Kindheit in den Achtzigern: Der heilige Fernsehsamstagabend
Kindheit in den Achtzigern Wir Sofa-Wettpaten
Ein Samstagabend 1985: Pünktlich um acht versammelte sich meine Familie vor dem Fernseher, und während die "Tagesschau" lief, konnten wir es kaum noch abwarten. Draußen war es dunkel, die Nachbarn hatten die Rollläden heruntergelassen oder die Gardinen zugezogen. Ein Flackern verriet, dass sie daheim waren und ebenfalls vor dem Fernseher saßen.
Bestimmt wollten sie das Gleiche sehen: "Wetten, dass..?", die Spielshow von Frank Elstner, der uns in eine Welt voller unglaublicher Unterfangen, Musik und Prominenter entführen würde, Saalwette inklusive.
Meine kleine Schwester und ich saßen neben unserer Mutter auf der Couch - in Schlafanzug und Frotteebademantel, denn wir kamen frisch aus der Badewanne. Die Aussicht, so lange aufbleiben zu dürfen, wie Elstner überzog, ließ uns innerlich um ein paar Zentimeter wachsen. Die Heizung bullerte auf höchster Stufe, die Wohnzimmertür blieb zu, damit es nicht zog und wir uns keinen Pips holten - der Fernsehabend war vor allem in den kalten Monaten ein bisschen wie Familiensauna.
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Im Fernsehen verlas Dagmar Berghoff die Bundesliga-Ergebnisse, Papa stöhnte auf, weil der FC Bayern schon wieder deutscher Meister war. Bei der Wettervorhersage war am Ende immer eine Windrose zu sehen, wobei der Zeiger sich in Windrichtung drehte und es aus irgendeinem Grund piepste.
Vater ging zur Schrankwand im Eiche-Nussbaum-Dekor, drückte am Farbfernsehgerät Kanaltaste zwei und machte es sich wieder im Sessel mit einer Flasche Bier gemütlich. Extra für den Fernsehabend hatten wir uns eine Schale mit Paprikachips geholt, dazu Erfrischungsstäbchen und bunte Schokolinsen mit Gesichtern drauf.
Auf dem Bildschirm erschienen vor dunkelblauem Hintergrund die Buchstaben ZDF, umrahmt von einem goldfarbenen Strahlenkranz und dem Schriftzug "Eurovision". Normalerweise mochten wir klassische Musik so gern wie Sauerkraut. Bei der Eurovisionsfanfare war das anders. Sie klang so feierlich und kündete davon, dass etwas Bedeutsames folgen würde.
Kindheit in den Achtzigern: Der heilige Fernsehsamstagabend
Eine Eurovisionssendung, das wusste ich, wurde live in Deutschland, der Schweiz und Österreich ausgestrahlt. Also schauten Millionen Menschen in diesem Moment dieselbe Sendung - und unzählige Kinder durften an diesem Abend Europas größte Fernsehshow sehen. Vor uns lagen zweieinhalb bis drei Stunden, in denen es keine Rolle spielte, was sonst auf der Welt geschah.
Der Puste-Hans, der starke Franz
Natürlich gab es noch andere große Spielshows. Zum Beispiel "Auf los geht's los" mit Joachim "Blacky" Fuchsberger und "Einer wird gewinnen" mit dem Fernsehurgestein Hans-Joachim "Kuli" Kulenkampff. Oder "Lass dich überraschen", in der Rudi Carrell talentierte Imitatoren präsentierte, Studiogästen ihren größten Lebenswunsch erfüllte und mit drolligem niederländischen Akzent (oft kopiert, nie erreicht) den Titelsong sang. In "Der große Preis" trötete es auf halber Strecke immer "Thööölke", und Moderator Wim Thoelke unterhielt sich mit den Loriot-Figuren Wum und Wendelin.
Das alles reichte an "Wetten, dass..?" nicht heran, denn dieses Spektakel bezog uns ein: Kommentare wie "Ich glaub, das schafft der nicht!" oder "Klar schafft der das!" machten uns zu Sofa-Wettpaten. Unser Einsatz bestand darin, die nächste Tüte Chips aus der Küche zu holen.
Dann rückten wir zusammen und sahen zu, wie Kandidat Hans Oßner aus Velden in Niederbayern eine handelsübliche Wärmflasche wie einen Luftballon aufpustete und zum Platzen brachte. Wie Franz Bierbaum aus Wien mit bloßen Händen fünfzig Telefonbücher zerriss, jedes tausend Seiten stark. Oder wie Rudolf Künzler mit seinen Freunden einen fast neun Tonnen schweren Lkw auf vier Biergläsern parkte.
