Fotostrecke

Hunderte Filme - ein Schrei: "Aaaaaaaarghh!"

Foto: ddp images

Kino-Mythos Der erste Schrei

Aaaaaargh! Es begann als Insider-Gag zweier Filmfans - mittlerweile hat ein markerschütterndes Kreischen halb Hollywood infiltriert. Der "Wilhelm-Schrei" kommt in mehr als hundert Kinofilmen vor - auch in den größten Hits der Traumfabrik.
Von Sven Stillich

1977: Luke Skywalker schießt, und - "Aaaaaaaarghh!": Ein Stormtrooper fällt schreiend in einen Schacht. 1981: Indiana Jones greift sich einen Nazisoldaten, und schmeißt ihn - "Aaaaaaaarghh!" - von einem LKW. 1992: Ein Schlag von Batman, und sein Gegner fällt schreiend vom Dach. Ein Schuss von Niko Bellic im Videospiel "Grand Theft Auto IV" (2008), und sein Feind stürzt - "Aaaaaaaarghh!" - die Treppe herunter.

Es ist immer derselbe Schrei.

Immer genau dasselbe"Aaaaaaaarghh!".

Ob in "Spider-Man" oder "Stirb Langsam", ob "300" oder in "Wallace & Gromit": In mehr als 140 Filmen und Videospielen ist dieser markante Schrei zu hören - es ist der letzte Schrei der Gefallenen, Getroffenen und Gerichteten. Er klingt erschrocken, schmerzerfüllt und ultimativ. Dabei sollte er sich eigentlich nur so anhören, als würde ein Mann von einem Alligator gebissen. Damals, im Jahre 1951.

Denn in diesem Jahr ist der Ur-Schrei entstanden - für den Film "Die Teufelsbrigade", einen Western mit Gary Cooper: In einer Szene waten Soldaten durch einen Fluss in den Everglades. Plötzlich wird einer von ihnen von einem Alligator angegriffen. Er schreit lauthals, wird unter Wasser gerissen und taucht nie wieder auf.  Doch es ist nicht der Schrei des Schauspielers, der im Film zu hören ist. Das "Aaaaaaaarghh!" wird erst später in einem Tonstudio aufgenommen und dann dem Soldaten in den Mund gelegt. So viel ist sicher. Wer jedoch den Schrei ausgestoßen hat, wird lange ein Geheimnis bleiben.

Ein Soundschnipsel erobert Hollywood

Nachdem "Die Teufelsbrigade" fertiggestellt ist, wandert der Schrei in das Klangeffekt-Archiv von Warner Brothers. Und die Tonmeister des Hollywood-Studios finden bald immer mehr Gefallen an dem Soundschnipsel: Im Western "Der brennende Pfeil" von 1953 ist er gleich in drei Szenen zu hören, in "Formicula" von 1954 ertönt der Schrei, als der Schauspieler James Whitmore von einer Riesenameise gefressen wird. Im Film "Ein neuer Stern am Himmel" mit Judy Garland kommt er sogar zweimal vor (einmal, während sie singt, und in einem Kino, in dem gerade "Der brennende Pfeil" läuft).

Fotostrecke

Hunderte Filme - ein Schrei: "Aaaaaaaarghh!"

Foto: ddp images

Der Schrei wird eingesetzt in Kinofilmen mit Paul Newman und Burt Reynolds, mit William Holden oder Ernest Borgnine - und immer wieder, wenn John Wayne auf der Leinwand zu sehen ist. Wenn Schüsse treffen oder wenn - wie 1968 in "Die grünen Teufel" - eine Granate explodiert und die feindlichen Soldaten durch die Luft fliegen lässt: "Aaaaaaaarghh!".

Ein paar Jahre später hocken an der University of Southern California ein paar Filmstudenten zusammen, darunter Ben Burtt und Richard Anderson. Burtt ist wie besessen von Filmklängen. Bereits als Kind hat er tagsüber am Fernseher gesessen und den Ton von Filmen aufgenommen, um sie nachts mit Kopfhörern anzuhören. "Schon damals war mir aufgefallen, dass die selben Sounds immer und immer wieder vorkamen", erinnert er sich - "derselbe Gewehrschuss, derselbe Donner. Es war wie der Fingerabdruck eines Studios - denn jedes hatte seine eigene Bibliothek an Klängen." Auch den Schrei kennt er aus vielen Filmen. Anderson und Burtt machen sich einen Spaß und benutzen ihn bei einem ihrer Studentenfilme.

George Lucas und Stephen Spielberg machten immer mit

Dann, Ende der siebziger Jahre, wird aus einem kleinen Spaß plötzlich ein großer. Denn Anderson und Burtt sind mit dem Studium fertig und erobern Hollywood. Ben Burtt entwickelt die Soundeffekte für George Lucas' "Krieg der Sterne". Er erfindet den piepsigen Sound von R2-D2, das Brummen der Lichtschwerter, und aus seinem eigenen Atmen macht er das Atmen von Darth Vader. Und Burtt erinnert sich an den Schrei. Er darf in der Klangdatenbank von Warner recherchieren und findet ihn schließlich in "Der brennende Pfeil" von 1953 - in einer Szene, in der ein Nebencharakter namens Wilhelm von einem Indianerpfeil im Bein getroffen wird. Burtt nennt ihn deswegen den "Wilhelm-Schrei".

