Fotostrecke

Verführerische Konsumtempel

Foto: E & O/ ullstein bild

Kaufhauspioniere Tietz und Wertheim Der Aufstieg der Konsumkathedralen

Der steile Aufstieg der Warenhäuser Wertheim, Hertie und Kaufhof begann in Stralsund. Gleich zwei Kaufhausdynastien erprobten in der einstigen Hansestadt Revolutionäres - mit Billigwaren, Barzahlung und Umtauschrecht.

Lange Stoffbahnen in Schiefergrau, Meerblau und Olivgrün ergossen sich vom Zwischengeschoss in ein riesiges Schaufenster. Auf Tischen türmten sich bunte Handschuhe, Schals und Leibchen, daneben baumelten schmale Pelzstreifen als Kleiderbesatz. Waren des täglichen Bedarfs - hier waren sie billig und in rauen Mengen erhältlich. 

So beschreibt der französische Schriftsteller Emile Zola in seinem Roman "Das Paradies der Damen" die Verlockungen des neuen Massenkonsums im 19. Jahrhundert. Die "Kathedralen des modernen Kommerzes", wie Zola große Warenhäuser nannte, brachten vor allem Frauen dazu, mehr einzukaufen, als sie benötigten. 

1852 eröffnete in Paris Au Bon Marché, wahrscheinlich das erste große Kaufhaus weltweit. Leonhard Tietz, einer der Warenhauspioniere Deutschlands, war damals gerade drei Jahre alt - Jahrzehnte danach legte er den Grundstein für den späteren Kaufhof-Konzern. 

Kaufen "auf Pump" war bald passé 

Als Sohn jüdischer Eltern wurde Tietz in Birnbaum an der Warthe geboren, einer Kleinstadt in der preußischen Provinz Posen. Im kleinen Gemischtwarenladen seiner Eltern wurde wie auf dem Markt um Preise gefeilscht. Die meisten Kunden ließen anschreiben und zahlten erst, wenn sie wieder gut bei Kasse waren. Reich werden konnte man mit diesem Geschäftsmodell nicht.

Besser ging es anderen Verwandten, die in Birnbaum einen Großhandel für Kurzwaren führten. Als Handlungsreisender besuchte Tietz für diese Firma Messen, auf denen er beobachtete, mit welchen Strategien eine Vielzahl an Waren unter das Volk gebracht werden sollten. Die Industrialisierung hatte vor allem Menschen in größeren Städten zu mehr Kaufkraft verholfen. Die kleinen Läden mit ihrem geringen Angebot konnte diese neuen Bedürfnisse nicht mehr befriedigen.

SPIEGEL GESCHICHTE 4/2020

Dynastien der deutschen Wirtschaft: Ihr Aufstieg, ihr Reichtum, ihre Skandale

Inhaltsverzeichnis

Jetzt online bestellen, und das Heft wird zu Ihnen nach Hause geschickt!

Bei Amazon bestellen 

Bei MyKiosk finden 

SPIEGEL GESCHICHTE im Abo

Tietz zog nach Stralsund, wo er 1879 sein erstes Einzel- und Großhandelsgeschäft mit Garnen, Knöpfen und Wollwaren eröffnete. Mit der Schleifung der Befestigungsanlagen fünf Jahre zuvor hatte in der Hansestadt ein Bauboom eingesetzt. Mit der sprunghaft steigenden Einwohnerzahl wuchs auch der Konsum. Anders als die Bauern waren die Städter keine Selbstversorger. Die Geschäfte in Stralsund hielten allerdings nur ein begrenztes Warensortiment vor.

Auch Georg Wertheim wollte diese Lücke schließen. Wie Tietz baute er sein Kaufhausimperium von Stralsund aus auf. Bereits 1876 übernahm er gemeinsam mit seinem Bruder Hugo ein Geschäft für "Kurz- und Posamentierwaren", das die Eltern Abraham und Ida Wertheim ein Jahr zuvor gegründet hatten. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.

Wertheim und Tietz lockten die Leute mit "billigsten Preisen", bestanden dafür aber auf Barzahlung. Was die Waren kosteten, war auf einmal deutlich ausgezeichnet. Zeitaufwendige Preisverhandlungen wurden überflüssig. Wenn ein Artikel dem Kunden nicht gefiel, konnte er ihn problemlos zurückgeben. Andere Geschäfte betrat man damals nur mit festen Kaufabsichten.

