
Luxusparfüms: Der animalische Duft der Krise
Luxusparfüms Der animalische Duft der Krise
Im New York der frühen dreißiger Jahre war es kein ungewöhnliches Ereignis. Elsa Maxwell hatte mehrere hundert Gäste in den Jade-Saal des Hotel Waldorf zu einem ihrer berühmten Bals masqués geladen. Es gab Champagner all-you-can-drink und Kaviar all-you-can-eat und eine Hillbilly-Band. Bis zu 50.000 Dollar kostete ein solches Fest - das Zehnfache eines durchschnittlichen Jahresgehalts zu dieser Zeit. Der Abend stand unter dem Motto "Scheunenhof-Party", und so erschien die feine Gesellschaft als Bauer, Magd oder Milchmädchen. Bei einer ähnlichen Gelegenheit war die Gastgeberin schon einmal auf einem Elefanten eingeritten. An diesem Abend mischten sich - dem Motto gemäß - nur Kühe und Schweine unter die Gäste. Letztere amüsierten sich prächtig und hatten Gesprächsstoff für die kommenden Wochen.
Elsa Maxwell organisierte die schrägsten Partys der Metropole - und dies, obwohl sie selbst kein Geld hatte und reiche Gönner für sie zahlten. Ungewöhnlich waren diese Feiern mit ihrem überbordenden Luxus in New York indes nicht. Bemerkenswert war eher, dass der Wohlstand ausgerechnet in jener Stadt zelebriert wurde, von der aus am 24. Oktober 1929 mit dem Börsencrash an der Wallstreet eine in ihren Ausmaßen ungeahnte Weltwirtschaftskrise ausgelöst worden war. Die High Society von New York tanzte, während die westliche Welt in den Abgrund taumelte. Auf den Straßen eröffneten Suppenküchen für die Hungrigen, und jeden zweiten US-Haushalt trafen Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung. Auf den Straßen und Boulevards boten sich verlumpte Frauen und Kinder als billige Tagelöhner an.
Es schien fast so, als habe das allgegenwärtige Elend die Reichen geradezu ermutigt, ihren Wohlstand hemmungslos zu genießen, solange es noch ging. Im Angesicht der grassierenden Armut mussten ihr Besitz noch bombastischer, ihre Partys noch frivoler, ihr Abstand zum gemeinen Volk noch deutlicher erscheinen. Während die Welt um sie herum aus den Fugen geriet, begann für die Happy-Few das, was in New York als "glamouröse Dekade" bezeichnet wurde. In dieser Zeit legte sich über die Räume des Waldorf-Hotels, die Nachtclubs, die Theatersäle des Broadway und die Appartements in der Park Avenue, in denen die gehobene Gesellschaft feierte, der goldene Duft der Krise. Animalisch dunkel nach Jasmin roch diese Krise und sommerlich süß wie ein ganzer Garten bulgarischer Rosen. Es war ein Parfüm Namens Joy, das den glamourösen Nächten während der Großen Depression seine Note gab.
Der unverkäufliche Duft
Joy wurde 1930 von dem Parfümeur Henri Alméras für das Pariser Haute-Couture-Modehaus von Jean Patou kreiert. Es war das bis dahin in der Herstellung kostspieligste Parfüm: Für einen Flakon von 30 Milliliter brauchte man 336 Rosen und über 10.000 Jasminblüten. Die Konzentration der natürlichen und deshalb teuren Duftstoffe war doppelt so hoch wie bei anderen Parfüms. "Vergessen Sie, dass wir unter Druck sind und unser Umsatz in den Keller geht", sagte Patou, als er Alméras den Auftrag für das Parfüm gab. Und weiter: "Nehmen Sie die besten Zutaten und davon, so viel sie wollen! Wir brauchen etwas, das den Pessimismus unserer Zeit vergessen lässt."
Alméras dachte daraufhin, sein Chef müsse verrückt geworden sein. Er präsentierte ihm eine Probe, die in der Herstellung so teuer war, dass er den Duft für unverkäuflich hielt. Genau das aber war Patou gerade recht. Denn Joy war nicht zum Verkauf gedacht. Das Parfüm wurde an reiche Amerikanerinnen - potentielle und wirkliche Kundinnen des Modehauses - verschenkt. Patous offizielle Erklärung dazu: In Zeiten der Wirtschaftskrise solle Joy ein Trostgeschenk sein für alle Frauen, die es sich nicht mehr leisten konnten, zum Einkauf nach Paris zu kommen.
