
Jagd auf Fremdwörter: Man spreche deutsch!
akg-images
Jagd auf Fremdwörter "Schmach über jeden Deutschen, der seine heilige Muttersprache schändet!"
Im Herbst 1889 war die böse Zigarre dran, dieser aus der Maya-Sprache über Frankreich und Spanien eingewanderte Fremdling. Eine Düsseldorfer Zigarrenfabrik wollte ihr Produkt fremdwortfrei verkaufen und startete ein Preisausschreiben. 4400 Deutsch-Liebhaber machten mit und schlugen 200 Ersatzwörter vor. Klarer Favorit: die "Rauchrolle".
"Stolz athmen die Raucher auf und jubeln über das grenzenlose Glück, endlich für ihre heißgeliebte Gesellschafterin ein echtes deutsches Wort zu besitzen", triumphierte die Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins. Die Freude war grenzenlos:
"Frohlockend blasen sie Ringe von Rauchrollenrauch in die Lüfte und preisen den geistvollen Einfall des vaterlandsliebenden Menschen (...) Wie glücklich sind unsere Kinder und Enkel zu preisen, denen es vergönnt wird, in einer so großen Zeit zu leben!"
Allein, die "Rauchrolle" setzte sich so wenig durch wie der Konkurrent "Rölling". Also verkaufte die Fabrik weiterhin Zigarren. Ähnliche Debakel erlebten die Fremdwort-Feinde mit "Kleinling" (für Baby), "Tunke" (für Sauce) und "Flammenhalle" (für Krematorium). Die Deutschen verspeisten weiterhin lieber Koteletts als "Rippenschnitte" und tanzten Polonaise statt "Edelreigen".
Die Sprachpuristen ließen sich nicht entmutigen, unentwegt rangen sie um die Reinheit der deutschen Sprache - und gegen alles Fremde. Wie untrennbar dieser Kreuzzug mit einem aggressiven Nationalismus einherging, betont der emeritierte Germanistikprofessor Karl-Heinz Göttert in seinem neuen Buch "Die Sprachreiniger. Der Kampf gegen Fremdwörter und der deutsche Nationalismus".
Sprachnationalismus wurde im Rahmen der Nationalstaatsbildung im 19. Jahrhundert zwar auch in anderen europäischen Ländern gepflegt. Im Deutschen Reich jedoch habe sich die "Fremdwörterhatz", wie es der Romanist Leo Spitzer nannte, "in einen "verhängnisvollen 'Fremdvölkerhass' verwandelt", so Göttert im einestages-Interview.

Jagd auf Fremdwörter: Man spreche deutsch!
akg-images
Den Allgemeinen Deutschen Sprachverein gründeten nicht etwa tumbe Scharfmacher, sondern studierte Bildungsbürger, allen voran Gymnasiallehrer und Beamte um den Initiator Herman Riegel. Der Braunschweiger Museumsdirektor formulierte 1885 einen "Mahnruf": Die "Fremdwörterseuche" sei eine "schwere, tief eingewurzelte Krankheit der deutschen Sprache". Besonders gegen die "Überlast französischer Schmarotzer" müsse man sich zur Wehr setzen. Riegel forderte "Geldbußen, Gefängniß und Vernichtung ihres Machwerkes" für alle "Sprachwälscher und Sprachfälscher".
Er traf wohl einen Nerv: Schon kurz nach der Gründung gab es 91 Zweigvereine mit 6000 Mitgliedern, bald sogar in London und New York. 1930 waren es bereits knapp 500 Zweigvereine mit rund 50.000 Mitgliedern.
Stinkwägele statt Auto
Ob Schule oder Sport, Technik oder Politik: Die Sprachpuristen kämpften überall gegen die "Durchseuchung", "Versumpfung" und "Unterjochung" des Deutschen durch Fremdwörter. Sie veröffentlichten "Verdeutschungswörterbücher" mit Ersetzungsvorschlägen und prangerten Zeitungen, Gelehrte oder Ladeninhaber an, die Fremdwörter benutzten.
Und damit die Fußballfans nicht "Goal" brüllten, vermarkteten die Deutsch-Schützer wasserdicht eingeschweißte Papptafeln, auf denen "Tor" zu lesen war - mit Erfolg: Auf deutsches Vokabular griff der Deutsche Fußballbund 1905 in seinem Spielregel-Verzeichnis zurück.
"Nicht alle Ersetzungen der Sprachreiniger waren abwegig", betont Karl-Heinz Göttert. Gerade Gesetzgebungswerke seien mit deutschen Begriffen durchaus verständlicher geworden. Auch dass wir heute "Fahrkarte" statt "Billett" verwenden, "Bahnsteig" statt "Perron" und "Abteil" statt "Coupé", ist Verdienst der Deutsch-Verfechter - aber "all dies ging in der Masse des ungewollt Komischen unter", so Göttert.
In immer neuen Preisausschreiben habe man die "abstrusesten Vorschläge" diskutiert, sagt der Germanist. Heraus kamen Kreationen wie "Wurf-Fangkünstler" (statt Jongleur) oder "Profitling" (für chinesische Geschäftsleute). Götterts persönlicher Favorit: das "Stinkwägele" für Automobil, 1910 von einem Vereinsmitglied vorgeschlagen.
