
Karl Valentin: "Er war ein völlig einmaliges Gewächs"
Komiker Karl Valentin Etwas krumm ins Leben gebaut
Nach Karl Valentins Auftritt im "Kabarett Wien-München" schob sich eine ältere Dame zu ihm durch. Seine Darbietung, monierte sie, sei ja ganz schön gewesen, nur leider hätten er und sein Ensemble die Instrumente furchtbar schlecht gespielt - künftig höre sie sich doch lieber geübtere Musiker an.
Gemeint war die "Orchesterprobe", in der Valentin und Liesl Karlstadt das Musizieren genial parodierten, schief in die Trompete bliesen ("ja, passt schon!"), Schluckauf bekamen und sich mit Taktstöcken duellierten. Das Bühnenstück war vor gut 100 Jahren legendär und umjubelt. Kurt Tucholsky beschrieb es als "Höllentanz der Vernunft um beide Pole des Irrsinns". Bertolt Brecht sah sich "unaufhörlich von einem innerlichen Gelächter geschüttelt".
Der Sketch aus dem Bühnenprogramm "Tingeltangel" zählte zu den frühen Erfolgen von Karl Valentin, ausgesprochen wie mit einem F statt einem W - das war ihm wichtig (man sage ja auch nicht "Water" oder "Wogel"). Geboren wurde der begnadete Parodist und Komiker 1882 im Münchner Vorort Au. Sein anarchischer Geist und Hang zum Schabernack zeigten sich schon als Bub.

Karl Valentin: "Er war ein völlig einmaliges Gewächs"
Die Schule empfand er als "siebenjährige Zuchthausstrafe", lieber heckte er Streiche aus, erschreckte Passanten mit Knallfröschen oder präparierte Billard-Queues mit Juckpulver. Da seine drei Geschwister früh starben, wuchs der Sohn eines Möbelspediteurs behütet als Einzelkind auf. Er lernte Zither spielen, begeisterte sich für Kasperletheater und Zirkus.
Großmeister des "saudumm Daherredns"
Nach einer Schreinerlehre träumte er davon, Volkssänger zu werden. Diese damals beliebten Entertainer traten in Wirtshäusern und Singspielhallen auf. Valentin schloss sich der stets prekären Münchner "Vorstadt-Boheme" an und erprobte sich in kleinen Gaststätten mit selbst verfassten Couplets à la...
"Zwei Knaben stiegen auf einen Baum
sie wollten Äpfel runterhaun
am Gipfel drobn wurd's ihnen klar
dass das a Fahnenstange war"
Der Durchbruch gelang ihm 1908 im renommierten "Frankfurter Hof". Binnen weniger Monate war er einer der beliebtesten Komiker Münchens, der "Blödsinnkönig Valentin". Seine einzigartige Wirkung speiste sich aus seiner Sprachakrobatik, dem Improvisationstalent und unverwechselbaren Körperspiel. Wie kein anderer beherrschte er die Kunst des "saudumm Daherredns": "Ich weiß nicht mehr genau, war es gestern, oder war's im vierten Stock oben..."
Valentin war ein Meister lustvoller Sprachspielereien. Als "Wortzerklauberer" vertraute er Redewendungen gern einfach wörtlich ("Ja, der Ring liegt mir heut noch am Herzen, nicht in Wirklichkeit, sondern man sagt eben so, denn wenn er mir in Wirklichkeit am Herzen liegen tät, dann wüsst ich ja, wo er wär"). Gekrönt wurde Valentins Bühnenwitz durch seine sonderbare Erscheinung - ein klapperdürrer Lulatsch, der seine eh schon große Nase noch mit "Nasenkitt" verlängerte.
Valentin & Karlstadt, das Erfolgsduo
Im "Frankfurter Hof" lernte Valentin auch die junge Sängerin Elisabeth Wellano kennen. Eine geborene Komikerin, das erkannte er sofort. In Liesl Karlstadt, so ihr Künstlername, fand Karl Valentin sein kongeniales Gegenstück: er hager und schlaksig, sie klein und kräftig. Trotz ständiger Kostümwechsel spielte er letztlich immer sich selbst, sie war ein Verwandlungsgenie, das mit jeder Rolle verschmolz und oft auch Männerrollen übernahm.
Seine Bühnentexte konnte sich Valentin nie merken, jedoch brillant aus dem Stegreif spielen. Die beiden entwickelten sich zum Meisterduo der Improvisation und übernahmen 1915 gemeinsam das Kabarett "Wien-München". Nicht nur auf der Bühne, auch im echten Leben war Liesl Karlstadt seine Partnerin. Jahrzehntelang verband sie eine Liebesbeziehung, trotz Valentins Ehe mit Gisela Royes und zweier Töchter.
