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Marcia Barrett und Boney M.: "Sprengsatz der Diskotheken"

Marcia Barrett, Popstar bei Boney M. Mummy Cool

Mit Hits wie "Rivers of Babylon" oder "Daddy Cool" hatte Boney M. Riesenerfolge. Jetzt wird Sängerin Marcia Barrett 70 und packt über die Zeit in der Disco-Band aus - und "Belfast" singt sie auch.
Liebt bunte Outfits: Marcia Barrett

Liebt bunte Outfits: Marcia Barrett

Foto: Michael Timm/face to face

Berlin, ein glutheißer Maitag im "Riz Carlton": Punkt 15 Uhr rauscht Marcia Barrett ins Foyer, dicht gefolgt von Ehemann Marcus James. Ihr Kleid, blassgrün, wadenlang, ausladende Seventies-Ärmel, stammt noch aus alten Boney-M.-Zeiten - von der Hannoveranerin Dagmar Engelbrecht, die einst der Band einzigartig schrille Kostüme schneiderte.

Ein bisschen zu groß wirkt das Kleid heute. Die Grande Dame des Plastik-Pop wird im Oktober 70 Jahre alt und hat ihr Leben aufgeschrieben. "Immer weiter. Meine Zeit mit und ohne Boney M." heißt das Buch. Tenor: humorig bis angriffslustig. Botschaft: Jetzt geht's erst richtig los. Trotz tropischer Temperaturen behält Marcia Barrett ihren schokofarbenen Hut auf, trinkt Weißwein, sprüht vor Tatendrang. Pause macht die Wahlberlinerin beim zweistündigen Gespräch nur zum Luftholen.

einestages: Abba, eine der populärsten Bands der Siebzigerjahre, haben kürzlich ihr Comeback angekündigt. Wie sieht's mit Boney M. aus?

Marcia Barrett: Keine Chance. Als ich das las, dachte ich: Wie schade, dass das bei uns nicht geklappt hat. Wir hätten so stolz auf uns sein können. Vier schwarze Menschen in der Fremde - und die ganze Welt kannte uns! Doch wir haben verpasst, uns treu zu bleiben so wie Abba.

einestages: Abba war eine Band aus zwei Liebes- und dann Ehepaaren, Boney M. dagegen eine bunt zusammengewürfelte Kombo, gegründet von Frank Farian.

Barrett: Genau das war Teil des Problems. Wir waren völlig unterschiedlich, wurden zusammengespannt, als alle längst erwachsen waren. Zwei von uns, Maizie Williams und Bobby Farrell, konnten nicht einmal wirklich singen...

einestages: ...dafür toll tanzen.

Barrett: Das konnten Liz Mitchell und ich auch. Und wir beide hatten auch unsere Texte stets parat. Bevor ich sang, habe ich in Hamburg professionell getanzt. Aber nie auf der Reeperbahn an der Stange, hören Sie, das ist mir wichtig!

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Marcia Barrett und Boney M.: "Sprengsatz der Diskotheken"

einestages: Sondern?

Barrett: In der Harburger Disco "Top Ten", einer wunderbaren Location direkt am Wasser. Eines Tages hatte ich genug davon, dass dort nie Livemusik gespielt wurde. Ich schnappte mir das Mikrofon und sang "Oh Happy Day". Alle waren begeistert. So wurde ich Sängerin, trat im Vorprogramm für Schlagerleute wie Rex Gildo und Roberto Blanco auf, angekündigt als "Schoko-Girl" oder "Hot Chocolate from Jamaica".

einestages: Hm. Das klingt so abschätzig.

Barrett: Ach was (lacht). Ich liebe zum Beispiel das Wort Negerkuss. Wie schade, dass die Dinger heute nicht mehr so heißen dürfen. Ich nahm das stets als Kompliment.

einestages: Was verschlägt eine karibische Schönheit an die Elbe?

Barrett: Eine Londoner Agentur hat mich dorthin vermittelt. Mit 13 verließ ich zunächst mit meiner Schwester Jamaika und zog zu meiner Mutter nach England. Wir wollten wieder alle zusammen sein, träumten von einer besseren Zukunft.