Dass das nicht dessen erstes Auftreten ist, weiß Burtt noch nicht - aber was er damit nun anfangen will, umso mehr: Er legt ihn einem Soldaten der Sturmtruppen im gerade entstehenden "Krieg der Sterne" in den Mund - und die Karriere des "Aaaaaaaarghh!" beginnt.

Denn nicht nur Burtt setzt den Wilhelm-Schrei nun immer wieder ein, auch sein Studienkollege Richard Anderson macht bei dem Spiel mit: "Ich habe ihn in ,Krieg der Sterne' benutzt, also hat Richard ihn in ,Poltergeist' verwendet, und wir beide haben ihn ,Die Jäger des verlorenen Schatzes" geschmuggelt", sagt Ben Burtt, "das ging zwanzig Jahre so hin und her, und weder Steven Spielberg noch George Lucas hat jemals etwas dagegen gesagt." In allen "Krieg der Sterne"- und "Indiana Jones"-Filmen kommt das markante "Aaaaaaaarghh!" vor, Anderson nutzt den Schrei unter anderem in "Batmans Rückkehr", im Remake vom "Planeten der Affen" und selbst im Trickfilm "Madagaskar".

Der Wilhelm-Schrei ist überall

Noch ist der Wilhelm-Schrei ein Insider-Gag zwischen zwei Tonmeistern, doch das ändert sich bald. Denn schnell werden Kollegen auf das Effekt-Recycling aufmerksam. Der Schrei findet sich nun in den Klangbibliotheken weiterer Studios - und jetzt wird er endgültig zum größten Witz Hollywoods. Es scheint, als sei kein Blockbuster der vergangenen Jahrzehnte ohne den lang gezogenen Wilhelm-Schrei ausgekommen: Er wird in "Toy Story" ausgestoßen, in "Hellboy" und "Sin City", in "Das fünfte Element" und in "Die Schöne und das Biest", in "Juno" oder in "Lethal Weapon 4" (aber nie in einem der "Scream"-Filme).

Der Regisseur Peter Jackson ist "Wilhelm"-Fan und hat den Schrei im "Herrn der Ringe" und in "King Kong" verwendet, und auch Quentin Tarantino nutzt ihn in "Reservoir Dogs" und fast unanständig oft in "Kill Bill". "Er kommt in fast jedem meiner Filme vor", sagt auch Regisseur Joe Dante ("Gremlins", "Small Soldiers"). "Das Schöne an dem Effekt war: Er fiel niemandem auf - außer den Filmemachern, die davon wussten."

Das hat sich inzwischen geändert: Filmfans- und -historiker sammeln im Internet Fundstellen,  der Schrei taucht nun zunehmend auch in Videospielen auf, es gibt Parodien auf YouTube und sogar eine Band namens "The Wilhelm Scream". Der Wilhelm-Schrei ist so populär geworden, dass ihn Entdecker Ben Burtt selbst inzwischen nicht mehr benutzt.

Wer steckt hinter dem Schrei?

Bleibt die Frage: Wer hat als erstes geschrien? Wer hat mehr als fünfzig Jahre lang in 140 Filmen mitgespielt, ohne im Abspann erwähnt zu werden? Diese Frage ist bis heute nicht endgültig geklärt. Es gibt jedoch Indizien.

Ben Burtt hat sich vor einigen Jahren auf die Suche begeben nach dem Künstler hinter dem Wilhelm-Schrei - und in den Archiven von Warner eine Akte über die Tonaufnahmen zum "Die Teufelsbrigade" im Jahre 1951 entdeckt. Darin: ein vergilbtes Formular mit den Namen der Künstler, die an den Sessions beteiligt waren. Burtt hat ihre Stimmen verglichen, und einer der Männer auf der Liste ist für ihn seitdem der wahrscheinlichste Schreihals: Sheb Wooley, ein Schauspieler und Sänger, der in "12 Uhr Mittags" mitgespielt und 1958 mit dem Lied "Purple People Eater" einen Nummer-Eins-Hit in den USA hatte.

War er derjenige, der Wilhelm schreien ließ? Fragen konnte ihn Burtt nicht mehr: Wooley war 2003 im Alter von 82 Jahren gestorben. Doch wenn er es gewesen ist, wäre er wohl stolz gewesen. "Er hat oft gescherzt, wie gut er in Filmen schreien und sterben konnte", erinnert sich seine Witwe - und der Vater des Wilhelm-Schreis gewesen zu sein, "das hätte ihn sehr gefreut. Er hätte gesagt: 'Ich bin vielleicht alt, aber ich bin immer noch im Kino'".

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren