
Flug KAL007: Absturz in den Kalten Krieg
Todesflug der KAL007 Absturz in den Kalten Krieg
Nur noch drei Stunden sind es bis zum Ziel, dem Flughafen Seoul. Die Passagiere der Korean-Airlines (KAL) freuen sich auf das Frühstück, das nun serviert werden soll, als sich ein Geschoss in eines der Triebwerke der Maschine bohrt und explodiert.
"Alarm, wir stürzen ab, Sauerstoffmasken aufsetzen", kann die Crew noch durchgeben. Dann stürzt die Maschine zwölf lange Minuten ungebremst ab. "Rapider Druckabfall…Sinken auf eins-null-tausend", meldet die Crew, gemeint sind 1000 Fuß. Danach bricht die Kommunikation endgültig ab. Flug KAL007, gestartet vor knapp 15 Stunden in New York, stürzt vor der russischen Insel Sachalin ins Japanische Meer.
Derweil funkt Gennadij Ossipowitsch, der Pilot des sowjetischen Abfangjägers, der das todbringende Geschoss abgefeuert hat, pflichtbewusst seinen Vorgesetzen: "Das Ziel ist zerstört." Was er nicht sagte, aber geahnt haben dürfte: Der ausgeführte Befehl schrieb Geschichte und ließ die Welt in die schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges zurücktaumeln.
Warum wich der Pilot Hunderte Kilometer vom Kurs ab?
Fast 31 Jahre liegt dieser Abschuss der koreanischen Boeing 747 am 1. September 1983 nun zurück, bei dem alle 269 Passagiere, darunter 61 Amerikaner, umgekommen waren. Und doch sind bis heute nicht alle Details geklärt: Warum war die Maschine Hunderte Kilometer vom Kurs abgekommen und in den russischen Luftraum eingedrungen - ein militärisch hochsensibles Gebiet? War das wirklich nur eine tragische Verkettung von Zufällen und Pannen? Oder hatte gar der US-Geheimdienst seine Finger im Spiel?
Nun ist mit Flug MH17 der Malaysia Airlines offenbar erneut eine Passagiermaschine abgeschossen worden, die Zahl der Opfer ist mit 298 ähnlich hoch wie vor drei Jahrzehnten. Noch ist völlig unklar, ob wirklich russische Separatisten das Flugzeug über dem ukrainischen Luftraum abgeschossen haben, und natürlich kann man beide Vorfälle historisch kaum miteinander vergleichen. Dennoch dürfte es zumindest eine Gemeinsamkeit geben: Der Abschuss wird die Welt in eine tiefe diplomatische Krise stürzen.
"Der russische Bär ist eine tollwütige Bestie"
Vor 31 Jahren klang das dann so: "Ein barbarischer Akt", "eine Tat von Terroristen", "ein Massaker" (Präsident Ronald Reagan). Und die westlichen Zeitungen folgten dieser Einschätzung: "Der russische Bär ist eine tollwütige Bestie", schrieb die australische "Daily Mail". Das US-Magazin Newsweek geißelte den "gnadenlosen Hinterhalt am Himmel" und die sonst so nüchterne "FAZ" sprach von einem "Jumbo-Abschlachten". Selbst der Präsident der Uno-Vollversammlung zog eine Parallele zum Sarajewo-Attentat von 1914, das die Menschheit in den Ersten Weltkrieg gestürzt hatte.
Die Empörung war verständlich. Zu eindeutig schien auf den ersten Blick die Schuldfrage zu sein: Die Sowjetunion hatte ein unbewaffnetes und eindeutig gekennzeichnetes Verkehrsflugzeug, das durch einen technischen Fehler versehentlich vom Kurs abgekommen war, abgeschossen. Und zwar kaltblütig, ohne Warnung.
Die Gegenanklage aus Moskau, das Flugzeug sei bewusst zu Zwecken der Provokation und Spionage in den sowjetischen Luftraum geschickt worden, drang nicht durch. Und kaum jemand glaubte den Beteuerungen, man habe die koreanische Maschine sehr wohl gewarnt und zunächst zum Landen aufgefordert. Stattdessen wurden in US-Zeitungen die letzten Worte des stramm antikommunistischen US-Abgeordneten Lawrence McDonald zitiert, der kurz vor seinem Abflug mit der Todesmaschine noch gesagt hatte, die Zukunft der wesentlichen Zivilisation hänge davon ab, ob sie bereit sei, gegen die "rote Pest" zu kämpfen.
