
Kriegsheld Audie Murphy Höllenhund mit Milchgesicht
Am Morgen des 26. Januar 1945 brach die Hölle über Murphy und seine Männer herein. Dabei war eigentlich alles perfekt nach Plan verlaufen. Noch vor der Morgendämmerung hatte Lieutenant Audie Murphy mit den 18 Männern seiner Kompanie die vorgeschriebene Position erreicht. Nicht weit der Ortschaft Holtzwihr im Elsass hatten die GIs auf die versprochene Verstärkung gewartet, die auch rechtzeitig eingetroffen war: zwei Panzerzerstörer.
Doch dann attackierten wie aus heiterem Himmel sechs deutsche Panzer und Dutzende Landser den kleinen amerikanischen Trupp. Murphy, der bei den US-Truppen einen Ruf als wahrer Höllenhund genoss, bewahrte aber selbst im einsetzenden Kugelhagel noch die Ruhe. Er schickte seine Männer fort, damit sie sich hinter Bäumen in Sicherheit brachten. Murphy blieb allein vorn und dirigierte das Feuer der amerikanischen Artillerie. Dann erschütterte eine Explosion das Schlachtfeld - ein amerikanischer Panzerzerstörer hatte einen Volltreffer erhalten.
Während die Besatzung des Fahrzeugs schockiert in den Wald flüchtete, rollten die deutschen Panzer auf Murphy zu. Er kletterte auf den brennenden Panzerzerstörer, der jeden Moment in die Luft fliegen konnte, und brachte das Kaliber-50-Maschinengewehr in Anschlag. Von drei Seiten griffen die Deutschen Murphy mittlerweile an. Der Lieutenant feuerte und feuerte. Dutzende Angreifer starben. Bis schließlich das Unglaubliche geschah: Die Panzer zogen sich zurück.
Doch der Kampf war noch nicht vorbei: Eine Stunde lang beharkten die Deutschen Murphy weiter mit allem, was sie hatten. Manche Soldaten schafften es, bis auf zehn Meter an ihn heranzurobben, bis seine Kugeln sie schließlich trafen. Selbst als der Lieutenant am Bein angeschossen wurde, feuerte er unerbittlich weiter. Erst als ihm die Munition ausging, gab Murphy auf und zog sich zurück. Anstatt jedoch seine Verwundung versorgen zu lassen, sammelte er seine Männer - zum Gegenangriff. Angesichts dieses tolldreisten Amerikaners gaben die Deutschen schließlich zermürbt auf. Rund fünfzig Feinde hatte Murphy im Alleingang getötet oder verwundet.
Ein trauriger Held
Für seinen Einsatz an diesem Tag erhielt Audie Murphy die "Medal of Honor", die höchste militärische Tapferkeitsauszeichnung der USA. Auf Murphys Brust wurde es mit dieser erneuten Ehrung langsam eng: 33 Orden und Auszeichnungen pflasterten inzwischen seine Uniform, davon 12 für Tapferkeit vor dem Feind.
Ein Foto zeigt Murphy mit all dieser Ordenspracht. Doch der höchstdekorierte amerikanische Soldat des Zweiten Weltkriegs sieht ganz anders aus als vielleicht erwartet. Ein kindlich wirkendes Gesicht blickt dem Betrachter entgegen, ein junger Mann, der ernst, fast melancholisch wirkt. Murphy war von kleiner, schlaksiger Statur, keine 1,70 groß und nur etwa 50 Kilo schwer. Ein gut aussehender Typ, dem die Uniform fast ein wenig zu groß zu sein schien.
In der zivilen Welt hatte Murphy, der am 20. Juni 1924 in Texas geboren wurde, nicht viel zu erwarten. Seine Familie war arm, der Vater ein verantwortungsloser Rumtreiber, der seine Frau und Kinder allein ließ. Nur rund fünf Jahre drückte Audie die Schulbank, dann musste er Geld verdienen. Als die Mutter 1941 starb, hielt ihn nichts mehr. Murphy wurde Soldat - und was für einer!
Sanftmütige Kampfmaschine
"Sanftmütig und zurückhaltend", so beschrieb ihn später sein Kamerad Milton Robertson, "aber mit Gewehr und Bajonett in der Hand war er ein anderer Mensch". Was Murphy damit zu tun im Stande war, sollte der Kriegsgegner bald am eigenen Leib erfahren. Auf Sizilien wurde es 1943 ernst, die Amerikaner kämpften sich von der Mittelmeerinsel aus ihren Weg den italienischen Stiefel hinauf frei. Mit dabei: Audie Murphy.