Leergekauft - nach zwei Tagen

Tietz platzierte Sonderangebote gut sichtbar auch in den Schaufenstern, außerdem veröffentlichte er Werbeanzeigen in der Lokalpresse. Nicht nur wohlhabende Bürger, auch Arbeiter und Bauern aus dem Umland schauten bei ihm rein. Schon ein Jahr nach der Eröffnung zog er in größere Räume um, stellte mehr Personal ein und bot nun auch Bekleidung an.

Geschäftsgründungen in anderen Städten folgten. Im rheinischen Elberfeld war der Andrang nach der Eröffnung im Mai 1889 so groß, dass der neue Laden nach zwei Tagen vorübergehend schließen musste. Die Kunden hatten sämtliche Regale leergekauft. Tietz streute diese Neuigkeit so geschickt, dass die Leute bald wieder bei ihm Schlange standen.

Durch diese Erfolge angespornt, übernahm er 1890 ein 180 Quadratmeter großes Konfektionsgeschäft in bester Lage in der Kölner Innenstadt. Das Sortiment wurde abermals aufgestockt. Auch in Köln konnte er bald expandieren und eröffnete mehrere Standorte.

Fotostrecke

Verführerische Konsumtempel

Foto: E & O/ ullstein bild

Das erste Haus in der Hohe Straße wurde schnell zu eng. Mit einem spektakulären Neubau in der Nachbarschaft vollzog er dann endgültig den Schritt zum modernen Warenhaus, das er als besondere "Sehenswürdigkeit der Stadt" anpries. Vor allem Frauen kamen zur Vorbesichtigung.

Innen wie außen war der neue Konsumtempel verschwenderisch beleuchtet. 65 elektrische Bogenlampen und 200 Glühlichter waren installiert, auch in den Schaufenstern. Die einzelnen Etagen ließen sich bequem im Personenaufzug erreichen.

Die Innengestaltung des Kaufhauses ähnelte bereits einer heutigen Shoppingmall. Das Warenangebot verteilte sich auf ein Atrium, drei umlaufende Galerien und zwei Obergeschosse, die unter einem Glasdach lagen. Ab einem Einkaufswert von zehn Mark wurden die Waren im Umkreis von 80 Kilometern kostenlos nach Hause geliefert. Nicht nur Wäsche, Kleider oder Pelze, auch Teppiche, Gläser, Porzellan und sogar vollständig eingerichtete Küchen standen zum Verkauf.

Wie in einer Kirche

Doch Tietz wollte sich selbst damit noch nicht zufriedengeben. Nach dem Vorbild der Mailänder Galleria Vittorio Emanuele ließ er 1901 ebenfalls in der Hohe Straße ein "Passagehaus" im Jugendstil bauen. Es hatte nicht nur Lichthöfe, sondern auch einen Durchgang von einer Straße zur anderen. Lebensmittel waren nun ebenfalls im Angebot, und Kunden konnten sich außerdem mit einem Imbiss stärken.

Berühmt ist auch das imposante Warenhaus Tietz an der Düsseldorfer Königsallee, gebaut zwischen 1907 und 1909. Die Leitung übernahm Tietz' ältester Sohn Alfred Leonhard. In einem Lichthof, vom Architekten "Dom" genannt, standen 17 Meter hohe Säulen mit bunter Marmorverkleidung. Schaufenster und Türen waren mit edlen Hölzern eingefasst. Weitere Warenhäuser wurden in Antwerpen, Brüssel und Konstantinopel gegründet.

Auch Wertheim kam mit seinen Geschäften rasch voran. 1885 fasste er in Berlin Fuß und eröffnete dort in den folgenden Jahren mehrere Warenhäuser. Das prächtigste und größte, entworfen von dem Architekten Alfred Messel, befand sich direkt am verkehrsreichen Leipziger Platz. Begeisterte Besucher verglichen es mit dem Harrods in London und den Galeries Lafayette in Paris. "Wir gehen zu Wertheim" wurde zum geflügelten Wort.

In der von einem Glasdach überwölbten Verkaufshalle fiel eine überdimensionale Frauenstatue mit Einkaufskorb ins Auge. Die Berliner unternahmen sogar Familienausflüge zu den luxuriösen neuen Warenhäusern, um zu sehen und gesehen zu werden.

