
Luftfahrtgeschichte Größenwahn hoch X
Als Adolf Hitler das gewaltige Flugboot am 29. April 1933 am Starnberger See in Augenschein nahm, hatte das stolze Projekt aus dem Hause Dornier seine Zukunft schon hinter sich. Für das Dritte Reich aber startete die Do X noch einmal zum Propagandaflug: Donauabwärts bis Istanbul sollte das Flugboot in den Farben der Lufthansa von deutscher Glorie zeugen.
In einem Stausee bei Passau endete der Nazi-Schauflug. Beim Anflug auf den See schätzte Pilot Horst Merz den Abstand zur Wasseroberfläche falsch ein. Er setzte das 40 Meter lange Fluggerät mit dem Heck voran hart auf und zerstörte dabei das Leitwerk.
Knapp vier Jahre zuvor war der hochseetüchtige Aeroplan mit seinem schiffsförmigen Rumpf und der gewaltigen Flügelspannweite von 48 Metern noch als Weltwunder bestaunt worden. Am Morgen des 12. Juli 1929 öffneten sich die Tore der Dornier-Werft im schweizerischen Altenrhein und gaben den Koloss im Glanz der Morgensonne einer begeisterten Öffentlichkeit preis.
"Unerhörtes Novum der Fliegerei"
Gegen 9.30 Uhr dröhnten die zwölf Motoren des gigantischen Fluggeräts unter Volllast auf. In drei Metern Höhe steuerte Dorniers Chefpilot Richard Wagner das Flugboot über den Bodensee. "Do X, das Hotelschiff. Ein Wunderwerk deutscher Technik. Ein unerhörtes Novum der Fliegerei", schwärmte der "Berliner Lokal-Anzeiger".
Doch schon bald meldeten sich Kritiker. Sie merkten an, dass der geflügelte Lustdampfer wohl nie mehr als sein eigenes Gewicht von 35 Tonnen über die Wellen heben werde.
Do-X-Konstrukteur Claude Dornier widerlegte die Zweifler. Am 21. Oktober 1929, einem nebligen Montagmorgen, fanden sich 159 Betriebsangehörige und Journalisten für den ersten Passagierflug am Bodensee ein. In leichten Korbstühlen nahmen sie im noch unverkleideten Aluminiumrumpf Platz. Gemeinsam mit einer zehnköpfigen Crew brachten sie das Startgewicht auf knapp 45 Tonnen.

Rund 50 Sekunden beschleunigte der massige Flieger über den Bodensee, dann wuchtete er seine Last in die Höhe. 53 Minuten kreuzte die Do X mit 169 Personen an Bord über Bregenz, Lindau und Friedrichshafen. Ein Passagierrekord, der erst 20 Jahre später von dem amerikanischen Militärtransporter "Lockheed Constitution" übertroffen werden sollte.
Multifunktionale Waffenplattform
Doch so sehr das geflügelte Schiff Zeitgenossen auch beeindruckte - es wurde keiner der ihm zugedachten Rollen gerecht. Dabei waren die Erwartungen gewaltig.
Als Claude Dornier im Herbst 1925 mit den Entwürfen für ein 50-Tonnen-Flugboot begann, stand die Dornier Metallbauten GmbH am Rande des Ruins. Finanziert durch die Reichsmarine konnte Dornier im schweizerischen Altenrhein dennoch eine Werft für sein Großprojekt errichten. Die Wahl des Standortes fiel auf das Schweizer Ufer des Bodensees, weil der Versailler Friedensvertrag von 1919 Deutschland den Bau von Flugzeugen dieser Größe verboten hatte.
Die Marineleitung erhoffte sich von dem Deal mit Dornier eine vielfältig verwendbare Waffenplattform: Sie sollte als Fernaufklärer, Minenleger und Torpedoflugzeug taugen. Im Dezember 1926 erhielt das Projekt den Namen "Do X".
