
Kultmarke Borgward In Schönheit an die Wand gefahren
Als 1961 der Borgward-Konzern Konkurs anmelden musste, konnte auch Walter Richleske einpacken. Doch im Gegensatz zu den 20.000 Festangestellten der drei Bremer Autofirmen - dem Borgward-Stammwerk, Lloyd und Goliath - durfte der freiberufliche Fotograf das Ergebnis seiner jahrelangen Arbeit für Borgward mit nach Hause nehmen: ein umfassendes Bildarchiv mit Aufnahmen der Borgward-Produktpalette, insgesamt rund 10.000 Negative.
"Ein Schatz", sagt der Bremer Automobilhistoriker Peter Kurze. Er hat die Sammlung, die jahrelang als verschollen galt, 2008 nach über zehnjähriger Suche in Südafrika aufgespürt und jetzt für rund 10.000 Euro erworben. Das ist sie ihm wert: "Ich wusste ja, dass Richleske jahrelang für Borgward gearbeitet und nicht nur Werbefotos erstellt hat." Die Katalogisierung ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber eines steht jetzt schon fest: Richleske war so etwas wie der Hoffotograf der Borgward-Gruppe. Produktionsabläufe, Prototypen, Experimentierfahrzeuge - er durfte alles ablichten, selbst jene Modelle, über die bisher nur Gerüchte kursierten.
Erstaunlich - und äußerst sehenswert - ist dabei, wie die Bremer Autobauer schon in den fünfziger Jahren großen Wert auf außergewöhnliche Locations für die Fotoaufnahmen ihrer Modelle legten. Um die elegant geschwungenen Borgward-Karosserien in Szene zu setzen, kamen Pappkulissen im Studio nicht in Frage. Stattdessen wurden die Limousinen samt Werksfotograf schon mal nach Paris oder an die Riviera überführt.
Die besten Autos aller Zeiten
Dass seine Aufnahmen einmal von großem historischem Wert sein würden, hatte Fotograf Richleske anscheinend nicht erwartet. Er hatte sie seinerzeit in Kartons verstaut und auf dem heimischen Dachboden vergessen. Erst in den siebziger Jahren, nach seinem Tod 1969, wurden sie einem Sammler überlassen, der bald darauf nach Südafrika auswanderte. Es war die Zeit, in der die untergegangene Marke Borgward unter Autofans in Deutschland zum Mythos avancierte.
Heute sind die Bremer Oldies Kult - zahlreiche Fans, organisiert in Traditionsclubs, pflegen die Erinnerung ebenso hingebungsvoll wie den Lack ihrer automobilen Pretiosen. Ein Borgward des Baujahrs 1958 oder 1959 kann heutzutage 30.000 Euro und mehr wert sein - meist dürfen die Wagen deshalb nur bei Veteranentreffen auf die Straße, im täglichen Verkehr sind sie kaum je zu sehen.
Zu den Borgward-Legenden - an denen in Fankreisen kräftig weitergestrickt wird - gehört auch, dass es beim abrupten Ende der Marke und der Schließung der Werke nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Dass der renommierte Autokonzern innerhalb weniger Monate kollabierte, könne keinesfalls an Technik und Design gelegen haben, davon ist jeder echte Borgwardianer überzeugt. Für die Retro-Gemeinde zählen Borgwards Autos schließlich zu den besten aller Zeiten.
Experimentieren um jeden Preis
Vorneweg die "Isabella", das bekannteste Modell. 1954 auf den Markt gekommen, ließ sie dank italienisch anmutender Linienführung andere deutsche Massenfabrikate bieder aussehen. "Formschön" und "rassig" waren die Attribute, mit denen Automobilisten die Isabella seinerzeit beschrieben. Die ab 1957 in Großserie produzierte Coupé-Version bringt selbst den nüchternen Historiker Kurze noch ins Schwärmen: "Das schönste Auto der fünfziger Jahre." Coupé-Variante wie TS-Version überzeugten auch die Technikfans: Vier Zylinder, 75 PS und 150 Stundenkilometer Spitzengeschwindigkeit - das reichte vor 50 Jahren locker aus, um die Überholspuren der deutschen Straßen zu beherrschen.