Zur Welt kam Marcia Barrett 1948 im jamaikanischen Old Harbour. Die uneheliche Tochter einer Näherin und eines Polizisten wuchs teils bei Verwandten auf, Armut und Hunger prägten ihre Kindheit. Barrett teilte sich ein Bett mit vier anderen Kindern, nach der Schule musste sie Gemüse ernten, Holz sammeln, Wäsche am Fluss waschen.

einestages: London muss ein Kulturschock für Sie gewesen sein.

Barrett: Was haben wir gefroren, damals am Flughafen! Wir kannten weder Mäntel noch Hüte, die Menschen sahen für uns aus wie Zombies. Beim ersten Nebel dachten wir: Irgendwo ist ein Feuer ausgebrochen.

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einestages: Mit 16 bekamen Sie einen Sohn und wollten die Schwangerschaft bis zur Einlieferung ins Krankenhaus nicht wahrhaben.

Barrett: Ein Wunder, ich hatte das komplett verdrängt. Der Vater war mein Mathe-Nachhilfelehrer. Wayne kam in den Osterferien zur Welt, ich habe keinen Tag in der Schule gefehlt.

einestages: Ihre Mutter hat Wayne großgezogen, Sie wurden Sängerin bei einem der kommerziell erfolgreichsten Acts der Musikgeschichte. Wie kamen Sie zu Boney M.?

Barrett: 1975 erzählte mir eine Freundin, dass ein Produzent namens Frank Farian attraktive schwarze Frauen für eine Band sucht. Mein damaliger Lover, ein Banker, meinte, ich sei mit meinen 27 zu alt für eine Popgruppe. Frechheit! Ich fuhr zum Vorsingen - und war engagiert.

Boney M. startete als Mogelpackung: Im Februar 1975 hatte Farian die Single "Baby Do You Wanna Bump" herausgebracht, gespielt und gesungen komplett von ihm selbst. Auf dem Cover aber tanzte eine Schwarze im bauchfreien Ringelshirt. Als eine niederländische TV-Show Boney M. für einen Auftritt buchen wollte, geriet Farian unter Zugzwang und musste flugs eine echte Band formieren. Der Erfolg war überwältigend, das Feuilleton ratlos: "Es gibt also noch Wunder im deutschen Musikgeschäft", staunte 1976 das "Hamburger Abendblatt". Boney M. war die erste westliche Popgruppe, die 1978 in der Sowjetunion auftreten durfte. Weltweit wurden mehr als 150 Millionen Schallplatten verkauft.

einestages: Wie lief die Zusammenarbeit?

Barrett: Anfangs sehr gut. Frank stellte erst die Musik fertig, dann steuerten Liz und ich den Gesang bei. Im Studio achtete er stets darauf, dass ich meinen Champagner und Liz ihren Cognac bekam. Allerdings war der Band-Alltag ziemlich stressig: Wir tourten quasi nonstop und nahmen parallel schon das nächste Album auf. Zudem waren wir omnipräsent in TV-Shows und auf Pressekonferenzen. Frank wollte das Maximum aus uns herausholen.

einestages: Wie erklären Sie sich den enormen Erfolg mit Hits wie "Daddy Cool", "Rivers of Babylon", "Ma Baker", "Sunny" oder "Rasputin"?

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Barrett: Das war guter Pop mit simplen Melodien, die jeder mitsingen konnte. Manchmal fast kindisch (persifliert die Melodie von "The Carnival Is Over", kichert). Aber es funktionierte. Dazu kamen diese vier exotischen Menschen in ihren ausgeflippten Kostümen. Wir waren ein Gesamtprodukt, ein Team. Und nicht das Werk eines einzelnen Genies, wie das Farian darstellt.

einestages: Vor den Kameras strahlte die Band, hinter den Kulissen brodelte es. Warum?