Insgeheim träumte ich davon, dass Frank Elstner auch zu mir einmal sagen würde: "Top, die Wette gilt!" Denn lange vor "Deutschland sucht den Superstar" war "Wetten, dass..?" eine der wenigen Gelegenheiten, als Normalo ins Fernsehen zu kommen. Deshalb ersann ich mit meiner Schwester Ideen für eigene Wetten, und wenn jemand etwas Ungewöhnliches konnte, würdigten wir das mit den Worten: "Damit kannst du glatt bei 'Wetten, dass..?' auftreten!"
Lutscher! Der Betrüger mit den Buntstiften
Spielte jemand unserer liebsten Show einen Streich, was in 34 Jahren nur zwei Mal geschah, nahmen wir ihm das sehr übel, denn nichts und niemand durfte den heiligen Fernsehsamstag stören. Kurt Felix legte 1985 Elstner herein, indem er sich mit Overall, Perücke und Vollbart als Hubschrauberpilot verkleidete und ihm ein als Rotwein getarntes Glas Essig unterjubelte.
Elstner verlor damit eine Wette mit seiner Familie, dass Felix ihn nie hinters Licht führen würde. Außerdem bangte er um das Ansehen der Sendung: "Wetten, dass..?" könne "nur laufen, wenn nichts getürkt ist", sagte er später. "Für die Sendung selbst war das ein Moment, wo man Angst hatte, das könnte die Serie kosten."

"Wetten, dass..?": Die besten Wetten und der Buntstift-Fake
Schlimmer noch kam es 1988 bei der legendären Buntstiftwette, als die Zuschauer im Studio "Titanic"-Redakteur Bernd Fritz auspfiffen. Er hatte alle veräppelt, indem er vorgab, die Stifte allein am Geschmack zu erkennen - wobei er an der Schutzbrille vorbeilinste, um die Farbe zu sehen. Damit hatte er unseren Fernsehsamstagabend quasi entweiht, denn fortan schwang bei jeder Wette der Zweifel mit, ob dabei getrickst wurde.
Der noch beinahe neue Moderator Thomas Gottschalk zeigte sich sportlich und nahm dem Buntstiftlutscher seine Aktion nie krumm. Als Bernd Fritz kürzlich im Alter von 71 Jahren starb, twitterte Gottschalk alias @herbstblond:
Der "Buntstiftlutscher" ist tot. Auch Spaßvögel lassen irgendwann die Flügel hängen. Traurig aber wahr.
— Thomas Gottschalk (@herbstblond) April 18, 2017
Überhaupt, die Moderatoren. Als 1987 bekannt wurde, dass Frank Elstner die Sendung an Gottschalk abtrat, den wir aus "Na sowas!" und "Die Supernasen" (mit Mike Krüger) kannten, befand sich Deutschland praktisch im Ausnahmezustand.
Als noch alle das Gleiche sahen
Nicht, dass es zu dieser Zeit gar keine anderen Aufreger gegeben hätte, von Tschernobyl über die Barschel-Affäre bis zur Hochzeit von Andrew und Fergie. Trotzdem diskutierte das ganze Land über den noch sommerblonden Moderator. Immerhin stand das Familienwohl auf dem Spiel: Kann der das? Und wenn der Thommy die Nummer verbockt - was machen wir dann am Samstagabend?
Alles ging gut. Thomas Gottschalk wurde Mr. "Wetten, dass..?" - und unser Fernsehsamstagabend war gerettet.
Wir Kassettenkinder: Eine Liebeserklärung an die Achtziger
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Den gab's natürlich nur, weil Fernsehen damals noch ein Gemeinschaftserlebnis war. Die Sendungen liefen nur an einem festen Datum zu einer festen Uhrzeit. Waren sie dazu noch live, kam das Gefühl auf, einem einmaligen Ereignis beizuwohnen.
Dass wir übers Fernsehen redeten, als gehöre es wirklich zum Erlebten, lag auch daran, dass bei lange nur drei Sendern so viele das Gleiche sahen. In der Schule, im Büro oder beim Bier in der Eckkneipe sorgte das für ein Gefühl der Verbundenheit.
So hat sich der heilige Fernsehsamstagabend einen Sonnenplatz im Poesiealbum unserer kollektiven Erinnerung gesichert. Viel ist spekuliert worden, ob eine Show wie "Wetten, dass.. ?" im Zeitalter von Streaming, Mediatheken und YouTube noch funktionieren könnte. Das ginge nach hinten los - ich würde darauf wetten.