Erste TV-Übertragung der Zeremonie Wie der SPIEGEL 1953 über die Krönung von Queen Elizabeth II. berichtete

Die erste Monarchin, die live vor Millionen Fernsehzuschauern gekrönt wurde, war Queen Elizabeth II. Auch in Deutschland war das Ereignis zu empfangen. So berichtete der SPIEGEL 1953 über das Großereignis.
Der Moment: Live übertragen vor Millionenpublikum setzte der Erzbischof von Canterbury der Queen 1953 die Krone auf

Der Moment: Live übertragen vor Millionenpublikum setzte der Erzbischof von Canterbury der Queen 1953 die Krone auf

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TLB / CAMERA PRESS / ddp images

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Geduld brauchte es schon vor 70 Jahren: Rund acht Stunden dauerte die Liveübertragung der Krönungszeremonie von Queen Elizabeth am 2. Juni 1953, verfolgt von Millionen Fernsehzuschauerinnen und Zuschauern im Königreich selbst, in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Frankreich. Noch hatten nur wenige einen eigenen Fernseher, allein in Großbritannien sollen sich durchschnittlich 7,5 Personen vor einem Gerät versammelt haben. Viele trafen sich an jenem Dienstag in Turnhallen, Kneipen oder im Gemeindehaus zum Public Viewing.

Der SPIEGEL berichtete in der darauffolgenden Woche detailliert über die Herausforderungen, vor denen der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) bei seiner Sendung für das deutsche Publikum gestanden hatte. Und ganz nebenbei erklärte er seinen Leserinnen und Lesern erst einmal die Grundlagen der noch kaum verbreiteten Fernsehtechnik – erst seit Dezember des Vorjahres war in der Bundesrepublik ein reguläres Fernsehprogramm zu empfangen. Wir dokumentieren den SPIEGEL-Bericht vom 9. Juni 1953, die Schreibweisen wurden modernisiert.

Die Sendung war ein Hohn auf alle, die nach überholten Begriffen dabei sein wollten, sich am Dienstag vergangener Woche vor der Westminster-Abtei und in den Straßen von London drängten, knufften und stießen, um einen Schimmer vom Glanz der Krönung zu sehen. Während sich die übernächtigten Massen unter klatschenden Regenböen duckten, rekelten sich in bequemen Stühlen vor ihren Empfangsgeräten rund 20 Millionen Fernseher in England, Holland, Belgien, Frankreich und Deutschland. Von 10.30 Uhr bis 17 Uhr flimmerten die Ereignisse der englischen Krönung milchig über die Bildschirme ihrer Heimempfänger.

Gebannt: Auch der abgedankte König Edward (3. v. l.) und seine Frau Wallis Simpson (2. v. l.) sahen sich die Krönung von Elizabeth II. im Fernsehen an

Gebannt: Auch der abgedankte König Edward (3. v. l.) und seine Frau Wallis Simpson (2. v. l.) sahen sich die Krönung von Elizabeth II. im Fernsehen an

Foto: Louis Heckly / AP

Zum ersten Mal in der Geschichte sahen Millionen Menschen in ihrer guten Stube den mittelalterlichen Pomp und Prunk einer Krönung. In Bonn saßen Bundeskanzler Adenauer und die Kabinettsmitglieder vor dem Fernsehgerät. Weitere hunderttausend Deutsche verfolgten den Ablauf der Zeremonie an Heimgeräten, an Projektionstruhen in Gaststätten, Radiogeschäften, Warenhäusern und im Düsseldorfer Apollo-Theater (Eintrittskarten von 3 bis 10 Mark). Was sie sahen, war abwechselnd so faszinierend und so ermüdend wie die Wirklichkeit selbst.

Unzweifelhaft war die Übertragung die größte Schau des jungen deutschen Fernsehens. Sie beendete eine zwei Monate lange, intensive Vorarbeit mit einem eindrucksvollen Erfolg. Das deutsche Fernsehpublikum, mit den technischen Schwierigkeiten einer solchen Langstrecken-Übertragung nicht vertraut, mäkelte zu Unrecht über das oft blasse Bild und über die Undeutlichkeit der Konturen.

Das flimmernde Zeilenproblem

Zwei schwere Handikaps hatten die Fernsehingenieure bei der Übertragung ausgleichen müssen:

* die begrenzte, nur wenig über optische Sichtmöglichkeit hinausgehende Reichweite der beim Fernsehen verwendeten Ultrakurzwellen;

* die Verschiedenheit der englischen und deutschen Zeilensysteme bei der Bildzerlegung (die Fernsehkamera zerlegt das Bild in Zeilen und Punkte, so wie eine Fotografie für den Druck in Zeilen und Punkte zu einem Raster zerlegt wird. Der Sender verwandelt die einzelnen Lichtpunkte in Stromschwankungen, die am Empfangsort zurückverwandelt und Punkt für Punkt, Zeile für Zeile wieder zu einem Bild zusammengefügt werden. Das alles geschieht im Bruchteil einer Sekunde, sodass das menschliche Auge die Bildzerlegung nicht wahrnimmt).