Das Wort unterlag beim Preisausschreiben, es gewann das schlichte "Aut", in Analogie zu Radler abwandelbar in "Autler" und "auteln". Selbst den Monatsnamen wollte man an den Kragen: Februar sollte "Hornung", April "Ostermond" und Juni "Sonnenwend" heißen.
"Der Krieg reinigt die deutsche Sprache!"
Besonders schöpferisch - und erfolglos - war der Sprachverein im Bereich der Kulinarik. Ungerührt aßen die Deutschen "Frikassee" statt "Weißeingemachtes" und kauften auch keine "Leckereien" beim "Kunstbäcker", sondern "Delikatessen" beim "Konditor".
Lieber wolle er verhungern, feixte der österreichische Schriftsteller Karl Kraus, als "statt eines Roastbeefs ein blutiges Rindslendendoppelzwischenstück mit Barbarentunke" essen zu müssen. Den Sprachverein geißelte Kraus als "Brachialtruppe" voller "Trottel", die einem "vorgeschriebenen Volkheitskoller (Nationalismus)" huldigen würden.
Mit Kriegsausbruch steigerte sich dieser "Volkheitskoller" vollends ins Groteske. Den Ersten Weltkrieg priesen die Sprachreiniger als Chance, mit dem "alten Erbübel der deutschen Fremdtümelei" aufzuräumen, so Otto Sarrazin, Vorsitzender des Sprachvereins ab 1900 und Urgroßonkel des Bestseller-Populisten Thilo Sarrazin.
Die Sprachreiniger: Der Kampf gegen Fremdwörter und der deutsche Nationalismus
Preisabfragezeitpunkt
07.06.2023 20.21 Uhr
Keine Gewähr
1914 gipfelte Otto Sarrazins "Aufruf an alle Deutschen" in der Drohung: "Schmach über jeden Deutschen, der fürder seine heiligte Muttersprache schändet." Ins gleiche Horn stieß der Berliner Germanist Oskar Streicher: "Der Krieg reinigt die deutsche Sprache! Deutsch wollen wir sein! (...) Nur deutsch! Unserer Sprache ist unser Stolz!"
Doch die Deutschen verloren den Krieg - auch weil sie den Fremdwörtern nicht abschworen, so Sarrazins absurde Variation der Dolchstoßlegende. 1918 forderte er die Oberste Heeresleitung auf, die Friedensverhandlungen ausschließlich auf Deutsch zu führen.
Im "Dritten Reich" schaltete sich der Sprachverein eilfertig selbst gleich, huldigte dem Regime, unterstützte die Rassenpolitik und Antisemitismus. Wortführer Georg Schmidt-Rohr ging 1940 sogar so weit, die Einrichtung eines politischen Sprachamts vorzuschlagen, um die Sprachen der unterjochten Völker systematisch zu zerstören und Deutsch als Weltsprache durchzusetzen.
Goebbels hielt die Spracheiferer klein
Die Nationalsozialisten jedoch liebten Fremdwörter, befahlen laut Göttert sogar ausdrücklich ihre Verwendung. Besonders NS-Propagandaminister Joseph Goebbels waren die Spracheiferer ein Dorn im Auge, er beschränkte den Verein "auf ein Minimum seines Einflusses", so der Germanist.
1943 gab der Verein auf und stellte seine Zeitschrift "Muttersprache" ein. Schon vier Jahre später entstand die Gesellschaft für deutsche Sprache als Nachfolgeorganisation, die sich allerdings von schrillen, nationalistischen Tönen fernhält, in nüchterner Sacharbeit vor allem Behörden berät und außerdem seit 1977 alljährlich das "Wort des Jahres" kürt.
Deutlich aggressiver und rechthaberischer tritt der Verein Deutsche Sprache auf, 1997 gegründet von Walter Krämer: Der Dortmunder Statistikprofessor lässt sich in seinem Einsatz für das Reinheitsgebot der deutschen Sprache ungern übertrumpfen. Im Überschwang ist er immer gut für markige Sprüche gegen "Sprachpanscherei" oder "Denglisch" - ein Mann mit einer Mission, die zuweilen ins Sektiererhafte schwappt.
Die Fremdwörterjagd von einst ist heute passé - die Hetze gegen alles Fremde jedoch, das Schwadronieren vom Verlust der Identität ist zurück. Laut Göttert operieren Rechtspopulisten etwa der AfD häufig mit exakt dem gleichen Vokabular wie die historischen Sprachreiniger. Ob "Überflutung", "Schmach" oder "Durchseuchung": "Es ist die Wiederkehr der Angst- und Panikmache, die der neue Nationalismus mit dem der Sprachreiniger verbindet und die Geschichte der Sprachreinigung zu einem Lehrstück macht", sagt Göttert.
In Fremdwörtern, auch Anglizismen, sieht er "keine ernstzunehmende Bedrohung, die Lage der deutschen Sprache ist nach allen wissenschaftlichen Untersuchungen gefestigt". Natürlich müsse man darauf achten, dass Sprache verständlich bleibe, dürfe es mit dem Purismus aber nicht übertreiben. Zum Glück gebe es beim Übertreten von Grenzen die gleiche gerechte Strafe, die schon die "Rauchrolle" ins Jenseits beförderte: "Lächerlichkeit zum Beispiel oder einfach Weghören".