
Katastrophe in Louisiana: Das Schwarze Loch im Lake Peigneur
Katastrophe in Louisiana Das Schwarze Loch im Lake Peigneur
Eigentlich wollte Leonce Viator Jr. am 20. November 1980 nur mit seinem Neffen einen ruhigen Tag auf dem See verbringen und nach Welsen angeln. Als sie mit einem kleinen Motorboot hinausfuhren, war die Luft klar und frisch, der Himmel wolkenfrei, und die Stille wurde nur von den fernen Maschinengeräuschen des Salzbergwerks am Ufer durchbrochen. Die 13 Milliarden Liter Wasser des Lake Peigneur lagen ruhig und friedlich unter ihnen, als sie auf dem See ihre Angeln auswarfen. Doch nach einer Weile kam Bewegung in das sonst so stille Gewässer: Ganz langsam begann der Lake Peigneur, sich im Kreis zu drehen. Und wurde immer schneller.
Bald merkten auch Viator und sein Neffe, dass sich der See in einen gigantischen Strudel verwandelte. Als sie den Ursprung des Wirbels entdeckten, war es jedoch schon zu spät - die Strömung hatte sie gepackt. In einem Interview mit dem "History Channel" erinnerte Viator sich später, er habe ein riesiges Loch im See gesehen: "Mir schien es etwa 30 Meter breit. Es hatte eine Menge Lastkähne angesogen." Wie ein Spielzeugboot in einem Abfluss wurde ein Kahn hinabgesogen - und blieb für einen Moment im Loch stecken. Der Strudel war unterbrochen. Viator nutzte seine Chance und brachte sich und den Jungen mit Vollgas an Land. Als er sich umschaute, war der Strudel schon wieder in Bewegung und zog auch sein Boot in den schwarzen, klaffenden Abgrund.
Viator dachte damals, das Ende der Welt sei gekommen. Und tatsächlich müssen die Dinge, die sich rund um den Lake Peigneur abspielten, wie Szenen des Jüngsten Gerichts gewirkt haben. Schiffe, Häuser und Lastwagen und sogar Teile einer Halbinsel verschwanden in dem Loch, das so plötzlich im See aufgetaucht war, als habe eine riesige Hand einen Stöpsel aus einem Abflussrohr am Grund gezogen. Und doch waren die unfassbaren Kräfte, die einen ganzen See verschluckten, von Menschenhand entfesselt worden. Genauer: Von einer Ingenieurshand im Auftrag von Texaco. Denn dort, wo Viator sein Boot in der Tiefe verschwinden sah, war noch wenige Stunden zuvor kein Abgrund gewesen, sondern ein Bohrturm.
Das Ausatmen eines riesigen Tieres
In den frühen Morgenstunden hatte es auf der Bohrplattform einen sonderbaren Zwischenfall gegeben: Der 35 Zentimeter dicke Bohrkopf, mit dem die Wilson Brothers Corporation, ein von Texaco angeheuertes Unternehmen, im Boden unter dem See nach Erdölvorkommen suchte, blieb plötzlich stecken. Die fünf Arbeiter der Nachtschicht versuchten mit allen Mitteln, den Bohrer freizubekommen. Sie hörten mehrmals seltsame Geräusche aus dem See, die wie ein dumpfer Knall klangen. Doch nichts bewegte sich mehr - bis um halb sieben. Da begann der ganze Turm, sich langsam zur Seite zu neigen. In Panik sprangen die Arbeiter in ihre Rettungsboote und brachten sich ans sichere Ufer. Von dort aus sahen sie fassungslos mit an, wie ihr 45 Meter hoher Turm im See versank. Einem See, der eigentlich nur 3 Meter tief war.
Etwa zu dem Zeitpunkt, als der Bohrer stecken blieb, hörte der Elektriker Junius Gaddison mehrere hundert Meter unter dem Grund des Sees ein seltsames Geräusch. Gaddison war einer der 55 Arbeiter der "Diamond Crystal"-Mine, die an jenem Tag in den bis zu 450 Meter tiefen Stollen des Salzbergwerks arbeiteten. Er horchte genau hin. Es klang wie ein Gurgeln, ein fernes Rauschen. Erst dann bemerkte er, dass sich allmählich Wasser um seine Füße zu sammeln begann. Er löste sofort den Alarm aus.
Das Plätschern, das Gaddison gehört hatte, stammte von dem Wasser des Lake Peigneur, das an der Stelle in die Mine eindrang, an der der Texaco-Bohrturm versehentlich einen Minenschacht angebohrt hatte. Erst leise, dann immer lauter, je mehr das eindringende Wasser das Salz um das Bohrloch herum auflöste. Kein Geräusch hätte für größere Panik im Inneren einer Salzmine sorgen können. Die Diamond Crystal Minengesellschaft hatte 30 Meter breite und 25 Meter hohe Tunnel in den Salzstock unter dem See gefräst. Getragen wurden diese Schächte, groß genug für eine Autobahn, alleine von großen Salzsäulen, die man stehengelassen hatte. Wasserlöslichen Säulen.