Doch aus den Bremer Werken rollten nicht nur automobile Augenweiden. Und das kann Kurze, der bereits etliche Bücher über die automobile Vergangenheit geschrieben oder herausgegeben hat, dank der neuerworbenen Fotos jetzt endlich beweisen. Für Fans der Marke dürfte es eine kleine Sensation sein, dass die herrliche "Isabella" noch ein weniger schönes Schwesterlein hatte: ebenfalls ein Coupé, aber entstanden in Zusammenarbeit mit der Kölner Karosseriefabrik Karl Deutsch. Die hatte einem Cabrio kurzerhand ein Dach aufgeschweißt. Und genauso sah das Fahrzeug auch aus: "Unförmig und potthässlich", so Kurze.
Die Vorgehensweise war dabei typisch für das Unternehmen. Carl F. W. Borgward, der Patriarch und Alleininhaber des Konzerns, liebte das Experimentieren. Ließ sich die Form verändern oder ein technisches Detail verbessern, war er der Letzte, der auf die Bremse trat. So standen seine Partner und vor allem die eigenen Konstrukteure unter ständigem Druck - hatten indes auch einiges vorzuweisen: Ob Pontonkarosserie (schon 1949 beim "Hansa 1500" verwirklicht), Benzin-Einspritzmotor, automatisches Getriebe oder Luftfederung - beim deutschen Pkw kamen solche Innovationen zuerst von Borgward.
Vom Traumwagen zum Unfallwagen
Andererseits: Die Jagd nach Novitäten und einer eher gefühlten Marktforschung resultierte auch in einer zeitweise chaotischen Typen- und Modellvielfalt. So war die "Arabella" anfangs ein Lloyd-Kleinwagen, doch die Wagen der zweiten Serie wurden ungeniert als echte Borgwards ausgeliefert. Der Name Lloyd, so meinte man, hätte nun mal keinen Glamour. "Verkaufspsychologisch widersinnig", höhnte seinerzeit der SPIEGEL.
Völlig losgelöst von den realen Markt- und Verkehrsverhältnissen der Fünfziger waren wohl auch die ausgiebigen Versuche mit dem futuristischen Gefährt LB 2500, ein 200 Km/h schnelles Alu-Auto mit riesigen Stabilisierungsheckflossen. Peter Kurze hat in seinem südafrikanischen Paket Bilder von Erprobungsfahrten gefunden und einige auch schon veröffentlicht ("Prototypen und Kleinserien-Fahrzeuge der Borgward-, Goliath- und Lloyd-Werke"). Dank Richleskes Aufnahmen ist jetzt geklärt, dass der "Traumwagen" sich 1955 in einen Unfallwagen verwandelte - ein Straßenbaum hatte ihn aufgehalten.
Die wiederentdeckten Fotos und ihre Geschichten bestärken Kurze in seiner Sichtweise von der Borgward-Ära: Eine Zeit, in der die Autobauer noch Visionen hatten und gerade Carl F. W. Borgward "mit Mut und Kreativität" zu Werke ging. Ein Produzent, der seine Geschöpfe ganz offensichtlich noch geliebt hat und es völlig angemessen fand, dass Werksfotograf Richleske sie unter dem Eiffelturm in Szene setzte. "Kaufmännisch allerdings", das will Kurze nicht verschweigen, "hat man sich bei Borgward eklatante Fehler geleistet." Demnach steckt hinter dem Niedergang keine Verschwörung von Politik und Konkurrenz, wie es bis heute kolportiert wird? "Ach was, das war eine normale Pleite. Am Ende fehlte es schlicht am Geld."