

Am 20. Juli 1944 ging ein Fernschreiben in der Kaserne Krampnitz bei Potsdam ein: "Der Führer Adolf Hitler ist tot." Oberst Harald Momm, ehemaliger Olympiasieger im Springreiten, war hocherfreut: "Ordonanz, eine Flasche Schampus, das Schwein ist tot!"
Auf dem Appell-Platz versammelten sich derweil die Truppen. Von der Kaserne sollten sie nach Berlin aufbrechen. So sah es der interne Notfallplan der Wehrmacht für den Fall eines drohenden Aufstandes gegen das NS-Regime vor. Ersatz- und Ausbildungstruppen wurden mobilisiert, um kriegswichtige Punkte wie die Reichshauptstadt zu schützen.
Die Hitler-Attentäter um Claus Schenk von Stauffenberg hatten den Notfallplan mit dem Codewort "Walküre" für ihre Ziele umfunktioniert. Als die neue Nachricht einging: "Der Führer lebt", kehrten die Truppen um. Der gescheiterte Staatsstreich endete mit der Hinrichtung Stauffenbergs und seine Mitstreiter. Und auch für Oberst Momm hatte der Tag Konsequenzen: Wegen seines Spruchs war er bei der Gestapo denunziert und in eine Strafeinheit versetzt worden.
Die Wehrmachtskaserne, in der die Meldung von Hitlers vermeintlichem Tod mit einem Ruf nach Schampus beantwortet wurde, ist heute ein gespenstischer Ort. Krampnitz ruht verlassen - und wirkt zugleich unheimlich, wenn die Sonne durch die blinden Fenster des Offizierscasinos fällt und das Parkett in den leeren Hallen leuchtet. Als wären hier vor kurzen noch Offiziere in ihren Reitstiefeln durchmarschiert.
Wahrheit oder Fiktion?
In die repräsentative, prunkvolle Anlage des Architekten Robert Kisch war 1937 die renommierte Heeresreit- und Fahrschule eingezogen. Krampnitz galt als Luxuskaserne, Offiziere und Unteroffiziere des "Dritten Reichs" erhielten hier ihre Reitausbildung. Die Turnierabteilung genoss einen guten Ruf; neben den Kavalleriepferden standen Olympiapferde in den Ställen.
Nach Kriegsende zog die Sowjetarmee in die Kaserne und blieb bis 1992. Heute sind die Gebäude und Stallungen von der Natur überwuchert. Manchmal aber erwacht in dieser Zeitkapsel das Leben.
Die nahen Filmstudios Babelsberg entdeckten das ehemalige Kasernengelände als Drehort, zur Jahrtausendwende hörte auch Hollywood davon. Oscarpreisträger Jean-Jacques Annaud war auf der Suche nach einer geeigneten Location für "Duell - Enemy at the Gates" durch halb Europa gereist. In der alten Kaserne Krampnitz ließ er schließlich Teile des umkämpften Stalingrads im Zweiten Weltkrieg nachbauen.
So wurde der kleine Ort berühmt - und die Filmkarriere der Kaserne ging weiter: Quentin Tarantino drehte dort Teile von "Inglourious Basterds" (2009) mit Brad Pitt. Auch George Clooney wanderte für Szenen von "The Monuments Men" (2014) über die Brache der Geisterkaserne.
Jedes Filmteam veränderte den Ort ein wenig. Sie malten Schriftzeichen an die Wände oder bauten ganze Kulissen ein.
NS-Erbe in der Sowjetgeschichte
Der geschichtsträchtige Ort lockte auch Fotografen an. Robert Conrad, Thomas Kemnitz und Michael Täger dokumentierten die ehemalige Kaserne für ihren Lost-Places-Bildband "Stillgelegt". Und sie mussten oft sehr genau hinschauen: Was war historisch echt und was Filmkulisse?
1996 hatte Robert Conrad die Kaserne zum ersten Mal besucht. Damals fand er noch Sowjetuniformen in den Baracken, auch Papiere lagen in den Büros, als wären diese fluchtartig verlassen worden. An den Wänden hingen Landkarten in kyrillischer Schrift.
Den Fotografen faszinierte die Vermischung von NS-Erbe und Sowjetgeschichte. Den Sowjets, so vermutete Conrad, hatte die Prunkarchitektur der Nazis offenbar zugesagt. Der Eindruck verstärkte sich noch, als er die Kaserne ein weiteres Mal besuchte und dabei die Prachtbauten betreten durfte: Das Offizierscasino der Wehrmacht wirkte wie unberührt. Kaum öffnete der Wachdienst die Tür, stand Conrad in einer runden Eingangshalle aus Travertinstein, die den Blick auf einen endlosen Flur preisgab. "Hochherrschaftlich und unheimlich", erinnert sich der Fotograf.
Ein leichter Geruch von Moder stieg ihm in die Nase. Er ging einen langen Flur hinunter, in dem die Schritte hallten. Es folgten das Kaminzimmer mit etwa sieben Meter hoher Kassettendecke, ein Festsaal mit edlem Wandputz, Deckenlüstern und das dunkel getäfelte Speisezimmer. Einige Fenster waren zerborsten, doch der Glanz vergangener Zeiten war unübersehbar, die Sowjets hatten fast alles so gelassen.
