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Zweimal schwarzer Kater: Krupps, die aus der Reihe tanzten

Krupp-Skandale Orgien auf Capri, Hasch-Partys in Marrakesch

Die Krupp-Dynastie stand immer im Rampenlicht. Friedrich Alfred bezahlte seine öffentlich gewordene Homosexualität mit dem Leben - Urenkel Arndt erkaufte sich die Freiheit per Erbverzicht.

Der Kaiser stand bis zuletzt treu an der Seite seines wichtigsten Waffenlieferanten. Höchstpersönlich folgte Wilhelm II. dem Sarg Friedrich Alfred Krupps, der am 26. November 1902 während eines riesigen Trauerzugs durch die Essener Innenstadt getragen wurde. Noch nie zuvor war einem Industriellen - einem Bürgerlichen zudem - eine solche Ehre zuteilgeworden.

"Diese That mit ihren Folgen ist weiter nichts als Mord", zürnte Wilhelm II. in seiner Ansprache vor dem Essener Bahnhof. Wer nicht "das Tischtuch zwischen sich und diesen Leuten zerschneidet", brach es aus dem Kaiser heraus, "legt moralisch gewissermaßen Mitschuld auf sein Haupt".

Was hatte den Monarchen derart in Rage gebracht?

Wilhelms Wut richtete sich gegen den Verfasser eines Zeitungsartikels, der am 15. November 1902 auf der zweiten Seite des "Vorwärts" erschienen war. "Krupp auf Capri" lautete die Überschrift dieser Enthüllungsbombe im SPD-Organ - natürlicher Feind des Stahlkonzerns, der wie kein zweiter für Kaisertreue und Militarismus stand.

Die Grotte und der Bauernjunge

"In einer verschwenderisch ausgestatteten Villa (...) huldigte er mit den jungen Männern der Insel dem homosexuellen Verkehr", schrieb Redakteur Kurt Eisner. Krupp, reichster Mann Deutschlands , feiert Schwulen-Orgien in Italien!

Die Mühe einer Recherche vor Ort hatte sich der "Vorwärts" nicht gemacht. Dem Blatt genügte der Verweis auf die ausländische Presse, die seit Wochen "voll von ungeheuerlichen Einzelheiten über den 'Fall Krupp'" sei. Im Oktober hatte ihn die italienische Zeitung "Propaganda" unter der Überschrift "Capri-Sodoma" der Pädophilie bezichtigt.

Krupps Namen hatte das sozialistische Blatt zunächst nicht genannt, sondern ihn als "reichen degenerierten Ausländer" tituliert; der locke die Bewohner auf Capri mit seinem Geld, damit sie ihm "in den widerlichsten Lastern" dienten.

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Zweimal schwarzer Kater: Krupps, die aus der Reihe tanzten

Verzweifelt bemüht, das Desaster abzuwenden, hatte Krupp sich an den deutschen Generalkonsul in Neapel gewandt und bei der Botschaft in Rom interveniert. Als alles nichts half, ließ er seine Ehefrau Margarethe im Oktober 1902 in eine psychiatrische Klinik in Jena einweisen.

Auf die politisch motivierte Kampagne im "Vorwärts" reagierte Krupp mit einer Verleumdungsklage, die Nummer des "Vorwärts" wurde beschlagnahmt, die Redaktion durchsucht. Zudem schickte er eine Gegenerklärung an die Presse. Doch der Skandal war in der Welt, der Stahlbaron  bloßgestellt.

Plötzlich zerriss sich jedermann das Maul über Krupps südlichen Zufluchtsort. Über seine in einer ausgebauten Grotte auf Capri feiernde "Congrega di Fra Felice" - laut Historiker Dieter Richter eine "Mischung aus sozialer Bruderschaft und Spaßgesellschaft". Über seine musische und Künstlerleidenschaft und sein Faible für den Bauernjungen Giovanni. Kurz: über alles, was Krupp heilig war.

