
KZ-Häftling Hertzko Haft: Boxen auf Leben und Tod
KZ-Häftling Hertzko Haft Boxen auf Leben und Tod
Es war ein Fight auf Leben und Tod: Seinen 76. Kampf als Boxer musste Hertzko Haft gegen einen außergewöhnlichen Gegner bestreiten. Dieser war ehemaliger französischer Schwergewichtsmeister - so glaubte sich Haft später zu erinnern - und hatte noch nie verloren. Doch auch Haft, der von den KZ-Aufsehern nur "das jüdische Biest" genannt wurde, war bisher unbesiegt. Inmitten von Tod, Gewalt, Mord und Unmenschlichkeit blieb ihm auch keine andere Wahl, als zu gewinnen - bei einer Niederlage drohte der Tod in der Gaskammer.
Die Box-Karriere des 1925 in Belchatow, einer kleinen polnischen Stadt südlich von Lodz, geborenen Haft begann erst während des Zweiten Weltkrieges - unfreiwillig. Im September 1943 wurde er in Jaworzno, einem Außenlager des KZ Auschwitz, inhaftiert. Dort veranstalteten SS-Offiziere und Aufseher zur eigenen Belustigung Boxkämpfe auf Leben und Tod. In einem notdürftig abgesteckten Ring musste Haft auf ausgemergelte Mithäftlinge einprügeln, die seinen Schlägen nichts entgegenzusetzen hatten. Hunger, harte Arbeit und die körperliche Gewalt der Aufseher hatten sie zu sehr geschwächt.
Überlebenswillen und Schuldbewusstsein
Haft selbst bekam von einem Aufseher Sonderrationen und musste nur leichte Arbeit verrichten. Dafür trat er Abend für Abend in der ständigen Gewissheit an, seine unterlegenen Gegner in den Tod zu schicken. Er gewann alle seine Kämpfe - und konnte sich angesichts der schrecklichen Schicksale seiner unterlegenen Gegner doch nie als Sieger fühlen. Gefangen in dieser perversen Zwickmühle aus Überlebenswillen und Schuldbewusstsein belustigte er die oftmals betrunkenen Aufseher als Boxchampion wider Willen. 75-mal gewann er, immer durch K.o. - Siege nach Punkten gab es nicht. Gekämpft wurde, bis einer der Kontrahenten nicht mehr aufstehen konnte.
Doch sein Gegner Nummer 76 war kein ausgemergelter Häftling aus Auschwitz. Der Franzose kam aus einem Gefangenenlager bei Berlin. Die dortigen Generäle hatten von Hafts Kampfbilanz gehört und wollten sehen, ob er auch mit ihrem Boxer fertig würde. Viele Aufseher, die Haft kannten, hatten auf ihn gesetzt, und er wusste, dass er bei einer Niederlage nicht mit dem Leben davonkommen würde. Der Ring war diesmal professioneller abgesteckt, die Barbaren in Uniform hatten sich in Schale geworfen für den hohen Besuch aus der Hauptstadt. Eine Kapelle von KZ-Häftlingen spielte auf.
Als der Kampf begann, erklärte der Ringrichter den Kontrahenten: "Die Runden dauern jeweils drei Minuten, mit einer Minute Pause dazwischen." Als Haft fragte, wie viele Runden gekämpft werden würde, bestätigte sich seine schlimmste Befürchtung: Auch bei diesem Kampf galt die Regel "Bis einer am Boden liegt". Der Schlagabtausch dauerte länger als alle seine Kämpfe zuvor - Haft zog sich schwere Verletzungen zu und blutete stark. Doch am Ende konnte er den Franzosen knapp besiegen. Als er von den Aufsehern gefeiert wurde, glaubte er, im Hintergrund zwei Gewehrschüsse zu hören. Doch sicher war er sich nicht. Von dem Franzosen hörte er nie wieder etwas.
Töten, um zu überleben
Im Frühjahr 1945 konnte Haft während eines Marsches in ein anderes Konzentrationslager schließlich entkommen. Auf der Flucht tötete er einen SS-Offizier und stahl ihm die Uniform. In dieser Verkleidung irrte er wochenlang von Dorf zu Dorf. Einmal erschoss er ein altes Ehepaar, das ihn bei sich aufgenommen hatte. Haft, der im Konzentrationslager darauf konditioniert worden war, zu töten, um zu überleben, hatte vermutet, dass die beiden ihm auf die Schliche gekommen waren.
Nach dem Krieg versuchte er, als Boxer in den USA Fuß zu fassen - jedoch ohne größeren Erfolg. Er hatte eine mäßige Quote: 22-mal trat er an, 14-mal gewann er. Dennoch durfte er gegen den Boxchampion Rocky Marciano in den Ring steigen. Er verlor den Kampf und arbeitete später als Obsthändler in Brooklyn.
In ein normales Leben fand Haft trotzdem nie zurück. Zu schwerwiegend waren die traumatischen Erlebnisse während des Krieges. Die ständige Gewalt und das Leid, das er erfahren hatte, machten ihn zu einem gebrochenen, gewalttätigen Mann. Erst kurz vor seinem Tod offenbarte er seinem Sohn Alan Scott Haft seine Lebensgeschichte. Es ist ein Zeitzeugenbericht, aufgeschrieben von einem Sohn, der oft von seinem Vater verprügelt wurde und dennoch versuchte, dessen Liebe und Zuneigung zu gewinnen. Der Bericht war sein letzter Versuch. 2007 starb Hertzko Haft.
Zum Weiterlesen:
Alan Scott Haft: "Eines Tages werde ich alles erzählen". Die Werkstatt Verlag, Göttingen 2009, 192 Seiten, 16,90 Euro.