
Lee Lockwood und Fidel Castro: Der Máximo Líder, wie ihn nur wenige kennen
Einzigartige Kuba-Fotos Fidel Castro, Weltmeister der XXL-Ansprache
Klick: Mit erhobener rechter Hand steht Fidel Castro am Mikrofon, den Rücken zur Kamera, vor einer halben Million Kubanern. Klick: Auf einer Anhöhe liegt er im Gras, mit einer Kalaschnikow, bereit für die Jagd. Klick: Eine alte Frau mit weißem Frotteetuch um den Kopf greift lachend an den Bart des Máximo Líder, der sich nicht zu regen versucht.
Drei Kubabilder von mehreren Hundert des Fotojournalisten Lee Lockwood in den Sechzigerjahren. Als einem der wenigen US-Amerikaner war es ihm gelungen, das Vertrauen der kommunistischen Regierung zu erlangen. So konnte er sich dem mächtigsten Mann der Insel nähern: Fidel Castro, einstiger Rechtsanwalt, erfolgreicher Revolutionsführer, nun Premier.
Mit mehreren Kameras hielt Lockwood Castros Alltag fest. Viele Bilder wurden zu Lebzeiten des Fotografen publiziert - in Magazinen wie "Life", "Newsweek" oder der "Bunten" sowie in Lockwoods viel beachtetem Band "Castros Kuba". Eine liebevoll gestaltete Neuauflage im Taschen-Verlag vereint nun 200 weitere Bilder, zumeist bisher unveröffentlicht. Die großformatigen Aufnahmen zeugen von Lockwoods Mühe, ein ausgewogenes Bild von Castro zu zeichnen.
Kubakrise: Die Welt am Abgrund
Mit Che Guevera und anderen Guerilleros war es den Brüder Fidel und Raúl Castro 1959 gelungen, Kubas Diktator Batista, einen brutalen Tyrannen, von der Insel zu jagen. Fortan galt Fidel Castro in den USA als ungeheure Bedrohung, direkt im "Hinterhof" der Vereinigten Staaten. Ein Demagoge, der nur 90 Meilen vor der Küste Floridas einen sozialistischen Staat gegründet hatte, mit den Sowjets paktierte und jedweder US-Intervention trotzte. Nichts konnte ihn in die Knie zwingen, weder die von der CIA unterstützte Invasion in der Schweinebucht 1961 noch das Handelsembargo.
Der Konflikt spitzte sich bald zu, US-Firmen wurden auf der Insel enteignet, und als dort sowjetische Atomwaffen stationiert werden sollten, brachte die Kubakrise 1962 die Welt an den Rand eines Atomkriegs. Die US-Regierung beschrieb Castro als machtversessenen Diktator, der sein hungerndes Volk unterdrückte oder einsperrte.
Tatsächlich ließ Fidel Castro zahlreiche politische Gegner verhaften oder hinrichten und Arbeitslager bauen. Lee Lockwood entdeckte aber auch ein anderes Kuba - etwa mit kostenloser Bildung und medizinischer Versorgung für alle. Im armen Osten entstanden Schulen und Krankenhäuser, in der unerschlossenen Bergregion der Sierra Maestra Straßen. Von Hunger und Elend sah Lockwood wenig, dafür ein stolzes Land, das seinen Anführer verehrte.
Fotos von Lee Lockwood: Castros Kuba - ein stolzes Land
Der Fotojournalist wollte unbedingt mit Castro selbst sprechen. Ihm schwebte ein Interviewband vor. "Wenn er wirklich unser Feind und für uns so gefährlich ist, wie man uns erzählt, dann, meine ich, sollten wir über ihn so viel wie möglich wissen", schrieb er in "Castros Kuba" 1967. "Am besten lernt man einen Menschen kennen, indem man sich anhört, was er zu sagen hat."
Reden bis nach Mitternacht, immer ohne Zettel
Zum ersten Mal reiste Lee Lockwood Silvester 1958 nach Kuba, um von der Revolution zu berichten. Nach der Flucht des Despoten Batista am Neujahrstag wurden Fidel Castros Guerillatruppen als siegreiche Befreier gefeiert. Die Aufbruchstimmung beeindruckte Lockwood, ebenso Castros Redegewandtheit: In jeder größeren Stadt hielt der kommende Regierungschef eine vierstündige Ansprache, manchmal bis nach Mitternacht, immer ohne Zettel. Als er in Havanna das Rednerpult verließ, teilte sich die Masse vor ihm "so wie bei Moses, als er das Rote Meer durchquerte", schrieb Lockwood.
Die ausländischen Reporter lud Castro ein, wieder nach Kuba zu kommen. Doch erst fünf Jahre später konnte Lockwood sein langes Interview führen. Denn nach dem Schweinebucht-Debakel durften keine US-Amerikaner die Insel betreten, erst 1964 ließ Castro für einige Wochen Reporter ins Land. Lockwood bekam allerdings kaum Gesprächszeit und reiste im Mai 1965 erneut nach Kuba - fest zu einem Interview entschlossen.