Thomas Kemnitz, Robert Conrad, Michael Täger:
Stillgelegt
100 verlassene Orte in Deutschland und Europa.
DuMont Reiseverlag; 224 Seiten; 29,99 Euro.
Buch bei Amazon Kemnitz, Conrad, Täger: "Stillgelegt"Buch bei Thalia Kemnitz, Conrad, Täger: "Stillgelegt"Um so überraschender für die Fotografen, als sie bei einem weiteren Besuch feststellten, dass plötzlich eine Holzvertäfelung in den Festsaal des Offizierscasinos eingebaut worden war. Für den Film "Mein Führer" hatte man Hitlers Reichskanzlei nachgebaut. Auch das Team von "Operation Walküre" mit Tom Cruise nutzte das Offizierscasino der Kaserne für einen Dreh.
Für die denkmalgeschützte Anlage immerhin scheint sich ein Happy End anzubahnen: In den historischen Gebäuden sollen Wohnungen entstehen.
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Eingang mit sowjetischen Militärsymbolen: An der Wand links ist von der "Verteidigung der Errungenschaften des Sozialismus" die Rede, auf dem Schild darunter steht: "Warschauer Vertrag".
Die Fotografen Robert Conrad, Thomas Kemnitz und Michael Täger erkundeten für ihren Bildband "Stillgelegt. 100 verlassene Orte in Deutschland und Europa" unter anderem die Hinterlassenschaften der Sowjetarmee. Ihr Fotoband vereint ästhetische Bilder mit präziser historischer Recherche. Wichtig war den Fotografen ein sachlich-dokumentarischer Blick, dabei sind ihnen Bilder von nüchterner Intensität und historischer Melancholie gelungen. Momente zwischen gestern und heute. Kennengelernt haben sich die drei Fotografen bei einem Forschungsprojekt der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, dem Virtuellen Museum der Toten Orte (VIMUDEAP).
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"Eingang zur Gemüseabteilung" besagt dieses Schild und weist den Weg in den sowjetischen Küchenneubau. Die Kaserne Krampnitz wurde ab 1945 von der Sowjetarmee genutzt. Zuvor war hier die "Kavallerie und Panzertruppenschule Krampnitz" untergebracht - die Heeresreitschule der Nationalsozialisten. Ein Teil der Bauten wurden von den Sowjets verändert, so bauten sie sich beispielsweise eine Sauna, eine Kita oder wandelten Ställe der Vorgänger zu Kinos oder Sporthallen um. Die Prunkbauten der Kaserne wie das Offizierskasino oder das Kommandanturgebäude spiegeln heute aber noch in der Architektur den Geist der NS-Zeit.
Wie im Film: In diesem Kasernenflur wurde die rote Schrift für einen Filmdreh angebracht. Besonders an dem verlassenen Objekt der Kaserne Krampnitz ist das Miteinander von historischer Vergangenheit und Filmkulisse zu entdecken. Durch die Kaserne und ihr unheimliches Erbe kamen auch Hollywoodstars in die brandenburgische Provinz, darunter George Clooney oder Brad Pitt.
Der Festsaal: Beeindruckend und monumental wirkt der Festsaal im Offizierscasino, einem der Hauptgebäude auf dem Gelände. Die Holzvertäfelung wurde allerdings nachträglich als Kulisse für den Film "Mein Führer" mit Helge Schneider eingebaut. Sie wirkt täuschend echt und wird von Laien, die die Kaserne gerne illegal auf Fotosafari besuchen, oft für echt gehalten. Im Casinogebäude befinden sich auch ein Kaminzimmer, ein Speisesaal und das sogenannte Ehrenpreiszimmer, in dem früher die Pokale der Nazis standen.
Architektur der Macht: Treppenhaus im Stabsgebäude mit Travertin-Treppe und der Standarte der Kavallerie als Deckenmosaik. In der Kommandantur liegt auch ein Teppich, der vermutlich in den Neunzigerjahren für Filmarbeiten in das Gebäude kam.
Überlebt: Die Standarte der Kavallerie (Motive der Truppenfahne des Heeres auf goldgelbem Grund) als Deckenmosaik im sogenannten Stabsgebäude. Möglicherweise wurde das Mosaik für Filmaufnahmen restauriert, da in Aufnahmen aus dem Jahr 2006 an der Stelle des mittleren Hakenkreuzes nur ein weißer Fleck zu sehen gewesen sein soll. Überleben konnte das Mosaik im Stabsgebäude vermutlich, da die Sowjets darüber eine zweite Decke einzogen und es später von Bauhistorikern oder Filmleuten freigelegt wurde.