Wegen der knappen Reichweite der Ultrakurzwellen waren im vergangenen Sommer auch keine Direktübertragungen von den Olympischen Spielen in Helsinki möglich gewesen; alle Fernsehsender der Welt schickten damals mit mehr oder weniger Verzögerung Filme über den Bildschirm. Der gleiche Grund machte es den Amerikanern auch unmöglich, die Aufnahmen von der Krönung direkt zu übertragen, obwohl amerikanische Fernsehexperten schon von einer atlantischen Fernsehbrücke mithilfe von kreisenden Flugzeugen geträumt hatten. Die amerikanischen und kanadischen Fernsehsender mussten sich diesmal noch Filme von den Krönungsfeierlichkeiten mit Düsenflugzeugen herüberbringen lassen.

Für die europäischen Fernsehtechniker war die Errichtung einer provisorischen Fernsehbrücke über den Kanal eher möglich. Relais-Stationen in Dover (England), Cassel und Lille (Frankreich), Flobecq, Brüssel und Antwerpen (Belgien), Breda, Eindhoven und Helenaveen (Holland) und in Hinsbeck und Wuppertal fingen die Bilder auf, verstärkten sie und gaben sie an den nächsten Relais-Turm weiter.

Das zweite Übertragungshandikap, das flimmernde Zeilenproblem, war zum ersten Mal im vergangenen Sommer gelöst worden: Pariser Fernsehsendungen wurden mit 819 Zeilen aufgenommen und in London mit 405 Zeilen ausgestrahlt.

Public Viewing: Wer keinen eigenen Fernseher hatte, konnte vielerorts in Gemeindezentren (hier im kanadischen Vancouver) die Krönung anschauen

Public Viewing: Wer keinen eigenen Fernseher hatte, konnte vielerorts in Gemeindezentren (hier im kanadischen Vancouver) die Krönung anschauen

Foto: Bettmann / Getty Images

Das Krönungsfernsehen ging quer durch alle europäischen Fernsehsysteme: England arbeitet mit 405 Zeilen, Frankreich mit 819 und Deutschland (und andere Länder Mitteleuropas) mit 625. Bis in die holländische Stadt Breda lief das aus England kommende Bild mit 405 Zeilen. Dort wurde es für Deutschland erneut von einer Bildfängerröhre abgetastet, die mit der europäischen Norm von 625 Zeilen arbeitete. Schärfeverluste waren zwar unvermeidlich, aber die Zeilentransformation klappte ohne Störung.

Neben der Bildleitung führten zwei Tonleitungen in das NWDR-Studio Köln; eine brachte die Originalgeräusche, die zweite den Begleittext, den die acht besten englischen Fernsehkommentatoren zu der englischen Fernsehsendung sprachen. Mit 21 Fernsehkameras waren sie an fünf strategischen Punkten in London postiert: am Victoria-Denkmal (Buckingham-Palast), am Themse-Ufer, vor der Westminster-Abtei, in der Westminster-Abtei und in der Nähe von Grosvenor Gate.

Stolz zu Rosse trabende Feldmarschälle

An diesen Kamerastandpunkten auch noch deutsche (sowie französische und holländische) Fernsehkommentatoren unterzubringen, war schon aus Raumgründen unmöglich. So kommentierte das deutsche Team um Hermann Rockmann, Udo Langhoff und Werner Baecker vom Hochhaus am Kölner Hansaplatz, was es auf dem Bildschirm sah, oder wiederholte, was ihnen die englischen Kommentatoren vorsprachen.

Um sich ein Bild von der Zeremonie an Ort und Stelle zu machen, waren sie jedoch in der Woche vor der Krönung sechs Tage in London gewesen und hatten eine Probe des Krönungsaktes in der Westminster-Abtei beobachtet.

Wochenschau- und NWDR-Reporter Hermann Rockmann, beim Fernsehen als Kommentator zu Gast, bewunderte dabei die minutiösen Vorbereitungen des englischen Fernsehens, die denn auch die Präzision der Kameraeinstellungen und Bildschnitte erklärt. »Die BBC hatte ein genaues Stichwortprogramm aufgestellt, und es war vorher bekannt, welche Kamera welchen Bildschuss machen würde. Auch Starkommentator Richard Dimbleby, der in der Westminster-Abtei kommentierte, hatte seine Reportage bereits bei der Probe gemacht und wiederholte sie wörtlich bei der echten Sendung.«

Fernsehgeschichte: Die Kameras der BBC zeichneten die Prozession zur Westminster Abbey ebenso auf wie die Krönung selbst