Nur knapp entgingen die Minenarbeiter dem Tod: Die Arbeiter der drei höheren Ebenen hasteten sofort zum Rettungsaufzug. Doch da nur 8 Personen hineinpassten, musste er mehrere Male fahren. Die Arbeiter auf der tiefsten Ebene der Mine hatten noch weniger Glück. Als sie auf der dritten Ebene am Aufzug ankamen, versperrte bereits hohes Wasser den Zugang. Mit Minenfahrzeugen fuhren sie durch die Schächte an die Oberfläche zurück. Als alle 55 schließlich wohlbehalten oben ankamen, war aus dem Hauptschacht ein Geräusch wie das Ausatmen eines riesigen Tiers zu hören. Das Wasser drang schneller in die Mine ein, als die Luft entweichen konnte. Ein Donnern war zu hören. Dann schoss eine 120 Meter hohe Wasserfontäne senkrecht aus dem Schacht in die Luft.
Ein Fluss fließt rückwärts
Der Lake Peigneur hatte sich inzwischen in einen alles verschlingenden Abgrund verwandelt. Durch das wachsende Loch im Bergwerk floss der See immer schneller ab. Und je größer der Strudel wurde, desto mehr zog er hinab: Mittlerweile hatte er nicht nur Leonce Viators kleines Motorboot, elf Lastkähne und das dazugehörige Ladedock sowie eine zweite Bohrplattform verschlungen, sondern auch angefangen, Teile des Ufers abzubrechen. Und so riss er auch einen kompletten Parkplatz, mehrere Traktoren, einen Wohnwagen und vier voll beladene LKW in die Tiefe, sowie 26 Hektar der Halbinsel Jefferson Island und ihres botanischen Gartens, mitsamt Blumenbeeten, Gewächshäusern und 50 Meter hohen Pekannussbäumen.
Nach drei Stunden war ein Großteil des Sees in dem unterirdischen Salzbergwerk verschwunden. Der Delcambre-Kanal, der normalerweise vom Lake Peigneur in den Golf von Mexiko strömt, hatte dadurch seine Flussrichtung geändert und pumpte nun Salzwasser vom Meer heran. Der Grund des Sees hatte sich inzwischen nach dem Einsturz der Bergwerksstollen abgesenkt. Dadurch wurde die Stelle, an der der Kanal auf den See traf, zu einem riesigen Wasserfall - dem mit rund 50 Metern Höhe größten, den es im Bundesstaat Louisiana jemals gegeben hatte. Die Strömung im Kanal wurde so stark, dass selbst ein hochmotorisiertes Schleppschiff nicht mehr dagegen ankam. Die Besatzung sprang an Land und sah zu, wie ihr führerloses Schiff ebenfalls vom See verschluckt wurde.
Nach zwei Tagen hatte sich der Lake Peigneur wieder aufgefüllt. Und doch war nichts wie zuvor: Der Grund des Sees war nun nicht mehr drei Meter tief, sondern 400. Und in dem See war nun kein Süßwasser mehr, sondern Salzwasser. Vor allem aber hatte der klaffende Abgrund im See Sachschäden in Millionenhöhe angerichtet. Die Betreiber der Salzmine verklagten Texaco. Texaco verklagte im Gegenzug die Salzmine. Die Betreiber des verschwundenen botanischen Gartens auf Jefferson Island verklagten alle beide. Nach langem Ringen zahlten Texaco und die Bohrgesellschaft in einer außergerichtlichen Einigung 45 Millionen Dollar Entschädigung an die Salzmine und den botanischen Garten.
Verhängnisvoller Rechenfehler
Nach Angaben von Michael Richard, dem Manager des botanischen Gartens, hatte anscheinend ein Ingenieur von Texaco eine Fehlberechnung bei der Festlegung des Standpunktes für die Bohrplattform gemacht. Dadurch habe der Bohrpunkt etwa 120 Meter näher an der Mine gelegen als er eigentlich sollte. Offiziell wurde dennoch nie geklärt, wer oder was wirklich schuld an dem Unglück war. Nicht zuletzt, da alle Beweisstücke 400 Meter unter einem See in einer überfluteten Salzmine verschüttet lagen.
Heute sieht man dem See all dies nicht mehr an. Surfer und Boote fahren wieder auf ihm, und dank des Salzwassers fangen die Angler hier nun auch Rotbarsche. Und doch herrscht diese Ruhe nur an der Oberfläche. Am 9. Dezember 2009 sorgte eine Entscheidung des State Mineral Board für Aufruhr unter den Anwohnern rund um den malerischen See: Dem Unternehmen AGL Resources, das in leeren Salzminenschächten unter dem See Erdgas lagert, wurde erlaubt, seine Lager weiter auszubauen - verbunden mit neuen Bohrungen.