Zehntausende Amerikaner versammelten sich nach McDonalds Tod in diesem Geist zu wütenden antisowjetischen Protesten und zertrümmerten Wodkaflaschen. Der Kalte Krieg kehrte mit voller Wucht zurück.
Wachsendes Unbehagen
Doch mit der Zeit packte auch westliche Beobachter zunehmend ein Unbehagen. Der renommierte Journalist Alexander Cockburn etwa, ein Spezialist auf dem Gebiet der US-Außenpolitik, empfand die "Intensität der öffentlichen Reaktion als alarmierend". Er formulierte den Verdacht, für viele US-Politiker sei die Tragödie "befriedigend", weil sie nun den scheinbaren Beweis hätten, "dass die einzige Art, mit der Sowjetunion umzugehen, nur darin bestehen kann, größere Raketen und tiefere Bunker zu bauen". Das war durchaus keine Einzelmeinung. Selbst ein hochrangiger Ex-Beamter aus dem US-Außenministerium beklagte öffentlich, Reagans Kabinett regiere im "Stil eines autoritären Staates", weil es nur Bruchstücke der Dokumente zu dem Unglücksfall freigebe.
In der Tat gab es Merkwürdigkeiten: Denn das militärisch hochinteressante Gebiet, das die KAL007 überflogen hatte - die Halbinsel Kamtschatka, die Insel Sachalin - wurde von einem engmaschigen System aus US-Radarstationen, Aufklärungsschiffen und Spionagesatelliten nahezu lückenlos überwacht.
Das galt besonders für den Tag des Unglücks. Alle US-Horcheinrichtungen waren in der Nacht zum 1. September 1983 in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Der Grund: Der Testflug einer sowjetischen Interkontinentalrakete wurde erwartet - und zwar genau in der Region der Halbinsel Kamtschatka. Federführend beteiligt an der Überwachung war der damals noch nicht in der Dauerkritik stehende Geheimdienst NSA.
Warum bemerkte die NSA den Irrflug nicht?
Die Frage war also: Konnte es der US-Abwehr in dieser Situation wirklich entgangen sein, dass ein Passagierflugzeug tief in den sowjetischen Luftraum eindrang? Das wäre zumindest höchst peinlich. Dagegen spricht auch, dass ein US-Aufklärungsflugzeug genau in jener Region geortet wurde, in der kurz danach KAL007 ins Sperrgebiet eindrang. Doch wenn die NSA den Irrflug bemerkt haben sollte - warum warnte sie den Piloten nicht?
In den Monaten und Jahren nach dem Abschuss wurden immer häufiger zwei Theorien formuliert. Erstens: Die Maschine wurde mit Billigung der US-Regierung in den russischen Luftraum geschickt, um die Abwehrreaktion der sowjetischen Luftwaffe zu studieren und so wichtige militärische Erkenntnisse zu gewinnen. Oder: KAL007 kam tatsächlich versehentlich vom Kurs ab, wurde jedoch dann bewusst nicht gewarnt, um diese einmalige Situation auszunutzen.
Nichts davon ist bewiesen. Fest steht inzwischen aber: Der scheinbar so kaltblütige Jagdpilot Gennadij Ossipowitsch hatte tatsächlich Warnraketen abgeschossen und zur Landung aufgefordert. Den Moskauer Abschussbefehl rechtfertigt das natürlich nicht.
Die Erregung lässt nach
1993, zehn Jahre nach dem Unglück, wurde die Schuldfrage zumindest offiziell geklärt. Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO machte die koreanischen Piloten zu den Hauptverantwortlichen der Tragödie. Sie hätten nach der Zwischenlandung in Anchorage falsche Daten in das Navigationssystem eingegeben und den Fehler offenbar auch dann nicht bemerkt, als die Maschine schon weit vom Kurs abgekommen war. Doch die Mauer war gefallen, der Kalte Krieg längst vorbei, und so erhitzte der Fall die Gemüter nicht mehr so wie noch ein Jahrzehnt zuvor.
Vergleichsweise wenig Aufsehen erregte auch der Abschuss einer Tupolew der russischen Fluglinie Sibir im Oktober 2001 in der Nähe von Sotschi. Später stellte sich heraus, dass die Maschine versehentlich bei einem Übungsmanöver auf der Krim von einer ukrainischen Luftabwehrrakete getroffen worden war. Die Ukraine entschuldigte sich offiziell, hochrangige Militärs traten zurück.
Das würde heute nicht mehr genügen. Doch damals war die Krim noch ukrainisch - und die Nachbarn nicht zutiefst verfeindet.