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Gorleben-Protest: »Ein Schlüsselerlebnis«

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Entscheidung gegen Endlager Gorleben "Und? Was fängst du jetzt mit deinem Leben an?"

43 Jahre hat Gabi Haas gegen ein Atommüll-Endlager in Gorleben gekämpft. Dann erreichte sie die unglaubliche Nachricht, die erst einmal "sacken" musste: Gorleben ist raus. Hier blickt sie zurück auf eine bewegte Zeit.

Als mich die Nachricht am Abend des 27. September erreichte, saß ich gerade in fröhlicher Runde bei einem Familientreffen. Eine Freundin rief an und informierte mich über das, was soeben über die Medien durchgesickert war: Gorleben ist raus. Endgültig. Im Salzstock wird kein Endlager für Atommüll gebaut.

Die Meldung hatte etwas Surreales. Während man mir von allen Seiten schon zuprostete und zu diesem "historischen Erfolg" gratulierte, musste ich meine Gedanken erst einmal sortieren. Die Überraschung war einfach zu groß. Es erging mir ähnlich wie vielen Menschen in Lüchow-Dannenberg, die sich seit Jahrzehnten im Widerstand gegen die Atompläne in Gorleben engagieren: im ersten Moment nur Unglauben, dann Freude und Hochgefühle. Und je länger ich das Ganze sacken ließ, desto mehr empfand ich Genugtuung darüber, dass wir den Kampf nach 43 Jahren nun tatsächlich gewonnen haben. Dass es sich doch gelohnt hat, so viel Zeit und Energie in diese eine Sache zu investieren.

Getäuscht, getrickst, gelogen

Man muss sich vorstellen: Die Fakten, die jetzt zum Ausschluss von Gorleben führten, sind seit fast vierzig Jahren bekannt. Hoch angesehene Wissenschaftler, die den Salzstock Anfang der Achtzigerjahre begutachteten, hatten schon damals auf genau diese geologischen Mängel hingewiesen. Sie wurden allesamt kaltgestellt, unter anderem mit der Begründung, sie hätten ihre Kompetenzen überschritten.

Sogar die Experten der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt hielten es für ratsam, neben Gorleben noch andere Standorte zu untersuchen. Auf Weisung von oben nahmen sie ihre Empfehlung wieder zurück. Stattdessen wurden die Sicherheitsanforderungen den ungünstigen geologischen Befunden in Gorleben angepasst. Es wurde getäuscht, getrickst und gelogen, um die Erkundungsergebnisse zu schönen und ein ordentliches Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung und Klagerechten zu verhindern.

Diese Erfahrungen sitzen bis heute tief, auch bei mir. Dass Gorleben nun bei der neu gestarteten Standortsuche schon in der ersten Runde herausfliegen würde - niemand von uns hatte das ernsthaft erwartet.

Ein Kapitel meiner persönlichen Geschichte

"Und? - Was fängst du jetzt mit deinem Leben an?" fragte mich kurz nach der Entscheidung eine Bekannte am Telefon. Das war scherzhaft gemeint, trotzdem habe ich darüber nachgedacht. Nein, der Widerstand gegen Gorleben ist für mich nicht zum Lebensinhalt geworden. Aber es stimmt, dass mit dem Schlussstrich unter die Endlagerpläne auch ein Kapitel in meiner persönlichen Geschichte abgeschlossen ist. Ein sehr wichtiges sogar.

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Gorleben-Protest: »Ein Schlüsselerlebnis«

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Vor wenigen Tagen saß ich mit einigen Freunden und Mitstreitern zusammen, um unseren "Sieg" endlich einmal gemeinsam zu feiern. Wir haben auf 43 Jahre Protestbewegung zurückgeblickt, uns noch mal die verrücktesten Anekdoten erzählt und an wichtige Weggefährten erinnert. Und wir haben festgestellt: Es war eine Zeit, die keiner von uns missen wollte - prall gefüllt mit außergewöhnlichen Begegnungen und Erfahrungen.

Zum Beispiel beim Gorleben-Treck im März 1979. Als der Konvoi der Lüchow-Dannenberger Bauern und Bürger nach einer Woche im Regen in Hannover einfuhr und von hunderttausend Demonstranten begeistert empfangen wurde, war das für mich ein Schlüsselerlebnis. Ministerpräsident Ernst Albrecht erklärte danach, der Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben sei "politisch nicht durchsetzbar".

Im Hüttendorf

Ein Jahr später folgte das nächste große Ereignis, das bis heute zu den Highlights in meinem Leben gehört. Nach monatelangen Vorbereitungen wurde im Mai 1980 die Bohrstelle 1004 besetzt und die "Freie Republik Wendland" ausgerufen. Ich wohnte damals im Hüttendorf - vom ersten bis zum letzten Tag.

Die Freie Republik hatte etwas Fantastisches, Spielerisches, gepaart mit dem Traum von einem anderen Leben. Aber komischerweise erinnere ich mich vor allem daran, wie anstrengend es war, bei den täglichen Debatten im Sprecherrat zwischen einheimischen und auswärtigen Atomgegnern zu vermitteln. Dabei wurde immer um die gleiche Frage gerungen: Wie verhalten wir uns, wenn die Polizei mit der Räumung des Dorfes beginnt? Wehren wir uns oder nicht? Am Ende einigten wir uns auf das Konzept des passiven Widerstands.