Wahrscheinlicher ist aber, dass es sich bei dem Geschenk um einen geschickten Marketing-Trick handelte. Denn zuständig für das Marketing bei Jean Patou war die umtriebige Elsa Maxwell, die berühmte Gesellschaftsdame aus New York. Sie verpasste dem edlen Duft kurz nach dessen Erscheinen das Label "Das teuerste Parfüm der Welt". Dass es nicht käuflich war, machte es nur noch exklusiver und begehrter in den Kreisen, für die Maxwell ihre Partys organisierte. Joy war nach kurzer Zeit in aller Nasen. Als das Parfüm einige Jahre später tatsächlich auf den Markt kam, wurde es umgehend zu einem Verkaufsschlager. Mit dem Parfüm verdiente Patou bald mehr als mit der Mode, seine Rechnung war aufgegangen.
Eine olfaktorische Konterrevolution
Wenn man annimmt, dass sich in Düften ebenso wie in Gemälden oder Romanen der Geist einer Zeit spiegelt, lässt sich die Geschichte dieses Parfüms auch anders erzählen: nämlich als die einer olfaktorischen Konterrevolution. Denn gesellschaftspolitisch transportierte Joy kein avantgardistisches und komplexes Gesellschaftsbild, wie viele Parfüms der zwanziger Jahre es taten, sondern zielte auf gesellschaftliche Abgrenzung. Die natürliche Umgebung von Joy war der Reichtum und der Luxus - das Programm des Parfüms in Zeiten der Krise war klar, einfach und affirmativ: Spaß!
Patou wandte sich damit auch gegen seinen eigenen Kurs. Bisher hatte er versucht, Parfüm zu popularisieren und alltagstauglicher zu machen. Die moderne Frau sollte es beim Sport tragen, wenn sie mit dem Wagen ausfuhr oder arbeitete. Ein Duft war nicht mehr nur für Abendveranstaltungen gedacht, wie noch bis nach dem ersten Weltkrieg üblich. Vielmehr lag Patous Ansinnen ein neues Frauenbild zugrunde, in Frankreich als "Garçonne" bekannt. Der Ausdruck bezeichnete selbstbewusste und selbständige Frauen, die arbeiteten, Sport machten und ihre Reize zu nutzen wussten. Ausdruck dieser Haltung war die Bubikopffrisur und eine minimalistische Mode, die eher das Androgyne als das Weibliche betonte. Die Konsequenz aus dieser Entwicklung zog Patou 1929, als er das erste Unisex-Parfüm auf den Markt brachte und damit männliches und weibliches Terrain verschwimmen ließ. Schon 1927 hatte er die erste Sonnenlotion entwickelt. Proletarische Bräune und nicht mehr adelige Blässe war nun en vogue. In der Mode begann man damit, neben den Schranken zwischen den Geschlechtern auch die zwischen den Klassen zu verwischen.
Patous große Rivalin im Kampf um die Gunst dieses neuen Frauentyps war über Jahre Coco Chanel gewesen. Die brachte 1921 ihr Parfüm Chanel Nr. 5 auf den Markt, das bis 1929 zum Bestseller wurde. Auch ihre Mode richtete sich an die "Garçonne" und ließ viel Haut unbedeckt. Ihre Röcke zogen sich im Sitzen über die Knie, eine Revolution im Kleinen, denn so viel Bein war vorher nie zu sehen. Auch das sogenannte Kleine Schwarze machte Chanel populär. Konservative Kritiker schimpften diesen Stil den "Arme-Leute-Chic". Die Parfüms von Chanel gingen ebenso wie die von Patou mit der Mode eine Verbindung ein und transportierten ein Lebensgefühl: Sie standen für gesellschaftlichen Aufbruch.
Doch schon Ende der Zwanziger wurden Patous Entwürfe weniger gewagt, und Joy zeugt letztlich von seiner konservativen Umkehr. Womöglich versuchte Patou seine Rivalin dadurch auszustechen, dass er auf die neuen Verhältnisse reagierte. Die Zeit der Neuerungen war für ihn vorbei - in der Wirtschaftskrise besann sich Patou auf das, was seiner Meinung nach in solchen Zeiten am besten laufen würde: Luxus.