Das ging nicht gut: Valentin war so exzentrisch, wie er wirkte, Karlstadt nicht so heiter und robust, wie es auf der Bühne aussah. In den Dreißigerjahren erlitt sie mehrere Nervenzusammenbrüche. Später gelang es ihr, sich aus der engen Verbindung mit Valentin zu lösen und sich als Volksschauspielerin einen eigenen Namen zu machen.
Leider dieser Hang zu ruinösen Projekten
Die "Goldenen Zwanzigerjahre" waren auch für Karl Valentin eine glänzende Ära. Er wurde deutschlandweit zum bestaunten Komiker, eingeladen auf die großen Theaterbühnen in Berlin und München. Der berühmte Kritiker Alfred Kerr schrieb über den neuen Star: "Alle lachen. Manche schreien. Woraus besteht er? Aus drei Dingen. Aus Körperspaß. Aus geistigem Spaß. Und aus gewollter Geistlosigkeit."
Valentin wurde jetzt als tragikomisches Humorgespenst wahrgenommen, eine Art Woody Allen der Weimarer Republik. Dazu gehört sein Image als "Vorstadt-Hypochonder", das er auf der Bühne auslebte. Auch in Wirklichkeit sah Valentin, seit der Kindheit an schwerem Asthma leidend, sich ständig von Krankheit und Tod bedroht. Jede Zug- oder Autofahrt ängstigte ihn, in ein Flugzeug wollte er niemals steigen, weshalb er jedes Filmangebot aus Amerika ausschlug.
Neue Medien indes begeisterten Valentin: Er sang auf Schallplatten, trieb seine Possen in den frühen Jahren des Rundfunk, liebte vor allem den Film. In München baute er sein eigenes Studio und drehte Stumm- wie Tonfilme. Valentin hätte auch einfach nur seine eigene Bühnen- und Filmkarriere verfolgen können, aber das war nicht seine Art: Immer wieder startete er große Projekte. Zumeist desaströse.
Ein Fiasko erster Klasse war das "Panoptikum", ein ans Wachsfigurenkabinett angelehnter "Grusel- und Lachkeller" unter einem Münchner Hotel. In den frühen Dreißigerjahren schuf Valentin sich sein "Reich des Blödsinns", doch der Publikumserfolg blieb aus. Mehrfach musste Valentin seinen geliebten "Scheißkeller" schließen, mehrfach wurde er wiedereröffnet, verschlang seine eigenen Ersparnisse und die von Liesl Karlstadt gleich mit.
Karriereknick im "Dritten Reich"
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten brach auch die traditionsreiche Münchner Kabarettkultur zusammen. Manche Freunde und Kollegen verließen Deutschland, andere näherten sich den Nazis und verlegten sich auf regimetreues Kabarett. Valentin blieb, trat nie der NSDAP bei und ließ sich für Propaganda kaum einspannen. Er verstand sich als unpolitisch, schrieb jedoch in den letzten Kriegsjahren aus Geldnot eine Kolumne für die Propagandazeitung "Münchner Feldpost".
Unter den Nazis geriet Valentin aufs Abstellgleis, seine Auftrittsmöglichkeiten schwanden wie sein Ruhm. Geldsorgen verbitterten den früheren Star, er litt Hunger. Nur auf der Bühne erklärte er: "Man soll die Dinge nicht so tragisch nehmen, wie sie sind."
Nach dem Krieg fasste Valentin nicht mehr recht Fuß. Seine Hörfunksendung "Es dreht sich um Karl Valentin" wurde 1946 nach wenigen Wochen abgesetzt, den Zuhörern war sie zu pessimistisch. Er schrieb verzweifelte Bittbriefe an Redakteure - vergebens. Die Deutschen wünschten sich jetzt frechere, leichtere Unterhaltung.
Zuletzt wurde es still um ihn. "Nach dem Krieg wollte ihn erst mal keiner mehr hören", erzählt Valentins Urenkelin Rosemarie Scheitler-Vielhuber . "Er passte für die Leute einfach nicht mehr in die Zeit." Auf viele Menschen wirkte er jetzt wie ein skurriles, altmodisches "Münchner Original".
1948 zog sich Karl Valentin, 65 Jahre alt und noch ausgemergelter als je zuvor, eine Lungenentzündung in einer ungeheizten Garderobe zu. Er starb am 9. Februar 1948, einem Rosenmontag. "Valentins Tod ist mir nahegegangen", schrieb Thomas Mann. "Er war ein völlig einmaliges Gewächs."
1959 wurde in München das heutige "Valentin-Karlstadt-Musäum" eingerichtet, ab den Sechzigerjahren wurde er als Komiker wiederentdeckt. Über den späten Ruhm hätte sich Karl Valentin, der bei seinem 60. Geburtstag akribisch sämtliche Gratulanten aufgelistet hatte, sicher ungemein gefreut. Und vielleicht gleich eine neue Liste getippt, mit all den Komikern, die sich auf ihn beriefen: Loriot, Gerhard Polt, Helge Schneider... mit einem zufriedenen Schmunzeln.