Besonders Patrouillengänge hatten es ihm angetan. Ziel war es hierbei, Gefangene zur Befragung mitzubringen. Dazu hatte sich Murphy einen besonderen Trick ausgedacht. Zusammen mit einem Kameraden, der Deutsch sprach, pirschte er sich an die feindlichen Linien heran. Der andere G.I. lockte einen Wehrmachtssoldaten an, den Murphy dann gefangen nahm. Für den Fall, dass etwas schief ging, hielten sich weitere Männer bereit, um den beiden zu helfen. Die Aktionen waren so riskant, dass die übrigen Männer "nur ungern" mitgingen, wie der Soldat Albert Pyle später eingestand.
Audie Murphy hingegen erfüllten diese Selbstmordkommandos scheinbar mit Gleichgültigkeit. Jahre nach dem Krieg berichtete er einem Journalisten: "Man erkennt, dass man das tun wird, was man tun muss. Wenn man einmal akzeptiert hat, dass es einen erwischen wird, falls es einem bestimmt ist, denkt man wieder klarer. Man wird entschlossen. Das ist wichtig, denn die Unentschlossenheit tötet im Krieg mehr Menschen als alles andere."
Ein gefeierter Kriegsheld
Nach Kriegsende kehrte Murphy unter großem Aufsehen in die USA zurück. Rund eine Viertelmillion Menschen erwarteten ihn und andere Kriegsheimkehrer im Juni 1945 bei der Ankunft im texanischen San Antonio. Murphy erhielt Ehrung über Ehrung, das Magazin "Life" zeigte ihn im Sommer 1945 auf dem Titelbild - als einen markigen, uramerikanischen Helden. Kein Wunder, dass bald auch Hollywood seine Fühler nach ihm ausstreckte.
Doch der Adonis vom "Life"-Titelblatt und der echte Murphy hatten wenig gemeinsam. Der Krieg hatte den jungen Mann zermürbt. Rund 250 feindliche Soldaten soll er mit eigenen Händen getötet haben. Der Kriegsheld hielt sich nachts bei eingeschaltetem Licht wach, weil ihn in seinen Träumen grausame Szenen aus dem Krieg quälten. Sein Magen fuhr Achterbahn, er zitterte, plötzliche Geräusche ließen ihn in Kampfhaltung gehen. Als der Filmstar James Cagney den Ex-Soldaten im September 1945 auf dem Flughafen in Kalifornien abholte, war der Schauspielstar schockiert: "Sein Teint ist bläulich grau."
Und so kam Murphys Hollywoodkarriere nur langsam in Gang: Erst 1949 errang er mit dem Streifen "Gefängnis ohne Gitter" einen größeren Erfolg. Vor allem als strahlender Western-Held zog er danach die Menschen in die Kinos.
"Zeit zum Sterben"
Ruhm bescherten Murphy zudem seine Kriegserinnerungen, die 1949 unter dem Titel "Zur Hölle und zurück" erschienen. Nur wenige Worte darin stammten von dem Kriegshelden selbst, geschrieben hatte im Wesentlichen sein Freund David McClure. Der Autor hatte um jede Information von Murphy ringen müssen. Erst später wurde McClure klar, dass er seinem Freund "Grausames antat". Der Journalist meinte: "Ich versuchte, Erinnerungen aus ihm herauszuholen, die er verzweifelt zu vergessen suchte." "Zur Hölle und zurück" wurde ein Bestseller, 1955 wurde das Buch sogar verfilmt - natürlich mit Audie Murphy in der Hauptrolle. Amerika strömte in die Kinosäle.
Trotz seines Ruhmes als Kriegsfilm- und Westerndarsteller sollte Audie Murphy jedoch niemals richtig glücklich werden. Seine erste Ehe wurde schnell geschieden, Murphy verzockte sein Geld mit Pferdewetten, beim Pokern und Würfeln, beim Abschluss von Filmverträgen ließ er sich über den Tisch ziehen. Sein eigentliches Problem aber war und blieb der Krieg - Alpträume quälten ihn ohne Unterlass.
Seinen letzten Western-Auftritt auf der Leinwand hatte Murphy 1969 in "Zeit zum Sterben". Es sollte sich als fast prophetischer Titel herausstellen - denn nur zwei Jahre später, als Murphy sich am 28. Mai 1971 auf Geschäftsreise befand, zerschellte sein Flugzeug an einem Berg.
Anders als der Leinwandheld in "Zur Hölle und zurück" hatte der echte Audie Murphy zeit seines Lebens nie ganz aus der Hölle des Krieges nach Hause gefunden.