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Musikstudios: Zwischen Eierkartons, Kabeln und Wahnsinnigen

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Legendäre Musikstudios Irrsinn am laufenden Band

Abrocken in der Schlangengrube, ein Produzent mit Schrotflinte und Filzläuse auf dem Klo: Tonstudios sind eine eigene Welt - die Aufnahme-Sessions von Stars wie David Bowie oder Motörhead manchmal fast spannender als das Album selbst. einestages stellt die legendärsten Studios vor - und ihre besten Geschichten.
Von Stefanie Erhardt

Die Revolution begann in einem unscheinbaren Backsteinbau in Memphis, Tennessee. Im Juli 1954 spielten in einem kleinen Aufnahmeraum in der Union Avenue drei junge Männer eine Session. Sie waren ins Sun Studio gekommen, um ein paar Stücke aufzunehmen und zu sehen, ob die Chemie zwischen ihnen stimmte. Doch irgendwie wollte der Funke nicht so recht überspringen. Der 19-jährige Sänger war frustriert. Er hatte erst kürzlich die Highschool abgeschlossen und verdiente nun sein Geld als Trucker. In Wahrheit aber träumte er von einer Karriere als Musiker. Sein Name: Elvis Presley.

Die Musiker beschlossen, erst mal eine Pause einzulegen. Während Gitarrist Scotty und Bassist Bill an ihren Coca-Colas nippten, nahm sich Elvis eine Gitarre und stimmte ein Lied an, das ihm spontan in den Sinn gekommen war - die Bluesnummer "That's Alright, Mama". Sam Phillips, der Produzent und Inhaber des kleinen Sun Studio, in dem bislang hauptsächlich schwarze Künstler aufgenommen hatten, war begeistert von dem, was er da hörte.

Elvis' Interpretation war frisch, irgendwie rau und voll von jugendlichem Überschwang. "Ich dachte, wo soll ich damit hingehen? Es ist nicht schwarz, nicht weiß, nicht Pop, nicht Country", wird Phillips in Peter Guralnicks Elvis-Biografie "Last Train To Memphis" zitiert. In dem Moment, als der dunkelhaarige Teenager die Saiten malträtierte und dazu sang, wurde der Rock'n'Roll geboren und sein König gleich mit.

"That's Alright, Mama" wurde Elvis' erste Single - und ein Welthit. Den Ort, an dem die Aufnahme entstand, kennt dagegen fast niemand. Ein Schicksal, dass das Sun Studio, in dem auch Johnny Cash oder Jerry Lee Lewis aufnahmen, mit vielen anderen Tonstudios teilt. Dabei passierten bei den Sessions hinter verschlossenen Türen wunderbare, kuriose und manchmal dramatische Geschichten. Es wurden unsterbliche Melodien auf Band festgehalten und denkwürdige Partys gefeiert, es wurde gelitten und gelacht.

Magische Momente und manische Musikproduzenten

Klaus Voormann ist einer der Eingeweihten. Der deutsche Künstler ist heute hauptsächlich bekannt als Cover-Designer des Beatles-Albums "Revolver". Aber vor allem in den sechziger und siebziger Jahren spielte er Bass in diversen Bands und arbeitete als Session-Musiker, unter anderem für B.B. King und Lou Reed. "Ich stehe gern auf der Bühne", sagt er, "aber die Momente im Studio sind noch besser. Es ist einfach unwahrscheinlich toll, wenn ein Stück plötzlich als Aufnahme zum Leben erwacht und du hast daran teil." "Magic Moments" nennt er diese Augenblicke.

Anfang der Sechziger ereigneten sich solche magischen Momente auch über einem Lederwarengeschäft im Norden Londons. Ein Mann namens Joe Meek hatte in seiner nicht gerade geräumigen Wohnung an der Holloway Road das Studio RGM Sound Limited eingerichtet. Für die Schallisolierung sorgten Eierkartons an den Wänden und Teppiche über den Fenstern. Der Regieraum war unordentlich, vor lauter Kabeln konnte man den Boden nicht erkennen. Wenn ein Lkw an der angrenzenden Hauptstraße vorbeirauschte, mussten die Aufnahmen wegen des Lärms unterbrochen werden. Und auch die im Erdgeschoss lebende Vermieterin, Mrs. Shenton, störte Joe Meek des Öfteren bei der Arbeit. Wenn es ihr zu laut wurde, hämmerte sie energisch mit einem Besen gegen die Zimmerdecke.

Trotz der ungünstigen Bedingungen entstanden in dem kleinen Studio im Stadtteil Islington, das später in "Meeksville Sound Limited" umbenannt wurde, mehrere Nummer-eins-Hits. "Telstar" von der Band The Tornados erklomm sogar als erste britische Single 1962 die Spitze der US-amerikanischen Charts. Der Erfolg war umso bemerkenswerter, weil zur damaligen Zeit vor allem große Plattenfirmen wie Decca oder EMI den Markt dominierten, die ihre eigenen professionellen Studios hatten. Dass ein unabhängiger Produzent aus seinem chaotischen Heimstudio heraus mit ihnen konkurrierte, brachte sie auf die Palme.

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Meek wusste das und entwickelte eine extreme Paranoia. Aus Angst, von den großen Labels verwanzt worden zu sein und ausspioniert zu werden, kommunizierte er mit seinem Produktionsassistenten zeitweilig nur noch über Zettel und verbrannte diese anschließend sofort.

