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Luftaufnahmen aus Afghanistan: Kriegsästhetik in Schwarz-Weiß

Foto: Luftwaffe

Luftaufnahmen aus Afghanistan Kriegsästhetik in Schwarz-Weiß

Bombenkrater, Staudämme, verlassene Straßen, einsame Gehöfte: Die sechs "Tornado"-Flieger der Luftwaffe haben in zweieinhalb Jahren rund 50.000 Aufklärungsbilder von Afghanistan aufgenommen. Ein Museum zeigt nun 58 der gestochen scharfen Fotos - für die Bundeswehr ist das auch ein wenig Werbung für den Krieg.

Adleraugen über Afghanistan", das ist der Titel der Ausstellung. Oberfeldwebel Noormann trägt Brille und einen Kinnbart und erinnert damit erst mal weniger an einen Adler. Martin Noormann, 27 Jahre alt, "der Friese" für seine Kameraden, durchsucht als Luftbildauswerter der Bundeswehr den Hindukusch nach verdächtigen Dingen. Es ist ein Guck-Job. Einer, bei dem man auch im Dunkeln Sachen erkennen muss. Man braucht viel Ruhe und Geduld.

Privat sitzt Noormann gern vor Google Earth. Sein Blick auf die Dinge ist der eines wachsamen, tendenziell aber vorsichtigen Vogels. Eines Uhus vielleicht. Er bleibt im Stadtmuseum Schleswig, eine halbe Autostunde nordwestlich von Kiel, vor einer Luftaufnahme stehen. Auf dem Foto bohrt sich ein Bombenkrater in den Boden, und darunter klebt ein Zettel: "21.04.2008, Kandahar".

Noormanns Vorgesetzte waren in der Öffentlichkeit bislang zurückhaltend mit solchen Luftaufnahmen. Ähnliche Bilder hatten es zu einiger Berühmtheit gebracht, nachdem ein Bundeswehr-Oberst einen Bombenangriff auf zwei Tanklaster bei Kunduz befohlen hatte, bei dem vor allem Zivilisten ihr Leben verloren hatten. Das war im September 2009.

Seitdem ist einiges passiert. Es gab zwei neue Verteidigungsminister. Die Wehrpflicht wurde so gut wie abgeschafft. Die Bundeswehr sucht Nachwuchs, sie braucht das öffentliche Interesse, jedenfalls das wohlwollende, im Moment so dringend wie noch nie. Auch dem Stadtmuseum war es wichtig, die Bilder aus Afghanistan rasch aufzuhängen. Der Museumsleiter sagt: "Es ging darum, schnell zu sein, bevor das Thema wieder aus den Schlagzeilen ist." Er wirkt beinahe froh, dass der Krieg noch nicht vorbei ist.

58 Aufnahmen darf das Museum zeigen, und über eines der Bilder schiebt sich nun ein Finger. Er gehört Oberfeldwebel Noormann, der auf einen schwarzen, fusselgroßen Fleck in der Bildmitte hinweist: "Ein typisches Fahrzeug der afghanischen Polizei." Noormann strahlt. Sein Chef hatte zuvor von der "Schönheit der afghanischen Landschaft" geschwärmt und erzählt, dass auch Fotografien aus der Luft kleine Kunstwerke seien. Man habe fast 50.000 Bilder aufgenommen.

Ein Teil des Aufklärungsgeschwaders "Immelmann" ist in Ausgehuniform angetreten und hält Orangensaftgläser in den Händen. Die Stimmung ist fast heiter. Anders als sonst schwappt die Begeisterung an diesem Abend nicht den "Tornado"-Piloten entgegen, den Adlern, die die Bilder aus dem Himmel holen. Diese Ausstellung gehört nicht den Helden. Sie gehört den Luftbildauswertern. Den Uhus.

Ein Luftbildauswerter schätzt die Welt vor allem aus der Distanz, weil er dadurch einen größeren Überblick und praktischerweise ein paar Kilometer Abstand zwischen den umherfliegenden Kugeln und sich selbst bekommt. Er ist froh, wenn der Krieg nur als Foto in seinen klimatisierten Beobachtungsposten vordringt. Seine Waffen sind zwei wache Augen, ein Lineal und eine Computer-Maus. Sein Arbeitsplatz summt leise, im Gegensatz zu dem eines "Tornado"-Piloten. Die Bundeswehr braucht beide Typen: den risikobereiten und Leute wie Noormann.

Als Oberfeldwebel Noormann vor knapp drei Jahren zum ersten Mal nach Afghanistan musste, lenkte der Transall-Pilot kurz vor dem Ziel, wie um Noormann zu ärgern, seine Maschine extra steil nach unten. Noormann wurde flau im Magen. Später, als er endlich auf festem Boden im Camp Marmal in Masar-i-Scharif stand, gab es Raketenalarm. Eine Granate schlug zwischen den Baracken ein. Noormann hechtete in einen Bunker. Er erzählt, seitdem seien die anderen Luftbildauswerter vorsichtiger mit ihm. "Die sagen jetzt immer, flieg nie mit dem Friesen nach Afghanistan. Das gibt nur Ärger, und du wirst beschossen."

Noormann hat 200 Einsatzstunden in Masar-i-Scharif hinter sich, aber er war nie außerhalb des Bundeswehr-Camps. Er sieht auch so genug. Halb Afghanistan landet in Hunderten Nuancen von Grau auf seinem Monitor. Hügel, Felsbrocken, endlos leere Straßen, zerbombte Gehöfte, ein Autounfall, drei Krater, ein Ziegenhirte, ein Staudamm. Noormann muss gar nicht von seinem Bürostuhl hoch. Er könnte ewig so weitermachen; ein Mann an seinem Monitor in der afghanischen Weite, hinter granatensicheren Mauern, einer, dem "Tornado"-Piloten aus allen Winkeln des Landes Bilder bringen. Doch seit kurzem wird es einsamer um ihn.

Statt waghalsiger Piloten fischen nun ferngelenkte Drohnen die Bilder vom Himmel. Ende November wurden die "Tornado"-Besatzungen aus Afghanistan abgezogen. Drohnen sind billiger, ausdauernder und auch besser geeignet für die deutsche Öffentlichkeit als ein "Tornado", weil man nicht das Leben eines Piloten und eines Waffensystemoffiziers riskiert. Die Adler werden nicht mehr gebraucht, nur Noormann und die übrigen Auswerter sind geblieben. Sie analysieren jetzt die Bilder der Flugroboter. Für Noormann macht es keinen Unterschied.

Im Museum verschwinden die Gäste in die Nacht, nur Martin Noormann beäugt weiter Bilder. Er hat einen Job mit wenig Risiko, davon gibt es einige bei der Bundeswehr. Die Geschichte der deutschen Armee nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich auch als Versuch beschreiben, selbst im Krieg die Gefahr auf null zu dimmen. Die Perfektion der Sicherheit. Deshalb die Drohnen. Vermutlich ist es besser so.

Als Noormann aufbricht zu seiner Frau und seinem Sohn, flüstert der Museumschef, er hätte schon gern ein, zwei Bilder aus Kunduz aufgehängt, von den Tanklastern. Aber die Bundeswehr wollte das nicht. Der Uhu schweigt.

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