Freude an Tiefseefauna

Mit dem Tod des übermächtigen Vaters war Friedrich Alfred 1887 die Leitung des Essener Unternehmens zugefallen. Pflichtbewusst hatte der schüchterne, gesundheitlich angeschlagene Manager den Konzern weitergeführt. Mit weit größerer Leidenschaft jedoch hatte er die Tiefseefauna im Golf von Neapel erforscht und sich auf Capri entspannt.

Diese Traumwelt war nach der "Vorwärts"-Veröffentlichung in sich zusammengestürzt - sieben Tage später war Krupp tot. "Den Kanonenkönig hat eine Papierwespe getötet", schrieb Journalist Maximilian Harden in der Wochenschrift "Die Zukunft". Die offizielle Version lautete "Gehirnschlag". Viele Deutsche jedoch waren überzeugt, dass der Konzernchef in Wahrheit Suizid begangen hatte.

Der Skandal, der Friedrich Alfred Krupp das Leben kostete, war ebenso politisch motiviert wie elf Jahre später die Enthüllung der sogenannten Kornwalzer-Affäre: 1913 machte der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht öffentlich, dass das Unternehmen jahrelang Bestechungsgelder gezahlt hatte, um an interne Informationen aus dem Kriegsministerium zu gelangen.

"Hart wie Kruppstahl"

Die Indiskretionen hatten dem Krupp-Konzern, so Historiker Frank Bösch, erhebliche Wettbewerbsvorteile bei der Auftragsvergabe verschafft. Der Korruptionsskandal verursachte gehörigen Wirbel - der Staat jedoch stand weiter treu an der Seite des Unternehmens. Was zwei Jahrzehnte später, im "Dritten Reich", nicht anders sein würde.

SPIEGEL GESCHICHTE 4/2020

Dynastien der deutschen Wirtschaft: Ihr Aufstieg, ihr Reichtum, ihre Skandale

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"Hart wie Kruppstahl" sollte die deutsche Jugend sein, forderte Hitler 1935; bald darauf wurden zum zweiten Mal im 20. Jahrhundert mit Waffen aus dem Hause Krupp Millionen Menschen getötet.

Als das Massenmorden vorbei war, besetzten die Amerikaner die prachtvolle Villa Hügel und beschlagnahmten das Krupp-Vermögen. Die Stadt Essen entzog den Eheleuten Gustav und Bertha Krupp von Bohlen und Halbach  die Ehrenbürgerschaft. Und in Nürnberg musste sich ihr Sohn Alfried, SS-Mitglied seit 1931, im sogenannten Krupp-Prozess verantworten.

"Nicht Löwe noch Zahn"

Alfrieds einziges Kind Arndt Krupp von Bohlen und Halbach, Jahrgang 1938, sollte im Nachkriegsdeutschland zu einem Lieblingsopfer der Boulevardpresse werden. Auch das Feuilleton arbeitete sich munter an ihm ab. Er sei eine "fahle Made im weißen Seidenleinenanzug", schmähte Literat Fritz J. Raddatz den Krupp-Zögling. Und beschrieb ihn detailliert als "schwankende Gestalt, sorgfältig geschminkt, doch die Wimperntusche lief übers Pancake-Make-up, unklar, ob von den Windböen oder den offensichtlichen Alkoholstürmen".

Raddatz lief Arndt von Bohlen einst in der Schwulendisco "Kleist-Kasino" in Westerland auf Sylt über den Weg. Mit von der Partie: Queer-Denker Hubert Fichte - auch er ein Arndt-Verächter: "Da haben nun Generationen dieses Dicke-Berta-Imperiums in einer gigantischen Blutpresse Hunderttausende zerquetscht - und herausgekommen ist das da - nicht Löwe noch Zahn, eine Pusteblume, die beim ersten Anhauch zerstiebt in lauter sinnlos schunkelnde Pollen."

Von Bohlen haftete zum einen das Stigma an, zur Familie des einstigen NS-Rüstungslieferanten zu gehören. Zum anderen störte man sich an der exzentrischen Lebensweise des schwerreichen Homosexuellen. Ein Paradiesvogel, der schon früh auf die Außenseiterrolle festgenagelt worden war.

