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Legendärer Luxusliner: Wrack der guten Hoffnung

Foto: JOHN ROONEY/ ASSOCIATED PRESS

Legendärer Luxusliner Wrack der guten Hoffnung

Sie ist ein Mekka für Taucher und ein tödliches Labyrinth: Im Juli 1956 kenterte die "Andrea Doria" nach einer verheerenden Kollision. Mit dem Luxusschiff versank seine Prunkausstattung und machte manchen Abenteurer reich. Andere bezahlten die gefährlichen Expeditionen zum Wrack mit dem Leben.
Von Linus Geschke

Die "Andrea Doria" lag gerade einen Tag auf dem Meeresgrund, als bereits die ersten zu ihr hinabtauchten. Gemeinsam mit Joseph Fox schoss der Kaufhauserbe Peter Gimbel eine Serie von Fotos, die anschließend im "Time"-Magazin abgedruckt wurde: Ihre Veröffentlichung trug dazu bei, dass das Wrack des 213 Meter langen Schiffs in der US-amerikanischen Taucherszene schnell eine ungeheure Popularität erlangte. Ein Luxusliner in 70 Metern Tiefe, dessen Ladung und Ausstattung nahezu vollständig erhalten war - Stoff für Schatzsucherträume.

Als die "Andrea Doria" 1953 zu ihrer Jungfernfahrt antrat, erlebte die große Zeit der Transatlantikkreuzer ihre letzte Blüte. Das Flugzeug sollte schon bald zu einer übermächtigen Konkurrenz für den Schiffsverkehr werden und Reisen von Europa nach Amerika auf wenige Stunden reduzieren. Dem versuchte die Reederei alles entgegenzusetzen, was damals Schiffspassagen angenehmer machte: Jede der drei Klassen verfügte über einen eigenen Swimmingpool, zehn Decks sorgten für großzügige Platzverhältnisse. Für die Dekoration wurde mehr Geld ausgegeben als bei jedem anderen Schiff zuvor - bis heute gilt die "Andrea Doria" vielen Experten deshalb als einer der schönsten Luxusliner der Seefahrtsgeschichte.

Ein Wrack als Hölle

Am 25. Juli 1956 hatte die "Andrea Doria" ihr Ziel New York fast erreicht. Der Deutsche Klaus Dorneich erinnerte sich später, dass die Reisenden sich schon aufs Anlegen vorbereitet hatten: "Die Koffer waren gepackt, und man freute sich allgemein auf die Ankunft in New York". Die schicken Lounges waren gut gefüllt, an Deck vergnügten sich Passagiere im Tontaubenschießen. Die Stimmung war prächtig.

In der Nacht brach plötzlich Panik aus. Gegen 23.10 Uhr bohrte sich der gegen Eisschollen verstärkte Bug des Passagierschiffs "Stockholm" in den doppelwandigen Rumpf des Luxusliners. Vorausgegangen war der Katastrophe eine groteske Verkettung von Missverständnissen: Trotz gegenseitiger Sichtung auf den Radarschirmen kollidierten beide Schiffe. Die "Andrea Doria" legte sich erst auf die Seite und sank schließlich nach elf Stunden. 1660 Passagiere und Crew-Mitglieder wurden von anderen Schiffen gerettet, für 46 kam jede Hilfe zu spät.

Doch auch noch lange nach dem Untergang sollten Menschen wegen der "Andrea Doria" sterben. Denn es kamen die Taucher, und Tauchgänge zu dem gesunkenen Luxusliner gehören zu den schwierigsten der Welt. Der Nordatlantik ist ein tückisches Gewässer, hohe Wellen wechseln sich mit reißenden Strömungen ab. Oftmals beträgt die Sicht am Wrack nur wenige Meter – Taucher kommen sich an dem stählernen Giganten vor wie halbblinde Ameisen, die auf einem Wal gelandet sind. Wer ins Schiffsinnere vordringt, landet in einem Labyrinth aus endlosen Gängen und Sackgassen; Kabel hängen herab, überall steht scharfkantiges Metall hervor, das die Ausrüstung der Taucher zerstören kann. Als der Luxusliner über die Meere fuhr, war er ein Ort der Fröhlichkeit und Entspannung - als Wrack wurde er zur Hölle.

Durch die Lage des Schiffs auf seiner Steuerbordseite wird die Orientierung zusätzlich erschwert: Treppen, die augenscheinlich nach oben führen, lotsen die Taucher nur noch tiefer ins Innere des Wracks hinein. Mindestens 16 Menschen sind bei Abstiegen zu der "Göttin des Meeres" ums Leben gekommen: abgetrieben, verirrt, die letzten Züge aus einer fast leeren Pressluftflasche atmend.

Heute ist nur noch der Rumpf intakt

Das Ende des Schiffs wurde aber auch zum Beginn manch märchenhafter Karriere. Viele der Männer, die dem Luxusliner seine größten Schätze entrissen, wurden in Amerika zu Ikonen des Tauchsports: Bill Nagle, der 1985 die Glocke des Schiffs bergen konnte – und über die Jahre verteilt ein komplettes Kaffeeservice für 30 Personen an die Oberfläche holte. Gary Gentile, der mit "Andrea Doria: Dive to an Era" das erfolgreichste Tauchbuch über das Wrack schrieb. Dan Crowell, Kapitän des Tauchbootes "Seeker", der heute als Kameramann für Unterwasserdokumentationen von CBS und History Channel tätig ist. Und Richie Kohler, den sie aufgrund der Masse an geborgenen Artefakten nur den "Tonnage-König" nennen.

Für die meisten sind die Männer einfach nur Plünderer, die ihr Leben für ein wenig Porzellan riskieren. Richie Kohler sieht das anders. Jahr für Jahr stürzen an dem Wrack immer größere Bereiche der Aufbauten ein - eine Schiffsstruktur ist nicht dafür geeignet, über ein halbes Jahrhundert lang auf der Seite zu liegen. Alles, so sagt er, was sie an Porzellan und sonstigen Fundstücken geborgen haben, sei somit nur vor der unvermeidlichen Zerstörung gerettet worden. Mittlerweile ist nur noch der Rumpf des Linienschiffs intakt, sämtliche Aufbauten wie der Brückenbereich oder die großen Speisesäle sind förmlich implodiert; sie liegen wie eine riesige Schutthalde auf dem Meeresgrund. Kohler wird bei dem Gedanken daran fast wehmütig: "Die 'Andrea Doria', so wie ich sie kennengelernt habe, die gibt es heute nicht mehr."

Nur ganz Verwegene sehen in dem fortschreitenden Zerfall des einstigen Traumschiffs auch neue Chancen. Jetzt, so glauben sie, gehe die Suche nach weiteren Schätzen erst richtig los: Durch die Einstürze sind Stellen erreichbar geworden, die noch vor wenigen Jahren als unerreichbar galten. Ob sie dabei jedoch fündig werden, ist ungewiss. Peter Gimbel, der 1956 als erster Taucher das Wrack der "Andrea Doria" fotografierte, kam 1981 wieder, um den Schiffstresor der ersten Klasse zu bergen. Die Öffnung des Safes wurde live im amerikanischen Fernsehen übertragen: Bis auf ein paar vermoderte Schecks und Papiernoten war er leer.

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