Neue Pläne
Eine Enthüllung im Sommer 1927 zwang zum Strategiewechsel. Das "Berliner Tageblatt" deckte auf, dass die Mittel für das Flugboot von schwarzen Konten der Marine stammen. Der politische Skandal kostete den Reichswehrminister das Amt, Dornier den maritimen Sponsor. Doch schon im Jahr darauf fand sich mit dem Reichsverkehrsministerium ein neuer Do-X-Förderer.
Kaum nämlich hatte Charles Lindberg 1927 den Nordatlantik im Alleinflug bezwungen, da machten die Berliner Verkehrsplaner mit ihrem "Transozeanprogramm" einen Markt für den Flugverkehr zwischen Europa und Amerika aus. Dorniers metallene Sphinx mit dem Rumpf eines Schiffes und den Tragflächen eines Großflugzeugs schien den Beamten für Atlantiktrips bestens geeignet.
Zur nötigen Leistung sollten dem Flugboot zwölf Motoren aus heimischer Siemens-Jupiter-Produktion verhelfen. Als Tandems in sechs Triebwerksgondeln über den Tragflächen eingesetzt, trieben die Motoren dreieinhalb Meter große Propeller. Die ermöglichten eine Reisegeschwindigkeit von 175 Kilometern pro Stunde.
Vernichtendes Urteil
Als die Do X jedoch im Sommer 1929 in die Flugerprobung ging, zeigten sich rasch die Grenzen des imposanten Fluggeräts. Obschon öffentlicher Druck den Rückzug der Marine aus dem Projekt erzwungen hatte, nahmen auch Experten der Reichsmarine an den Tests teil. Ihr Urteil: Der gigantische Flieger tauge nicht für eine militärische Verwendung.
Auch für die zivile Nutzung, so sollte sich zeigen, eignete sich das mit rund dreieinhalb Millionen Reichsmark geförderte Projekt nicht. Denn die Leistung der Siemens-Jupiter-Triebwerke von je 525 PS reichte nicht aus, um die fliegende Luxuslounge mit Salon, Küche und Speiseraum sicher zu betreiben.
Bei einem Startgewicht von 50 Tonnen überforderte das Flugboot seine Aggregate. Die luftgekühlten Motoren mussten dauerhaft unter hohen Drehzahlen laufen und überhitzten dabei.
Internationale Verkaufsshow
Als das Showboot deutscher Ingenieurskunst im November 1930 vom Bodensee aus zu einem zweijährigen Werbeflug startete, trieben denn auch wassergekühlte amerikanische Curtiss-Triebwerke mit einen Leistung von je 640 PS den Riesen. Wo immer die Do X auf ihrer Reise durch Europa, nach Brasilien, Kuba und New York landete, bejubelten Tausende Neugierige den Koloss.
Nur potentielle Käufer überzeugte das fliegende Schiff auf seiner 38.000 Kilometer umspannenden Tour nicht. In den von Dornier als Do-X-Hauptmarkt angesehenen USA fand sich nicht ein einziger Kunde. Die Nachwirkungen der Wirtschaftskrise von 1929 mögen ihren Anteil an diesem Desaster haben. Geschuldet war der Misserfolg aber letztlich dem unwirtschaftlichen Konzept, einem Schiff Flügel zu verleihen.
Gerade einmal zwei Maschinen, die Do X2 und Do X3, konnte Dornier losschlagen - er verkaufte sie an das italienische Luftfahrtministerium. 1935 wurden die Maschinen außer Dienst gestellt und verschrottet. Im selben Jahr schickte auch das Reichsverkehrsministerium seinen Flieger zum musealen Ruhestand in die "Deutsche Luftfahrtsammlung Berlin". Bei einem britischen Luftangriff 1943 wurde das Exponat zerstört.
Vom Schrott der beiden italienischen Flugboote fehlt bis heute jede Spur. Geblieben sind von Dorniers fliegendem Schiff nur Bruchstücke des Leitwerks, das Do-X-Pilot Merz im Stausee bei Passau versenkte.