Als das Hüttendorf nach 33 Tagen von der Polizei zerstört und plattgewalzt wurde, hielten sich die rund 2000 Platzbesetzer*innen geschlossen an diesen Konsens. So verwandelte sich die Niederlage in einen gefühlten Sieg. Und darauf bin ich noch heute ein bisschen stolz. Denn dass die von vielen befürchtete "Schlacht um Gorleben" vermieden wurde, hat viel dazu beigetragen, dass das Bündnis der Lüchow-Dannenberger Atomgegner quer durch alle sozialen Schichten bis heute gehalten hat. Bürger, Bauer, Edelmann und die Freaks, wie wir immer sagen.

"Erotik des Widerstands"

Die Freie Republik Wendland hat der Protestbewegung so etwas wie eine Identität gegeben. Ketzerisch könnte man auch sagen, sie ist zu einem Markenzeichen geworden. Das Hüttendorf 1004 war ja vieles zugleich: Medienereignis, basisdemokratisches Experiment und alternatives Lebensmodell. Es gab dort Gemeinschaftseinrichtungen aller Art, vom Freundschaftshaus bis zum Friseursalon. Aber auch ein Passhäuschen mit Schlagbaum, eine eigene Flagge und sogar einen eigenen Piratensender.

Es ist diese Mischung aus Humor, Schlitzohrigkeit und Fantasie, die die Protestkultur im Wendland bis heute prägt. Und natürlich hat das alles auch Spaß gemacht. Ich erinnere mich, dass ich irgendwann einmal in einem Artikel für die "taz"von der "Erotik des Widerstands" geschrieben habe. Und das war durchaus nicht nur im übertragenden Sinne zu verstehen.

Der Widerstand, das war auf der einen Seite die Überzeugung, sich für die richtige Sache einzusetzen. Aber es war auch Abenteuer und Spannung pur. Es war die Lust darauf, Neuland zu betreten und dabei im wahrsten Sinne des Wortes an die Grenzen zu gehen. Denn das haben wir wirklich gemacht. Nur wussten wir das gar nicht so genau, als wir 1982 direkt am Grenzzaun zur DDR mit Sack und Pack ein kleines Geländestück besetzten. Im neutralen Niemandsland, wie wir damals dachten.

Wir wollten mit dieser Aktion darauf hinweisen, dass im Fall eines Atomunfalls in Gorleben die Anwohner praktisch von zwei Seiten eingeschlossen waren. Was wir nicht ahnten: Tatsächlich gehörte der Grenzstreifen schon zum Staatsgebiet der DDR. Und ganz in der Nähe war eine Selbstschussanlage installiert, die aber von den Wachposten eilig abgeschaltet wurde. Erst viel später haben wir das aus den Abhörprotokollen der DDR-Grenztruppen erfahren.

Ein Meilenstein

Ja, die Protestbewegung hat mir in über vierzig Jahren viele Freunde, wertvolle politische Erfahrungen und unvergessliche Momente beschert. Das bleibt. Und trotzdem habe ich mich manchmal auch gefragt, wieso ich das eigentlich alles mache. Ein Endlager für Atommüll - sicher für eine Million Jahre? Wie verrückt muss man eigentlich sein, so viel Lebenszeit aufzuwenden für ein so utopisches Ziel? Ich habe ja nicht mal damit gerechnet, das Ende von Gorleben noch zu erleben.

Dass es jetzt doch so gekommen ist, empfinde ich als einen Meilenstein, der für mein politisches Engagement im Rückblick eine Bestätigung bedeutet. Denn ohne den langen Atem der Protestbewegung wäre diese politische Fehlentscheidung niemals zurückgenommen worden. Es ist gelungen, die Erkenntnisse der Wissenschaft auch gegen mächtige politische Interessen durchzusetzen. Und ich habe ein kleines bisschen daran mitgewirkt.

Um auf die Frage meiner Bekannten zurückzukommen: Was fange ich jetzt mit meinem Leben an? Darüber muss ich mir glücklicherweise die geringsten Sorgen machen. Denn abgesehen davon, dass sich in Gorleben noch jede Menge Atommüll für unbestimmte Zeit in oberirdischen Zwischenlagern befindet: Es geht jetzt auch darum, die Geschichte der wendländischen Protestbewegung zu dokumentieren und aufzuarbeiten. Sie so zu bewahren, dass das Wissen über den Gorleben-Konflikt auch für zukünftige Generationen verfügbar ist.

Welche Bedeutung hat diese Bewegung für die Demokratieentwicklung? Was können wir aus der Vergangenheit lernen, damit - etwa bei der zukünftigen Standortsuche - Partizipation tatsächlich gelingen kann? Die Themen liegen sozusagen auf der Straße. Und nebenbei habe ich auch nichts dagegen, mehr Zeit mit meinen Enkelkindern zu verbringen oder auf dem Golfplatz für ein besseres Handicap zu üben.

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