Fernsehgeschichte: Die Kameras der BBC zeichneten die Prozession zur Westminster Abbey ebenso auf wie die Krönung selbst

Foto: Mary Evans / INTERFOTO

Mit Kopfhörern verfolgten die deutschen Fernsehsprecher in Köln, was die Engländer sagten. Zugleich konnten sie abhören, wie die eigene deutsch kommentierte Sendung nun in den Äther ging. Die deutschen Kommentare, die dem des Englischen kundigen Fernseher beinahe zu reichlich erschienen, ließen es zum Beispiel an Ausführlichkeit dort vermissen, wo Einzelheiten über die Persönlichkeiten des Krönungszuges am Platze gewesen wären. Die stolz zu Rosse trabenden Feldmarschälle Auchinleck und Ironside, die bekannten Politiker und Generäle wurden nicht angesagt oder nur kursorisch genannt.

Als Sprecher Udo Langhoff dann bei der Abendübertragung allein kommentieren musste, geriet er ins Schwimmen. Außer krassen Übersetzungsfehlern – er ließ die Königin die »Beleuchtung« Londons (statt die Festbeleuchtung bzw. Illumination) einschalten – und falschen Zeitangaben wirkte es erheiternd, als er in einer schon einige Minuten laufenden Übertragung des Feuerwerks erläuterte: »Was Sie jetzt sehen, ist das Feuerwerk ...« Überhaupt beschrieb er vieles, was die Zuschauer sowieso auf dem Bildschirm deutlich sahen.

Zwar konnten die Londoner Fernsehleute keine Scheinwerfer für eine szenengerechte Ausleuchtung in der Westminster-Abtei aufstellen, aber ihre Image-Orthikon-Kameras (die jetzt auch der NWDR und der Bayerische Rundfunk verwenden) benötigen weniger Licht als der Schwarzweiß- und der Farbfilm. Auch das heikelste Problem, die Kameraaufstellung in der Abtei selbst, war geschickt gelöst worden. Die vier diskret postierten Kameras standen so günstig, dass sie alle Einzelheiten des Rituals einfangen konnten.

Die brausenden Chöre, die schmetternden Fanfaren

Während früher nur 7000 auserlesene Repräsentanten die Krönung zu sehen bekamen, erlebten diesmal mehr als 20 Millionen Europäer die Zeremonie wie von einem Platz in der Proszeniumsloge. Noch bei der Krönung von Georg V. und der Königin Mary waren Filmaufnahmen verboten; erst 1937, bei der Krönung von Georg VI. und Königin Elizabeth, war die Technik zum ersten Mal Zeuge: Der Rundfunk durfte eine Übertragung senden.

Damals wurde auch zum ersten Mal der schüchterne Versuch einer Fernsehübertragung gemacht. An einer Ecke des Hyde Parks war ein Übertragungswagen aufgestellt worden, und seine drei schwachen, lichtbedürftigen Kameras versuchten einzufangen, was nur möglich war. Höhepunkt des Berichts, der nur eine knappe halbe Stunde dauerte, war eine kleine Verbeugung der Königin Elizabeth in Richtung Fernsehkamera. In der Sendung am Dienstag vergangener Woche sah man die Königin stundenlang. Man sah sie von nah und fern, von allen Seiten, stehend, sitzend, kniend, betend und sich gelegentlich eine Träne abtupfend.

Ein Kritiker schwelgte vor dem Bildschirm in Hamburg: »Die Stimme der Königin kam klar und fest zu uns herüber, als sie ihren Eid sprach. Und seltsam – manchmal vergaß man inmitten dieses immer noch faszinierenden Zeremoniells fast die Technik, die das alles vermittelte. Die brausenden Chöre, die schmetternden Fanfaren, die kostbaren Gewänder aus einer längst verblichenen Zeit... Man vergaß, dass für die Übermittlung Mikrofone nötig waren, lange Kabel, grelle Scheinwerfer und unzählige Techniker. Man vergaß dies alles beim Anblick der »beef eater« mit ihren Hellebarden und den vielen anderen überkommenen Symbolen, die der Krönung das Gepränge gaben. Hier siegte eine tausend Jahre alte Tradition über die Technik.«

Und noch eins ermöglichte die Direktübertragung aus der Westminster-Abtei: eine schnellere Berichterstattung für Presse und Rundfunk. In der Zentrale der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg verfolgten die Nachrichtenredakteure vor den Bildschirmen jede Phase der stundenlangen Zeremonie. Sie konnten den pünktlichen Beginn und vorgeschriebenen Ablauf der Krönung schneller an die deutschen Rundfunkstationen und Zeitungsredaktionen melden als deren Londoner Korrespondenten, die weit hinten in der Westminster-Abtei saßen oder durchnässt in den Zuschauermassen auf den Straßen eingekeilt waren.

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