Dafür musste man das Wohlwollen eines Kontaktmannes gewinnen: René Vallejo war Castros Leibarzt und engster Vertrauter. Vor der Revolution hatte der Chirurg seine Assistenzzeit in Boston verbracht und während des Zweiten Weltkriegs in der US-Armee gedient. Vallejo kannte die USA, er entschied, welcher Amerikaner mit dem Premier sprechen durfte.
Lockwood, der bereits kritische Reportagen aus dem Vietnamkrieg veröffentlicht hatte, nahm Kontakt zu Vallejo auf und bekam die Zusage zu einem Treffen mit Castro. Dennoch wurde er hingehalten; es gab die Gelegenheit zu schönen Fotos, nur redebereit war Castro noch nicht. Bis Lockwood an einem Juli-Morgen um acht Uhr einen Anruf in seinem Hotelzimmer erhielt.
Wie eine Motte im Laserstrahl
"Geh nicht weg!", ordnete Vallejo an. "Irgendwann am Nachmittag wird dich ein Auto abholen." Zwei Wochen und sechs Terminverschiebungen später brachte ein dunkler Oldtimer Lockwood zu Vallejos Haus. Castros Angebot: "Wir fahren jetzt auf die Isla de Pinos, wo ich hoffentlich ein wenig zur Ruhe komme." Der Fotograf könne ihn begleiten und eventuell einen Abend lang mit ihm sprechen.
Die Kieferninsel, heute Insel der Jugend genannt, ist die größte Nebeninsel Kubas und liegt im Süden auf Höhe von Havanna. Bereits unter Batista hatte sie ein berüchtigtes Gefängnislager, Castro selbst war eine Zeit lang dort interniert. Nahe der Haftanstalt bezog er ein Herrenhaus als Rückzugsort. Der frühere Besitzer, ein Feudalbaron, "genießt derzeit seinen Ruhestand in Miami", sagte Castro.
In dieser Plantagenvilla mit Schaukelstuhl auf der Veranda sprachen Castro und Vallejo mit Lockwood. Kubas Premier schwebte "eine Unterhaltung" vor, "das ist viel besser als ein Interview". Doch wenn Castro einmal zu reden beginnt, hört er nicht mehr auf: Statt nur einen Abend saß das Trio die nächsten sieben Tage zusammen.
Nach jedem Satz machte Castro eine Pause, Vallejo übersetzte. Bis Lockwood 25 Stunden Tonaufnahmen beisammen hatte. Die Augen und das Charisma Castros beeindruckten ihn besonders, schrieb er in seinem Buch: "Ich glich einer Motte, die ein wenig Licht gesucht hatte und direkt in einen Laserstrahl geflogen war."
Weil Castro das Gespräch gegenlesen wollte, ließ er drei Stenografen einfliegen. Sie schrieben das ganze Interview mit, Castro las nachts alles und machte Anmerkungen, "damit man mich besser versteht". Bis auf drei Passagen ließ Lockwood die Änderungen bestehen, setzte aber Fußnoten ein, um Castros Aussagen zu relativieren.
Castro bleibt unversöhnlich
Ansonsten antwortete der Commandante en jefe offen auf Lockwoods kritische Fragen. Warum es keine freie Presse auf Kuba gebe? Weil die Medien "allein den revolutionären Zielen dienen" müssten. Warum Bücher zensiert würden? Weil die Menschen erst "gestärkt sein sollen in ihrer marxistischen Überzeugung". Ob er verstehe, dass die US-Amerikaner ihn als machthungrigen Diktator sähen? Nein, denn keiner habe so viel Macht wie der US-Präsident.
Kurz vor der Buchveröffentlichung ließ Lockwood Castro auf Kuba den letzten Entwurf lesen. Der Premier unterschrieb das Manuskript, nachdem er und sein Leibarzt alle Seiten kannten. "Castros Kuba" sei bis heute "das beste, ehrlichste Buch über Kuba", schrieb der Lateinamerika-Forscher Saul Landau.
Das Tauwetter zwischen beiden Staaten konnte Lockwood nicht mehr erleben. Er starb 2010 in Florida. Vier Jahre später kündigten Barack Obama und Castros Nachfolger, sein Bruder Raúl, neue bilaterale Beziehungen an. Und im März 2016 kam es zu Obamas historischem Besuch auf Kuba, dem ersten eines US-Präsidenten seit 88 Jahren.
Fidel Castro, inzwischen 89, gab sich indes unversöhnlich: "Wir haben es nicht nötig, dass das Imperium uns was schenkt", schrieb er im Parteiblatt "Granma". Und: Bei Obamas Rede in Havanna hätten viele Kubaner einen "Herzinfarkt" erleiden können.