"Deutschlands reichster Jungrentner"

Als sein Vater Alfried 1937 die geschiedene Hamburger Kaufmannstochter Anneliese Lambert heiratete, schäumte vor allem Bertha Krupp, Schwiegermutter wider Willen: Anneliese war in ihren Augen keine standesgemäße Wahl. Bertha nötigte Alfried und Anneliese 1941 zur Scheidung. Sohn Arndt, damals drei Jahre alt, wurde im Internat geparkt. Und 1966 als junger Erwachsener zu Unrecht um sein Milliardenerbe gebracht.

So zumindest sieht das sein Biograf Hanns-Bruno Kammertöns: Zur Rettung der wirtschaftlich angeschlagenen Firma wurde Krupp in eine Stiftung überführt, was Arndts Erbverzicht voraussetzte. Krupp-Generalbevollmächtigter Berthold Beitz drängte den Junior laut Kammertöns in einer schicksalsträchtigen Nacht zu diesem Schritt.

Arndt erhielt eine königliche Apanage von zwei Millionen D-Mark pro Jahr plus diverse Immobilien, legte den Namen Krupp ab - und avancierte mit nur 29 Jahren zu "Deutschlands reichstem Jungrentner", so der SPIEGEL 1969.

Drogen im Couscous

Scheinbar sorglos, pendelte er zwischen seinem Palais in München, der Villa in Palm Beach und dem 72-Zimmer-Schloss Blühnbach im Salzburger Land hin und her oder schipperte mit seiner Luxusjacht "Antinous II." durchs kühle Nass. Gern hielt sich der Lebemann auch in Marokko auf, wo er in seiner Residenz "Bled Tarqui" sagenumwobene Hippie-Partys gab: mit "psychedelischer Musik und Haschisch, eingebacken in Couscous", so der vom Krupp-Sprössling protegierte Künstler Matthias Waske.

Von Bohlen liebte Juwelen, Pelze und Glitzerfummel, stand nie vor Mittag auf und frühstückte gern Wodka mit Rinderbrühe - dieses Bild zeichnete Filmemacher André Schäfer von dem schrillen Privatier. Der doch nicht frei von Konventionen war: 1969 heiratete er mit viel Pomp die österreichische Society-Prinzessin Henriette von Auersperg.

Weil von Bohlen den Müßiggang pflegte, während die Kumpels im Pott für seinen Unterhalt schuften mussten, hassten ihn die Arbeiter mit Inbrunst: "Ein Taschengeld von 50.000 Mark monatlich putzt er weg wie nichts", schimpfte die Gewerkschaftszeitung "Welt der Arbeit" 1969.

"Stiefkind der Nation"

"Wir kamen uns wie Leibeigene vor, die dem Nichtstuer Arndt sein ohnehin süßes Leben noch mit weiteren Millionen versüßten", zürnte Jürgen F. in "Ihr da oben - wir da unten", dem 1973 erschienenen Buch von Bernt Engelmann und Günter Wallraff.

Glücklich hat von Bohlen dieses Paria-Dasein nicht gemacht: "Ich habe mir diese Frage oft gestellt, warum ich immer als das Stiefkind der Nation oder als Schwarzer Peter bezeichnet wurde", zitiert ihn Biograf Kammertöns. "Vielleicht, weil ich ein Leben führe, dass nicht jeder andere führt, weil ich vielleicht in den Augen der Deutschen extravagant bin."

1986 starb Arndt von Bohlen und Halbach, entstellt von zahlreichen Schönheitsoperationen, an Mundbodenkrebs. Er wurde nur 48 Jahre alt - ebenso wie Urgroßvater Friedrich Alfred. Anders als beim Capri-Fan jedoch marschierte kein Monarch hinter seinem Sarg her.

Nicht einmal die thailändische Königin Sirikit reiste an, wie von Bohlen noch auf dem Sterbebett gehofft hatte. Stattdessen gaben Skifahrer Toni Sailer und Schlagerbarde Heino dem tragischen Krupp-Sprössling das letzte Geleit.

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