Barrett: Es gab keine offenen Konflikte, aber Spannungen, Missgunst, Sabotage. Mal waren meine Schuhe kurz vorm Auftritt weg, mal regelte mich Frank im Sound runter, weil ich angeblich zu laut sang. Mit der Zeit benahm er sich immer herrischer, schrie rum wie in einer Kaserne. Zugleich hielt er uns klein: Auf den Covern waren wir Sängerinnen nicht mal namentlich ausgewiesen. Und als ich 1981 eine Solokarriere anstrebte, wusste er sie zu stoppen.

einestages: 1986 löste der Produzent Boney M. auf, Ihnen blieben nur noch Liveauftritte.

Barrett: Frank war der Band überdrüssig geworden und schmiss ohne Vorwarnung hin. Kurz danach ging auch Liz. Wir waren auf Tour, über Nacht mussten wir Ersatz für sie organisieren.

einestages: Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätte Boney M. weitergemacht?

Barrett: Ich spielte den anderen meine selbst komponierten Songs vor und tat einen neuen Produzenten auf. Doch niemand stieg so recht drauf ein. Irgendwann hatte ich das alles satt: Wir waren zu unserer eigenen Tribute-Band geworden.

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Marcia Barrett;Lloyd Bradley

Immer weiter: Mein Leben mit und ohne Boney M.

Verlag: Edition KOCH
Seitenzahl: 304
Für 25,00 € kaufen

Preisabfragezeitpunkt

28.05.2023 09.24 Uhr

Keine Gewähr

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einestages: Fortan tingelte jeder als Einzelkämpfer durch die Welt und präsentierte seine eigene Boney-M.-Version.

Barrett: Es kam zu absurden Situationen: Einmal gab sich Maizies Manager als meiner aus - und heimste Jobs für sie ein.

einestages: Bevor Sie sich als Solokünstlerin etablieren konnten, erkrankten Sie an Krebs.

Barrett: Erst waren die Eierstöcke befallen, dann Brust, Rückenmark, Lymphknoten. Fünfmal habe ich die Krankheit besiegt.

einestages: Wie geht das?

Barrett: Erzähl niemandem was davon! Wenn die Leute das K-Wort hören, fangen sie sofort an, dein Grab zu schaufeln. Ich habe dem Krebs in den Arsch getreten und gebrüllt: Raus aus meinem Leben! Sicher halfen auch die Entbehrungen meiner Kindheit. Sie haben mich zu dem Go-Getter gemacht, der ich heute bin. Mein Geld bin ich jedoch losgeworden, um all die Therapien zu bezahlen. Auf dem Rest sitzt Frank Farian in Miami.

einestages: Wenn Ihnen noch Tantiemen zustehen: Wieso verklagen Sie ihn nicht, so wie 2016 Ex-Bandmitglied Maizie Williams?

Barrett: Darling, dazu habe ich keine Zeit. Und nicht das nötige Vertrauen in die deutsche Rechtsprechung. Frank ist ein reicher Mann, aber arm im Herzen.

einestages: Wer Ihr Buch liest, gewinnt den Eindruck: Sie haben noch eine Menge vor. Verraten Sie uns Ihre Träume.

Barrett: Schauspielern, einmal die Titelmelodie eines James-Bond-Films singen, meine Solokarriere weiter ankurbeln. Ich weiß, dass meine Zeit kommen wird, mich kann keiner stoppen.

einestages: Wären Sie zum Abschluss so nett, mir einen Boney-M.-Hit vorsingen?

Barrett: Jetzt, hier, in diesem Restaurant? Lieber nicht. Obwohl (zögert) ...vielleicht "Belfast", das war immer mein Song. Drafi Deutscher und Joe Menke hatten ihn für mich geschrieben, bevor ich zu Boney M. kam. Farian hat ihn nur adaptiert. Okay?

einestages: Okay!

SPIEGEL ONLINE

Marcia Barrett beginnt zu singen, erst zögerlich, dann lauter. Ehemann Marcus übernimmt leise den Background. Der Raum beginnt zu vibrieren, der Kellner schaut rüber, als passiere das hier alle Tage. Noch ein Küsschen auf die Wange, dann verabschiedet sich die Disco-Diva in ihrem etwas zu weiten, blassgrünen Boney-M.-Fummel.

Zurück bleibt ein hartnäckiger Ohrwurm. Und Wehmut, dass die knallbunt glitzernde Daddy-Cool-Ära für immer vorbei ist.

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