Mehr und mehr machte der Brite sich einen Namen als durchgeknallter Sonderling. Er hatte ein sonderbares Verhältnis zum Tod. So installierte er etwa Aufnahmegeräte auf Friedhöfen, in der Hoffnung, Nachrichten aus dem Jenseits zu empfangen, und hielt Séancen an Buddy Hollys Grab ab. An dessen achtem Todestag, am 3. Februar 1967, fand die Geschichte des erfolgreichen Plattenproduzenten Joe Meek und seines Studios schließlich ihr trauriges Ende: Aus unerklärlichen Gründen hatte der damals 37-Jährige beschlossen, an diesem Tag seine gesamte Habe in Flammen aufgehen zu lassen. Als seine Vermieterin hochstürmte, um das Unglück zu verhindern, nahm er eine Schrotflinte, erschoss seine Vermieterin und dann sich selbst.

Eine Mauer aus Sound

Auf der anderen Seite des Atlantiks war derweil ein anderer Exzentriker zu Ruhm gekommen. Im Gold Star Studio in Hollywood war Phil Spector, Sohn jüdisch-russischer Einwanderer, in den Sechzigern zum Haus- und Hofproduzenten vieler Stars aufgestiegen. In der Santa Monica Avenue, wo sich das 1950 gegründete Gold Star befand, nahm er mit den Ronettes, Ike und Tina Turner oder den Righteous Brothers auf und entwickelte dabei einen unverwechselbaren Klang: die "Wall of Sound", die untrennbar mit den Namen Gold Star und Spector verbunden ist. Die sinfonische Wucht aus unzähligen Instrumenten, verbunden mit Hall- und Echoeffekten zu erreichen, war nicht ganz leicht.

"Phil verwendete drei Pianos, vier oder fünf Gitarren, zwei oder drei Bässe - und drei Schlagzeuger waren für ihn ganz normal", erinnert sich Toningenieur Larry Levine im Buch "Good Vibrations" von Mark Cunningham. So viele Musiker in die Studioräume zu bugsieren war schon eine Herausforderung für sich - und eigentlich gab es nicht einmal genug Mikrofoneingänge für alle Instrumente. Dennoch durfte niemand nach Hause gehen. "Das Gold Star Studio war nämlich ein absoluter Alptraum für Aufnahmen, weil sich das Echo von Minute zu Minute ändern konnte. Wenn sich jemand bewegte, veränderte es sich. Deshalb musste auch jeder so unverändert stehen bleiben wie möglich", erklärte der perfektionistische Spector später dem Journalisten Gavin Edwards. Die Session-Musikerin Carol Kaye, damals im achten Monat schwanger, musste einmal stundenlang ohne Pause im Aufnahmeraum ausharren, bis sie den Produzenten anschrie, sie endlich auf die Toilette zu lassen.

Doch auch das stille Örtchen im Gold Star konnte zur Tortur werden. "Ich erinnere mich, dass sich jeder, der aufs WC ging, wegen des Toilettensitzes Filzläuse einhandelte", verriet Spector dem Journalisten Edwards. "Im Studio gab es auch Mäuse und Kakerlaken, und es hätte niemals einer Prüfung durch das Gesundheitsamt standgehalten." Letzten Endes sei es das aber wert gewesen. Schließlich habe das Gold Star dieses sensationelle Echo gehabt. Immerhin entstanden in dem Studio im Herzen Hollywoods bis zu seiner Schließung 1984 mehr als hundert Hits, die sich in den Top 40 der US-Charts platzieren konnten.

David Bowie in Berlin

Der Sound spiele für die meisten die größte Rolle bei der Auswahl eines Studios, meint auch Klaus Voormann: "Es gibt Studios, da kannst du im Raum ein Mikrofon hinstellen, wo du möchtest, es hört sich immer gut an." Auch der Meistersaal des Hansa-Studio in Berlin hatte den Ruf, ein vorzüglicher Raum für Aufnahmen zu sein. Wohl auch deshalb spielte David Bowie dort 1977 sein Album "Heroes" ein.

Das Studio befand sich nahe des Potsdamer Platzes und damit ganz in der Nähe der Berliner Mauer. Nur 150 Meter waren die Aufnahmeräume von der Grenze entfernt. Schaute Bowie aus dem Fenster, konnte er den grauen Beton, den Stacheldraht und die Wachtürme sehen.

Hier, im Meistersaal, schrieb er das Lied "Heroes" - es ist bis heute eines seiner berühmtesten. "I remember standing by the wall and the guns shot above our heads and we kissed as though nothing could fall", singt er darin. Um die Entstehung des Stücks ranken sich viele Legenden. Einem Journalisten des Musikmagazins "NME" erzählte Bowie: "Ein Geschützturm thront auf der Mauer, in dem die Wachposten sitzen, und jeden Mittag trafen sich ein Junge und ein Mädchen darunter." Sie hätten eine Affäre gehabt, erzählte er. Und fragte sich, warum man sich von all den Orten, an denen man sich in Berlin treffen kann, ausgerechnet eine Bank unter einem Wachturm an der Mauer aussucht?

Alles, was Bowie über die Entstehung des Songs sage, müsse man aber in Anführungszeichen setzen, meint der Journalist Tobias Rüther. Wahrscheinlich habe er aus den Augenwinkeln nur irgendein Paar auf der Straße gesehen, schreibt er in seinem Buch "Helden. David Bowie und Berlin". Die Version mit den Liebenden unter der feindseligen Mauer klingt da natürlich viel romantischer.

Aber die Realität ist ohnehin etwas, das sich mit der Parallelwelt des Studios häufig nicht verträgt. "Wenn man sich im Studio aufhält, ist man abgekapselt, meistens in einem dunklen Raum", sagt Klaus Voormann. Manchmal hätten sie sich die ganze Nacht um die Ohren geschlagen. "Du fährst nach Hause, die Sonne geht auf, Vögel zwitschern - und du schläfst dann den ganzen Tag. Du bist auf einem anderen Planeten."

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