Zu seinem Standort am Berliner Moritzplatz ließ Wertheim auf eigene Kosten sogar eine U-Bahnlinie verlegen. Anders als Konkurrent Rudolph Karstadt, der ein großes Haus am Hermannplatz betrieb, konnte er aber letztlich nicht durchsetzen, dass seine Kunden einen direkten Zugang zum Kaufhaus vom Bahnsteig aus erhielten.

Harte Konkurrenz in Berlin

In Stralsund, wo alles begonnen hatte, eröffnete er 1903 in der Ossenreyerstraße ein großes Kaufhaus, das 1927 erweitert wurde. In der gleichen Straße hatte auch Tietz seinen ersten Laden geführt. Das ehemalige Wertheim-Haus blieb im Krieg unzerstört und steht heute unter Denkmalschutz.

Das Warenhaus von Leonhard Tietz in Stralsund

Das Warenhaus von Leonhard Tietz in Stralsund

Foto: GALERIA Karstadt Kaufhof

Ihren Aufstieg verdankten die Handelsdynastien Wertheim und Tietz nicht zuletzt ihren familiären Netzwerken. Spuren in Berlin hinterließ auch Oscar Tietz, der jüngere Bruder Leonhards. Mit Unterstützung seines Onkels Hermann eröffnete er in mehreren deutschen Städten Warenhäuser, die er nach dem großzügigen Finanzier benannte. Schon um die Jahrhundertwende erhielten seine Angestellten Wohnungs- und Verpflegungsgeld. Auch wenn der Sonntag damals noch kein Ruhetag war, hatten sie immer frei.

An der Leipziger Straße in Berlin positionierte sich Oscar Tietz im Jahr 1900 in nächster Nähe zum Konkurrenten Wertheim. Wenige Jahre später gründete er eine Niederlassung am Alexanderplatz. Auf den Gebäuden war das Wahrzeichen der Familie zu sehen - eine Skulptur mit einem Löwen, einem geflügelten Engel und einem Globus.

Millionenschwere Entschädigung

Georg Wertheim überlebte Leonhard Tietz, der 1914 einem Krebsleiden erlag, um 25 Jahre. Oscar Tietz starb 1923. Seine Söhne und ihr Schwager führten die Firma "Hermann Tietz" weiter. Der Aufstieg der jüdischen Warenhauspioniere hatte in der Geschäftswelt früh Neid geweckt. Sie konnten sich aber gegen alle Angriffe behaupten. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte jedoch die Weltwirtschaftskrise den Handelsimperien zu. Die "Machtergreifung" der Nationalsozialisten und der Boykott jüdischer Geschäfte 1933 bereiteten der Erfolgsgeschichte der Familien Tietz und Wertheim ein Ende.

Um seine Kaufhäuser vor dem Zugriff der Nazis zu bewahren, überschrieb Georg Wertheim 1934 seiner nichtjüdischen Frau den gesamten Besitz. Dennoch wurde die Firma 1937 enteignet, die Familie emigrierte in die USA. Wertheims Unternehmen erhielt den neuen Namen Allgemeine Warenhaus Gesellschaft AG. Bei Bombardierungen alliierter Truppen wurde der Prunkbau am Leipziger Platz 1944 in Schutt und Asche gelegt.

Im Zuge der "Arisierung" wurden die Kaufhäuser von Hermann Tietz in Hertie und die seines Cousins Leonhard Tietz in Kaufhof umbenannt. Die Familie musste 1933/34 alle Anteile unter Wert abgeben. Leonhard Tietz wanderte mit seiner Familie nach Palästina aus. 1945 waren 35 der 40 ehemaligen Tietz-Kaufhäuser in Deutschland zerstört.

Die Familie wurde nach dem Krieg mit fünf Millionen D-Mark entschädigt. Aus ihren Kaufhäusern entstanden die Warenhausketten Hertie und Kaufhof; Wertheim ging später an den Hertie-Konzern, der seit Mitte der Neunzigerjahre zu Karstadt gehört. 62 Jahre nach Kriegsende zahlte KarstadtQuelle 88 Millionen Euro Entschädigung an die Wertheim-Erben.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren