
Mittelalterliche Wurfmaschinen
Mittelalterliche Kriegsmaschinen Der Wolf des Krieges
Als der lange Arm der hölzernen Wurfmaschine - vom tonnenschweren Gegengewicht gezogen - seine 140 Kilogramm schwere Last in weitem Schwung Hunderte Meter weit gegen die Mauern von Stirling Castle schleuderte, mögen Besatzer wie Belagerte laut geschrien haben. Schon das erste Geschoss riss ein unübersehbares Loch in die äußere Mauer. Bald darauf ließen die Besatzer Geschosse mit griechischem Feuer vom Himmel regnen und erprobten - wenn man den zeitgenössischen Chroniken trauen kann - sogar eine mit Schwarzpulver gefüllte Granate.
Niemand erwartete, dass sich die Bombardierten ergeben würden. Das hatten sie schließlich schon vier Tage zuvor getan, am 20. Juli 1304. Doch Edward I., König von England, hatte sich geweigert, die Kapitulation zu akzeptieren. Nach sechs Jahren wollte er den Aufstand der Schotten gegen die englische Krone mit einer öffentlichen Demütigung beenden. Er machte die Sache zum Spektakel: Für Königin Margarete ließ er sogar einen Holzturm mit Aussichtsplattform konstruieren. Auch Publikum aus den umliegenden Dörfern war willkommen.
Und die Zuschauer kamen. Nicht nur, um den Fall Schottlands zu erleben, die vermeintlich endgültige Niederlage in diesem Ersten Schottischen Unabhängigkeitskrieg (1297-1304, zweite Phase 1306-1328). Sie kamen, um zu sehen, was auch Englands König unbedingt miterleben wollte: Wie der Warwolf, der Wolf des Krieges, die größte bis dahin je gebaute Kriegsmaschine, Schottlands letzte und stärkste Burg erlegen würde.
Auch das ist Mittelalter: Belagerung mit Maschinen
Eine von Katapulten umstellte mittelalterliche Burg, die so lange bombardiert wird, bis sie nicht mehr zu halten ist? Das ist meilenweit entfernt vom Klischee der mittelalterlichen Kriegsführung, das die meisten von uns im Kopf haben. Romantisierende Literatur und deftige Hollywood-Schinken haben eine andere Geschichte erzählt. In der stürmen Fußtruppen, geführt von mit stahlglänzenden Rüstungen gepanzerten Rittern, gegen Mauern an - und mit Geschrei Leitern hinauf, während es von oben Pfeile, heißes Pech und Öl regnet.
Doch auch, wenn die Belagerung von Stirling Castle ein Extrembeispiel für eine Burgbelagerung mit schwerem Gerät war, kam das der mittelalterlichen Realität doch erheblich näher. Belagern hieß in aller Regel: eine Burg umstellen, aushungern und warten. Wollte man sie unbedingt erobern, kam Kriegsgerät zum Einsatz.
Der so martialisch benannte Warwolf stand am Ende einer langen Kriegstradition. Er markierte die letzte Evolutionsstufe der Katapulte, bevor Feuerwaffen die hölzernen Apparaturen im frühen 14. Jahrhundert abzulösen begannen. Edward I. persönlich hatte den Warwolf getauft und ihm natürlich einen französischen Namen gegeben: Loup de Guerre, Wolf des Krieges. Seine Söldner, deren Englisch dem Altsächsisch noch sehr nah war, zogen die Übersetzung des Namens vor – und verkürzten ihn zum martialischen Warwolf. Die Witzbolde im Heer verballhornten den französischen Loup de Guerre ansonsten auch gern zu Ludgar. Es dauerte deshalb wohl nicht lange, bis die mächtige Kriegsmaschine an den Lagerfeuern als Ludgar, der Warwolf bekannt wurde.
Die Konstruktionsprinzipien für die meisten der hölzernen Kriegsapparate hatte das Mittelalter aus römischer Zeit übernommen. Doch auch die Römer hatten Katapulte und andere Wurf- und Eroberungsmaschinen nicht erfunden. Die Anfänge dieser Geräte reichen bis in die assyrisch-babylonische Zeit zurück. Im Mittelalter wurden viele der Konzepte verbessert - und zu hocheffizienten Waffen weiterentwickelt: ein Beleg dafür, dass es im vermeintlich finsteren Mittelalter durchaus technologischen Fortschritt gab. Die frühe Artillerie aus der Zeit zwischen 500 und 1500 nach Christus war kaum weniger tödlich als die späteren Kanonen.
Gegen die Mauern der mächtigen Burgen waren Wurfmaschinen das Mittel der Wahl: Tödlich und mauerbrechend verschossen sie mitunter Hunderte Kilogramm wiegende Geschosse aus sicherer Entfernung.
Die frühen Wurfgeschütze, wie sie auch Griechen und Römer nutzten, basierten auf dem Torsions-Prinzip. Dafür wurden Seile oder Faserbündel mithilfe eines dazwischen gesteckten Hebels "aufgezogen": Man verdrehte sie, soweit es ging. Zog man dann den Hebel, entlud sich die so gewonnene Kraft und brachte das Geschoss auf den Weg. Verschossen wurden kräftige Bolzen und Pfeile, Steine, Bleikugeln und Brandsätze.
Die Hochzeit der perfektionierten Kriegsgeräte
Manche dieser Maschinen nutzten zur Kraftübertragung eine Sehne und erinnerten insofern an eine überdimensionierte Armbrust (Scorpio, Ballista). Andere warfen ihre Last mithilfe eines langen Spannarms, der nach hinten gebogen wurde (Onager: das klassische "Katapult"). Rund ein Dutzend solcher Wurfmaschinen setzte auch Edward I. über zwei Monate hinweg ein, um die Schotten in die Kapitulation zu bomben. Doch die gaben erst auf, als er im Wortsinn schwerstes Geschütz auffuhr.
Denn der Warwolf war nicht nur das größte, sondern möglicherweise auch das präziseste Wurfgerät, das je gebaut wurde. Das Katapult war eine sogenannte Blide, in Frankreich Trebuchet genannt. Sie basierte auf einem gänzlich anderen Konzept als die römischen Torsions-Katapulte: Bliden bezogen ihre Kraft aus dem Hebelprinzip. Das Ende eines langen Wurfhebels wurde über eine Seilrolle hinabgezogen, damit zog man ein vielfach schwereres Kontergewicht auf der anderen Seite hinauf. Ließ man den Wurfarm frei, so schwang das Kontergewicht mit Macht nach unten und ließ dadurch den Wurfhebel nach vorn schnellen. Bliden oder Trebuchets funktionierten dabei wie Schleudern: Die Nutzlast wurde mithilfe einer Schlinge am Ende des Wurfarms abgeschossen, was Wucht und Reichweite noch einmal erhöhte.
Die Kraft, die auf diese Weise freigesetzt wurde, war enorm: Die vermeintlich primitive Holzkonstruktion brachte es im Extremfall auf über 400 Meter Reichweite. Kleine, mobile Geräte verschleuderten Lasten von 15 bis 30 Kilogramm Gewicht. Die Mauerbrecher dagegen mussten vor Ort errichtet werden und feuerten ganz andere Kaliber. Das größte je gefundene Bliden-Geschoss wiegt über 280 Kilogramm.
Das brauchte der Warwolf nicht: Seine Stärke waren Präzision und Wucht. Die Reichweite von Trebuchets war quasi einstellbar. Sie war abhängig vom Gewicht der Kontermasse, die den Wurfarm nach vorn schnellen ließ. Erhöhte man das Gewicht, verlief der Flug der Nutzlast etwas flacher, aber mit mehr Wucht – der Warwolf könnte seine 140-Kilogramm-Geschosse Schätzungen zufolge mit bis zu 190 km/h verschossen haben. Entnahm man Masse aus dem Kontergewicht-Korb, beschrieb der Flug des Geschosses eine steilere, aber kürzere Parabel. So ließen sich wahlweise Mauern beschießen oder stattdessen Ziele hinter den Mauern anvisieren.

Mittelalterliche Wurfmaschinen
Das Kontergewicht des Warwolfs erreichte bis zu 15 Tonnen. Schon das macht die Dimensionen des gigantischen Kriegsgerätes klar. Darüber, wie die Maße genau aussahen, gibt es allerdings nur Vermutungen. Die gewagtesten gehen davon aus, dass der Warwolf auf eine Gesamtbauhöhe von 90 Meter und mehr gekommen sein könnte. Was man sicher weiß, ist, dass fünf Zimmerermeister und 49 Arbeiter rund drei Monate brauchten, um den Apparat zu errichten. Und dass die Garnison von Stirling Castle, die über drei Monate so tapfer ausgehalten hatte, schon beim bloßen Anblick des Monstrums die weiße Fahne hisste - wie wir wissen zunächst vergeblich.
Denn Edward I. wollte den Wolf nun auch in Aktion sehen. Sechs Jahre lang hatten die Schotten ihn herausgefordert. Sie hatten ihren Aufstand noch vier Jahre fortgeführt, nachdem ihr Anführer William Wallace die Waffen gestreckt hatte. Auch, dass dessen Nachfolger Robert the Bruce in der Belagerung von Stirling Castle die Engländer unterstützte statt seine eigenen Leute, konnte ihren Widerstandswillen nicht brechen. Dafür brauchte es den Warwolf.
Dessen Konstruktion hatte Edwards Kriegsbudget kräftig belastet. Jetzt sollte er auch feuern und demonstrieren, über welche Macht Englands Armee verfügte. Am 24. Juni 1304 verschoss der Warwolf seine ersten Geschosse. Das erste riss eine Bresche in die Mauer der bis dahin als uneinnehmbar geltenden Burg. Edward ließ weitere Steine, Brandsätze und möglicherweise auch eine Granate folgen. Die Finanzierung des dafür nötigen Sprengstoffes hatte er sich vom Parlament genehmigen lassen müssen.
So wurde das Ende der letzten Belagerung im Ersten Schottischen Unabhängigkeitskrieg zu einer Art Rüstungs-Show, zu der nicht nur regionales Publikum angereist war, sondern auch neugierige Beobachter aus England.
Die Machtdemonstration verlief zur Zufriedenheit des englischen Königs. Die Schotten schienen ihm hinreichend gedemütigt, die eigene Übermacht eindrucksvoll demonstriert. Nun war er bereit, die Kapitulation zu akzeptieren. Rund 1000 englische Söldner und zahlreiche Zuschauer beobachteten, wie sich die Tore des so lange erfolgreich verteidigten Stirling Castle öffneten und die Verteidiger, weiße Fahne voran, in die ihnen zugesicherte Gefangenschaft zogen: bescheidene 30 Mann unter Führung von Sir William Oliphant, Lord von Aberdalgie.
Ob diese letzte große Auseinandersetzung im Ersten Schottischen Unabhängigkeitskrieg Opfer forderte, und wie viele es waren, ist nicht überliefert. Am Ende, das weiß man, ließ Edward I. einen Engländer in Diensten der Schotten als Verräter hinrichten. Zumindest die Grausamkeit dieser Exekution inklusive Vierteilung kommt den gängigen Mittelalter-Klischees wieder nahe.

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Ob der Warwolf je wieder eine Burgmauer einriss, ist nicht bekannt. Eine Rekonstruktion der Rekord-Blide gehört heute zu den Attraktionen von Urquhart Castle am Loch Ness - mitunter ist sie sogar in Aktion zu bewundern (siehe Video oben).
Edward I. konnte seinen Sieg über die Schotten nicht lang genießen. Sieben Monate nach Ende des Ersten Unabhängigkeitskrieges rief Robert the Bruce die Schotten zu erneutem Widerstand auf: Der schottische Volksheld fühlte sich für seine unrühmliche Rolle bei der Unterwerfung der Schotten nicht hinreichend belohnt.
Die Schotten folgten ihrem wenig verlässlichen Anführer nach anfänglichen Zögern gegen England – und krönten ihn 1306 zum König Schottlands. Edward I. starb bald darauf. Doch noch bis 1314 konnten sich Engländer in Schottland halten. Dann, am 24. Juni, fiel die letzte von ihnen gehaltene Burg. Und die hieß einmal mehr: Stirling Castle.