Reaktion auf Buschmanns historische Parallele zur »Letzten Generation« »Besser die FDP-Zentrale umstellen«

Justizminister Buschmann hat den Protest von Klimaaktivisten mit blutigen Straßenkämpfen in den Dreißigerjahren verglichen. Politikwissenschaftler Hajo Funke sagt: Die Analogie hinkt, ziviler Ungehorsam ist zulässig.
Ein Interview von Christoph Gunkel
Ziviler Ungehorsam: Aktivist der »Letzten Generation« bei einer Straßenblockade in Berlin, April 2023

Ziviler Ungehorsam: Aktivist der »Letzten Generation« bei einer Straßenblockade in Berlin, April 2023

Foto: FILIP SINGER / EPA

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Die Aktivistinnen und Aktivisten der »Letzten Generation« provozieren mit ihren Protesten offenbar so sehr, dass die politisch Angegriffenen zum letzten Mittel greifen: dem historischen Vergleich.

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt warnte bereits vor einer »Klima-RAF«, am Freitag zog FDP-Justizminister Buschmann nach: Er verglich die Aktionen der Klimagruppe mit den Straßenprotesten von vor hundert Jahren: »In den Zwanziger- und Dreißigerjahren gab es in Berlin straßenschlachtartige Zustände, weil sich Menschen am linken und rechten politischen Rand selbst ermächtigt fühlten, sich über die Rechtsordnung zu stellen und die eigenen Vorstellungen mit der Faust durchzusetzen«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Das darf sich nicht wiederholen.«

Was meint er mit dem Vergleich? Und passt der überhaupt?

SPIEGEL: Herr Professor Funke, Sie kennen sich als Berater von »Babylon Berlin« gut mit den sehr unruhigen Zwanziger- und Dreißigerjahren in Berlin aus. Auf welche Ereignisse mag Bundesjustizminister Marco Buschmann mit seinem Vergleich angespielt haben?

Funke: Zunächst einmal: Die Straßenkämpfe in den Zwanziger- und Dreißigerjahren  mit den Aktionen der Klimaaktivisten zu vergleichen, ist sehr unterkomplex. Das ist ähnlich unsinnig, wie von einer »Klima-RAF« zu reden. Das wird dem Phänomen einer Bewegung des zivilen Ungehorsams absolut nicht gerecht.

SPIEGEL: Warum?

Funke: Damals ging es um bürgerkriegsähnliche Unruhen vonseiten der Nationalsozialisten, besonders im Jahr 1932. Das hing mit einer ungeheuren Schwächung der Demokratie zusammen und einem Reichspräsidenten, der mit Notstandsparagrafen operierte. Diese schwere Krise schien aus Sicht der Mehrheit der Bevölkerung nicht behebbar: Von links operierte eine stalinistische KPD, dirigiert von Moskau. Und von rechts versuchte die NS-Bewegung, mit dem Straßenterror der SA die Regierung zu stürzen. Das alles haben wir bei der »Letzten Generation« überhaupt nicht. Deshalb wirkt dieser Vergleich heute nur eskalierend in einem Konflikt zwischen Klimaaktivisten und Istzustandsbewahrern.

SPIEGEL: Womöglich spielte Buschmann auch auf den »Blutmai 1929«  an. Damals kam es in Berlin zu heftigen Straßenschlachten während Kundgebungen der Kommunisten, mit vielen Toten und Verletzten durch massive Polizeigewalt.

Funke: Ja, auch das mag er gemeint haben, aber das wäre ebenfalls völlig absurd. Noch einmal: die Nationalsozialisten und ebenso die KPD wollten den Sturz der Regierung. Die »Letzte Generation« möchte hingegen die Klimaneutralität erreichen, etwa durch ein Tempolimit auf Autobahnen – was die FDP ärgert, die das blockiert. Die Verschärfung der Klimakatastrophe lässt sich jeden Tag in den Nachrichten verfolgen. Insofern ist das Kernanliegen der »Letzten Generation« moralisch richtig und ihr ziviler Ungehorsam politisch und rechtlich legitim. Die Politik sollte sich lieber inhaltlich mit dem Thema auseinandersetzen und deeskalieren – statt Präventivhaft zu fordern.

