu Carrière bei "Old Surehand" in diesem Jahr sagt: "Ein mieser Charakter im Weißen Haus? Das kann nicht sein!"

1952 hieß es in Bad Segeberg zum ersten Mal "Eine Stadt spielt Indianer", mit acht Vorstellungstagen. Schon zwei Jahre zuvor wollte Oberspielleiter Robert Ludwig dort Karl May auf die Bühne bringen, erkannte jedoch bald den immensen Aufwand der Inszenierung inklusive Bühnenbild.

NDR-Doku: "Als Winnetou in den Norden kam" (5.7.2017, 20.15 Uhr)

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Nachdem er 1950 in Hamburg mit "Winnetou" großen Erfolg hatte, war Ludwig für Bad Segeberg genau der richtige Mann. Es war der Beginn einer Ära - mit Regisseur Wulf Leisner, mit Heinz Ingo Hilgers als Winnetou und Harry Walther als Old Shatterhand.

Stets kam das Publikum auch, um seine Lieblinge zu sehen. Mit den Jahren wurden die Hauptdarsteller prominenter, die Produktionen teurer. Im Leitstand laufen alle Fäden für Ton und Beleuchtung zusammen. Immer wieder gern sitze ich bei Dietmar Dembiany im Souterrain, wo er einst mit dem langjährigen Winnetou-Darsteller Pierre Brice schnackte oder Tonaufnahmen machte. Nach 37 Jahren bei Karl May kann der gelernte Fernsehtechniker, anfangs selbst Statist, manche Anekdote erzählen.

Und am Ende siegt das Gute

Dembiany hat noch erlebt, dass die Schauspieler auf der ganzen Bühne nur zwei Mikrofone hatten - kein Gedanke an Mikroports, wie heute jeder eines trägt. Jahrzehntelang verständigten sich die Mitarbeiter im Leitstand über Feldtelefon mit der Hinterbühne. Vor 20 Jahren zog der Leitstand aus Sicherheitsgründen aus halber Höhe neben den Zuschauerreihen ganz nach oben und verfügt heute sogar über ein eigenes Tonstudio.

Die Tontechnik übernahm 2004 Thomas Fuß, dem ich gern über die Schulter schaue. Früher kamen die Zuspieler über Tonband, dann über Minidisc. Jetzt läuft alles über iMac. Sieben Jahre sind gespeichert: Bilder, Musik, ein Mausklick. "Aber", schiebt Fuß ein, "wir machen hier alles manuell. Du kannst die modernste Technik haben, sagt der Zosse Nö, dann steht hier alles still."

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Winnetous Tod: Ein Schuss, ein Schrei, das war Karl May

Foto: ddp images

Er meint die Pferde auf dem Kalkberg, ebenso schwer berechenbar wie Wetterkapriolen und die Effekte auf der Freiluftbühne - umso mitreißender für die Zuschauer. Wenn Jan Sosniok als Winnetou das Mikro wegrutscht und er in das eines Kollegen sprechen muss: Wir sind dabei. Verrichtet ein Zosse während eines dramatischen Monologs sein Geschäft: Wir lachen uns schlapp.

Oder Alexander Klaws, DSDS-Gewinner und Musical-Darsteller. Nach seiner Titelrolle in "Tarzan" entdeckt er das Reiten gerade als neue Herausforderung. Kommt Klaws als Old Surehand einmal nicht aus dem Stand aufs Pferd: Wir bangen mit.

Im Galopp zum Applaus

Jede Show ist anders. Und für jede Extra-Einlage gibt es Szenenapplaus, am Ende der Abendvorstellung Feuerwerk mit Musik. In diesem Jahr singt Klaws das Lied dazu live. Das Sahnehäubchen.

In der "Berghalle" auf dem Weg zum Freilichttheater treffe ich Hans-Werner Baurycza, 76. "Karl May war für mich und meine drei Brüder Familienbeschäftigung", erzählt der Segeberger. Sein Vater hatte ein Fuhrunternehmen und schlug Tannenbäume für die Deko, die Jungs unternahmen Werbefahrten für die Festspiele. Geld gab's keins, es war eine Ehre, dabei zu sein.

Nicht nur die Karl-May-Fans sind treue Seelen und kommen jedes Jahr zurück, auch die Mitarbeiter hinter der Bühne und die Schauspieler. "8000 Leute - so ein Fanpotenzial bekommst du nirgendwo sonst", schwärmt Ben Bremer, der 2003 in "Old Surehand" debütierte und gerade wieder als Bösewicht durch die Arena reitet.