Das Kaminzimmer: Beinahe einschüchternd mutet diese NS-Prunkarchitektur an die Decken des sogenannten Kaminzimmers im Offizierscasino sind extrem hoch, die Tür ist aus massivem Eichenholz, die Raumdecke ist eine auffallende Kassettendecke. Das Kaminzimmer ist dem eigentlichen Festsaal vorgeordnet. Über dem Kamin prunkte der Reichsadler. Die Sowjets schlugen ihm den Kopf ab, ansonsten schien ihnen allerdings der Baustil ihrer Vorgänger zu gefallen, den sie weitgehend unverändert übernahmen.
Eingangshalle des Offizierscasinos: Die repräsentativen Räumlichkeiten wurden unter anderem für Filmaufnahmen genutzt und sind beispielsweise in "Mein Führer" mit Helge Schneider zu sehen. Tom Cruise drehte hier Szenen des Stauffenberg-Films "Operation Walküre". Die Eingangshalle auf dem Bild ist aus dem damals beliebten und besonders edel wirkenden Travertin-Stein.
Prachtvoll: Mosaikkuppel im sogenannten "Ehrenpreiszimmer" im Offizierskasino. Die Wandvitrinen beherbergten einst die Pokale der Kavallerieschule.
Monumental: Das Portal des NS-Offizierscasinos ist ein wahrer Prunkbau, gebaut um zu repräsentieren. In Krampnitz wurde die Reiterelite der Nazis ausgebildet zu den Offizieren gehörten viele Adlige, etwas davon spiegelt sich in den noblen Anlagen.
Geisterstadt: Ehemalige Offizierswohnhäuser in der sogenannten Gartenstadt. Dieser Bereich der Kaserne wirkte durchaus ländlich. Offiziere und Unteroffiziere wohnten hier mit ihren Familien.
Ein heruntergestürzter Dachbalken wirft Schatten auf eine Wand, auf der sich unzählige Soldaten verewigt haben. Die meisten Wehrpflichtigen hinterließen vor Ende ihrer zweijährigen Dienstzeiten Inschriften auf Dachböden, in Kellern oder an Garagenwänden.
Stalingrad: Raum im Offizierskasino mit einem Ausschnitt aus einem dreiteiligen, umlaufenden Wandgemälde. Zu sehen ist eine idealisierte Darstellung Stalingrads mit Stalin-Statue in der Mitte. Da der Raum für Filmarbeiten aufbereitet wurde, ist anzunehmen, dass das Wandgemälde als Filmkulisse entstand. Auf dem Banner steht geschrieben: "Unsere ruhmvolle Stadt Stalingrad."
Zeichen des Verfalls: Einige der einfachen Gebäude sind in schlechtem Zustand, wie das Treppenhaus im westlichen Flügel des Stabsgebäudes erkennen lässt.
Propagandistisches Wandbild der Sowjetarmee: Immer wieder stießen die Fotografen bei ihren Besuchen auf Sowjetpropaganda, wie etwa in diesem vermauerten Flur.
Kasino für Unteroffiziere: Hier vergnügten sich die niederen Dienstgrade bei Kinovorstellungen und Kulturveranstaltungen.
Kleiner Kinoraum: Schriftzüge an den Wänden wie "Siegen oder Sibirien" wurden später für Filmarbeiten angebracht. Typisch für die Kaserne Krampnitz: Die Fotografen mussten oft recherchieren, was historisch und was Filmkulisse war.
Umgebaut: Aus diesem ehemaligen Stallgebäude der Nationalsozialisten machten die Sowjets einen Kinosaal. Heute ist er nicht mehr betretbar.
Improvisiert: Dieser Raum im ursprünglichen Offizierswohnheim wurde von den Sowjets als sogenannter Klubraum genutzt. Den Fotografen fiel auf, dass die Sowjets viele Umbaumaßnahmen offenbar selbst erledigt hatten sie wirkten improvisiert. Die sowjetischen Kasernen waren eine abgeschirmte Welt, in die ungern Fremde eingelassen wurden, das galt damals auch für Handwerker, die hätten spionieren können.
Sowjetisches Wandgemälde in einem Kasernengebäude: Zu lesen ist das propagandistische Lenin-Zitat: "Man wird erst dann Kommunist, wenn man sich der Errungenschaften der Menschheit bewusst wird."
Das Treppenhaus im ehemaligen Offizierswohnheim zeigt das Wirken der Zeit. Der Putz bröckelt von den Wänden.
Verewigt: Entlassungskandidaten der Sowjetarmee hinterließen auf einem Dachboden ihre Namen, den ihrer Heimatstadt und die Jahreszahlen ihres Dienstes. Demnach kamen die Soldaten etwa aus Bukhara, Duslar, Aleksandrija, dem Tscheljabinsk-Gebiet und Komsomolsk am Amur.
Sporthalle: Diese Sporthalle der Sowjets war früher eine Reithalle der Nazis. Typisch sind die bunten Farben, mit denen die Nachnutzer ihre Räumlichkeiten strichen.
Wandrelief aus sowjetischer Zeit: Die Giebelseite der Schulsporthalle - im Vordergrund der mit einem Stern verzierte Außenzaun der Kaserne.
Der Turm: Wahrzeichen der Kaserne Krampnitz ist ein 45 Meter hoher Turm am Eingang. Daneben befindet sich auch ein Pförtnerhäuschen.
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