Historisches Trauma: Die Straßenschlachten in Berlin am 1. Mai 1929 gingen wegen der vielen Toten als »Blutmai« in die Geschichte ein

Historisches Trauma: Die Straßenschlachten in Berlin am 1. Mai 1929 gingen wegen der vielen Toten als »Blutmai« in die Geschichte ein

Foto: picture-alliance / akg-images

SPIEGEL: Das würde Justizminister Buschmann womöglich anders sehen.

Funke: Offenbar kennt Herr Buschmann die Kategorie des zivilen Ungehorsams nicht. Das ist für einen Bundesjustizminister bedauerlich. Ziviler Ungehorsam ist vom Grundgesetz im Rahmen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit grundsätzlich geschützt. Es gab große Debatten darüber, von Jürgen Habermas bis zu Martin Luther King , weil es ja um den Bruch legaler Gesetze geht, die man als ungerecht empfindet. Grundsätzlich ist alles legitim, was gewaltlos, moralisch motiviert und öffentlich ist. Die Mittel müssen nicht legal sein. Man riskiert eben, bestraft zu werden.

SPIEGEL: Was bezweckt Herr Buschmann Ihrer Meinung nach politisch mit seinem Vergleich?

Funke: Es ist eine Strategie der Aufmerksamkeitsökonomie. Es geht darum zu polarisieren, um dem rechten Teil des politischen Spektrums zu signalisieren: Wir haben mal heftig draufgehauen und gesagt, was nicht geht.

SPIEGEL: Letztendlich spielt die FDP damit also der AfD und anderen in die Hände?

Funke: Genau. Der Vergleich ist hochprovokant für jeden, der klimapolitisch unterwegs ist. Mich hat er auch geärgert, und ich mache keine Klebeaktionen. Umgekehrt sollten die Umfragen, nach denen 86 Prozent der Deutschen gegen Klebeproteste sind, auch die Klimaaktivisten bewegen, ihre Methoden des zivilen Ungehorsams kreativ zu überprüfen.

Nichts geht mehr: Die Klebeaktionen der »Letzten Generation« sind sehr unpopulär, Experte Funke rät den Aktivisten, über andere Formen des zivilen Ungehorsams nachzudenken

Nichts geht mehr: Die Klebeaktionen der »Letzten Generation« sind sehr unpopulär, Experte Funke rät den Aktivisten, über andere Formen des zivilen Ungehorsams nachzudenken

Foto: Jonas Walzberg / dpa

SPIEGEL: Was schwebt Ihnen alternativ vor?

Funke: Man könnte die FDP-Zentrale umstellen, den zuständigen Politikern nachlaufen, Großdemonstrationen veranstalten und vieles mehr. Es muss nicht immer komplex sein. Die Aktivisten haben jedenfalls die große Möglichkeit, die Klimakrise zu einer nationalen Debatte zu machen, bei der an vorderster Front natürlich die Grünen stehen müssen, um so den politischen Druck auf die FDP zu erhöhen.

SPIEGEL: Zurück zu dem historischen Vergleich: Solche schiefen Analogien haben in Deutschland durchaus Tradition. Muss Justizminister Buschmann nicht fürchten, dass nach dem kurzen medialen Strohfeuer am Ende etwas an ihm hängenbleibt?

Funke: Ich glaube, dass diese Art von Rhetorik allgemein einer toleranten politischen Kultur schadet – und auch ihm selbst. Es ist eine populistische Polarisierung, ausgerechnet vom Justizminister, der für Recht und Ordnung zuständig ist.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Interviews erweckte eine Frage den falschen Eindruck, die Toten des Blutmais 1929 seien Folge der Straßenschlachten gewesen. Sie gingen aber allein auf die Polizeigewalt zurück. Wir haben die Frage deshalb entsprechend geändert.

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