30 Jahre ist es her, dass Joshy Peters diese spezielle Energie zum ersten Mal spürte. Inzwischen ist er 59 und genießt die Bad Segeberger Festspiele nach wie vor: Im Galopp durchs Freilichttheater beim Applaus, herrlich! Unvergleichliches Theater! Wenn er nur einen Western drehen könnte!

"Fernsehen macht doch keinen Spaß mehr"

Regisseur Norbert Schultze junior sieht Joshy Peters noch immer als Karl May auf dem Hochrad über die Bühne preschen. 17 Jahre ist er inzwischen dabei, seit zehn Jahren hat er sich ganz den Spielen verschrieben. "Fernsehen macht doch keinen Spaß mehr", meint der 74-jährige Hamburger, dessen Vater einst den Evergreen "Lili Marleen" komponierte.

Regisseur Norbert Schultze Jr.

Regisseur Norbert Schultze Jr.

Foto: Astrid Mathis

Zum Einstand fragte man ihn, ob er Karl May gelesen habe - hatte Schultze nicht. "Dann fangen Sie mal an!", hieß es. Sein Resümee danach: langatmig, mühsam, furchtbar. Meins übrigens auch.

Mit seinem Erstling "Der Scout" ging es los, "Old Surehand" ist jetzt schon Schultzes 17. Inszenierung: "Es ist mit den Jahren sicherer, professioneller geworden. Logistik ist alles." Um die 80 Beteiligte sind in Szene zu setzen und unfallfrei durch die Show zu bringen. "Aufregen nützt gar nichts. Deshalb versuche ich einfach, meine Ruhe zu übertragen", so der Regisseur.

Den größten Zuschauereinbruch am Kalkberg gab es bei der Fußball-WM 1982. Und sogar eine Abstimmung, ob man die Festspiele dicht macht. Es ging wieder aufwärts auch dank bekannter Schauspieler auf der Bühne. Volker Brandt war dabei, Lisa Fitz, Peter Hofmann, Horst Janson - und die großartige Elke Sommer. Sie lud mich einmal spontan nach der letzten Vorstellung einfach in ihr Auto und fuhr mit mir direkt zur Dernièrenfeier ins Indian Village. Was für ein Erlebnis!

Und da war er plötzlich: Winnetou!

Ich lachte mit Komikern, seufzte bei romantischen Liebesszenen, weinte mit Winnetou. Ganz und gar unvergessen aber ist einer meiner ersten Besuche: Nach der Vorstellung hielt ich fasziniert am Bühnenrand inmitten von Kindern eine Hand zum Abklatschen hin.

Gojko Mitic

Gojko Mitic

Foto: Hans-Werner Baurycza

Und dann stand mir auf dem Weg zum Zeltplatz plötzlich Gojko Mitic gegenüber. Schweißausbruch, Winnetou in echt, ein Schauspieler, mit dem man reden konnte. Und so nett, unglaublich! Ein Andenkenfoto in Schwarz-Weiß, und ich war selig.

Im Jahr darauf schafften wir es erst zum letzten Wochenende vor Spielzeitende, nach der Samstagabendvorstellung - mit Feuerwerk! - hatte ich am Sonntag schon wieder Karl-May-Sehnsucht. "Lass uns noch mal hingucken", bettelte ich und drückte mich mit meiner Freundin vor dem Eingang herum, in der Nähe des Marterpfahls. Ein Mann schenkte uns Eintrittskarten, so erlebten wir auch noch die 72. und letzte Vorstellung der Saison, gespickt mit zahlreichen Spaßeinlagen.

Von da an stand für mich fest: "Wir müssen mindestens zweimal rein." In manchem Sommer waren es gar fünf Karl-May-Wochenenden. Längst hatte ich in Bad Segeberg neue Freundschaften geschlossen und sah die Zuschauerzahl in der letzten Saison auf 366.000 wachsen. Bis zu 8000 Indianerfans pro Show genießen das Abenteuer. Hauptsache, am Ende siegt das Gute über das Böse.

"Wenn man da sitzt, ist es ganz einfach. Man erlebt die Kindheit noch mal nach: Wir reiten mit Winnetou und Old Shatterhand, wir kämpfen für Frieden", so beschreibt es Festspielveteran Hans-Werner Baurycza. Und genauso ist es.

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